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I.4 "Lasset uns den Menschen machen..." Die zweite Schöpfung
ОглавлениеDer sechste Tag war der wichtigste der gesamten biblischen Weltschöpfung, denn der Mensch betrat die Bildfläche. Die niedliche Geschichte unserer Erschaffung kennt jeder seit dem Kindergarten. Heute können wir sie selber in der Bibel nachlesen und mit kritischen Überlegungen versuchen, die Geschichte zu verstehen, um uns so selber ein Bild zu machen.
Auffallend ist sofort, dass sich in der Genesis offensichtlich zwei unterschiedliche und zugleich widersprüchliche Schöpfungsberichte finden, die die Gelehrtenköpfe über Jahrhunderte hinweg strapazierten und immer noch strapazieren. Fand sie etwa zweimal statt? Der nichtsahnende Bibelleser wird gleich in den ersten zwei Kapiteln des 1. Buches Mose verwirrt. Der "Herr" lässt alles entstehen: Himmel, Erde, Licht und Dunkelheit, Tiere und Pflanzen. Und zum Schluss uns, als "Krone" und "Herrscher" des vorangegangenen Tuns; gemäß seines Ebenbildes:
"Und Gott sprach: Lasset uns den Menschen machen als unser Bild und uns zum Gleichnis (...) Und Gott schuf den Menschen sich zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie." (Gen. 1,26-27)
Warum der Vers 26 im Plural abgefasst wurde, sollte nicht weiter verwundern, denn es waren "Götter", wie weiter oben erklärt, die hier gemeint sind. Mann und Frau schufen die Elohim, nach ihrem Bilde. Eine Seite weiter, im 2. Kapitel, kommt es dann ganz überraschend, denn hier findet sich der "Zweite Schöpfungsbericht". Eingeleitet wird dieser Bericht mit der Feststellung, dass es "an dem Tage, da Gott der Herr Erde und Himmel gemacht hat" (Gen. 2,4) noch keine Vegetation auf Erden gab. Interessanterweise kann der Vers dahingehen verstanden werden, dass die Welt an einem Tag ("an dem Tage") erschaffen wurde. Was mag nun stimmen, sieben bzw. sechs oder einer? Noch erstaunlicher ist die Schilderung des siebenten Verses, in dem es heißt:
"Da formte Gott der Herr den Adam (Menschen) aus dem Staube (oder: Erde, Lehm, Schlamm, L.A.F.) des Ackers (oder: Feld, Erdboden, L.A.F.) und hauchte ihn in die Nase den Lebensatem, und Adam ward zum lebendigen Wesen." (Gen. 2,7)
Hier lässt sich eine interessante Parallele zur nordischen Mythologie der Germanen erkennen. Diese (Nack, S. 219) berichten, dass die "Götter" ein erstes Menschenpaar im Midgard erschufen. Midgard war ein umzäunter Bereich mit allerlei Pflanzen, in dem die Menschen lebten, und der uns wahrscheinlich nicht umsonst an den Garten Eden des Genesis erinnert. Gemäß der germanischen Sagen schufen die Götter das erste Menschenpaar, Ask und Embla genannt, aus einer Esche und einer Ulme, indem sie ihnen Leben einhauchten! Im Midgard gab es interessanterweise sogar eine Schlange, die gegen den "Gott" Donar kämpfte...
Der oben zitierte Vers ist aber auch in anderer Hinsicht interessant, aber vielleicht erst beim zweiten Lesen ersichtlich. Die Genesis besagt ganz klar, wobei es hier nicht auf die benutzte Bibelausgabe ankommt, dass der Mensch "den Lebensatem" oder "einen Lebenshauch" eingeblasen bekam. Dieser "Atem" aber ist nicht "göttlich" - zwar "göttlichen" Ursprungs -, sondern schlicht "ein" Hauch oder Atem. Der erste Mensch erhielt bei seiner Erschaffung nichts "Göttliches", sondern lediglich etwas "Lebendiges". Seine Seele darf demnach nicht als "göttlich" verstanden werden. Dieses Privileg wollte man ihm in der Vergangenheit gerne andichten.
Auch die Kirche erkannte das Problem und distanzierte sich zum Beispiel auf dem Konzil von Toledo im Jahr 400 n. Chr. von diesem Glauben, der aus der griechischen Philosophie in das Alte Testament eingedrungen ist (Staimer, S. 118). Meiner Meinung nach erhielt er jedoch später, im Zusammenhang mit dem Sündenfall, etwas "Göttliches", oder zumindest etwas, wodurch er "Göttergleich" wurde (s. I.6).
Aber selbst die Entstehung des Menschen aus Erde oder Schlamm, wie oben in Gen. 2,7 erwähnt, ist fester Bestandteil in der globalen Mythologie. Die Menschen scheinen in der Vergangenheit instinktiv (oder tatsächlich?) gewusst zu haben, dass die Erde die Elemente enthält, aus denen der menschliche Körper besteht. Zum Beispiel heißt es bei den Okanagon-Indianern aus dem Nordwesten der USA:
"So wurden die ersten Indianer von ihm (dem Schöpferhäuptling, L.A.F.) aus roten Erd- oder Schlammklumpen gemacht, und das ist der Grund, weshalb wir rotfarbig sind." (Sproul, westlich, S. 159)
Gemäß des ersten Schöpfungsberichts der Bibel wurde der Mensch nach "Gottes" Bilde entworfen, und in dem weiter oben wiedergegebenen Vers (Gen. 2,7) erfahren wir, dass er aus Erde, Lehm oder Staub gemacht wurde. Ein "Gott" aus Erde?!
Die Lösung könnte auf der Hand liegen: Hebräisch bedeutet "Schlamm" "tit", und laut uralten, sumerischen Schöpfungsmythen wurde der Mensch von "Ninti" ("Herrin des Lebens/Rippe") und "Enki" ("Herr der Erde") aus "ti.it" geschaffen. Tiit bedeutet etwa "Das, was Leben hat", und zum hebräischen Wort "tit" ist "bos", eine Ableitung von "besa" (= "Ei"!), ein sinnverwandter Ausdruck. Liegt da die Vermutung nicht nahe, dass der Adam aus einem "Ei" ("bos"), und nicht aus "Erde", geschaffen wurde?
Mesopotamische Ursprünge finden sich in der Genesis zweifelsohne - auch bei Adam? Was den zweiten Bericht ebenfalls besonders bemerkenswert macht, ist die Tatsache, dass Adam (vom hebräischen adama, "Erde") alleine erschaffen wurde. Von Eva ist hier keine Rede! Kapitel 1, Vers 27, berichtet aber eindeutig von einem gleichzeitigen Erscheinen von Mann und Frau. Erst 15 Verse später, nachdem der Garten Eden gepflanzt wurde und Adam Tiere und Pflanzen mit Namen versehen hatte, erscheint Eva auf der Bühne des zweiten Schöpfungsaktes.
Der Grund dafür, dass es definitiv zwei sich unterscheidende Überlieferungen einer "Weltwerdung" in der Genesis gibt, ist aller Wahrscheinlichkeit nach, dass hier zwei vollkommen verschiedene Autoren am Werk waren. Auch der Schreibstil der zwei Kapitel weist darauf hin. Wider Erwarten ist die erste Geschichte aber nicht auch die ältere, denn der deutsche Bibelforscher und Sprachexperte Julius Wellhausen belegte bereits 1880, dass dieser aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. stammt. Der zweite hingegen kann um die Zeit des 9. vorchristlichen Jahrhunderts datiert werden. Runde 300 Jahre liegen zwischen ihnen, und in einer derart langen Zeit kann viel auf der Welt geschehen.
Da nur der ältere Bericht über die Menschwerdung und das mythische Paradies detailliert zu erzählen weiß, ist dieser ein wertvoller Schlüssel zum Verständnis des Alten Testaments. Ich bin auch der Überzeugung, dass weite Teile des textlichen Inhalts aus ungleich älteren Quellen und Überlieferungen aus dem Zweistromland stammen. Denn wollen wir die Geschichte von zwei frisch erschaffenen Menschen, die in einem Garten lebten, "glauben", so kann die Bibel alleine wenig dazu beitragen. Wenn wir nicht aus religiöser Überzeugung "Gott" oder vieldeutbare Symbolismen für diese märchenhaft erscheinende Geschichte verantwortlich machen wollen, sondern versuchen, sie durch eine moderne "Brille" zu interpretieren, reicht die Genesis alleine nicht aus.
Aber die Erschaffung des Menschen ist nicht allein in der Genesis überliefert. Deshalb komme ich in Kapitel II darauf zurück...