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Kapitel 3: Blood Traces

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Avanna

Mein erster Weg führt mich morgens zu den Pferden. Wenn ich schnalze, wiehern sie wild und begrüßen mich mit Scharren und rasanten Drehungen. Diese Herzlichkeit weiß ich zu schätzen und so beginne ich den morgendlichen Rundgang mit dem Verteilen von Leckerchen. Als Erste bekommt meine Fuchsstute Right Now ihre Bananenleckerchen. Die liebt sie. Jedes der acht Pferde bekommt auch eine Umarmung. Nur Joker nicht, der würde mich nur beißen. Bei ihm kommt es nur zu einem kurzen Kraulen unter der Mähne, dann schnappt der Palomino schon nach mir. Als Letztes begrüße ich Crime, Tys Hengst. Sie haben den Schecken in der Nähe von Cheyenne, mitten in einer Rinderherde, gefunden. Aber von Ty keine Spur. Ich suche also weiter.

Jeden Abend gehe ich in die Bar und spreche die Besucher auf meinen Bruder an, damit ja niemand vergisst, Augen und Ohren offen zu halten. Aber noch haben wir keine Informationen über seinen Aufenthaltsort. Mein bester Freund Fabiano ist der Bartender und hilft mir bei der Suche. Er hat sogar bei Instagram einen Aufruf gestartet, dass wir Ty vermissen. Aber bisher … nichts. Wie kann ein kleiner Lokal-Star derart unbemerkt durch die Lande wandern? Jedes Mal, wenn Ty türmt, bin ich wieder von seiner Fähigkeit, spurlos vom Erdboden zu verschwinden, beeindruckt.

In Gedanken versunken mache ich die Haferrunde durch den Stall. Das Pferd meiner Mutter bekommt zusätzlich eine Dosis Medizin gegen Arthrose, ansonsten sind alle mit dem Hafer abgefertigt.

Immerhin haben wir auch noch keinen Anruf von der Polizei oder einem Krankenhaus bekommen. Doch mit jedem verstreichenden Tag wird dieses Telefonat wahrscheinlicher. Beim letzten Mal hat Ty so über die Stränge geschlagen, dass er mit ausgepumptem Magen und einer Empfehlung für einen stationären Entzug von den Ärzten entlassen wurde.

Während die Pferde fressen, bereite ich das Ausmisten vor. Eine Karre ist schnell geholt und auch die Mistgabel und die Schippe stehen bereit, als Right Now ihren Trog komplett ausgeleckt hat. Ich öffne ihre Box und meine Stute trabt zur Weide davon. Auch die anderen Boxentüren schiebe ich auf, sodass es bald alle Pferde ihrer Leitstute gleichtun. Nur Mutters Pferd Miley läuft lahmend hinterher. Ich gehe ein Stück mit ihr.

„Hm, Miley. Dir geht’s heute nicht so gut, was?“

Die alte Stute ist zweiundzwanzig Jahre alt und ihre Gelenke haben viele Turniere bestritten. Meine Mutter ist eine erfolgreiche Rodeoreiterin gewesen. Keine war so mutig wie Chloe Archer. Von ihr hat Ty seinen Mut geerbt, denn auch mein Bruder wird als mutigster Nachwuchsreiter aller Zeiten beschrieben.

„Avanna!“

Ich fahre zu Mutters Stimme herum, die aus dem Haus kommt.

„Avanna!“

Ich renne los.

Meine Mom steht auf der Veranda und hält mir einen Brief entgegen. Noch ehe ich ihn lesen kann, sagt sie: „Ty soll nach Barretos kommen!“

„Was?“ Ich starre auf den Brief, der anscheinend aus Brasilien stammt.

„Er wurde nach Barretos eingeladen!“ Meine Mutter ist ganz außer Atem. „Du musst ihn finden!“

„Wie?“

„Dreh jeden Stein um, wenn es sein muss. Dann pack ihn bei den Ohren und schleif seinen Hintern nach Hause.“

Ich wage nicht, zu sagen, dass sie für diesen Job sicherlich geeigneter wäre, denn im County würde es niemand wagen, Chloe etwas zu verheimlichen. Aber das geht nicht, denn meine Mutter hält den ganzen Betrieb auf unserer Ranch am Laufen. Daher … „Ich fahre gleich nach dem Misten los.“

„Lass die Scheiße, wo sie ist, und finde deinen Bruder! Sofort!“

Ich sitze in meinem rot-weißen Truck, dem langsam, aber sicher die äußerste Lackschicht wegrostet, und fahre nach Pineville. Keine Menschenseele ist auf den Straßen unterwegs, sodass ich gleich zur Great Plain Bar hinüberfahre. Auf dem Schotterparkplatz stelle ich meinen Pick-up ab und springe aus dem Auto. Meine Füße stecken noch in meinen Arbeitsboots und auch meine Jeans habe ich nicht gewechselt. Immerhin habe ich heute Morgen eine frische Bluse angezogen, sodass ich nicht wie die allerletzte Mistgabel aussehe.

Dennoch begrüßt Fabiano mich mit einem ironischen Pfeifen. „Du hast dich ja schick gemacht, Schatz!“

Ich rolle mit den Augen und knalle meine Hände auf die Theke. „Halt die Klappe, Fab! Ty ist nach Barretos eingeladen worden, ich muss ihn finden!“

Meinem Kumpel fällt die Kinnlade herunter. „Hör auf! Das würde ja bedeuten …“

„Ja, das würde es. Wir wären unsere Geldsorgen los.“

„Und du könntest studieren.“

„Vielleicht … Aber dafür muss ich Ty erst einmal finden. Hat sich jemand auf deinen Insta-Aufruf gemeldet?“

„Viele. Aber keiner hatte konkrete Informationen zu seinem Aufenthaltsort.“

„Er wird noch Simons Beerdigung verpassen“, murmele ich und spüre, wie sich mein Hals zusammenschnürt.

„O nein, nicht weinen!“, ruft Fabiano aus und kommt um die Theke herum, um mich in die Arme zu schließen. Eine Zeit umfängt er mich so, doch dann hält er die Luft an und ruft: „Ehrlich, Ava, du riechst wie ein verschwitztes Pony.“

Ein verrücktes Lachen bricht aus mir hervor.

Als ich mich wieder beruhigt habe, deutet Fabiano in die hinterste Ecke der Bar, wo schon der erste Gast sitzt. Ich sehe genauer hin und revidiere meine Annahme wieder. Er scheint der letzte Gast von gestern zu sein. Der Mann liegt mit dem Kopf auf dem Tisch und schnarcht leise.

Mein Freund zuckt mit der Schulter. „Ich konnte ihn nicht rausschmeißen. Er war zu schwer. Frag ihn mal, ob er was weiß. Gestern, als er hier eingetrudelt ist, hatte er schon zu viele Umdrehungen intus, um sich danach zu erkundigen. Er kommt wohl aus der Nähe von Buffalo. Vielleicht ist Ty ja dort irgendwo untergetaucht.“

Leise gehe ich zu dem Schlafenden hinüber und setze mich auf die gegenüberliegende Bank. „Hallo?“, sage ich und stupse ihn am Arm an.

Er bewegt sich grunzend.

Noch einmal tippe ich ihn an. „Hey!“

Wie ein grölendes Nilpferd schreckt der Typ nun auf und sondiert die Lage. Als er realisiert, wo er ist und von wem er geweckt wurde, schaut er mich verärgert an. „Was willst du, Kleine?“

Er hat einen ungepflegten Vollbart und einen Duft an sich, der sogar meinen problemlos übertüncht.

„Ich suche meinen Bruder, Ty Archer.“

„Und du denkst, das interessiert mich?“

„Wissen Sie vielleicht, wo er sein könnte?“

„Wie kommst du denn darauf, Schätzchen?“ Ein übler Duft weht von ihm herüber und ich beneide Fabiano nicht darum, dass dieser ungewaschene Cowboy ausgerechnet in seiner Bar aufgelaufen ist.

Der Mann will seinen Kopf gerade wieder auf die Tischplatte sinken lassen, da rufe ich: „Moment. Mein Bruder sieht so aus und er muss dringend nach Hause kommen!“ Hastig zeige ich ihm auf meinem Smartphone ein Foto von Ty.

„Das ist dein Bruder?“ Plötzlich kommt Leben in den Mann. „Das ist dein verdammter Bruder?!“

Meine Instinkte treiben mich von der Bank. „Ja.“

Auch der Typ erhebt sich. „Das ist ja interessant.“ Er taumelt auf mich zu, will mich packen, aber es ist leicht, ihm zu entwischen. Seine Sinne sind vom Alkohol viel zu sehr getrübt und er verfehlt mich.

„Komm her, du Schlampe!“, ruft er und will mich wieder ergreifen.

Da hat er plötzlich die Mündung eines Gewehres auf der Brust.

„Ganz langsam, Alter!“ Fabiano drängt den Mann mit seiner Waffe zurück.

Der hebt sofort die Arme. „Hey, hey. Schon gut!“

„Beantworte jetzt die Fragen meiner Freundin, dann verziehst du dich aus meiner Bar und kommst nie wieder!“

Meine Stimme zittert, als ich frage: „Woher kennst du meinen Bruder?“ Dann räuspere ich mich und sage fester: „Wo ist Ty jetzt?“

„Den haben sie bestimmt aufgeknüpft.“

„Wer hat ihn aufgeknüpft und warum? Was ist passiert?“

Der Mann schüttelt seinen Kopf und zeigt ein gruseliges Lächeln. Seine Zähne sind braun verfärbt und nun ist mir klar, woher der üble Geruch vornehmlich kommt. „Ich habe auf der neuen Ranch von Eliu Valdez gearbeitet. Dein beschissener Bruder ist zurückgekommen, obwohl ich ihn rausgeschmissen hatte. Dann hat er den teuersten Stier getötet. Jetzt wird dein Bruder auf Valdez’ Grund und Boden festgehalten. So wie ich den Boss kennengelernt habe, wird sein kurzer Geduldsfaden bestimmt nichts Gutes für das süße Gesicht deines Bruders bedeuten.“

Ich sehe rot. Ohne zu wissen wie, sitze ich plötzlich in meinem Auto und rase in Richtung Süden. Elius Ranch liegt in der Nähe von Caspar und ich schwöre bei Gott, wenn er meinem kleinen Bruder etwas angetan hat, fange ich ihn mit dem Lasso ein und schleife ihn höchstpersönlich bis in die Hölle.

Die Einfahrt zu Eliu Valdez’ Ranch ist pompös. Ein großes Tor mit geschnitzten Bullenköpfen ragt über dem frisch gepflasterten Weg auf. Die Zäune sind ordentlich gestrichen und strahlen mir entgegen. Dank Fabianos Insta-Passion habe ich ja schon gewusst, dass der Titelverteidiger der Professional Bull Riders in Saus und Braus lebt, aber diese Ranch … Das gibt’s doch nicht. Wenn hier echte Rinder leben, warum ist es hier dann so piekfein? Ich passiere Paddocks und kleine Unterstände und entdecke tatsächlich Rinder, die friedlich grasen. Dann kommt eine Scheune mit einem Vorhof in Sicht, auf dem allerhand Fahrzeuge in Reih und Glied stehen. Kein Strohhalm liegt am Boden. Wie kann man einen landwirtschaftlichen Betrieb derart sauber halten?

Ein Mann auf einem Rasentraktor kommt mir entgegen. Ich halte mit quietschenden Bremsen an, doch als ich ihn nach Eliu frage, winkt er nur, dass ich weiterfahren soll.

Das Haus kommt in Sicht und spätestens jetzt bin ich mir sicher, in einer anderen Dimension gelandet zu sein. Staunend steige ich aus meinem Wagen aus. Neben einem klassischen Ranchhaus steht ein Neubau aus Holz und Glas, der genau meinen Geschmack trifft, weil er Wärme und Modernität in sich vereint. Dieses Haus sieht aus, als wäre es geradewegs einer Architekturzeitschrift entsprungen. Ich reiße mich von meiner Schwärmerei los, weil ein lautes Gebell auf mich zukommt. Ein Pyrenäenhund galoppiert heran. Er gibt sich Mühe, einschüchternd zu wirken, indem er sich groß macht, aber ich kann ihn nicht ernst nehmen. Als er bei mir angelangt ist, steht er dann auch irgendwie ratlos da.

„Hey, Dicker, gut gemacht“, lobe ich ihn. „Richtig gut aufgepasst.“

Sein Schwanzwedeln reißt ihn fast um, als er sich nun an mich schmiegt und sich den Rücken kraulen lässt.

Zwei Männer in einem Gator kommen um eine Ecke gefahren. Ich gebe auch ihnen ein Handzeichen, dass ich mit ihnen sprechen möchte. Sie halten an und der eine schiebt ein Fenster auf.

„Könnten Sie mir sagen, wo ich Eliu Valdez finden kann?“

Die Männer sehen sich kurz an, dann deutet der eine auf den schönen Neubau. „Der Boss müsste noch im Haus sein. Klopfen Sie mal.“

„Okay. Danke“, sage ich und werde von meinem neuen Freund, dem Pyrenäenhund, zu der Tür des modernen Hauses begleitet.

Ehe ich das Gebäude erreiche, tritt ein Mann aus der Tür, dessen Gesicht ich in- und auswendig kenne, dem ich im Trubel der Rodeos aber immer nur flüchtig begegnet bin. Meine Kenntnis stammt eher daher, dass Fabiano sein größter Fan ist und mich gezwungen hat, alle Instagram-Videos von ihm tausendmal anzuschauen. Eliu Valdez, der dreifache Elite-Tour-Gewinner der Professional-Bull-Riding-Liga, tritt in schwarzem Hoodie, ausgewaschener Jeans und einem Dreitagebart aus dem Haus. Er entdeckt mich nicht, weil er gedankenversunken auf den Boden blickt. Er sieht aus, als hätte er schlecht geschlafen. Dennoch wirkt er attraktiv auf mich. Ich schüttle diesen Gedanken ab, denn um Ty zu retten, brauche ich jetzt meine volle Konzentration.

Eliu humpelt auf mich zu und zieht sich eine Baseballcap, die in seiner Hosentasche steckte, auf. Da erblickt er mich. Seine dunklen Augenbrauen bewegen sich aufeinander zu. Die abweisende Miene passt in meinen Augen ganz gut zu dem ernsten Thema, das ich ansprechen muss.

Ohne Ty verlasse ich diese Ranch ganz sicher nicht!

Bullheart: Wenn die Arena dich ruft

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