Читать книгу Bali kaputt - Lara Stern - Страница 8
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Gegen Mittag des nächsten Tages wurde Sina unruhig. Martin mochte unzuverlässig sein, gedankenlos aber war er mit Sicherheit nicht. Wo zum Teufel steckte er? Sie war es leid, sich an der Rezeption ein weiteres »no-message-sorry« abzuholen. Unter dem dünnen Hemd brannte ihre Haut, und sie war in der richtigen Stimmung, ein bißchen Stunk zu machen.
Konnte doch gar nicht so schwierig sein, diesen komischen Nirvana-Club zu finden!
Während die anderen Hotelgäste schattenbedürftig ins Restaurant einfielen, machte Sina sich auf den Weg.
Es war unerwartet kompliziert, einen Fahrer zu bekommen. Mades Lächeln, den sie als ersten auf dem Parkplatz angesteuert hatte, wurde dünn, als sie ihr Ziel erwähnte.
»Was Sie wollen dort?« fragte er beinahe streng zurück. Im Mittagslicht war seine Augenpartie sorgenvoll verhangen. Er mußte älter sein, als sie zunächst angenommen hatte.
»Ich suche meinen Freund. Martin. Martin Stegmann. Ein Deutscher, der dort seit einigen Monaten wohnt. Kennen Sie ihn?«
»Kenne nicht«, sagte er schnell. »Besser, Sie suchen anderen Fahrer.«
Erst der vierte, den sie ansprach, war bereit, die Tour zu übernehmen. Dafür schien er so gut wie kein Englisch zu verstehen. Mit Händen und Füßen versuchte Sina, ihm das wenige klarzumachen, was sie wußte. »May be a small house or cottage near the beach«, sagte sie schließlich halb verzweifelt. »Come on, let’s try!«
Sie hatte nicht mit der Meute gerechnet, die an ihr klebte, kaum daß sie ausgestiegen war. Der Fahrer hatte am Ende einer staubigen Stichstraße gehalten und in Richtung Meer gewiesen.
Schon nach wenigen Schritten auf dem heißen Sand war sie von einer Traube älterer Frauen und Mädchen umringt.
»Massage? T-Shilt? Cool dlink?«
Ein Junge mit einem flachen Koffer steuerte sie von der anderen Seite her an. »Want a watz?«
Sie schob seine aufgeklappte Kollektion an Billiguhren ebenso energisch beiseite wie die vielen braunen Hände, die an ihren Hosen zerrten.
»What’s your name? Where do you come from? Are you married? How many children?« prasselten von allen Seiten die Fragen auf sie ein.
»I am looking for a man called Martin. Wo wohnt Martin Stegmann? The German?« versuchte Sina, sich zu behaupten.
Wieder ein ähnlicher Effekt, wie zuvor am Parkplatz. Der Abstand zwischen ihr und den plappernden Frauen wurde größer. Einige kicherten hinter vorgehaltener Hand.
»Martin?« sagte schließlich eines der größeren Mädchen. »You give me thousand Rupies. I bring you to his house.«
Es sah besser aus, als sie erwartet hatte. Im traditionellen Stil aus Palmenmatten erbaut, mit einer kleinen, sorgfältig angelegten Terrasse davor. Zum Meer waren es keine fünfzig Schritte.
Die Türe stand angelehnt.
»Martin?« sagte Sina und lauschte nach innen. »Martin, alter Schuft, hast mich schwer versetzt!«
Niemand antwortete.
Auf einmal befangen, hatte sie den Impuls, an der Schwelle kehrtzumachen. Dann ging sie doch hinein.
Die drei kleinen Räume wirkten merkwürdig unbelebt. Es war halbwegs aufgeräumt, wenngleich vertrocknete Blüten aus einer schönen Bronzevase rieselten. Überall Staub und feiner, heller Sand. In einer Nische lag, halb von Tieren aufgefressen, eines der bunten Opfergestecke, die die Balinesen mehrmals am Tag ihren Göttern darbringen.
Es sah aus, als sei seit Tagen niemand hier gewesen.
»Martin?« sagte sie noch einmal, bevor sie weiter ins nächste Zimmer ging. Ein breites Bett nahm den meisten Platz ein, eine einheimische Holzarbeit mit geschnitztem, goldverziertem Kopfteil. Die Laken waren zerwühlt, Jeans lagen zerknüllt auf dem Boden.
In einer Kommode lagen Männersachen, ordentlich gefaltet. Im Schrank fand sie ein paar bunte Sarongs. Auf dem Schreibtisch daneben ein Packen Papier, ein Bündel Briefe, einige Fotos.
Martin an der Seite einer schönen Balinesin. Das mußte Sri sein.
Das unterste Foto war übel zerkratzt und primitiv übermalt. Da hatte der Engel ein dickes Horn über der Stirn und blutete aus einer roten Filzstiftblase aus dem Mund.
Sie hielt gerade einen abgewetzten Lederbeutel in der Hand, als sie draußen Stimmen hörte. Unwillkürlich stopfte sie ihn zusammen mit dem Foto in ihre Tasche. Zwei Männer standen in der Türe. Der eine war ein handtuchschmaler Balinese mit schwindendem Haaransatz und scharfen Magenfalten. Der andere war offensichtlich ein Ami: dunkles, schmieriges Haar zu einem dünnen Zopf genestelt, lange, gelbliche Zähne. Er trug ein buntes Hemd, offen bis zum behaarten Nabel, und viele Silberreifen am Handgelenk.
Sie fragte die beiden nach Martin. Die Antwort waren scheele Blicke und ein eher unwirsches Schulterzucken.
»I think he left«, brachte der Ami schließlich hervor und schob seinen Kaugummi in die andere Backe. »Yes, he’s gone.«
Spontan beschloß Sina, seine Antwort als Lüge einzustufen. Was immer die beiden Männer hier zu suchen hatten, sie störte offensichtlich dabei.
Sie bekam nicht mehr aus den beiden heraus. Weder der Balinese noch der Ami machten Anstalten zu gehen. Sie verschränkte demonstrativ ihre Arme vor der Brust und wechselte das Standbein. Sie hatte nicht vor, vor ihnen das Feld zu räumen.
Sichtlich angesäuert zogen sie schließlich ab.
Sina blieb noch ein paar Minuten und beobachtete vom Fenster aus, wie sie in einen japanischen Kleinbus stiegen und wegführen.
Dann schloß sie die Türe und machte sich auf den Weg zurück zum Hotel.
Spätestens beim Ankommen wußte sie, warum die Anlage von einem hohen Zaun umschlossen war, vor dem Tag und Nacht Wachtposten patrouillierten. Der Spaziergang am Strand entlang war ihr wie ein einziges Spießrutenlaufen vorgekommen. Horden von Frauen und Mädchen klebten an ihren Fersen, kleine Jungs zupften von allen Seiten an ihr herum.
Nach ein paar schweißintensiven Metern war ihre anfängliche Freundlichkeit verschwunden, und sie bekam Lust, jedem weiteren Anbieter von Cola, T-Shirts oder Uhren einfach auf den Kopf zu hauen. Aufatmend ließ sie sich in die Geschlossenheit der Anlage fallen und goß ein kaltes Bier hinunter. Und dann noch eines.
Vom Nebentisch spürte sie begehrliche Blicke auf ihrem überhitzten Körper. Beau, wie sie den jungen Schwimmer von gestern abend insgeheim getauft hatte, versuchte mit allen Mitteln, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Mit seinem bronzefarbenen Athletikbody wetzte er wie ein überproportionales Appetithäppchen auf seinem Stuhl hin und her, daß sie beinahe Angst bekam, er könnte ihn im nächsten Augenblick durchgescheuert haben.
Zu alledem schien er auch noch Australier zu sein. Eine Horde leicht bedudelter aussies krakeelte bereits seit dem Vormittag am Pool herum.
Sina flüchtete in ihren Bungalow und stellte sich unter die kalte Dusche, bis die Haut prickelte. Dann legte sie sich nackt aufs Bett, rauchte und dachte nach. Irgendwann schlief sie dabei ein.
Am Abend kam ihr die ganze Anlage mehr und mehr wie ein geschmackvoll ausgestattetes Gefängnis vor. Von einer netten Holländerin, die ungeniert im Liegestuhl ihren Säugling stillte, hatte sie einen heißen Tip für »draußen« bekommen: Mades Warung, seit Jahren das Szenelokal von Kuta schlechthin, wie ihr die blonde Frau treuherzig versicherte.
Ostentativ ließ sie Made Kasih links liegen, der ihr verblüfft hinterhersah, und stieg in ein anderes Taxi. Wie Perlen einer unendlich langen Kette glitt eine nächtlich angestrahlte Hotelanlage nach der anderen an ihr vorbei. Allmählich begann sie zu verstehen, was für Chancen sich Martin mit seinem »Nirvana-Club« ausrechnete. Der Platz um sein Häuschen herum war das einzig größere Strandareal weit und breit, das noch unbebaut war.
Sie revidierte ihre bisherige Vorstellung von Trubel, als sie den Ort erreichten. Die Hauptfeststraße des Münchner Oktoberfestes war ein Witz dagegen.
Wildes Hupen, Tuten und der Sound aus unzähligen Ghettoblustern empfingen sie. Autos schoben sich als lange Blechschlange im Schrittempo voran. Überall wuselten Menschen, die meisten mit einem Koffer oder anderen Behältnissen ausgerüstet, die ihre Waren bargen. Wer ein festes Ladengeschäft sein eigen nannte, begnügte sich damit, Schreie oder Lockrufe auszustoßen.
Dazwischen rudelweise Touristen, die teils gelangweilt, teils interessiert auf diese Reizüberflutung reagierten.
Sie dachte an Flucht. Dann besann sie sich auf ihren knurrenden Magen und ging die paar Schritte zum Lokal. Aufatmend ließ sie sich im hinteren Teil in einen bequemen Korbstuhl sinken und bestellte die erste Margarita. Jetzt erst war sie in der Lage, ihre Umgebung wahrzunehmen.
Unter trägen Ventilatoren, beschallt von »Santana«, schien sich hier alles versammelt zu haben, was sich selbst zu den beautiful people auf der Insel der Götter zählte. Für Internationalität war gesorgt. Deutsche Töne drangen ebenso an ihr Ohr wie englische und französische sowie die unterschiedlichsten gutturalen Sprachen des Nordens.
Die Balinesen beschränkten sich darauf, in grellen Hemden freundlich, aber ziemlich uneffektiv jeden Teller einzeln zu servieren.
Im Gegensatz zu ihrer bescheidenen Aufmachung schimmerten Perlen auf der üppig zur Schau gestellten Haut der weiblichen Gäste, und einige ihrer männlichen Begleiter hatten sich im Zöpfchenlook stylen lassen. Das war eine der Stranddienstleistungen, auf die Sina nur zu bereitwillig verzichtet hatte.
Sie bestellte Sashimi, die prompt gebracht wurden, und legte eine Gedenkminute an Carlo ein, der angesichts der niedrigen Preise unweigerlich in Verzückung geraten wäre.
Es machte ihr Spaß, allein zu essen und sich von der Musik wegtragen zu lassen; »Supertramp« riefen eine Reihe von Bildern und Erinnerungen in ihr wach.
Martin, dachte sie. Martin. Martin.
Immer die ganz großen, die ganz schnellen Pläne hatten es sein müssen. Ob er sich in diesem Punkt geändert hatte?
Und dann der Katzenjammer, wenn wieder eine seiner Seifenblasen zerplatzt war! Mehr als einmal war er anschließend für eine Weile auf Tauchstation gegangen, in der kindlichen Hoffnung, die Welt würde ihn ebenso ignorieren wie er sie.
Was mochte diesmal passiert sein?
Sich zu bescheiden gehörte jedenfalls nicht zu seinen Stärken, und mit dem Abwarten hatte er auch seit jeher seine liebe Not gehabt.
»Alles und vom Besten, am liebsten sofort.« Sein Lieblingsmotto hatte sie noch heute im Ohr.
Ein Utopist, ja, das war er. Ein Traumtänzer, der an eine neue Welt glaubte und sich sehnlichst wünschte, mehr als eine Frau auf einmal zu lieben.
Ein lang vergangener Abend fiel Sina ein, an dem seine italienische Flamme Joanna aus Mailand zu Besuch gekommen war und sie mit ihren Bernsteinaugen vieldeutig angefunkelt hatte, bis ihr ganz anders zumute geworden war. Nach reichlich Prosecco tat sich die Frage auf, wer wo schlafen würde.
Und mit wem.
Sie allerdings hatte im letzten Moment gekniffen – um dann die ganze Nacht wach zu liegen und auf das Stöhnen, Wälzen und Girren aus dem Zimmer nebenan zu lauschen.
Sie brauchte keine dritte Margarita mehr. Sie war bereits sentimental.
Gedankenverloren schaute sie zum Nebentisch und nahm die stecknadelgroßen Pupillen der beiden jungen Mädchen wahr, die dort saßen. Blond und vollbusig, mit einem blanken, ein wenig naiven Kindergesicht die eine; die andere schlank, lausbubenhaft, mit kurzen, nußbraunen Locken. Vollkommen exaltiert. Sie sprudelte italienische Satzkaskaden hervor.
Sina schaute von den beiden Teenies zu dem schlechtrasierten Typen mit dem dünnen Zopf daneben und kapierte auf einmal.
Drogen.
Sie war sich ganz sicher.
Unwillkürlich kam ihr der Beutel in den Sinn, den sie bei Martin eingesteckt hatte. Sie konnte nur hoffen, daß Gelbzahn sich nicht zu früh von ihr irritieren lassen würde.
Sie machte die Ohren lang und schnappte seinen Namen auf. Jerry, das war der mit den langen Hauern. Er war gerade dabei, große Gambas auf Gemüsebett so schweinisch-genußvoll in sich hineinzuschlürfen, daß ihr nur vom Zuschauen ganz übel wurde.
Ob er sie schon erkannt hatte?
Nein, mit auffrisierter Löwenmähne und goldenen Lidern sah sie ganz anders aus als die schwitzende Deutsche in Bermudas und Sonnenhut, die er heute mittag belogen hatte.
Sie schrak zusammen, als eine Frau an ihren Tisch kam, und lächelte beruhigt, als sie die nette Japanerin aus ihrem Hotel erkannte.
Sie hieß Kiko Shiinto, stammte aus Nagasaki und war als Pharmareferentin für einen internationalen Konzern tätig. Ihr zwitscherndes Deutsch verdankte sie einem achtmonatigen Crashkurs in München. Später hatte sie vier Jahre lang im Schweizer Stammhaus des Unternehmens gearbeitet. Ihre eigentliche Liebe aber gehörte München. So oft wie möglich war sie dorthin zurückgekommen und würde es auch zukünftig tun. Fernreisen waren Kikos große Leidenschaft.
Sina verstand sich auf Anhieb mit ihr. Sie wurde ihr gleich noch um ein paar Grade sympathischer, als sie Kikos kritische Blicke bemerkte, die zum Nebentisch wanderten. »Blöder Typ«, lästerte sie. »Jedesmal, wenn du in das Lokal kommst, hockt er da. Und jedesmal sind die Mädchen hübscher und jünger.«
Leider blieb nicht viel mehr Zeit als für ein Glas Rosé. Dann mußte Kiko los, weil eine japanische Hochzeit im original balinesischen Stil auf sie wartete. Mit Karaoke-Einlage.
Sina beneidete sie nicht darum.
Am Nebentisch waren inzwischen die Karten neu verteilt. Zwei weitere Gäste waren hinzugekommen. Der eine war ihr blonder Beau, der andere ein Rothaariger. Unangenehmer Typ. Milchstraßen von Sommersprossen und hummerrote Muskelpakete unter einem zerfransten Muscle-Shirt. Dreistes, ein wenig tumbes Geschau. Sein gedehntes Englisch klang zum Davonlaufen.
Jerry war auf engste Tuchfühlung mit der kleinen Blonden gegangen; die dunkle Italienerin hing malerisch über zwei Stühlen und langweilte sich ostentativ zu Tode. Beinahe schon aggressiv versuchte sie, Beau in ein Gespräch zu verwickeln, was aber an seinem unübersehbaren Desinteresse scheiterte. Er schien fest entschlossen, Sina mit seinen Blicken aufzufressen.
Das Mädchen wurde zusehends saurer. Erst begann sie provozierend zu summen, dann rezitierte sie halblaut. Dante, Comedia Divina, wie Sina nach einiger Zeit amüsiert bemerkte.
Ihre Blicke trafen sich. Sie mußten beide grinsen.
In halb englischem, halb italienischem Kauderwelsch begann Paola loszuplappern und ließ ihre Fragen auf sie niederprasseln. Sina konnte kaum antworten, so hektisch redete die andere.
»A german friend of mine has been living here in Kuta for a while«, sagte Sina schließlich. »May be you know him. His name is Martin. Martin Stegmann. From Berlin.«
»Ma è morto!«
Erschrocken hielt sich das Mädchen die Hand vor den Mund und schielte ängstlich zu Jerry.
»Was hast du gesagt?«
Sinas Puls ging schneller. Warum nur war sie so bescheuert gewesen, das Foto im Hotel zu lassen?
»Martin soll tot sein? Woher weißt du das? Wo ist er?«
»Niente, niente!« Paola schoß aus dem Sessel und schien nicht mehr in der Lage, auch nur für einen Augenblick stillzustehen. »Listen – ho detto niente! Everything is o.k.! I have to leave now. Ciao!«
Sie verlor sich draußen im Gewühl.
Gelbzahn schickte ihr einen müden Blick hinterher. Dann ließ er seine Zunge in die rosige Ohrmuschel des kichernden blonden Mädchens gleiten.
Die brodelnden Straßen waren unerträglich. Wie eine Schlafwandlerin ging Sina Teufel durch die lärmende Menge und wich erst im letzten Augenblick einem der offenen Schächte aus, unter denen die Kanalisation gurgelte.
Obwohl die Luft noch immer so warm war, als bliese ein Fön auf Höchststufe, fühlte sie sich kalt und klamm. Jetzt hätte sie viel darum gegeben, Carlo oder Hanne in der Nähe zu haben, um sich die Angst von der Seele zu reden.
Falls es etwas zum Wegreden gab.
Der Ausdruck blanken Entsetzens in Paolas Augen sprach eindeutig dagegen.
Sie machte offensichtlich einen so desolaten Eindruck, daß selbst die miesesten Schlepper Hoffnung schöpften. An der Kreuzung, wo sich die Bemo-Fahrer versammelten, wanzte sich ein Pockennarbiger von hinten an. Nachdem sie das Ziel genannt hatte, unterbreitete er ihr den kühnen Vorschlag, sie für 12 000 Rupien zurück ins Hotel zu fahren, beinahe das Dreifache, was üblicherweise eine Taxifahrt kostete.
Es gelang ihr kaum, ihn wieder abzuschütteln. Inzwischen waren auch die anderen auf sie aufmerksam geworden und umringten sie schnatternd.
Auf einmal hatten die braunen Gesichter um sie herum nicht mehr viel mit der Verbindlichkeit und Höflichkeit zu tun, die sie bislang bei den Einheimischen erlebt hatte. Der dünne Firnis der Freundlichkeit war abgeblättert, Gier und kaum versteckte Aggressivität sprangen sie an. Ihnen auf einer weniger belebten Straße gegenüberzustehen, mochte sie sich gar nicht erst vorstellen.
Aus den Augenwinkeln sah Sina einen großen roten Fleck, der rasch näher kam.
»Viel böse Gegend«, sagte Made, als sein Taxi neben ihr anhielt. »Viel böse Menschen hier. Bitte einsteigen! Ich Sie fahre lieber nach Hause.«
»Mein Freund ist tot«, sagte sie, als sie im Fond saß, und begann zu weinen. »Martin soll tot sein.«
Der Mann am Steuer schwieg.
»Aber er kann doch nicht einfach verschwunden sein!« Ihr Schluchzen wurde lauter. »Wie finde ich heraus, ob er gestorben ist? Und woran?«
Noch immer keine Antwort.
»Haben Sie mich nicht verstanden?« Jetzt schrie sie beinahe.
»Habe verstanden«, sagte er schließlich leise. Seine Stimme klang bedrückt. »Besser manchmal, Tote ruhen lassen.«
»Was wissen Sie?« Sie hatte Lust, ihn durchzuschütteln. »Raus mit der Sprache! Was geht hier vor? Ich weiß genau, daß Sie etwas wissen!«
»Vielleicht Sie gehen morgen früh noch einmal nach Kuta«, sagte er langsam, als bereite ihm jedes einzelne Wort große Mühe. »Zu … Verwaltung.« Er suchte lange nach dem richtigen Begriff. »Oder vielleicht besser noch zu Polizei. Dort Sie erfahren, wenn Freund ist tot. Wird alles registriert. Dann Sie werden wissen.«
»Wieso Polizei?« fragte Sina alarmiert und gab die Suche nach einem Taschentuch auf. »Was ist passiert? Helfen Sie mir, Made!«
»Vielleicht schon zu spät, zu helfen«, sagte er unbestimmt.
Sie sah, wie sein Rücken sich versteifte.
»Versuchen Sie morgen«, wiederholte er ungerührt und wich einem der zahllosen Schlaglöcher aus.
»Dann Sie werden wissen mehr.«
Im Bungalow öffnete sie mit zitternden Fingern Martins Lederbeutel. Sie holte ein dickes Bündel Geldscheine heraus, alles Hundertdollarnoten. Sie zählte vierzig grüne Scheine.
Danach zog sie einen wunderschön gearbeiteten Elefantenanhänger an einer silbernen Kette und zwei kleine Plastiktütchen, gefüllt mit feinem, bräunlichem Pulver, aus dem Beutel.
Sie schnüffelte, befeuchtete ihren Finger, hielt eine Probe unter die Nase. Es roch streng, nach bitterer Medizin.
Heroin war das erste, was ihr durch den Kopf schoß. Und gar keine so kleine Menge. Auch ohne Briefwaage schätzte sie es auf circa fünf Gramm.
Keine Ahnung, was es wert sein konnte. Der einzige, der sich mit so was auskennen könnte, war Louis Levin. Und München war verdammt weit weg.
Sie brauchte zwei Zigaretten, bevor sie wieder einigermaßen klar denken konnte.
Martin, du verdammter Idiot! fluchte sie stumm. Harte Drogen! War das deine prima Idee, an einen eigenen Ferienclub zu kommen? Ob noch mehr von dem Zeug in seinem Haus rumlag?
Jetzt wußte sie zumindest, wonach Gelbzahn und sein balinesischer Kumpan gesucht hatten.
Aber wo steckte das Mädchen?
Sie mußte Martins Engel finden.