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Zwei

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Er war fort. Sie hörte noch, wie das Taxi zügig anfuhr, das ihn zum Flughafen bringen sollte, damit er bloß nicht wie neulich die erste Maschine nach Berlin verpaßte und zu spät zu seinem Prozeß kam. Dann wurde es im Viertel wieder frühmorgendlich still. Sogar der sanfte Regen hatte ausgesetzt. Die Luft war noch immer feucht, roch schwach nach Flieder und frischem Grün, ein kleiner Vorgeschmack auf den Sommer, der nun hoffentlich beginnen würde. Wach, wie sie nun schon einmal war, hätte sie jetzt ebensogut aufstehen können, über den Dächern ein schmaler Streifen bonbonfarbener Himmel, ringsherum Antennengewirr und Schornsteinhälse, in der rostigen Regenrinne über der Terrasse wieder das dreiste Taubenpärchen, das sie mit seinem Dauergurren seit ein paar Wochen halb um den Verstand brachte. Aber sie tat es nicht.

Sina V. Teufel rollte sich auf die andere Seite des Bettes und drückte ihre Nase in das zerwühlte Laken. Ein unverwechselbarer Geruch entstieg ihm, eine Mischung aus frischem Schweiß, Männerhaut und dem biologischen Orangenshampoo, auf das er seit neuestem schwor, um sich mit der angeblich kahlen Stelle am Hinterkopf anzulegen, die niemand außer ihm bemerkte. Ihr Geliebter war alles andere als ein ordentlicher Schläfer. Nach jeder Nacht glichen Kissen und Daunendecke einem Schlachtfeld, als habe er in seinen Träumen fürchterliche Kämpfe durchzustehen. Laszlo lachte nur, wenn sie ihn danach ausfragen wollte, legte den Kopf ein wenig schief und ließ damit jedes neugierige Weiterbohren unweigerlich im Sand verlaufen.

»Irgendwie hat jeder einen Anspruch auf ein Stückchen Privatleben. Du hältst es doch kein bißchen anders damit, mein Herz. Oder habe ich da etwas Entscheidendes übersehen?«

Verdammt, sie vermißte ihn schon jetzt!

Sie konnte sich nicht satt sehen daran, wie er sich bewegte oder manchmal mitten im Satz innehielt, die Stirn in Falten legte und plötzlich wie ein verschrobener italienischer Privatgelehrter aussah. Sie liebte seinen Körper, der mit ihrem so überraschend harmonierte, daß sie manchmal am liebsten tagelang im Bett mit ihm geblieben wäre, seine Geradlinigkeit und seinen Gerechtigkeitssinn, vor allem aber seinen ungewöhnlichen Humor, in dem oft Melancholie mitschwang. Das Erbe seiner jüdischen Großmutter Fiona, wie er immer wieder sagte, und Segen und Fluch zugleich.

Schwer vorstellbar jedenfalls, wie sie die endlosen Tage bis zum nächsten Wiedersehen durchstehen sollte. Natürlich waren jene legendären ersten drei Monate schon längst vorüber, in denen jedes noch so banale Wort wie Musik klingt, jedes Schellen an der Wohnungstür etwas Gutes verheißen kann und selbst ein naßkalter Schauer nur eine Untermalung der romantischen Gefühle bedeutet. Außerdem waren sie ja beide keine Kinder mehr und benutzten souverän die Errungenschaften modernster Kommunikationstechnik; dementsprechend hatten allerdings ihre Telefonrechnungen astronomische Höhen erklommen. Aber was war schon eine körperlose Stimme, was selbst das liebevollste Fax gegen das schier überwältigende Gefühl von Haut an nackter Haut?

Diesmal hatte es sie ohne Vorwarnung erwischt, und was das Schönste oder Schlimmste daran war, es wurde mit jedem Tag immer noch stärker. Sie war nicht krank vor Liebe, aber eindeutig infiziert, seiner Wärme, seinem klugen Kopf und seinen grünen Augen derart verfallen, daß sich die Menschen aus ihrer engeren Umgebung längst ihre Gedanken darüber machten.

»Wurde ja langsam auch Zeit«, knurrte ihre Sozia Hanne Bromberger mit hörbarer Befriedigung, weil endlich mal nicht ihre wechselhafte Beziehung zu Bill im Kreuzfeuer stand, sondern Sinas Liebesleben. »Nun wird ja Schluß sein mit deinem merkwürdigen Glauben an die Allmacht des Willens, beinahe, als könntest du ihn trainieren und steuern wie einen beliebigen Körpermuskel. Daß du allerdings gleich so übertreiben mußt, Sina! Und es dann obendrein auch noch ein Kerl aus Berlin sein muß …« Ein inbrünstiger Seufzer, als habe sie ohnehin mit nichts anderem gerechnet. »Aber in deinem Männergeschmack warst du ja schon seit jeher mehr als eigen, wenn ich das mal so sagen darf!«

»Grünglück des Herzens«, spottete ihr langjähriger Seelenfreund Carlo van Rees in Anlehnung an Hildegard von Bingen. Carlo hatte Laszlo Schreck nach anfänglichen, inzwischen jedoch verflogenen Eifersuchtsanfällen als Gefährten an Sinas Seite akzeptiert. »Gefährlich, meine Schöne, äußerst riskant, das prophezeie ich dir! Willst du wissen, wie es weitergeht? Dazu brauche ich nicht mal Therapeutenlatein, da genügt schon meine ganz normale Lebenserfahrung. Eines nicht mehr allzufernen Tages eröffnest du uns, daß du nun leider deine Zelte in seiner unmittelbaren Nähe aufschlagen mußt. Und wir, deine armen verlassenen Freunde, können zusehen, wo wir ohne dich bleiben.«

Carlo ahnte mit Sicherheit nicht, wie richtig er mit seiner Vermutung lag. Noch keine vierundzwanzig Stunden war es her, daß Laszlo ihr eben diesen Vorschlag unterbreitet hatte.

»Du hast dieses ständige Hin und Her doch mindestens so statt wie ich, oder?«

Sie lag in seinem Arm, entspannt und glücklich nach dem Liebesakt. »Klar«, murmelte sie gegen sein Ohr, »irgendwie sind wir beide schon aus dem Alter raus, wo es spannend sein kann, das Wochenende tapfer im Trägerhemdchen durchzustehen, nur weil man zufällig vergessen hat, sich vor dem Besuch beim Liebsten noch rasch den Pulli fürs kühle Wetter einzupacken.«

Sein Gesicht war ganz dunkel geworden. Was, wie sie inzwischen gelernt hatte, nichts Gutes verhieß.

»Sarkasmus steht dir nicht, Sina. Schließlich rede ich von unserer gemeinsamen Zukunft.«

»Soll das vielleicht eine Art Antrag werden?«

Er stand auf, und da es plötzlich nicht mehr warm war an ihrer Seite, merkte sie sofort, daß sie sich nun erst recht im Ton vergriffen hatte. Ärger stieg in ihr auf, scharf und siedend, über sich selber und die Rauhbeinigkeit, die sie sich in langen Jahren Geschlechterkampf mühsam antrainiert hatte. Ihre gewohnte Taktik, befürchteten Angriffen vorbeugend mit hitzigen Attacken ihrerseits zu begegnen, hatte schon am Anfang bei Laszlo nicht funktioniert, der sie durch seine Direktheit sprach- und damit wehrlos machte. Ihr Geliebter war keiner, mit dem sie spielen konnte. Wahrscheinlich liebte sie ihn gerade deshalb. Denn die üblichen Spielchen zwischen Mann und Frau hatte sie seit langem gründlich satt. Aber selbst nach diesem herrlichen, diesem verrückten Jahr mit ihm war Vertrauen für Sina noch immer keine Selbstverständlichkeit, und sogar an das Glück mußte man sich, wie sie inzwischen gemerkt hatte, erst nach und nach gewöhnen. Alles nicht ganz einfach zu verstehen: Wenn das Leben endlich mal wunderbar war, warum mußte es dann gleichzeitig so schrecklich kompliziert sein?

Am liebsten wäre sie Laszlo sofort in die Küche gefolgt, um sich an seinen sehnigen Körper zu schmiegen und das Gesicht an seiner Schulter zu vergraben, aber irgendwie brachte sie es nicht über sich. Er kam jedoch zurück, beugte sich über sie und packte ihre Handgelenke, als befürchte er, sie würde davonrennen.

»Ich hab auch Angst davor«, sagte er leise, »denk dir bloß nichts! Schließlich bin ich ein alter Hagestolz, der viel zu gern viel zu lang allein gelebt hat. Aber mit dir, Sina, könnte ich mir durchaus vorstellen, daß wir beide …«

»Und ich erst, Laszlo«, sagte sie schnell, und während die erste Welle ungestümer Zärtlichkeit sie wärmte, küßte sie ihn, als könne sie mit ihren Lippen die Gedanken zurücknehmen, von denen er nichts zu wissen brauchte. Sein Gesicht berührte ihren Hals, als er sich langsam wieder löste. Sie konnte die Hitze spüren, die er in sich trug und die sie immer wieder aufs neue faszinierte. »Bitte entschuldige wegen eben! Du weißt doch: Manchmal ist meine Zunge einfach schneller als mein Kopf. Von meinem alten eingerosteten Herzen ganz zu schweigen.«

Sie lachten, fühlten sich wie Verbündete. Standen auf, duschten nacheinander, bereiteten bei bester Laune zusammen das Frühstück. Und tasteten sich bei Kaffee und Kräuterrührei gemeinsam an das Thema heran. Aber schon nach den ersten Sätzen tauchten Schwierigkeiten auf. Zwei ausgemachte Querköpfe mit spezieller Biographie, zwei komplett eingerichteten Wohnungen, zwei in langen Jahren gewachsenen Freundeskreisen, die unterschiedlicher kaum hätten sein können, zwei Kanzleien mit eigenem Mandantenstamm. Zwei vollkommen verschiedene Lebensräume – trotz beiderseitiger Verliebtheit. Wie konnte das einfach so zusammenwachsen?

Zumal das Wichtigste noch immer ungeklärt war. Sollte es nicht bei der Besuchssituation bleiben, mußte einer von ihnen den entscheidenden Schritt tun.

»Berlin ist einfach um vieles spannender«, behauptete Laszlo, während er den Toast sorgfältig röstete, und bewies damit ein weiteres Mal, daß er sich in heiklen Angelegenheiten gern auf sogenannte objektive Tatsachen berief. Das Wichtigste ließ er ungesagt. Fionas symbolisches Grab auf dem alten jüdischen Friedhof im Ostteil der Stadt, zu dem er immer ging, wenn er besonders schwierige Entscheidungen zu treffen hatte. »Diese Stadt ist eindeutig zu groß, um jemals richtig fertigzuwerden. Und gerade deshalb so lebendig. Das mußt du ohne Wenn und Aber zugeben!«

Sina schob den Teller beiseite und schielte unauffällig in Richtung Bauernschrank, wo sie ihre eisernen Zigarettenreserven deponiert hatte. Sie rauchte nicht mehr, schon seit ein paar Wochen nicht, und hatte das Ärgste inzwischen wohl überstanden. Körperlich zumindest. Psychisch dagegen war sie sehr viel weniger ausgeglichen. Es gab nächtliche Heißhungerattacken, die sie niemals zuvor gekannt hatte, krasse Stimmungsschwankungen, denen sie sich hilflos ausgeliefert fühlte, und ein schon beinahe absurdes Verlangen nach Nikotin, das sie zu den unpassendsten Zeiten und Anlässen überfiel. Manchmal war sie drauf und dran, den unerquicklichen Zustand einfach zu beenden, indem sie selbstverständlich wie bisher zur nächsten Zigarette griff. Wem wollte sie eigentlich mit ihrer Standhaftigkeit etwas beweisen? Laszlo? Den anderen, deren Lästern sie stets genervt hatte? Oder sich selber?

Schlimm genug, daß sie nicht einmal das genau sagen konnte.

»Tu ich doch«, erwiderte sie lächelnd. »Denk doch bloß nicht, daß ich allein deinetwegen immer wieder komme! Aber die Stadt ist auch riesig, abweisend und mancherorts geradezu angsteinflößend.«

»Ach, auf einmal das ›kalte Chicago‹ also, wie Brecht es genannt hat? Asphaltdschungel und so weiter?«

»Ganz genau. Und dabei hat er nicht einmal ahnen können, was heute alles dort abgeht. Euer neues Berlin Tag für Tag? Ich weiß nicht.«

»›Euer‹ Berlin, haste eben gesagt? Ick hab wohl janz plötzlich ’nen kleenen Mann im Ohr, wa? Sag nur, du fängst jetzt auf einmal an, dein Millionendorf zu verteidigen! Sonst bist du doch immer die erste, die die hiesige Provinzialität munter geißelt.«

»Mir steht das auch zu, aber keinem neunmalklugen Piefke, daß das schon mal klar ist! Und außerdem: Leben kann man hier doch wirklich prima. Hast du selber immer wieder betont.«

»Klar kann man. Aber willst du auf Dauer tatsächlich im Alpendunstkreis versauern, während in unserer nagelneuen Hauptstadt jetzt so richtig die Post abgeht? Das kann einfach nicht dein Ernst sein, Sina!«

Sie kamen nicht weiter, und irgendwie legte sich über ihren letzten gemeinsamen Tag ein Hauch von Bitterkeit. Sina wünschte sich insgeheim, sie hätten das komplizierte Thema gar nicht erst angeschnitten – noch nicht, jedenfalls –, und sie war beinahe sicher, daß Laszlo inzwischen ähnlich empfand. Aber nun war es zu spät. Keines der einmal gesagten Worte ließ sich wieder ungesprochen machen. Sie liebten sich heftig in dieser Nacht, wortlos, schnell und leidenschaftlich, als wollten ihre Körper das wieder wettmachen, was die Gespräche nicht vermocht hatten, und blieben dann lange stumm nebeneinander liegen, bis der Schlaf endlich kommen wollte.

Ein sanftes Plop auf dem Bett. Dieses seidenweiche Problem gab es schließlich auch noch! Taifun, wie sie ihn damals spontan genannt hatte, als der Bauer den fauchenden Winzling aus dem Silo gefischt hatte, bedeutete großer Wind, und den konnte ihr schwarzer Kater sehr wohl entfachen. Beim letzten Umzug hatte er sich wochenlang im Schrank versteckt, bis er endlich geneigt gewesen war, gnädigst mit der Inspektion des neuen Zuhauses zu beginnen. Nur ein Tier? So ein Unsinn konnte nur von Katzenignoranten stammen, die keine Ahnung vom Zusammenleben mit dieser speziellen Spezies hatten. Inzwischen gehörte Taifun so untrennbar zu ihr wie bestimmte Eigenheiten, die sie sich von keinem Menschen nehmen ließ – nicht einmal von Laszlo.

Sina streichelte des Katers knisterndes Fell, und er ließ es sich ekstatisch schnurrend nicht nehmen, seinen angestammten Platz in ihrer Armbeuge aufzusuchen, nachdem der menschliche Konkurrent um ihre Gunst endlich das Feld geräumt hatte. Sie schob ihn schließlich ein Stück zur Seite, streckte und dehnte sich und spürte, wie erschöpft sie war.

Es war nicht allein der gestrige Unfrieden und auch nicht die kurze Nacht, die ihr in den Gliedern steckten, es war vor allen Dingen das, was heute als erstes auf ihrem Programm stand. Dr. Sina V. Teufel haßte alles, was mit Begräbnissen zusammenhing. Besonders bei strahlendem Wetter. Und erst recht, wenn es um Menschen ging, an denen sie gehangen hatte.

Stell dich nicht so an! schalt sie sich selber, als sie endlich aus dem Bett fand, und sie ging hinüber ins Bad, wo sie eine heiße, ausgiebige Dusche genoß, um erst anschließend ihren Schwarzen zu füttern, der diese Zurücksetzung seiner Interessen bereits maunzend monierte. Schließlich ist es nur eine Urnenbeisetzung. Der Tod gehört zum Leben. Es sind nur wir Menschen, die ihn mit komischen Tabus belegen, weil wir schon lange verlernt haben, richtig mit ihm umzugehen. Außerdem bist du es deinem alten Mandanten Ottfried Fürst schuldig. Wo du doch schon bei der Trauerfeier vor ein paar Wochen wegen auswärtiger Berufsverpflichtungen passen mußtest. Oder willst du ihn etwa schutzlos seinem ungeratenen Sprößling ausliefern?

Der Badezimmerspiegel, vor den sie zum Schminken zurückkehrte, war noch immer leicht beschlagen und warf ihr Bild verschwommen zurück. Die zusätzlichen Pfunde, seitdem sie nicht mehr rauchte, ließen ihr Gesicht weicher und jünger aussehen. Also keine streunende neapolitanische Kanalkatze mehr, wie Carlo früher immer behauptet hatte, sondern eine, die bei allem Freiheitssinn nun wußte, zu wem sie gehörte. Sogar mit der markanten Nase war sie inzwischen ausgesöhnt. Die schwarzen Haare umschmeichelten das Kinn, waren frech geschnitten und fielen lockig. Was ihr allerdings weniger gefiel, war der müde Teint, dem eine gute Dosis dolce far niente nichts geschadet hätte, und selbst die tiefbraunen Mandelaugen hatten schon mal intensiver gefunkelt. Allerhöchste Zeit also, sich endlich intensiv mit der längst anstehenden Urlaubsplanung auseinanderzusetzen, auf die Laszlo schon seit längerem drängte, die sie jedoch bisher immer wieder aufgeschoben hatte. Sina, die sich einfach nicht von ihrem Schreibtisch und den Akten trennen konnte – ein gefährliches Terrain, wie sie aus Erfahrung wußte. Wenn sie nicht aufpaßte, würde sie womöglich wieder in das Fahrwasser gelangen, das sich bei früheren Beziehungen als trübe und unerfreulich erwiesen hatte. Aber dieses Mal war sie entschlossen, es nicht soweit kommen zu lassen. Dazu stand zuviel auf dem Spiel.

Wie immer flüchtig abgetrocknet und eingecremt, braute sie sich die üblichen zwei Tassen Milchkaffee, die sie beim Überfliegen der Zeitung genüßlich trank, und las sich dabei an einem Artikel über einen alten Barpianisten fest, der das Leben sehr scharfsinnig mit einem Piano und all seinen schwarzen und weißen Tasten verglich. Irgendwann ließ sie das Schlagen der nahen Kirchturmuhr aufschrecken.

Sie mußte nicht lange auswählen. Das schiefergraue Leinenkleid war so ziemlich das einzige Stück aus ihrer sommerlichen Garderobe, das ihr passend für solche Anlässe erschien. Wenigstens war es inzwischen warm genug, um endlich auf die lästigen Strumpfhosen verzichten zu können. Sie griff nach Blazer, Aktentasche und den eleganten weinroten, noch nicht ganz eingelaufenen Pumps, die ihr Laszlo erst vor ein paar Wochen aus Verona mitgebracht hatte. Lange würden sie ohnehin nicht an ihren Füßen bleiben. Sina liebte es, barfuß Auto zu fahren, seit jeher. Gashebel und Kupplung unmittelbar unter den nackten Sohlen zu spüren, hatte sie schon in ihrer ersten uralten Ente entzückt, der man immer gut zureden mußte, damit sie sich überhaupt bewegte. Damals wie heute gaben ihr die bloßen Füße ein Gefühl der Freiheit, wenn auch irrational, was sie genau wußte, aber dennoch prickelnd. Für halbwegs seriöses Schuhwerk war dann jeweils am Ziel noch immer Zeit genug. Meistens jedenfalls.

Wenn sie jetzt allerdings nicht wirklich schnell machte, würde sie tatsächlich zu spät kommen. Was »Fürst Ottl«, wie seine zahlreichen Freunde und Bewunderer den berühmten Kammersänger seit Jahrzehnten liebevoll nannten, nicht verdient hatte.

Und seine verstorbene Lotte erst recht nicht.

Liebeslang

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