Читать книгу Bali kaputt - Lara Stern - Страница 7

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Erst im Flieger fand sie Zeit zum Atemholen. Sie stöpselte den Discman auf die Ohren, der Kunstführer Bali lag griffbereit. Zur Einstimmung bestellte Sina Champagner, den eine der rehäugigen Stewardessen im knöchellangen Balmain-Kostüm servierte. Natürlich lächelnd.

Singapore Airlines. Schon der Name allein Klang wie eine Verheißung.

Nach den ersten Schlucken dachte sie an das Telegramm, mit dem sie Martin ihr Kommen avisiert hatte. Dann an die vergangenen hektischen Tage, die wie im Nu verflogen waren. Und schließlich an den halben Aufstand, den ihre spontane Buchung in der Kanzlei hervorgerufen hatte.

»Das kannst du nicht bringen!« protestierte Hanne voller Empörung. »Bill und ich wollten doch über Allerheiligen eine Wien-Woche einlegen!«

»Und Ihre ganzen Termine?« So begann Tilly Malornys Wehklagen, die sich wie stets in akuten Krisen auf ihre Position als Bürovorsteherin berief. »Sie stürzen uns ins Chaos!«

»Haben Sie gar keine Angst, so allein in den Tropen?« lautete Marina Königs nicht gerade ermutigender Beitrag.

»Aber doch nur bis zur Schmerzgrenze von Dreißig! Danach ist Sense. Mach dir lieber keine falschen Hoffnungen!« Typisch Anke, die ihr Recht auf Dauerfrechheit aus dem Umstand ableitete, daß sie Friederikes Tochter war und Sina ihr quasi schon die Windeln gewechselt hatte.

Sina war ungerührt geblieben.

Zu vieles mußte vor ihrer Abreise noch geregelt werden: Termine umorganisieren, Mandanten vertrösten und neu motivieren. Außerdem hatte sie ihren Freund und Kollegen Louis Levin als Vertretung benachrichtigt, Taifun standesgemäß untergebracht, Resochin besorgt und sich in letzter Minute die Spritze gegen Hepatitis A verabreichen lassen.

Auf Carlos nachdrückliche Empfehlung hin bestand ihr Gepäck für den Hinflug nur aus einer mittelgroßen Reisetasche, in der weitere Falttaschen untergebracht waren. »Für Beutezüge. – Ich bin sicher, du wirst diverse balinesische Kunstschätze entdecken. Und denk dran, Sina, das Zauberwort auf allen fernen Inseln heißt shipping! Man freut sich beinahe noch mehr, wenn man die feinen Teilchen sechs Wochen später zu Hause Stück für Stück aus der Holzwolle schälen kann.«

Sie war also für alle Eventualitäten gerüstet. Sonnencreme, Kamera, Reiselektüre und Tarotkarten steckten im Handgepäck, neben Indonesisch für Globetrotter und Martins Rückantwort, die nicht lange auf sich hatte warten lassen.

Toll, daß Du Dich so spontan aufraffen kannst! Du kommst gerade in unsere heiße Planungsphase! Habe Dir ein traumhaftes Zimmer im Rama Ocean View reservieren lassen, nicht weit von unserem Domizil entfernt. Bring ordentlich Kohle mit, wenn Du Dein gigantisches Schwarzgeld sicher und gewinnbringend investieren willst – lohnt sich auf alle Fälle! Bin für jeden Betrag offen und dankbar.

Hole Dich selbst am Flughafen ab. Falls ich im Behördenkram steckenbleibe (kann hier manchmal sein!), komme ich abends in Dein Hotel!

Kuß Martin

P.S. Sri freut sich auch schon sehr auf Dich!

Das war mehr als zehn Tage her. Auf ihre knappe Bestätigung hin hatte er sich nicht mehr gemeldet. Typisch Martin, dachte sie amüsiert und schämte sich ein wenig über ihre eigene Pingeligkeit. Mußte wohl was mit ihrem Beruf zu tun haben. Sie kannte mehrere Kollegen, die ähnliche Auswüchse an sich beobachtet hatten.

Schon beim Kapitel über das in vielen balinesischen Dörfern noch verbreitete Zahnfeilen beim Pubertätsbeginn war sie eingeschlafen. Ein paarmal kam sie während der langen Nacht hoch, um festzustellen, daß auch die hübschesten Stewardessen kein echter Ersatz für fehlende Beinfreiheit waren. Dann ließ sie sich wenigstens mit einem der kühlen Getränke trösten, die auf Tabletts gereicht wurden, und versuchte, wieder ins Reich der Träume zu flüchten.

Selbst beim Zwischenstopp in Singapur, wo alle Reisenden wie eine Herde Schlafwandler in den aufgemotzten Flughafenpalast getrieben wurden, um den Anschluß nach Denpasar auf dem Nachbargate zu erreichen, wachte sie nicht richtig auf.

Sie landeten auf Bali, als die Sonne wie ein riesiger Feuerball ins Meer sank. Sinas Kopf brummte, und ihre Fesseln hatten nach knapp sechzehn Stunden in der Luft geradezu elefantöse Ausmaße erreicht. Sie packte ihre Siebensachen zusammen und verfluchte ihre Kneif-Jeans, mit denen sie dem heimatlichen Wolkenbruch entflohen war. Zum Glück steckten bequeme Seidenhosen in ihrer Reisetasche. Sie konnte es kaum noch erwarten.

Zuvor aber waren jede Menge Einreiseformalitäten zu erledigen. In der Warteschlange hatte Sina ausreichend Gelegenheit, den spröden Charme des offensichtlich neu erbauten Flughafens zu genießen. Es roch nach Beton und frischem Holz, und wenn die automatischen Glastüren aufgingen, kam ein Schwall lauer Tropennacht herein, gewürzt mit einer ordentlichen Prise Benzindunst.

Vor den Türen ballten sich Horden von Taxifahrern, bemüht, potentielle Kunden durch Rufen, Pfeifen und ausgiebiges Schnalzen auf sich aufmerksam zu machen.

Sina reckte den Hals, um im Gewühl Martins blonden Schopf zu entdecken, der die kleinen Balinesen ein ganzes Stück überragen müßte. Schließlich gab sie es auf und konzentrierte sich auf das Förderband, das den Wartenden Taschen und Koffer mit vehementer Zentrifugalkraft entgegenschleuderte.

Martin war nicht gekommen.

Es nutzte nichts, immer wieder nach links und rechts zu starren. Zudem stand sie ausgesprochen ungünstig. Sina spürte, wie leise Enttäuschung in ihr hochkroch, ein fades Gefühl der Besserwisserei, das sie selbst nicht leiden konnte.

Am wenigsten bei Urlaubsbeginn.

Kurz entschlossen überantwortete sie ihre Tasche, die sie bislang tapfer gegen alle Avancen verteidigt hatte, einem der zahllosen Taxifahrer und stieg in sein Auto ein.

Schlitten wäre sicherlich der richtigere Begriff gewesen. Er fuhr einen uralten roten Chevy, dessen Fond wie ein Schiffsrumpf hin- und herschwankte und der offenkundig bessere Zeiten gesehen hatte.

»Sie kommen von Deutschland?« Seine Stimme war leise und angenehm.

»Ja«, erwiderte sie, überrascht über seine akzentfreie Aussprache.

»Wohin Sie möchten?«

»Hotel Rama Ocean View«, antwortete sie. »In Kuta. Eine genauere Adresse weiß ich nicht. Ich hatte einen Freund erwartet. Aber er war wohl verhindert.«

»Bitte keine Sorge«, sagte er. »Kenne ich aus der Tasche. Ich Sie bringe gut und sehr schnell.«

Dann schwieg er. Sie fuhren auf einer breiten Umgehungsstraße, die wie der gesamte Flughafentrakt ebenfalls neu aussah. Am Straßenrand standen windschiefe Hütten, die eher Verschlägen ähnelten, und ein paar zerzauste Palmen. Tropen ärmlich, wie sie es befürchtet hatte.

»Keine gute Gegend«, sagte der Fahrer, als hätte er ihre Gedanken gespürt. »Wohnen nur Menschen da, die ihre Familien verloren haben. Verstehen Sie, was ich will sagen? Arme Leute. In Bali Familie bedeutet alles.«

»Und wenn man sich nicht mit seinen Verwandten versteht? Ich meine, wenn es einmal Krach gibt?«

Er lachte. »Dann man muß sprechen«, sagte er. »Manchmal lange. Und verhandeln, bis sich einig wird. Es gibt fast immer eine Lösung.«

»Wieso sprechen Sie so gut Deutsch?«

Er schien in seinem abgewetzten Sitz ein Stück zu wachsen. »Ich lerne«, erwiderte er bescheiden. »Ich mag Europäer. Besonders Menschen, die von Deutschland kommen. Viele freundlich und höflich.«

Könnte ich so nicht sagen, dachte Sina. Aber vielleicht treffe ich meistens die verkehrten.

»Sie sind wegen Ferien hier?«

»Allerdings!« lachte sie. »Ich bin fest entschlossen, mich von morgens bis abends zu amüsieren.«

»Wollen Sie auch herumfahren, Bali zu sehen?« Sein Ton wurde drängender. »Mein Wagen hat extraprima Klimaanlage!«

Auf einmal war ihr klar, worauf er hinauswollte. Deshalb die ganze Freundlichkeit!

»Vielleicht. Ich habe noch keine genauen Pläne«, erwiderte sie, plötzlich um einiges zurückhaltender. Daß er sich bloß nicht einbildete, über sie verfügen zu können! Wahrscheinlich galten alleinreisende Frauen auch auf Bali als leichte Beute.

Er kramte in seinem Handschuhfach und streckte ihr eine zerknitterte Visitenkarte entgegen.

»Made Kasih«, sagte er freundlich. »Mein Name. Mein Platz vor Rama Hotel. Jeden Tag. Ich kann Sie fahren überall. Ganze Insel.« Er machte eine kleine Pause. »Sie einfach kommen zu mir. Kein Problem.«

»Danke«, erwiderte Sina, erleichtert, daß er offensichtlich verstanden hatte, und steckte die Karte in ihre Handtasche. »Gut möglich, daß ich auf Sie zurückkomme.«

Die Straße hatte sich zu einem staubigen Feldweg verengt. Kinder und Hunde rannten neben dem Auto her, und die kleinen Häuser links und rechts sahen ein bißchen größer und deutlich gepflegter aus. Eine Menge fahrender Ein-Mann-Essenstände war unterwegs. Durch das halbgeöffnete Fenster zogen köstliche Schwaden. Dann bog er zum Meer hinunter ab, und sie waren angelangt.

Hinter einem doppelflügeligen Tor betrat Sina eine offene Empfangshalle. Sie hatte kaum Zeit, sich umzusehen, da hielt sie schon einen blütenverzierten Cocktail in der Hand.

»Welcome to Bali, Mrs. Deifel!«

»Teufel«, korrigierte sie. »Is there a message for me? From Mr. Stegmann?«

Das Lächeln der blutjungen Empfangsdame wurde schmelzend. »Little bit difficult name! I am sorry, Mrs. Deifel. No message.«

Sina zog die Achseln hoch und beschloß, ihrem Gepäck zu folgen, das auf geheimnisvolle Weise vor ihr in der Tropennacht verschwunden war. Sie sog die Luft durch die Zähne, als sie den Garten betrat.

Im Mondlicht glitzerte eine türkisfarbene Poollandschaft, um die verschiedene Bungalows großzügig angelegt waren. Orchideen zur Rechten, Kalablüten zur Linken, dazwischen hohe Dschungelgewächse, die im heimischen Blumentopf allenfalls als Miniaturausgabe gediehen.

Am eindrucksvollsten aber war der Geruch, eine weiche Mischung verschiedener geheimnisvoller Essenzen mit einer Spur Fäulnis, die einen ohne jede Vorwarnung nahezu willenlos werden ließ. All die grauen, hektischen, unerfreulichen Monate fielen ihr ein, die hinter ihr lagen, und sie mußte plötzlich lauthals lachen.

Was für ein bescheuertes Schaf sie doch manchmal war!

Auf einmal hatte sie gar nichts mehr dagegen, ihre ersten Bali-Eindrücke ohne Martin zu bekommen. Sicher würde er später auftauchen, wenn sie frisch geduscht vor einem Drink saß. Dafür hatte er jedenfalls immer ein gutes Timing gehabt.

Zunächst aber lockte der Mondscheinpool. Sie riß sich die Kleider vom Leibe, fuhr in den Badeanzug und stürzte sich in die Fluten.

Sie war nicht allein.

Ein junger blonder Mann schwamm sportliche Kraulrunden. Athletisches Kreuz, bester Stil.

Am Beckenrand saß eine zierliche Japanerin und lächelte ihr zu. Wie eine Teepuppe, dachte Sina und grinste freundlich zurück.

Sie zog ein paar friedliche Bahnen und stärkte sich anschließend im Open-air-Restaurant mit Gado Gado, dem balinesischen Nationalsalat. Bei der zweiten Margarita kam sie ins Sinnieren und wartete eigentlich schon gar nicht mehr auf Martin.

Alter Penner, dachte sie. Dann eben morgen. Selbst balinesische Engel können vermutlich ab und an besitzergreifend sein.

Mitten in der Nacht schreckte sie hoch. Ihre Träume waren schauerlich gewesen. Nichts als Leichen, die ein diabolisch grinsender Irrenarzt in irgendwelche überdimensionale Kühltruhen gestopft hatte.

Sie tapste zum Schalter und drehte die Klimaanlage aus, die versehentlich auf Hochtouren gelaufen war. Auf dem Weg zum Bett streifte sie ein T-Shirt über. Scheißzivilisation, war ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen. Ist auch nicht alles Gold, was glänzt. Haben wir es doch glatt hingekriegt, daß man in tropischen Paradiesen halb erfrieren kann.

Bali kaputt

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