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Kapitel 1: Rookie of the Year

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Avanna

Das Warten auf Tys Ritt zerreißt mich innerlich. Doch dann taucht endlich sein blonder Lockenkopf neben der Box auf, in der die Cowboys den Stier bändigen. Auf Tys Schulter prangt das Wappen der Archers, unter dem bereits mein Urgroßvater geritten ist. Mein Bruder sieht im Vergleich zu den anderen Männern so jung aus, aber das ist er mit seinen neunzehn Jahren ja auch.

Nichts hält mich jetzt noch auf meinem Platz. Zwei Stufen auf einmal nehmend, eile ich die Treppe in Richtung Arena hinunter. Dann stehe ich an der Eisenstangenabsperrung, die die Tribüne von dem Sandplatz trennt. Ty hat bereits auf dem Rücken des Bullen Platz genommen, der sich sofort unter ihm aufbäumt und versucht, seinen unliebsamen Reiter wieder loszuwerden. Der Name des Bullen ist Hungry, und ich habe das Gefühl, er giert danach, meinen Bruder zu verschlingen. Doch Ty nimmt es gelassen und lacht, als Hungry wieder auf seinen vier Hufen steht. In meinen Augen sieht er noch aus wie früher, als ich ihm auf unserer Ranch den Umgang mit den Rindern und das Reiten auf ihnen beigebracht habe: die gleiche blonde Strubbelmähne, das gleiche unbekümmerte Glitzern in den blauen Augen, ein stetes Lächeln auf dem hübschen Gesicht. Ihm wird gerade sein Hut gereicht und Ty winkt damit noch einmal in die Runde. Die Menschenmenge jubelt und Hungry bockt in seinem Pferch. Das sorglose Wesen meines Bruders ist wunderbar, aber ich würde mir trotzdem wünschen, er würde das Vorhaben, einen Hunderte von Kilo schweren, aufgebrachten Bullen zu reiten, ernster nehmen.

Die Freiluftarena von Cheyenne ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Sommersonne scheint unerbittlich auf uns herab und die meisten Zuschauer des Rodeos fächeln sich mit den Programmheften Luft zu. Der Sommer in Wyoming kann verdammt heiß sein und das ist genau das, was ich liebe. Die kalten, langen Winter halte ich hingegen nur aus, wenn ich zwischen Mai und September gut durchgebraten wurde.

Ich sehe einer Frau zu, die ihrem kleinen Sohn den Cowboyhut zurechtrückt und ihn dann auf den Arm nimmt. Wie dieser kleine Junge waren auch mein Bruder und ich von Kindesbeinen an bei Rodeos mit dabei. Vom Arm seiner Mutter aus kann er den Sandplatz gut überblicken. Als er Ty entdeckt, streckt er seinen kleinen Arm hoch und ruft den Namen meines Bruders. Ty Archers Ritt will jeder sehen, er ist das Highlight des Turniertages. Vom besten Rookie aller Zeiten erwartet man eine großartige Show, besonders hier in der Nähe seines Geburtsortes Pineville, der nur ein paar Meilen von der Arena entfernt ist.

Ty hat den gefährlichsten Stier erwischt – das wird ein Spektakel. Hungry ist einer dieser Bullen, welche im Laufe ihrer Rodeolaufbahn einen ganz eigenen Stil im Buckeln entwickelt haben. Wie kein anderer kann er die Richtung während des Springens wechseln, er springt nach Westen los, windet sich unter seinem Reiter und dreht sich nach Osten weiter. Er ist äußerst athletisch, außerdem kleiner und kompakter als die meisten anderen Profibullen. Wenn ich in diesem Augenblick auf ihm sitzen würde, um mich auf den Ritt vorzubereiten, würde ich tief in mich gehen und so still werden, dass Hungry mich nicht mehr bemerken würde. Und dann wäre ich eins mit dem Stier, sodass ich die acht Sekunden knacken könnte, die der Reiter auf dem Bullen bleiben muss. Ty macht jedoch das Gegenteil. Er albert so lange und viel herum, bis er vergisst, dass ihm ein gefährlicher Ritt bevorsteht. Er lässt sich nicht auf den Stier ein – er ignoriert ihn, tut so, als gäbe es ihn und die Gefahr nicht. Kein Fünkchen Angst ist bei dem jungen Cowboy zu entdecken. Genau jetzt schnipst er einem seiner Begleiter den Hut vom Kopf und wärmt noch einmal das Harz am Seil nach, sodass er einen festeren Griff bekommt. Am liebsten würde ich mir die Augen zuhalten, weil die Aufregung in mir übermächtig wird, aber dann würde ich verpassen, wie glücklich Ty gerade aussieht. Zum Glück konnten wir uns gegen unsere Mom durchsetzen, die uns die Teilnahme an diesem Benefizrodeo verbieten wollte. Denn Fakt ist, selbst wenn Ty heute gewinnt, wird er kein Preisgeld mit nach Hause nehmen und wir werden trotzdem einen ganzen Tag auf der Ranch gefehlt haben. Unsere Arbeit bleibt also liegen, wenn unsere Eltern es nicht schaffen, sie zu erledigen.

Ein Energiestoß durchfährt mich, als mein Bruder unvermittelt den Kopf herumreißt, mir direkt in die Augen schaut, lächelt und … das Zeichen zum Start gibt. Das Gatter fliegt auf und ich halte die Luft an. „O Gott“, flüstere ich und greife nach dem kleinen Kreuz, das um meinen Hals hängt. „Bitte! Pass auf Ty auf!“

Der Stier ist frei. Sofort versucht er, seinen Reiter abzuwerfen, dreht und wendet sich, sein Speichel fliegt hoch und Staub wirbelt auf. Hungry ist entschlossen, sich freizukämpfen, aber so wie Ty sich auf das Rodeo eingestimmt hat, so reitet er den Bullen auch: sorglos, spielerisch und fröhlich. Die Engel müssen seinen humorvollen Charakter lieben, denn ihm ist noch nie etwas Schlimmes geschehen. Ty Archer ist scheinbar unverwundbar!

Mein Blick huscht zur Uhr hinüber. Vier Sekunden. Die Hälfte der zu erfüllenden Zeit ist also geschafft. Ty ist in Bestform. Er dreht und wendet sich, ganz so, wie Hungry es ihm vorgibt. Mir bricht der Schweiß aus. Fast ist es vollbracht. Gleich wird das Signal ertönen, dass der Ritt vorbei ist, und dann kann Ty von Hungry abspringen und sich in Sicherheit bringen. Ich ziehe zischend die Luft ein, als der Stier einen fiesen Sprung mit verdrehtem Rücken macht. Mein Bruder rutscht zur Seite. Ich sehe die Anstrengung auf Tys Gesicht und schicke ein Stoßgebet gen Himmel, dass er nicht abrutscht und von dem wütenden Bullen begraben wird.

Dann schallt die Sirene durch die Arena.

Er hat es geschafft! Jetzt nur noch abspringen.

Mit Schrecken sehe ich jedoch, dass Ty seine Hand nicht aus dem Seil lösen kann, und Gänsehaut zieht trotz der Hitze meinen Nacken hinauf.

Schließlich gelingt es ihm doch, seine Hand zu befreien. Er drückt sich von Hungry ab und fliegt durch die Luft. Tys Boots berühren den Arenasand, er steht. Doch der Stier weiß, wer ihn geritten hat, und nimmt sogleich die Verfolgung auf. Mein Bruder macht, dass er wegkommt, doch das Tier holt schnell auf. Mit einem gewaltigen Satz springt Ty auf das Gatter. Der Bulle ist direkt hinter ihm. Im letzten Moment schafft es einer der Clowns, den Stier auf sich aufmerksam zu machen, und verhindert damit, dass Ty auf die Hörner genommen wird. Jubelnd schleudert mein Bruder seinen Hut durch die Arena und feiert mit den Zuschauern seinen Sieg. Dann macht er seinen berühmten Salto vom Gatter hinab.

Der Stadionsprecher verkündet die Bewertung: 89,75 Punkte. In diesem Moment fällt die Anspannung von mir ab. Das war der Siegerritt, da bin ich mir sicher, auch wenn noch ein Reiter an der Reihe ist. Simon Bleachen bringt zwar stabile Leistungen, an seinen besten Freund Ty reicht er aber bisher nicht heran. Und während der Moderator Simon ankündigt, laufe ich mit wackeligen Beinen zu meinem Bruder. Als ich unter den Rängen in die Schatten eintauche, atme ich tief durch, um das Adrenalin in meinem Körper zurückzudrängen. Wie Ty und ich ist Simon mit Rindern aufgewachsen, auch ihm liegt das Bull Riding im Blut. Er reitet mit großer Umsicht, woran Ty sich mal ein Beispiel nehmen sollte. Ich entdecke meinen Bruder, der konzentriert in die Arena hinunterschaut, in der gerade Simons Ritt beginnt. Ein paar Schritte noch, dann werde ich ihn in die Arme schließen können. Doch dann passiert etwas, was mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Das Jubeln der Zuschauer bricht jäh ab, Schreie ziehen durch die Ränge. Ty hebt die Arme und drückt sich die Hände gegen den Kopf. Ich weiß sofort, dass etwas Furchtbares geschehen ist, renne los, um schnell bei ihm zu sein, doch ich stolpere, weil meine Muskeln plötzlich vor Grauen zittern. Der Stadionsprecher ruft nach den Ärzten, mir schießen Tränen in die Augen und verschleiern meine Sicht auf Ty. Aber ich sehe, dass er einen stummen Schrei ausstößt, als der Ruf nach dem medizinischen Personal erneut durch die Sommerhitze hallt. Endlich bei ihm angekommen, schließe ich ihn in meine Arme, aber er reagiert nicht.

„Sieh nicht hin“, flüstere ich ihm zu und wage es selbst nicht, in die Arena zu blicken.

Ty ist wie versteinert und nun schaue ich doch hinunter. Ich sehe Simons Beine, seine braunen Boots und die weißen Fransen-Chaps. Etwas abseits liegt sein weißer Hut. Eine Traube von Ärzten steht um ihn herum und ich höre Schluchzen in der Arena. Die Menschen harren in Schockstarre aus, viele haben die Hand vor den Mund geschlagen. Sein Sturz muss wirklich schlimm gewesen sein.

Die Veranstalter rennen zwischen Moderationskabine und VIP-Raum hin und her. Dann rücken die Ärzte ein Stück von Simon ab und der medizinische Leiter schüttelt den Kopf.

Ty reißt sich von mir los und rennt davon. Ich rufe seinen Namen, aber mein Bruder reagiert nicht. Ich laufe ihm hinterher und vor der Arena angekommen sehe ich, dass er bei unseren Pferden ist. Er bindet beide los, schwingt sich auf seins, zieht meins mit, damit ich ihn nicht verfolgen kann. Immer wieder schreie ich, dass er stehen bleiben soll. Nach einigen Hundert Metern lässt er mein Pferd los. Meine Stute, Right Now, galoppiert noch kurz mit, doch dann hört sie mein schrilles Pfeifen, wendet mit fliegender Mähne und kommt zu mir zurück.

Hastig nehme ich sie in Empfang, schwinge mich in den Sattel und jage Ty hinterher. Aber sein Hengst ist schneller und ich kann ihn nicht mehr einholen. Irgendwann halte ich mein Pferd an, breche auf ihm zusammen und weine in die rotbraune Mähne.

Einige Zeit später stehe ich noch an der gleichen Stelle und immer wenn Bekannte aus unserem County an mir vorbeifahren, werde ich mitleidig angeschaut.

„Gebt uns bitte Bescheid, wenn ihr Ty seht“, bitte ich jeden, der mich durchs offene Fenster grüßt.

Ich hoffe noch eine Zeit lang, dass mein Bruder zurückkehrt, aber schließlich drücke ich meine Hacken in Right Nows Bauch, ziehe die Hand mit den Zügeln über den Widerrist und gebe ihr den Weg nach Hause vor.

Als das Schild von Pineville in Sicht kommt, legt sich eine melancholische Schwere über mich, die ich noch nie zuvor gespürt habe. Es fühlt sich wie eine leise Vorahnung in meinem Kopf an, dass ab jetzt nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.

Right Now schnauft wild, als wir unter dem Torbogen unserer Ranch hindurchkommen. Also ziehe ich etwas an den Zügeln, mache mich schwer im Sattel und reite im Schritt die Straße hinauf. Rechts und links erstrecken sich unsere schier endlosen Weiden. So weit das Auge reicht, sind nur sanfte grüngelbe Wiesenhügel zu sehen. Unsere schwarzen Rinder stehen in Grüppchen zusammen und grasen. Die beginnende Dunkelheit verschluckt langsam ihre Konturen und unser kleines Ranchhaus kommt in Sicht. Meine Eltern treten aus dem Haus. Als sie sehen, dass ich allein bin, hält die Nacht auch auf ihren Gesichtern Einzug.

„Wo ist Ty?“, ruft meine Mutter mir entgegen.

Mit den Beinen treibe ich Right Now zu einem leichten Trab an. Bei ihnen angekommen, halte ich. „Ich habe versucht, ihn mit nach Hause zu bringen …“

Die blauen Augen meiner Mutter sehen mich hart an. „Du weißt doch, dass er in Schwierigkeiten geraten wird.“

„Alle halten Ausschau nach ihm.“ Ich springe ab und gehe auf meine Eltern zu, aber meine Mutter ist so wütend, weil ich Ty sich selbst überlassen habe, dass sie sich umdreht und im Haus verschwindet.

Mein Vater klopft mir kurz auf die Schulter, dann läuft er meiner Mutter hinterher. Taubheit legt sich über mich, weil ich das Gefühl habe, versagt zu haben. Doch dann sehe ich, dass noch jemand auf der Veranda gewartet hat. Mein Opa sitzt neben der Hollywoodschaukel in seinem Rollstuhl und hält seinen Hut in den alten, braun gebrannten Händen. Er ist ganz still.

„Weißt du es schon?“, frage ich leise.

Er nickt. „Die Harpers haben uns sofort angerufen, als es passiert ist.“

Ich sehe den Schmerz über Simons Verlust auf seinem Gesicht. Mein Opa hat Simon, Ty und mir das Bull Riding erklärt und uns alles gezeigt, was er konnte.

Jetzt setzt er seinen Lederhut auf, seufzt und öffnet die Arme. Ich stürze zu ihm und flüchte mich in seine Umarmung.

„Ty ist zäh“, sagt mein Großvater nach einer Weile in die Stille hinein. „Wir Archers kommen nicht so schnell unter die Räder. Sieh mich an. Das blühende Leben mit neunundachtzig Jahren.“

Leise lache ich und finde nun die Kraft, die Taubheit in mir zu verscheuchen. „Du bist echt noch ein Hingucker, Opa.“

Sein ehemals blondes Haar ist weiß geworden, hat aber immer noch diesen kecken Schwung, als würde es jeden Morgen in Position geföhnt werden. Und seine blauen Augen strahlen nach wie vor seinen Humor und seinen wachen Geist aus. Ich selbst habe grüne Augen und bin damit die einzige Archer weit und breit, die keine blauen Augen hat. Manchmal komme ich mir deshalb wie ein Alien vor.

Ich stehe auf. „Schaffst du es ins Haus?“, frage ich.

„Trinkt ein Cowboy morgens Kaffee?“, fragt er zurück und packt die Greifringe seines Rollstuhls.

Ich lächle, warte kurz, ob er die kleine Stufe ohne Unterstützung überwinden kann, und gehe dann zu meinem Pferd hinüber. Meine Brust tut weh, mein Hals brennt – dieser Tag war der bisher schlimmste meines Lebens.

„Oh, Right“, flüstere ich, lege meinen Kopf an ihre Stirn und sie schnaubt leise. Ich rieche ihr feuchtes Fell und fühle mich etwas besser. Plötzlich nestelt sie mit ihrer Oberlippe an meiner Hosentasche herum. „Warte, ich schaue mal“, sage ich und suche in der Tasche nach einem Leckerchen. Ein kleines finde ich und gebe es ihr. So kaut mein Pferd zufrieden darauf herum, während ich es zum Stall hinüberführe. Ich glaube, heute Nacht werde ich bei ihr im Stroh schlafen. Das Haus wäre einfach zu trostlos ohne Tys fröhliche Art.

Kraftvoll schrubbe ich Right mit einem Büschel Stroh trocken und versinke tief in dieser Arbeit, bis mein Handy klingelt. Vor Schreck schmeiße ich das Stroh weg, hole das Telefon aus meiner Hosentasche heraus und schaue darauf. Enttäuschung macht sich in mir breit, als es nicht Tys Nummer ist, die mir entgegenleuchtet.

„Hey, Bowen“, murmle ich in mein Smartphone hinein.

„Hey, Prinzessin“, sagt Bowen King am anderen Ende der Leitung.

Er ist der zweite schwierige Cowboy in meinem Leben, denn genau wie Ty taucht auch Bowen gern zu tief in Alkohol und Probleme ein. Nur dass er dann weibliche Fans küsst, anstatt spurlos zu verschwinden … Anscheinend habe ich ein Händchen für komplizierte Männer.

„Avanna wäre mir lieber“, antworte ich, denn seit wir nicht mehr zusammen sind, versuche ich, ihm den Spitznamen für mich abzugewöhnen. Bisher ohne Erfolg.

„Ich habe gehört, was mit Simon passiert ist.“

Mir schnürt sich der Hals zu. Ich versuche, etwas zu sagen, kann es aber nicht.

„Avanna?“ Bowens Stimme ist sanft.

Ich weiß, er meint seinen Anruf lieb, aber ich will gerade mit niemandem sprechen. „Ich kann noch nicht darüber reden, aber danke für den Anruf.“ Mit zitternden Fingern lege ich auf und weiß, dass ihm das nicht gefallen wird. Aber er muss das akzeptieren. Wir sind kein Paar mehr und diese Tatsache anzunehmen ist genau das, was Bowen King schwerfällt.

Bullheart: Wenn die Arena dich ruft

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