Читать книгу Das Heiligenkreuz-Komplott - Lars Friedrich - Страница 4
Kapitel 1
ОглавлениеWir näherten uns dem Wienerwald von Westen. Nürnberg lag hinter uns, Regenburg auch, irgendwann dann Passau und St. Pölten. Auf der nassen Autobahn flimmerten rote Rücklichter und ich schlief ein. Der Weg war fast geschafft. Autobahn 21, Exit bei Kilometer 17.
In der Ausfahrt schlidderte der Wagen in Richtung Graben. Kai schaffte es gerade noch, den Daimler abzufangen.
„Nicht schlecht“, murmelte ich wachwerdend. Seit Mitternacht saß er am Steuer und flog Stunde um Stunde über mindestens 190 Kilometer Autobahn dahin. Ich wünschte mir, mit 48 noch so eine Kondition zu haben. Na ja, bis dahin waren es ja zum Glück noch fünf Jahre!
Die schwarze Wolkendecke riss auf und der hellblaue Maimorgenhimmel spiegelte sich in den Matschpfützen. Die Felder und Äcker unterhalb der Autobahn hatten sich in sicher knöcheltiefe Sümpfe verwandelt. Südstaaten-Feeling zur Begrüßung.
Wie schön, denke ich.
Dann schreckte ich hoch und dachte erst mal gar nichts.
„Scheiße“, zischte Kai. Zeitgleich brach der Wagen am Heck aus und schleuderte um seine Achse. In der Morgendämmerung flimmerten Lichter – rot, orange, blau. Die Fahrt war zu Ende, ich hellwach. Ein Glück, dass wir die Straße nicht verlassen hatten, denn siehe oben: Die Felder und Äcker unterhalb der Autobahn hatten sich in knöcheltiefe Sümpfe verwandelt.
Gar nicht schön, denke ich.
Aus dem Dunkel der Straßenböschung löste sich eine Gestalt und kam zur Fahrerseite. Kai kurbelte das Fenster hinunter – unser Daimler war schon etwas älter.
Die Gestalt murmelte ausländisch klingende Wortfetzen, die „Glück gehabt“ bedeuten konnten. Oder „Glühwein“. Oder sonst etwas. Dabei waren wir nur nach Österreich gefahren.
„Oberst Watzl, Polizei Alland. Grüßen sie Gott und geben mir die Fahrzeugpapiere und Ihre Ausweise bitte!“
Wir kramten – der österreichische Polizist, der sich in meiner Jugend noch klangvoll Gendarmeriepostenkommandant nennen durfte, schlurfte mit unseren Dokumenten zu seinem Streifenwagen, der definitiv älter war als unser fahrbarer Untersatz.
Das „Willkommen in Österreich!“ vom Fahrersitz neben mir klang irgendwie nicht echt.
„Hätte uns auch in Spanien passieren können.“
„Hätte.“ Kai strich seine schulterlangen, grauen Haare zur Seite. „Wäre aber nicht, weil es dort nicht regnen würde.“
Kaiser war genervt!
Kai Kaiser: Kollege, Freund und - zumindest gerade - mein Fahrer. Eigentlich hatte er gehofft, die Eröffnung eines schicken Gastronomietempels an der Costa Brava abschießen zu können: Frühling an der wilden Küste, Frühstück in einer kleinen Bodega, Sonnenbaden an der Playa von irgendwo. Stattdessen saß er jetzt, knapp vierzig Kilometer südwestlich von Wien, auf einer Bezirksstraße an einer Polizeisperre fest und musste in den nächsten Tagen den Alltag eines tausendjährigen Mönchordens fotografieren.
„Die Story lebt vom Text“ hatte er mir Dienstag bei unserer Abreise aus dem Ruhrgebiet gesagt – ja, ja: das war gestern Abend. Ich wusste aber genau, was das bedeutete: Kai hatte weder Lust auf Motivsuche noch auf fotografische Experimente. Das Thema reizte ihn kein bisschen. Also müsste ich allein sehen, wie fünfeinhalbe Magazinseiten bis Monatsende mit einem halbwegs passablen Text zu füllen waren. Vom Kollegen Kaiser würde ich wenig mehr als Postkartenmotive bekommen. Strafe musste sein!
Während im Polizei-Oldtimer die Innenraumbeleuchtung aufflackerte und das Gesicht des Postenkommandanten im fahlen Licht dem milchigen Vollmond glich, stieg ich aus. Um uns herum hoben sich die Silhouetten einiger Berge vom Morgenhimmel ab – aber weder hoch noch nah. Hier und dort blitzten Felskanten. Und das Dorf am Fuße dieser Berge schlief noch immer.
„Alland“ sagte ich und nickte in Richtung der Ansiedlung - ohne zu bemerken, dass Kai mich nicht sehen konnte.
„Ja, allerhand“ murmelte er und fingerte losen Tabak aus einem speckigen Beutel, leckte an billigem Zigarettenpapier und quetschte schließlich den Tabak so, dass ein krummer Stumpen entstand. Widerlich!
Kais rauchender Kopf schraubte sich in die Höhe. An ihm war alles lang: die Finger, die Haare, die Beine und der Rest irgendwie auch. Insgesamt zwei Metern Körper plus acht Zentimeter. Die Arme, die er aufs Wagendach legte, waren lang. Mit dem Ding, das eine Zigarette sein sollte, fuchtelte er Richtung Alland.
„Dein Kloster?“
„Nee, das liegt da drüben“ Ich zeigte in die entgegen gesetzte Richtung. „Der Wagen steht schon richtig.“
Nochmals unsere unsanfte Drehung missbilligend, presste er den Rauch aus den Nasenflügeln. Auch so lang, dieser Zinken...
Mit einer Polizeikontrolle an der Autobahnausfahrt hatten wir nicht rechnen können und die nasse Straße hatte unsere Vollbremsung zur Karussellfahrt werden lassen. Vom Kirchturm, der sich am Ortseingang aus dem Grau des schlafenden Dorfes räkelte, kam Glockengeläut zu uns herüber.
„Halb sechs“, stellte der Polizist fest. Er kam zurück. Der Regen lief in braunen Bächen aus dem höher gelegenen Feld über die Straße und spritzte an die Hose des Gendarmen, der sich jetzt Polizist nannte.
„Was wolln's denn hier?“
„Berufliches.“ Kai nahm seinen Ausweis und die Wagenpapiere entgegen.
„Geht's nicht genauer?“
Er zog meinen Pass wieder zurück.
„Ist ja wie in der Zone hier!“ stellte Kai verärgert fest.
„Wir arbeiten für ein deutsches Nachrichtenmagazin und wollen unseren Lesern Ihr Kloster hier vorstellen“, beeilte ich mich zu versichern.
Der Gendarm glotzte.
„Heiligenkreuz? Das sans hia aba foalsch. Do geht’s long.“
Sein Arm schnellte in die Höhe. Eine plötzliche Bewegung, die nicht nur uns überraschte: Den Gendarmen verwunderte das Ausreißen seines Armes ebenso sehr, dass er nicht mehr Herr seiner Hand war – die behandschuhten Finger öffneten sich unkontrolliert und mein Pass sauste durch die Luft.
Platsch.
Nass.
Zwei Schritte hinter dem Fahrbahnrand bückte ich mich. Irgendwo im Gestrüpp lag jetzt meine Legitimation, die ich nach Schengen ja eigentlich gar nicht mehr brauchte. Das war aber kein Grund, warum sie dieser Dorf-Deppen ungefragt entsorgte.
„Fahrens die Stroße übern Hügel, dann kommens ins Himmelreich.“
Kai sah Richtung Hügel, während ich weiter ins kniehohe Gras starrte.
Fein, da lag er: mein Pass in guter Gesellschaft unzähliger Nacktschnecken. Mit Daumen und Zeigefingern fingerte ich das Dokument aus der Botanik. Kai hatte es sich schon wieder hinter dem Lenkrad bequem gemacht und sah zu mir herüber: „Du machst alles nass.“
„Ich weiß!“
Meine Schuhe waren voll Wasser, die Hosenbeine dunkel verfärbt. Als ich saß, kroch die nasse Kälte zu allem Überfluss auch noch an meinen Beinen hoch.
Der Daimler heulte auf, die Räder rotierten und erst als Kai Gas zurücknahm, setzte sich unser beiger Benz auf der schnurgeraden Straße in Bewegung. Ziel: Übern Hügel Richtung ins Himmelreich Heiligenkreuz!
„Und, wie gefällt's dir?“
Kaiser sagte nichts.
Er hatte schon in Hongkong, New York, Istanbul, am Nordpol und in Moskau gearbeitet. Er war für Boulevardzeitungen nachts in Leichehallen eingebrochen und hatte für Presseagenturen lebende oder fast noch lebende Leinwandlegenden wie Sean Connery und Johannes Hesters abgelichtet. In seiner Wohnung standen die Fotopreise dicht neben den Katalogen eigener Ausstellungen. Und heute? Kaiser sollte Mönche fotografieren, Mönche in Österreich. Für Kai war das nicht der Kick, den der Bildjournalist brauchte, um einiges besser als gut zu sein.
„Übermorgen sind wir fertig, dann geht’s wieder heim“, versuchte ich. „Und wenn ich reinklotze, sind wir schon morgen Abend auf der Rückfahrt.“ Kai reagierte immer noch nicht. Seine Augen folgten der Straße, die nach „überm Hügel“ wieder Richtung Tal führte, um dann dem Bergrücken nach links zu folgen. Zwischen den Bäumen schimmerten massige, regennasse Dächer und die Türme des Zisterzienserstiftes.
„Schön, was?“
Jetzt nickte er. Von der Kehre der Bezirksstraße aus hatte man noch den gesamten Klosterkomplex überblicken können, der jetzt schon wieder hinter Bäumen und Büschen verschwunden war.
„An der Stelle habe ich auch mal geknipst“, fiel mir ein. Dreiundzwanzig Jahre waren vergangen, seit ich das erste und bisher einzige Mal hier war - in meiner Jugend mit meiner Jugendliebe Lena: Erster Urlaub mit einer Frau, der Ur-, Urur, oder Urururenkelin aus dem Baedecker´schen Reiseführer-Clan und meine bis heute noch größte Liebe: braunen Augen, meist hochgesteckte rotbraune Haar, süß-sündige Lippen, weiche...
Kai bremste.
„Rechts, links?“ Er kickte die ausgerauchte Zigarette in Richtung Aschenbecher.
„Rechts rein und nach links durch das Tor.“
Der Wagen hüpfte über Kopfsteinpflaster. „Links ist die päpstliche Hochschule, rechts das Stift.“
„Und vor uns Frühstück.“
Er hatte Recht.
Während überm Hügel vorne bei Alland der Regen abgeklungen war und die nächtlichen Gewitterwolken dem frühen Mittwoch Platz gemacht hatten, lag in dem engen Bachtal hier die Feuchtigkeit noch in der Luft. Die Klosterpforte auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes war geschlossen. Aber auch der Stiftsgasthof machte nicht den Eindruck, zu so früher Stunde Gäste empfangen zu wollen. In der Gaststube war es finster, die Tür war verschlossen.
Kai suchte nach der Glocke und verschwand hinter einer Hausecke, während ich meine Hand durch die Drahtmaschen eines abgedeckten Brunnentroges stecken wollte, der in der Mitte des Biergartens stand. Mit einem nassen Taschentuch hätte ich wenigstens meine Schuhe vom dreckigen Erbe der Allander Äcker befreien können.
„In der Küche ist jemand“, rief Kai rüber. Ich hörte ihn, bevor Jeanshose, Jeansjacke und Jeanshemd wieder um die Hausecke kamen. Kies knirschte unter seinen Schritten und schließlich wurde die Wirtshaustür entriegelt.
Unter dem weißen Kittel erkannte ich ein Dirndl. Sicher hatte Kai das Mädchen durch ein Fenster gesehen, geklopft und ihr Tief in die Augen geschaut – ich wusste: dann machten die Frauen meist das, was er will. „Komm mit“, meinte Kaiser und war schon im düsteren Flur des Wirtshauses verschwunden. „Ich habe diesem weiblichen Wesen tief in die Augen geschaut und jetzt macht sie, was ich will.“
Macho dachte ich und bekam meine Hand nur mit erheblichen Schwierigkeiten wieder aus dem Drahtgeflecht raus.
Wir hielten uns in dem nur vom schwachen Licht eines Zigarettenautomaten erhellten Vorraum rechts. In der Gaststube ging das Licht an. Dieses weibliche Wesen war höchstens Mitte zwanzig, hatte hüftlanges, glattes Haar und einen glitzernden linken Nasenflügel.
Wir setzten uns. Kai bestellte zwei Kaffee, worauf das Mädchen näher kam. Und es geschah genau das, was immer dann geschieht, wenn jemand in Österreich Kaffee bestellte und was auch immer in Büchern über Österreich zu lesen ist.
Also:
„Welchen?“ wurde gefragt.
Fein, wenn die Klischees bedient sind.
Sie hatte nicht nur wunderschöne wasserblaue Augen, sondern auch einen hübschen kleinen Delphin als Schmuck im zierlichen linken Nasenflügel.
„Zwei große Braune.“
Ich übernahm die Bestellung, Kai grinste doof.
Augenscheinlich wusste mein polyglotter Fotoreisende nicht, dass es in Österreich mehr als nur eine Sorte Kaffee gab und sich die zwei großen Braunen mal nicht auf den Inhalt des Dekolletes bezogen, das durch die offene Kittelschürze blitzte. Ich hätte ihn eigentlich aufklären müssen, doch der Kollege war gedanklich schon gar nicht mehr anwesend. Ich stieß ihn an.
„Was ist?“
Er sah in ihre Richtung und hob die Augenbrauen an, als sie sich an einem großen Kaffeeautomaten zu schaffen machte.
Natürlich!
„Schon wieder…?“
Er hob die Brauen erneut. Klar, das hätte ich wissen müssen: blaue Augen, lange Haare, Nasenpiercing – ganz Kais Geschmack. Dazu das bezaubernde Lächeln, mit dem sie sicher schon einige tausend deutsche Touristen bei der Frage nach dem richtigen Kaffee irritiert hatte.
„Vielleicht gefällt mir Heiligenblut doch noch.“
„Kreuz, Heiligenkreuz.“.
Die großen Braunen kamen mit dem Kaffee – eine Krönung vom Monarch in zwei hübschen weißen Schalen! Ich war müde, mir war kalt und die Schultern schmerzten vom Schlafen während der Fahrt.
„Danke, dass sie uns rein gelassen haben. Wohnen sie hier?“
„Nein“, das Mädchen lächelte – aber nur Richtung Kai. Vielleicht war sie sogar jünger als 25?
„Ich komme aus Alland.“
Kai nickte: „Kenn ich gut.“
Das Mädchen lächelte weiter. Ihr Mund war wirklich hübsch und zwischen den roten Lippen glänzten in zwei Reihen weiße Mausezähne. Wenn ich Piercings mögen würde und nicht in festen Händen wäre, hätte ich sie sicher auch so angesehen wie es Kai noch immer tat – nicht nur wegen des Kaffees.
Aus einem Raum gegenüber der Gaststube hörten wir eine Klingel und das Mädchen lächelte plötzlich nicht mehr.
„Ich muss.“
Sie ging.
„Wir müssen auch."
"Mindestens zwei Tage lang."
"Und abends haben wir frei."
"Wie heißt du?“
Vier Sätze nacheinander – Kaiser verblüffte mich. Ich hatte schon viele Male erleben müssen, wie Kai Mädels aufriss. Aber so viel hatte er meist nie gesprochen – vier Sätze, wenn auch keine zusammenhängenden. Sonst reichte es ihm, seine Kamera zu zeigen.
Das Mädchen drehte noch einmal um. War sie doch erst sechzehn?
„Sofia!“
Kai war zufrieden und die Tür der Gaststube fiel ins Schloss.
„Nett!“
„Sicher. Aber keine 15 Jahre.“
„Quatsch.“ Kai fingerte seinen Tabak aus der Jacke. „Nicht bei der Figur.“
„Denk dran. Du bis fast 50!“
Er leckte schon wieder auf diese unästhetische Art und Weise an seinem Zigarettenpapier entlang.
„Na und? Nach 45 wird alles besser – war doch in Deutschland auch so! Und, überhaupt, du bist auch fast 40 und deine Kirsten ist in meinem Alter. Wen stört's?“
Recht hatte er. Dauerfreundin Kirsten war vor sechs Tagen sechsundvierzig geworden. Meinen 40. Geburtstag hatten wir im Winter gefeiert. Sechs Jahre Altersunterschied – für mich eigentlich kein Problem. Für Kirsten schon. Vier Jahre sind wir zusammen, leben gemeinsam in ihrer Wohnung – und haben uns arrangiert. Sie sich mit meinen Fehlern, ich mich mit ihr. Und auch wenn sie sich an fast alles unserer Beziehung gewöhnt hat – an die sechs Jahre Altersunterschied nicht. Schlimm war das dann, wenn sie darauf angesprochen wurde. Dabei sah sie keinen Tag älter als 39 aus: schulterlange blonde Locken, graugrüne Augen, vollschlanke Figur und schöne Hände.
Aber das war es auch eigentlich schon …
Ich rührte in meinem Kaffee, während Kai einen neuen Zigarettenstumpen anblies. Merkwürdig, seit neuestem hatte Kirsten kleine dunkle Stellen auf den Händen – Altersflecken. Was einem so einfällt.
Wenigstens der Kaffee war frisch, und heiß war er auch. Alles anders als zu Hause.
„Das Stift wurde 1136 von französischen Mönchen gegründet. Das Gelände war eine Schenkung von Marktgraf Leopold. Damals war’s hier aber so ungemütlich, dass die Mönche Richtung Ungarn weiterziehen wollten. Also erließ Leopold den Mönchen die Zinsabgaben an die Pfarrkirche in Alland und vergrößerte das Klostergebiet. Und so leben die Mönche bis heute hier im Wienerwald.“
„Wegen der Hähnchen?“ Kai freute sich über seinen überflüssigen Witz.
„Nein, Forstwirtschaft und Weinbau. Heiligenkreuz hat einige ausgezeichnete Weinlagen. Und die Abtei ist eines der bekanntesten Ausflugsziele vor den Toren Wiens. Du wirst dich noch wundern, was es hier alles zu sehen gibt.“
Kai drückte die Zigarette in einem großen Metallaschenbecher aus.
„Reicht's für Fotos?“
„Klar! Kirche, Kreuzgang, Grabkapelle, Friedhof, Sägewerk, Hochschule und jede Menge Touristen. Da findest du schon etwas. Um zehn Uhr treffen wir den Kämmerer des Stiftes für eine VI-Führung. Da kannst du die Location checken.“
Kai sah auf die Uhr.
„Das sind noch mehr als zwei Stunden! Was machen wir bis dahin?“
„Ich weiß ja nicht, was du machst. Aber ich suche dieses Mädchen, das uns den Kaffee gebracht hat...“
„Sofia“
„Sofia soll mir mein Zimmer zeigen. Ich ziehe eine trockene Hose an und dann können wir uns den Friedhof ansehen gehen.“
„Einverstanden.“
Kai rutschte über die Holzbank rund um den Tisch und stand schon an der Tür, noch bevor ich den letzten Schluck Kaffee getrunken hatte. Wo war das Mädchen? Statt Sofia stand im finsteren Flur nämlich jetzt nur Mann.
„Wer seids denn ihr?“ Auch er trug einen Kittel, der bis zu den Knien reichte und wahrscheinlich im letzten Jahrhundert einmal weiß war.
„Fischer, ich bin Thomas Fischer. Das ist Kai Kaiser, mein Kollege. Wir sind Journalisten und haben für zwei Nächte Einzelzimmer gebucht.“
„Telefonisch?“
Wir nickten.
„Soferl“, der Mann drehte sich zur Seite. Er mochte fünfzig Jahre alt sein, trug zu langen Kotletten einen gepflegten Schnauzbart, dessen Enden nach oben zeigten. Dieser und fröhlich blitzende Augen gaben ihm ein beinahe liebenswürdiges Aussehen – zumindest für einen Österreicher.
„Soferl!“ Er brüllte den Namen erneut in den Flur. Bei der Lautstärke gab es wohl keine anderen Nächtigungsgäste, auf die er Rücksicht nehmen musste.
Liebenswürdig? Nein, nur Österreicher!
Sie kam zurück.
„Zimmer zwei und drei und dann wieder herkommen.“
Sofie nickte, griff an der Wand von vier Schlüsseln zwei und zeigte zur Treppe, die dem Eingang gegenüber nach oben führte. Am Gang, der in der ersten Etage über die Länge des ganzen Gebäudes führte und - weil fensterlos - ziemlich düster war, lagen die vier zu vermietenden Zimmer. Ich nahm das Erste links, während das Mädchen meinem Freund und Kollegen die Tür zu Zimmer Nummer drei öffnete – mir gegenüber.
„Soferl!!!“
Der durch und durch Österreichischer im Parterre brüllte erneut und das Mädchen verschwand mit einem scheuen, wohl ausschließlich für Kai bestimmten Lächeln. Er sah triumphierend zu mir herüber. Dann gingen wir in unsere Zimmer, gingen wieder heraus, gingen wortlos die Treppe hinunter, traten in den Biergarten, gingen durch den Kies und setzten uns in den Benz.
„Keine Dusche!“
Kai nickte.
„Keine Badewanne!“
Er nickte wieder.
„Außerdem keine Toilette, keinen Fernseher, keine Minibar und überhaupt! Der Gasthof erinnert ja an Dresden 1945! Lass uns etwas anderes suchen.“
Kai nickte nicht mehr.
„Nein, wir bleiben, machen unsere Geschichte, lassen es uns gut gehen und sind morgen wieder weg.“
Alter Schwede, du und deine Hormone. Der Grund für Kais plötzliche Ortsbegeisterung war klar: Sofia!
„Aber denk dran: Bei einem jungen Ding kannst du morgens nicht sagen, ich gehe mal raus mich rasieren, da musst du noch mal ran!“