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Kapitel 4

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Die Turmglocken des Stiftes schlugen Mittag. Unser Rundgang mit dem Kämmerer hatte also mehr als zwei Stunden gedauert. Kai hatte jedoch noch kein einziges Foto im Kasten und ich keine neue Notiz auf dem Block. Also statteten wir dem Stiftsladen auf der Suche nach Gedrucktem unseren Besuch ab. Zwei Frauen waren beschäftigt, Likör- und Postkarten-Preise für geduldig wartende Touristen in Jen umzurechnen. Es roch nach frisch geschlagenem Holz (von neuen Wandregalen), Weihrauch (von der Klosterkirche nebenan) und - ja, irgendwie auch nach Altenheim (wo kam denn der Geruch nach Urin und Desinfektionsmittel her?).

In den Regalmetern stand reichlich Lektüre aus der Feder des Heiligen Bernhard von Clairvaux und der Heilige Theresia von Avila, ergänzt durch Interpretationen unzähliger Mönche, Äbte und Päpste. Wer schreibt, der bleibt.

In niedrigen Stellagen, die wie Raumteiler den Strom der Besucher vom Drehkreuz am Eingang zu den Kassen am Ausgang lenkten, standen Zinnfiguren und Wachskerzen, Bilderbücher und Bibelverse, Kruzifixe und Madonnen. Ein verschlossener Schrank barg die Kostbarkeiten des klösterlichen Weingutes: Messwein, Tafelwein, Prälatenwein und andere, noch weitaus feinere Tropfen.

"Mit Messwein ist gut kess sein!"

Ein handgemaltes Schild ließ wissen, dass Thallern das älteste, weinproduzierende Freigut Österreichs sei und schon um 1141 von den regierenden Babenberger Herzögen den Mönchen zur Erhaltung des Klosters überlassen wurde - und sicher auch zur hochprozentigen Verköstigung.

„Hier gefällt es mir, hier nimmt man endlich mal auf Leib und Seele Rücksicht“, meinte Kai.

Eine Wand voller Postkarten in Kassennähe präsentierte sämtliche Heiligenkreuzer Malerwinkel: das Stift aus der Vogelperspektive und aus allen Himmelsrichtungen, die Vetsera-Gruft auf dem Gemeindefriedhof, das prächtige Chorgestühl des Italieners Giuliani, den Kreuzgang mit betenden Mönchen in weißen Kutten und den Kreuzgang ohne Mönche, ein Kreuz mit zwei Querbalken, umrahmt von einer goldenen Gloriole. Kai fingerte von jeder Ansicht eine Karte heraus.

„Willst du die Motive klauen?“

„Quatsch, kaufen. Außerdem: Anregung muss sein. Kannst ja nachher davon eine Karte an deine Ische schreiben.“ Ja, an die oder an die Andere.

„Gute Idee. Wem schreibst du?“

Kai zuckte.

„Ich hab es eigentlich ganz gut so getroffen, bei mir gibt es niemandem mit Abo für Grüße oder Anrufe aus der Ferne.“

Anrufe!

Ein Blitz durchfuhr mich – ich sollte Kisten anrufen, sobald wir angekommen waren! Das war aber schon vor sechs Stunden und ich hatte noch immer nicht zum Hörer gegriffen.

„Wir sehen uns draußen; nimm noch ‘nen Klosterführer für mich mit?!“

Eilig schob ich mich an den Japanerinnen vorbei, für die unter stetig albernem Gekicher noch eben eine Barbie im Kaiserin Elisabeth-Look in Packpapier eingeschlagen wurde.

Schon am Morgen hatte ich die Telefonzellen neben dem Stiftsgasthof gesehen, auf die ich nun zusteuerte. Rechts Münzfernsprecher, links Kartentelefon. Prima – spare ich Handykosten. Ich zückte meine Geldbörse – Mist! Zwar hatte ich gestern noch Geld abgehoben, aber das waren natürlich nur Scheine. Eine Plastikkarte für österreichische Euro-Telefone hatte ich auch nicht dabei. Geldwechseln im Klosterladen? Da kam mir Kai auf halbem Weg entgegen.

„Na, Schatzi schon erreicht?“

„Keine Spur, kein Kleingeld. Hast du welches?“

Er schüttelte den Kopf.

„Die Postkarten kosteten fünf Euro, der Guide auch.“

„Dann dein Handy, bitte.“

Kai zog das Mobiltelefon aus der Jackentasche.

Null, null, vier, neun... langsamer als notwendig wählte ich unsere Nummer zu Hause. Ich hoffte insgeheim, dass Kirsten schon weg war – einkaufen, joggen, shoppen oder was man in dem Alter so machte.

War sie aber nicht.

„Bergmann“

„Ich bin’s.

„Wer?“

Der Gesprächsbeginn war stets so schön wie kalte Füße beim poppen.

„Der Osterhase?“

„Der ist aber spät dran!“

„Besser spät als nie. Ich war müde und habe geschlafen.“

„Wie geht's Kai?“

Ich sah zu ihm herüber.

„Der liegt noch im Bett und pennt. Ist völlig fertig von der Fahrerei. Kannst du dir ja denken, das Alter...“

Ich hielt inne – nicht wegen Kai, wegen Kisten. Aber sie reagierte zum Glück nicht auf die Anspielung.

„Wetter gut?“

„Hmm.“

„Wie?“

„Sonne eben und nachts gab es Regen. Sei so lieb und ruf Matthias in der Redaktion an, ich brauche ein paar Unterlagen.“

Kirsten sagte nichts.

„Über einen Orden, hörst du, den Neuen Templer Orden. Machst du das bitte für mich?“

„Ja, ja, geht klar. Bis wann?“

„Er soll es mir mailen.“

„So, Schatz, ich muss mich beeilen, das Geld ist bald alle...“ log ich und drückte die Taste mit dem roten Hörer.

Kai grinste.

„Du lügst wie gedruckt und das auch noch an einem Stück.“

Ich gab ihm das Mobilgerät zurück, nickte und wechselte zu einem angenehmeren Gesprächsthema. Schließlich wusste ich damals selbst nicht genau, warum mir die Lust auf ein längeres Telefonat mit Kirsten fehlte. Wie gesagt, damals wusste ich es noch nicht …

„Hast du den Guide?“

Kai gab mir die Broschüre, auf deren Titel der Kreuzgang abgebildet war.

„War nichts anderes da“, sagte Kaiser, als ich mit dem Finger an den Seiten des Heftes vorbei strich.

„Geist und Leben in Heiligenkreuz – Im Zeichen des Kreuzes. Ist ja ein toller Titel.“

„Aber von deinem Führer steht in unserem Führer nichts drin.“

Wird wohl so sein, murmelte ich und wir setzten uns wieder auf die Steinmauer am Gasthof. Im Biergarten waren die ersten Tische belegt, das Mittagessen wurde bestellt, serviert, verdrückt, kassiert. Ich sah mich um, während Kai an der Kameratasche herumfingerte. Einladend war es hier nicht: Alle Fenster der Abtei zum äußeren Hof, der rechts von der Hochschule, links von der Pfarrkirche und hinter uns von den beiden Gaststätten begrenzt wurde, waren geschlossen. Einzig rechts und links der großen Einfahrtstür, also im Klosterladen und an der Pforte, brannten Lampen. Sonst waren Rollos herabgelassen oder Gardinen zugezogen.

„Sieht arg verschlossen aus?“

Kai brummte etwas zur Bestätigung und schraubte sich hoch. Mit der Kamera im Anschlag ging er auf dem Platz herum, sprach mit einem der Busfahrer, fotografierte einen vollen Abfalleimer. Hinter mir knirschten Kieselsteine im Gastgarten. Das Knirschen wurde lauter, brach dann aber ab.

Da stand jemand hinter mir.

„Gefälles?“

Gerade wollte ich über meine Schulter nach hinten schauen, da lag dort eine schwere Hand. Der Mann, der uns am Morgen in der Eingangshalle des Gasthofes begegnet war, stand hinter mir.

„Ja, natürlich, alle sehr... adrett!“

Er ließ die Hand auf meiner Schulter liegen.

„Worüber schreiben’ s?“

Die unendliche Berührung durch seine heiße Hand war mir ebenso unangenehm wie das Unterhaken von Pater Laurentius am Morgen. Ich mag es gar nicht, wenn mir wildfremde Menschen ungefragt näher kommen und plötzlich persönlich werden.

„Wir stellen unseren Lesern in Deutschland das Kloster vor...“

Ich drehte den Oberkörper zu dem Mann.

„Stift“ korrigierte der Mann. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie er mahnend einen Finger hob. Seine Linke lag noch immer auf meiner Schulter.

„...ja, ja, klar: Wir stellen unseren Lesern das Stift vor und natürlich auch das Leben der Mönche. Vielleicht schreibe ich aber auch noch etwas über die jüngste Geschichte des Klosters...“

Der Mann zog seine Hand zurück – endlich.

„Über die Vetsera?“

„Ja, warum nicht?“, antwortete ich.„Vielleicht über die Vetsera, die Nachkriegszeit und das Heute.“

Er befeuchtete die Oberlippe.

„Über gestern? Schmarren, das interessiert niemanden! Da gibt es ja auch gar nichts zu schreiben, oder?“

„Nun, ich dachte an den Hitler in Wien, den Anschluss 1938 und den Templerorden.“

Er stemmte die Hände in die Hüfte, richtete sich auf und die Augenbrauen zogen sich noch enger zusammen.

„Da gibt es nichts zu schreiben. Hitler war in Wien und die Neuen Templer hier in Heiligenkreuz. Er war nicht hier und sie waren nicht dort. Also gibt es auch nichts zu schreiben. Ich muss das wissen“, presste er hervor, "denn ich weiß Bescheid.“

„Sicher, da gabt’ s keine Kontakte. Sie würden das wissen.“

Ich stand auf und drehte mich um, so dass ich das Nicken des Mannes sah: „Ich weiß das. Ich bin im 41er Jahr geboren und ich kenne mich aus. Ich bin hier der Bürgermeister!“

„Ui, und ich dachte, sie sind nur Kellner.“

War das beleidigend?

„Ich meine, ich habe sie für einen Arbeiter gehalten.“

Passte das?

„Ich wollte sagen, sie sehen eher aus...“

Still sein war angebracht.

Der Bürgermeister, der zwischenzeitlich den weißen Kittel des Morgens mit einer nachmittäglichen Trachtenweste getauscht hatte, wich einen Schritt zurück.

„Ihr seid richtig, ihr Preußen. Bei Euch sehen die Bürgermeister wie beliebig grinsende Sesselfurzer aus. Bei uns ist das nicht so: Hier packt der Bürgermeister mit an, besonders wenn ihm das erste Haus am Platz gehört. Also, denken Sie dran, solange sie bei mir wohnen: von den Neutemplern will niemand was wissen, vom Herrn Hitler erst Recht nicht. Und schon gar nicht, dass sie da Verbindungen herstellen zwischen dem Kloster...“

„Stift“ warf ich ein.

„Zwischen dem Stift und diesen Tempelherren. Denken Sie an meine Worte!“

Die Nachdrücklichkeit des letzen Satzes war mir nicht verborgen geblieben.

„Kein Thema, Herr...“

Der Bürgermeister wies hinter sich auf den Gasthof. Ich las die Zeile, die in geschwungener Schreibschrift und einem hellen Braunton dünn unter die schmiedeeisernen Buchstaben „Stiftsgasthof“ gepinselt war „Inhaber: Sedlazcek Bruno“

„Kein Thema, Herr Sedlazcek. Kein Thema.“

Schlagartig hellte sich seine Mine auf, und die mir bereits bekannten prankigen Hände wanderten aus den Hüften auf meine Oberarme, wo sie zwei oder drei Mal fest aufprallten.

„Schön, wenn man sich mit dem Preußen gut versteht.“

Das Heiligenkreuz-Komplott

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