Читать книгу Fairview - Willkommen, Chief Justice! - Lars Hermanns - Страница 5

Dienstag, 23. Dezember 2014

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Manhattan, New York

An diesem Dienstagabend strömten Unmengen an Menschen durch die Straßen von New York. Es war der 23. Dezember 2014, nur noch zwei Tage bis Weihnachten. Und auch der Umstand, dass New York dieses Jahr den mildesten Winter seit langem verzeichnete, ließ viele Menschen – trotz gelegentlicher Regenschauer – mehr Zeit draußen im Freien verbringen als üblicherweise. Die Temperaturen lagen tagsüber knapp unter 8°C und waren somit weit entfernt von den üblichen Werten, die sonst deutlich unter dem Gefrierpunkt lagen.

Die Straßen waren wie immer vollgestopft mit gelben Taxis, die sich Stoßstange an Stoßstange durch die Häuserschluchten schoben. Auf den Gehsteigen schoben sich hingegen die Menschen durch das nicht enden wollende Gewühl. Selten trifft man an einem einzigen Ort so viele verschiedene Menschen wie zur Vorweihnachtszeit in New York. Neben unzähligen Einheimischen strömten stets auch Unmengen an Touristen in die Metropole am Hudson River. Viele wollten schon immer bloß den riesigen Weihnachtsbaum am Times Square sehen, doch das Gros der Besucher war auch auf das legendäre Christmas-Shopping aus.

So schoben sich nun unzählige Menschen jeder Couleur durch die Einkaufsstraßen. Kaufhäuser wie Saks und Bloomingdale's verzeichneten hierbei Rekordverkäufe, und auch das legendäre Tiffany's und Prada waren überfüllt von zahlungskräftiger Kundschaft. Ein einziges Gewimmel von Menschen, ein großes Zusammentreffen von Emotionen. Hektische Weihnachtseinkäufe auf den letzten Drücker, ein gemütliches Bummeln, um den Geist der Vorweihnachtszeit in sich aufzunehmen, oder ein gemeinsamer Einkauf mit Partner oder Partnerin, um den gemeinsamen Lieben noch eine Freude zu bereiten. Hektik, Freude, Euphorie und Umsätze in Millionenhöhe … das war Christmas-Shopping in New York.

Als es bereits dunkel war, und die Straßenbeleuch­tung und Lichtkegel der Autos – zusammen mit dem Licht aus den Kaufhäusern – für die nötige Beleuchtung sorgten, zerrissen urplötzlich Sirenen die vorweihnachtliche Idylle. Men­schen drängten sich zusammen auf einen großen Haufen, sofern man – angesichts der Menschenmassen – überhaupt noch von einem Zusammendrängen sprechen konnte. Schreie hall­ten durch die Häuserschluchten, viele Stimmen sprachen hektisch durcheinander. Irgendetwas musste passiert sein!

Die beiden Police Officers Michael Moore und Donald Nicholson waren die Ersten vor Ort. Trotz Sirenen und eingeschalteten Signalleuchten auf dem Dach war kaum ein Durchkommen auf der belebten Straße möglich. Das schöne, weitestgehend trockene Wetter dieses Winters hatte für die Einsatzkräfte ganz klar eine Kehrseite. Nur langsam konnten sie sich mit ihrem Streifenwagen, einem weißen Dodge Charger mit blauen Streifen an den Seiten und NYPD Schriftzug, ihren Weg zum Ort des Geschehens bahnen. Überall waren Schaulustige, nicht wenige mit Smartphones oder PAD in den Händen, um auch wirklich alles live erfassen zu kön­nen. Vermutlich landeten einige der Aufnahmen noch am gleichen Abend direkt im Internet und konnten dann auf YouTube und facebook angeschaut werden.

Nach einer gefühlten Ewigkeit trafen die beiden Officers an dem Ort ein, an dem etwas passiert sein musste. Hier bildete sich eine deutliche Menschentraube, und viele hatten ihr Handy in die Luft gehalten, um über die Köpfe der vor ihnen stehenden Passanten hinweg ihre Aufnahmen machen zu können.

»Sieh dir doch mal diese Arschlöcher an«, brummte Officer Nicholson zu seinem Kollegen, während dieser den Wagen in Richtung Straßenrand bugsierte. »Statt zu helfen, oder zumindest Platz für die Einsatzkräfte zu machen, befriedigen sie lieber ihre Sensationsgier!«

Officer Moore, ein Weißer von Mitte vierzig und irischer Abstammung, lenkte den Wagen geschickt durch die Menschenmenge, die sich hier sogar auf der Straße versammelt hatte. Am Boden vor dem Haus schien jemand zu liegen!

Donald Nicholson, sein gleichfalls weißer Partner, war mit seinen Anfang zwanzig der impulsivere von beiden und sprang direkt nach dem Anhalten aus dem Wagen, setzte sich seine Schirmmütze auf und steckte den Schlagstock an den dafür vorgesehen Platz an seinem Gürtel, während er der Menge mit kräftiger Stimme zurief: »Macht Platz! Lasst uns doch durch!«

Sein Partner eilte nun zu ihm, und sie sahen, weshalb es hier solch einen Menschenauflauf gegeben hatte. Vor ihnen auf dem Gehweg lag eine Frau, Alter geschätzt auf Ende dreißig oder Anfang vierzig. Officer Moore drehte sie vor­sichtig von der seitlichen Bauchlage auf den Rücken. Nun konnten beide das Gesicht deutlich besser erkennen. Es war ein sehr hübsches Gesicht. Die offenen Augen mit dem starren, entsetzten Blick verhießen jedoch nichts Gutes. Er tastete nach ihrem Puls am Hals, konnte jedoch nichts fühlen und schüttelte daraufhin leicht mit dem Kopf.

Donald Nicholson verstand sofort. Er drückte auf das Funkgerät an der linken Schulter seiner Jacke und meldete sich bei der Zentrale: »Wagen zehn-null-vier an Zentrale, hier Officer Nicholson. Bitte schicken Sie einen Rettungswagen zur Ecke East 42nd Street und Park Avenue. Weibliche Weiße, vermutlich tot. Ursache unbekannt.«

»Zentrale an Wagen zehn-null-vier, verstanden. Rettungswagen wird angefordert, Verstärkung ist unterwegs. Bitte sichern und warten!«

»Wagen zehn-null-vier an Zentrale, wir warten. Wagen zehn-null-vier, Ende.« Officer Nicholson wandte sich nun seinem Partner zu, der noch immer neben der Frau am Boden kniete: »Verstärkung und Rettungswagen sind unterwegs und sollten jeden Moment hier sein. Führe du bitte die Untersuchung fort, ich sorge jetzt erst mal für Platz und Ruhe.«

»Tu das. Und halte uns bitte diese fotogeilen Geier vom Hals!«

»Leute«, wandte sich Officer Nicholson nun der stetig wachsende Menge Schaulustiger zu, »geht zur Seite! Es gibt hier nichts mehr zu sehen! Geht schön weiter Einkaufen und macht Platz für die Einsatzfahrzeuge! Nun macht schon!«

Die Menge wich langsam ein wenig zurück. Doch immer wieder drängten sich vereinzelte Schaulustige vor, die offenbar noch immer nicht genug hatten.

»Wagen zehn-null-vier an Zentrale, wo bleibt die Verstärkung?«

»Zentrale an Wagen zehn-null-vier, Wagen zehn-null-eins und Wagen zehn-null-sieben sind unterwegs. Eintreffen in voraussichtlich einer Minute.«

»Wagen zehn-null-vier an Zentrale, verstanden. Wagen zehn-null-vier, Ende.«

Nun zog Officer Nicholson den Schlagstock, um die Menge besser zurückdrängen zu können. Wieso konnten diese Leute sie nicht einfach ihren Job erledigen lassen? Wieso nahm diese Form der Sensationsgier dermaßen überhand? Hoffentlich kommt die Verstärkung bald bei, dachte er bei sich, als er plötzlich die Sirenen hörte. Gleich würde er die Menge nicht mehr allein zurückdrängen müssen.

Die beiden Streifenwagen bahnten sich von Osten und Westen her ihren Weg durch den Verkehr; der eine kam ursprünglich aus nördlicher Richtung und bog soeben von der Vanderbilt Avenue in die East 42nd Street ein. Die Menschenmenge hatte sogar noch zugenommen! Wenige Sekun­den später sperrten die beiden Wagen die East 42nd Street vor dem Ort des Geschehens ab, damit der Rettungswagen später Platz haben würde. Anschließend sprangen die vier Officers aus ihren Fahrzeugen und unterstützten ihren Kollegen Ni­cholsons, die Menge zurückzudrängen.

Officer Moore untersuchte derweil weiterhin die am Boden liegende Frau. Auf den ersten oberflächlichen Blick hin war nichts festzustellen. Ihr hübsches Gesicht war nur wenig geschminkt und verfügte über eine leichte, natürliche Bräune. Sie könnte also aus den Südstaaten stammen und vielleicht zum Christmas-Shopping nach New York gekommen sein. Sie trug offensichtlich einen Hosenanzug und darüber eine anthrazitfarbene, wollene Winterjacke. Ihr braunes, naturgelocktes Haar war sehr füllig und fiel ihr locker über die Schultern. Finanziell schien sie, ihrer Kleidung nach, recht gut situiert zu sein. Die Frau lag auf ihrer Handtasche, die jedoch an einem der Träger abgerissen war. Möglich, dass es sich um einen versuchten Handtaschenraub gehandelt hatte.

Zwischenzeitlich traf mit lautem Sirenengeheul der Rettungswagen ein und stellte sich auf den nun freien Platz vor dem Ort des Geschehens. Die beiden Sanitäter sprangen heraus, öffneten die hinteren Türen, die nun in Richtung Tatort zeigten, und zogen sofort die Trage heraus, wobei unterhalb automatisch ein Gestellt aufklappte, um sie rollen zu können.

Als die beiden Sanitäter eintrafen, wich Officer Moore zurück und ließ die Männer ihre Arbeit verrichten. »Sie scheint tot zu sein«, teilte er ihnen mit. »Hier sind ihre Hand­tasche und eine Tüte mit Einkäufen!«

Die beiden Männer nickten nur und legten die Frau mit einem geübten Griff auf die Trage, auf der sie sie sicherheitshalber festbanden und zum Rettungswagen rollten. Hier, in der Abgeschiedenheit der Kabine und fernab der Blicke Schaulustiger, würde sich der im Wagen befindliche Arzt sofort um die Frau kümmern. Officer Moores Aufgabe bestand nun darin, die Identität der Frau festzustellen. Zu diesem Zweck begab er sich mit der Handtasche und den Einkäufen in seinen Streifenwagen und öffnete sie.


1 Police Plaza, Manhattan, New York

Es war dunkel, es war zwei Tage vor Weih­nachten, und dem Wetter nach hätte es auch erst Oktober oder vielleicht November sein können.

Detective Lieutenant William Justice stand am Fenster seines Büros, trank eine Tasse heißen Tee und blickte dabei hinaus in Richtung Brooklyn Bridge. Die vergangenen Tage waren sehr anstrengend gewesen. Als Leiter des Drogendezer­nats hatte er in der Metropolregion New York täglich alle Hände voll zu tun. Ständig gingen Meldungen über mutmaßli­che Drogendealer ein, es wurden Dutzende Festnahmen durchgeführt, und zumeist musste man dieses Pack spätestens am nächsten Tag wieder laufen lassen, da die Beweismittel nicht ausreichend oder – zumindest in einigen Fällen – nicht zulässig waren. Zudem interessierten ihn weniger die kleine Fische. Vielmehr wollte er endlich die großen Dealer zu fas­sen bekommen!

Doch die Drogenmafia in New York ließ sich nicht in die Karten blicken. Natürlich hatte er seine Informanten, die ihn mal mehr und mal weniger mit gelegentlich sogar zutreffenden Tipps versorgten. Leider erwiesen sich die meisten Hinweise jedoch als veraltet oder gar als völlig falsch. Und gab es dann mal einen konkreten Hinweis, lief man immer Gefahr, dass der Informant aufflog. So auch heute, zwei Tage vor Weihnachten.

Am frühen Morgen hatte man am Ufer des Hudson Rivers eine männliche Leiche entdeckt. Vor knapp einer Stunde erfuhr Lieutenant Justice, dass es sich um einen seiner Informanten handelte. Allem Anschein nach wurde er zunächst niedergeschlagen und anschließend durch mehrere Revolverschüsse hingerichtet. Außerdem hatte man ihm die Zunge herausgeschnitten; ein untrügliches Indiz dafür, dass man ihn vermutlich als Informanten enttarnt hatte. Was für ein Scheißtag!

Er drehte sich nun wieder um und blickte durch sein Büro. Links stand sein Schreibtisch, auf dem die Mappe der Pathologie lag. Unschöne Details über den Tod seines Informanten. Davon abgesehen, war der Schreibtisch aufgeräumt. Nachher würde er zu seiner Frau nach Hause fahren und erst am kommenden Montag wiederkommen. Commissioner Ma­lone hatte angeordnet, dass William endlich Überstunden abbauen sollte. Und nach dem heutigen Tag wusste er, dass sein Vorgesetzter und väterlicher Freund recht hatte.

Hinter seinem Stuhl befand sich ein Regal mit Akten über seine aktuellen Fälle. Diese wuchsen beinah täglich an, und ein Ende war so bald noch nicht in Sicht. Darüber hingen verschiedene Bilderrahmen mit Erinnerungen. Ein Bild zeigte ihn und Commissioner Malone an dem Tag, an dem William den Posten des Lieutenants des Drogendezernats erhalten hatte. Auf dem nächsten Bild sah man ihn, wie er gerade Präsident Obama die Hand schüttelte. Über den Anlass schwieg sich William allerdings aus. Direkt daneben hatte er eine Sammlung von Orden und Medaillen, die ihm im Laufe seiner Karriere verliehen worden waren. Und direkt über diesen Erinnerungen hing das Bild des jeweils amtierenden Präsidenten, aktuell also ein Bild von Barack Obama.

Seinem Schreibtisch gegenüber stand ein Stuhl für mögliche Gäste; doch seit William hier Dienst hatte, diente dieser Stuhl vor allem seinen Kollegen als Sitzmöglichkeit. Besuch erhielt er praktisch nie. Und Verhöre wurden nicht hier, sondern im Verhörraum durchgeführt.

Die Wand gegenüber dem Schreibtisch enthielt zunächst einen hohen, grauen Schrank hinter der Tür, der vor allem als Kleiderschrank fungierte. Direkt daneben stand ein breites Sideboard. Auf diesem befand sich ein Wasserkocher, während im Board selbst ein Minikühlschrank untergebracht war. In diesem bewahrte William zumeist etwas Toastbrot, Wurst und Käse auf. In den restlichen Fächern neben dem Kühlschrank lagen hingegen mehrere Dosen mit Tee sowie stets ein paar Plätzchen oder Bretzeln. Nervennahrung, wenn es mal wieder später werden sollte …

Direkt oberhalb des Sideboards hing hingegen Williams ganzer Stolz. Auf einer riesigen Korkplatte hatte man ihm eine Karte angebracht, die bis unter die Decke reichte und ihm das Einsatzgebiet des NYPD zeigte. Hier konnte er mit kleinen Fähnchen markieren, wo sich bestimmte Dinge ereig­net hatten. Vor wenigen Minuten hatte er ein schwarzes Fähn­chen an den Fundort der Leiche seines Informanten gesteckt.

William setzte sich an seinen Platz, stellte die Teetasse ab und griff sich noch einmal die Mappe der Pathologie. Er hasste diese Facette seines Berufs! Er war jetzt einundvier­zig Jahre alt, doch in seinem rotbraunen Bart nahm die Anzahl weißer Härchen drastisch zu. Vor nur drei Jahren konnte er sie noch zählen! Der Job schien ihm arger zuzusetzen, als er es sich immer wieder selbst eingestehen wollte. Ansonsten war er soweit seinem Alter entsprechend fit. Bei einer Größe von ziemlich genau 1,80 m brachte er es auf gute 95 kg. Seit er vor rund dreieinhalb Jahren das Militär verlassen hatte und zum NYPD gewechselt war, hatte er beinah 10 kg zugenommen. Er verbrachte deutlich mehr Zeit hinter dem Schreibtisch, und selbst den Sportraum des NYPD besuchte er nur sehr selten. Er war einfach zu sehr in die Arbeit eingebunden. Früher war er zumeist im aktiven Polizeidienst tätig. Militärpolizei – Einsätze im In- und Ausland. Später eine Tätigkeit im Sonder­einsatz, über die er ebenfalls nicht sprach.

Er war ein Spezialist. Knallhart und nicht selten am Rande der Legalität handelnd. Dies führte auch dazu, dass er trotz zwanzig Jahren Dienst beim Militär nie über den Rang des Captains hinaus gekommen war. Seine Vorgesetzten schätzten ihn und seine Erfolge, doch nicht wenige kritisierten die Art und Weise, wie er gelegentlich vorging. Wild Bill wurde er im Laufe der Zeit genannt. Und dies haftete ihm auch jetzt noch an.

William legte die Mappe beiseite. Er würde sie im Hinausgehen einem Sergeant geben, der sich dem Fall annehmen sollte. Mit einem Ergebnis rechnete er nicht wirklich. Wenn es tatsächlich die Drogenmafia war, konnte man ihr vermutlich ohnehin nichts beweisen. Tatverdächtige dürfte es zuhauf geben. Nicht selten ließ die Mafia Killer von auswärts kommen, die direkt nach der Tat wieder verschwanden. Also vermutlich wieder ein ungeklärter Mord unter vielen. Fraglich, ob man den Fall im Drogendezernat belassen würde, oder ob nicht viel eher das Morddezernat auf seinem Recht bestand.

Am Computer prüfte William nur noch kurz die letzten eingegangenen Mails, dann wollte er den Abwesenheitsassistenten seines Mailprogramms einstellen: Ich bin bis einschließlich Sonntag, 28. Dezember 2014 nicht zu erreichen. Fünf arbeitsfreie Tage am Stück – seine Frau würde sich riesig freuen! Anschließend fuhr er den Computer runter und schal­tete ihn ab. Geschafft!

Er stellte den kleinen Tischkalender vor ihm bereits auf den nächsten Arbeitstag ein, sonst vergaß er es mitunter. Danach griff er nach rechts und nahm das kleine gerahmte Bild mit einem Foto seiner Frau in die Hand und betrachtete es liebevoll. Angela! Seit nicht ganz einem halben Jahr waren sie jetzt glücklich verheiratet. Er betete sie an.

Sie hatten sich kennengelernt, als er noch beim Militär war und gerade Urlaub hatte. Beide hatten sie Badeurlaub in Puerto Rico verbracht und sich ineinander verliebt. Sie lebte in einem Ort in New Jersey, er war hingegen zu diesem Zeitpunkt kurzzeitig in Virginia stationiert. In einem Viertel­jahr hatte sein Dienst enden sollen. So hatte er sich beim NYPD auf eine vakante Detective-Stelle im Rang eines Lieu­tenants beworben.

Seine Referenzen sprachen für sich, und er zog nach New York um. Bereits nach wenigen Monaten zogen er und Angela in ihrem Wohnort in New Jersey zusammen, und im Juni 2014 heirateten sie. Sie war seine große Liebe … sein Leben!



Manhattan, New York

Zwischenzeitlich hatte wieder ein leichter Regen eingesetzt. Der Wetterbericht hatte frühmorgens eine Niederschlagsmenge von fünf Millimetern vorausgesagt, die sich über den ganzen Tag in kurzen Schauern verteilten. Während sein Kollege Nicholson mit den anderen Beamten dafür Sorge trug, dass die Schaulustigen nicht in den abgesperrten Bereich gelangten, nahm Officer Moore nun die Handtasche der Frau in Augenschein. Er öffnete sie und blickte hinein. Hier herrschte ein Chaos vor, wie er es auch von seiner eigenen Frau her kannte. Er fragte sich immer wieder, wie sich die Frauen in solch einer Unordnung zurecht finden konnten. Doch wehe, man ließ zu Hause etwas liegen, anstatt es wegzu­räumen … Nun fand er, wonach er gesucht hatte.

Das Portemonnaie war beinah leer. Es enthielt noch fünfzig Dollar in Scheinen sowie etwas Kleingeld. Mehr war nicht zu sehen. Als nächstes fand er eine Tasche für Ausweise und Kreditkarten. Er öffnete sie … und erbleichte! Das durfte nicht sein!

Schockiert von dem, was er sah, legte er die kleine Tasche auf den Beifahrersitz und nahm sich die Tüte mit den Einkäufen vor. Hierin fand er einen sehr schönen, weichen und eleganten Herrenpullover aus Wolle, Größe XXL. Dann noch eine Schachtel mit einem kleinen Beutel darin; als er diesen öffnete, sah er eine neue Pfeife mit dem Aufdruck Peterson 302 mit einer wunderschönen Maserung des Holzes sowie mit Silberarbeiten.

Officer Moore packte alles zurück und nahm sich wieder die kleine Ausweistasche vor. Als er sie öffnete, fuhr es ihm erneut bis in die Knochen. Er sah zwei Kreditkarten – Mastercard und Visa, einen Führerschein – ausgestellt in New Jersey sowie den Sozialversicherungsausweis. Der Name auf diesen Karten ließ ihn bereits erblassen. Doch eine Fotografie, die in der vordersten Hülle steckte, brachte die traurige und schreckliche Gewissheit: Die Fotografie zeigte die bildhübsche Frau, mit einem bezaubernden Lächeln, in den Armen ihres Mannes …



1 Police Plaza, Manhattan, New York

William hatte alles erledigt, was er vor seinem Kurzurlaub vom Tisch haben wollte. Der Abwesenheitsassistent war eingestellt. Nun würde er nur noch kurz zu seinem Freund und Mentor ins Büro gehen, sich nochmals herzlich für die freien Tage bedanken und bis Montag abmelden.

Commissioner Malone war es, der William damals eingestellt hatte. Die beiden Männer verstanden sich von Anfang an hervorragend. Malone schätzte Williams Energie und Einfallsreichtum. Und er deckte ihn auch immer wieder, wenn er bei seinen Einsätzen über die Stränge schlug. Sehr schnell wurde Malone eine Art väterlicher Freund für William. Sie verbrachten schließlich sogar vereinzelte freie Tage miteinander, fuhren gemeinsam nach Roscoe, NY zum Angeln am Delaware River oder zum Wandern in den umliegenden Wäl­dern.

Nachdem William sein Büro verlassen und abgeschlossen hatte, begab er sich mit der Mappe der Pathologie direkt zum Morddezernat. Dies war ein Mordfall, also waren er und seine Abteilung nicht zuständig. Nachdem er sie einem Detective zur weiteren Bearbeitung ausgehändigt und für den Fall von etwaigen Rückfragen auf die Mitarbeiter seiner Abteilung verwiesen hatte, ging er nun zügig – und wieder halbwegs gut gelaunt – in Richtung Büro des Commissioners.

Er klopfte an und trat ein, noch bevor Commissioner Malone reagieren konnte. »Guten Abend, Gordon!«, begrüßte er seinen Chef beim Eintreten.

»Billy?« Commissioner Malone sah ihn erstaunt an. »Ich dachte, du wärst schon längst bei deiner Frau und genießt dein langes Wochenende! Was machst du denn noch hier?«

William setzt sich Malone gegenüber auf einen freien Sessel und antwortete ihm: »Der Mord am Hudson River …«

»Dein Informant?«

»Genau der!«

»Billy, du darfst dir solche Fälle nicht immer so zu Herzen nehmen. Der Mann wusste, was er tat. Er kannte das Risiko. Und er wusste, dass er vorsichtig sein musste.«

»Trotzdem, Gordon. Wieso muss es immer wieder so enden? Und wieso kurz vor Weihnachten?«

»Das ist Aufgabe des Morddezernats. Ich hoffe, du hast den Fall entsprechend übergeben?«

»Ja, Sir, das habe ich.«

»Dann ist es ja gut. Du und deine Abteilung, ihr seid ohnehin schon völlig überlastet. Ein Grund mehr, dass du endlich mal wieder raus kommst! Wann hattest du das letzte Mal frei?«

»Ich weiß es nicht genau«, antwortete William nach einem kurzen Zögern.

»Dann will ich es dir gern sagen.« Commissioner Malone gab etwas in seinen Computer ein. »Hier haben wir es doch: 7. bis 9. Juni 2014.«

William atmete tief ein und blickte resignierend auf das hölzerne Namensschild Gordon Malones, das vor ihm auf dem Schreibtisch stand.

»Du hattest seit eurer Hochzeit am 7. Juni gerade einmal einen Tag frei, und das war der darauffolgende Montag!«

Wieder atmete William langsam und tief ein und kratzte sich unbewusst am Kopf.

»Mensch, Billy! Du bist doch auch nur ein Mensch! Du bist mit einer wunderschönen Frau verheiratet, ihr seid glücklich miteinander. Wieso versuchst du dann nicht, etwas mehr Freizeit mit ihr zu verbringen?«

»Ich würde ja gern«, gab William kleinlaut zurück, »es sind aber so viele Fälle noch nicht abgeschlossen.«

»Glaubst du allen Ernstes, sie werden schneller geschlossen werden, weil du hier beinah rund um die Uhr Dienst schiebst? Was sagt denn deine Frau dazu, dass ihr Mann mehr Zeit mit Drogenkriminellen als mit ihr verbringt?«

William wusste, dass Malone recht hatte. Diese Diskussion führten sie schon, als Billy noch gar nicht mit Angela verheiratet war.

»Das dachte ich mir! Und weißt du was? Sie hat recht! Also macht euch jetzt bitte ein schönes langes Wochenende! Und Billy … wenn du am Montag wieder zum Dienst erscheinst, möchte ich dich bitte umgehend bei mir im Büro sehen. So kann das nicht weitergehen.«

»Was kann so nicht weitergehen?«

»Dass du hier so viel Dienst schiebst! Sieh dir das doch mal an! Alle Officers und Detectives arbeiten im Schnitt ihre vierzig Stunden. Müssen sie einsatzbedingt Überstunden schieben, feiern sie sie so schnell wie möglich ab. Moment mal … sagte ich eben alle Detectives? Nein! Ein Detective ist scheinbar der Auffassung, dass selbst siebzig Stunden in der Woche nicht genug seien. Du bist doch selbst Chef deiner Abteilung; was würdest du mit solch einem Mitarbeiter tun? Sag es mir, bitte!«

William wusste, dass er mit diesem Detective gemeint war. Und er wusste auch, dass er jetzt besser nicht dar­auf antwortete, weil Gordon sonst gänzlich in seinem Element war. Und so sehr William dessen väterliche Art liebte und schätzte, konnte er nun einmal nicht aus seiner Haut. Doch sollten sie das dann besser am Montag klären.

»Okay, Sir! Ich komme dann am Montag gleich morgens zu dir ins Büro. Versprochen!« William stand auf und blickte auf seinen Chef hinab, der seinerseits sitzen blieb: »Und Gordon … danke für alles.«

Gordon Malone stand nun ebenfalls auf und reichte William die Hand. »Nichts zu danken, mein Junge. Macht euch ein paar schöne Tage, fahrt vielleicht sogar weg. Aber bitte, kümmere dich in diesen Tagen einzig und allein um deine Frau. Genießt jeden freien Moment, den ihr miteinander habt!«

Nachdem sie sich die Hände gereicht hatten, kam Commissioner Gordon um den Tisch herum, nahm William väterlich in die Arme und klopfte ihm auf den Rücken. William wusste, was Gordon Malone mit diesen Worten ausdrü­cken wollte. Gordons Frau Jeanne starb vor sieben Jahren an Unterleibskrebs, den man viel zu spät diagnostiziert hatte. Sie hatten keine eigenen Kinder, daher betrachtete Gordon ihn vermutlich als eine Art Ersatzsohn. Siebenundzwanzig Jahre waren Gordon und Jeanne miteinander verheiratet gewesen. Auch er hatte die meiste Zeit davon mit Arbeit verbracht, war selten zu Hause. Und auch Urlaube hatten sie kaum miteinan­der erlebt. Verständlich, dass Gordon William vor diesem Fehler bewahren wollte.

Als plötzlich das Telefon klingelte, bat Gordon William zu warten. »Ja? Commissioner Gordon hier!«

William trat an das Fenster und blickte wieder hinaus auf die Straße. Es hatte erneut zu regnen begonnen. Ob Angela bereits zu Hause war? Sie wollte heute noch verschiedene Dinge erledigen und meinte, dass sie gegen 20 Uhr zu Hause sein würde. Er fragte sich, ob er nicht vielleicht doch versuchen sollte, zumindest die Wochenenden mit ihr zu verbringen, statt nur vereinzelter Sonntage. Er genoss stets jede noch so kleine Sekunde mit ihr. Ihr herzhaftes, fröhliches Lachen, ihr verführerischer Duft … ihre Liebe, ihre Wärme.

»Ja, Lieutenant Justice ist hier bei mir …«, hörte William gerade seinen Namen. »Um Gottes Willen! Ja, wir kommen sofort!«

»Ist was passiert?«, fragte William, erschrocken von Gordons Reaktion.

»William, wir müssen sofort ins New York Presbyte­rian Hospital in der East 68th Street … es geht um Angela!«



Manhattan, New York

Officer Moore konnte es immer noch nicht fassen. Der Mann auf dem Bild, neben der hübschen Frau, die sie eben auf der Straße liegend vorgefunden hatten, war kein Geringerer als Lieutenant Wild Bill Justice vom Drogendezernat!

Er wischte sich Schweiß von der Stirn und blickte erneut auf die Fotografie. Es bestand kein Zweifel daran. Er war es! Und die Ausweise und Kreditkarten bestätigten diese Annahme. Allesamt lauteten sie auf:


Angela Justice


Michael Moore stieg mühsam aus dem Wagen und suchte seinen Kollegen Donald Nicholson. Dieser war noch immer darum bemüht, die Schaulustigen zurückzudrängen. Daher begab sich Moore zunächst zum Rettungswagen. Wild Bills Frau wurde noch immer untersucht, daher klopfte er kurz hinten an die Doppeltür.

Ein Sanitäter öffnete sie ein Stück, sodass sie sich sehen konnten. Officer Moore fragte ihn, ob es schon etwas Neues gäbe.

»Sie ist tot«, antwortete der Sanitäter leise, damit niemand anderes sie hören konnte. »Offensichtlich wurde sie von zwei kleinkalibrigen Kugeln getroffen. Mehr können wir Ihnen jedoch erst nach der Obduktion sagen.«

»In welches Krankenhaus bringt ihr sie?«

»Wir dachten an das Presbyterian Hospital in der East 68th Street. Es liegt nur knapp zwei Meilen entfernt.«

»Danke. Bitte sagen Sie Bescheid, wenn Sie soweit sind. Wir kommen mit!«

»Okay.« Damit schloss der Sanitäter wieder die Doppeltür, und Officer Moore begab sich zu seinem Partner.

»Donald!«, rief er ihn. »Komm bitte mal her und lass die Kollegen sich um die Schaulustigen kümmern!«

Officer Nicholson lief zu seinem Kollegen, der noch immer blass aussah. »Was ist los, Partner? Du siehst gar nicht gut aus!«

»Komm mit in unseren Wagen; ich muss dir etwas zeigen.«

Sie stiegen in ihren Dodge, in dem sich immer noch die Handtasche und Einkaufstasche befanden. Wieder wischte sich Officer Moore mit einem Papiertuch die Stirn, die diesmal jedoch nicht bloß vom Schweiß, sondern auch von dem leichten Regen nass war. Dann griff er nach der Ausweista­sche und reichte sie seinem Kollegen: »Sieh dir an, wer sie ist!«

Officer Nicholson nahm die Ausweistasche aus der Hand seines Kollegen entgegen und öffnete sie. »Scheiße!«

»Das kannst du laut sagen!«

»Wer macht Meldung?«

»Ich weiß es nicht. Möchtest du, Don?«

»Oh nein! Du hast sie identifiziert, Michael. Und du bist der Dienstältere von uns.«

Officer Moore nahm nun das Funkgerät seines Streifenwagens und gab die Meldung durch: »Wagen zehn-null-vier an Zentrale, hören Sie?«

»Hier Zentrale, Wagen zehn-null-vier, sprechen Sie!«

»Wir haben die Frau identifiziert. Laut Rettungsdienst wurde sie erschossen. Ein möglicher Raubmord ist nicht auszuschließen. Bitte schicken Sie jemanden vom Morddezer­nat vorbei.«

»Zentrale an Wagen zehn-null-vier, wir haben den Namen der Toten nicht verstanden. Bitte wiederholen Sie den Namen!«

Officer Moore wurde übel, als er antwortete: »Wagen zehn-null-vier an Zentrale, die Tote heißt Angela Justice – es ist die Ehefrau von Lieutenant William Justice vom Dro­gendezernat!«

»Zentrale an Wagen zehn-null-vier, sagten Sie eben, es sei die Ehefrau von Wild Bill Justice?«

»Wagen zehn-null-vier an Zentrale, ja, es ist die Ehefrau von Wild Bill Justice. Jeder Irrtum ausgeschlossen!«

»Zentrale an Wagen zehn-null-vier, wir geben die Meldung sofort an Lieutenant Justice und Commissioner Malone weiter. Bitte bleiben Sie in Kontakt.«

»Wagen zehn-null-vier an Zentrale, wir begleiten den Rettungswagen jetzt zum Presbyterian Hospital in der East 68th Street.«

»Zentrale an Wagen zehn-null-vier, verstanden! Wir sagen Lieutenant Justice und Commissioner Malone, dass Sie sie erwarten werden. Zentrale, Ende!«



1 Police Plaza, Manhattan, New York

William und Gordon schnappten sich ihre Mäntel und stürmten, so schnell sie konnten, in die Garage. Auf dem Weg sprachen sie zwei Officers an, die gerade das Gebäude betreten wollten.

»Officers!«, rief ihnen Commissioner Malone zu. »Sind sie noch im Dienst?«

»Jawohl, Sir!«, antwortete einer von ihnen. Ein junger Farbiger, der vielleicht zwanzig Jahre jung war. Sein weißer Partner mochte vielleicht zehn Jahre älter gewesen sein.

Die Jungs werden auch immer jünger, dachte sich der Commissioner, als er zu Ihnen sagte: »Kommen Sie mit! Sie werden den Lieutenant und mich umgehend ins Presbyterian Hospital in der East 68th Street bringen … Beeilung!«

Sie stiegen in den Streifenwagen der beiden Offi­cers, einen Ford Crown Victoria, und legten die knapp sechs Meilen in weniger als zehn Minuten zurück.



Presbyterian Hospital, Manhattan, New York

Das Presbyterian / Weill Cornell Medical Center lag am östlichen Ende der East 68th Street, unmittelbar am Hudson River. Der riesige Gebäudekomplex erinnerte entfernt an einen Tempel, den man aus zahlreichen Einzelteilen Stück für Stück aneinander- und zusammengebaut hatte. Der FDR führte östlich unter dem Komplex vorbei.

Commissioner Malone konnte William auf der Fahrt zur Klinik nicht viel Näheres erklären. Die Einsatzzentrale hatte ihn angerufen und zunächst gefragt, ob er wüsste, wo Lieutenant Justice sich aufhielte, da er im Büro nicht erreichbar sei. Als er antwortete, dass der Lieutenant bei ihm sei, hatte man ihm lediglich erklärt, dass dessen Frau Angela Justice ins Presbyterian Hospital in der East 68th Street gebracht worden sei und dass die beiden Officers Moore und Nicholson ihn und Lieutenant Justice vor Ort erwarteten.

Der junge Officer fuhr den Wagen bis direkt vor die Tür. Gordon Malone und William Justice stiegen aus und stürmten zum Eingang des riesigen Krankenhauskomplexes. Am Empfang war die Hölle los. Es herrschte absolutes Chaos. William griff sich im Vorbeigehen eine Schwester und fragte sie nach seiner Frau. Doch sie konnte ihm nicht helfen. Gordon stand bei der Empfangsdame, die noch am Telefon hing. Als sie trotz seiner Dienstmarke keine Anstalten machte, das private Gespräch kurz zu unterbrechen, griff der Commissio­ner kurzerhand über die Anmeldung hinweg nach dem Telefon und brach das Gespräch ab.

»Was fällt Ihnen ein?«, fuhr sie ihn an und versuchte, sich vor ihm aufzubauen.

»Commissioner Malone vom NYPD, und das dort drüben ist mein Kollege, Lieutenant Justice. Wir hörten, dass seine Frau vor wenigen Minuten eingeliefert worden sei.«

Die Schwester funkelte ihn zunächst noch immer wütend an, doch als sie erfuhr, dass die Frau seines Kollegen eingeliefert worden sei, wurden ihre Züge etwas weicher, und sie setzte sich an den Computer.

»Justice, sagten Sie?«

»Ja. Justice, Angela.«

»Wir haben hier einen Neuzugang … Justice, Angela!«

»Wo finden wir sie?«

»Sie ist gerade noch im OP. Den Gang runter, dann die Tür links. Sie können gern vor den OP-Türen warten, dürfen den Bereich selbst aber nicht betreten!«

»Danke, Ma'am!«

Dann wandte er sich an William, der immer noch nach seiner Frau fragte: »William, ich weiß, wo sie ist!«

Sie folgten dem Weg, den die Krankenschwester am Empfang beschrieben hatte. Am Ende des Korridors war eine große, metallene Tür zu sehen. Davor standen entlang beider Wände Stühle. Zwei uniformierte Polizisten saßen nebeneinander vor der Tür und schienen auf sie zu warten.

»Sind Sie die Officers Moore und Nicholson?«, fragte Gordon, als sie sich den beiden Männern näherten. »Ich bin Commissioner Malone, das ist Lieutenant Justice«, stellte er sie beide den Officers vor.

»Es ist uns eine Ehre, Sie kennenzulernen, Sir«, antwortete der noch immer mitgenommene Officer Moore. »Ich wünschte nur, es wäre zu einem erfreulicheren Anlass.«

»Was ist passiert, Officer Moore?«, fragte William, der sichtlich um Fassung rang.

»Lieutenant, Sir«, kam es leicht stotternd aus Officer Moore heraus, »wir wissen leider auch noch nichts Konkretes. Mir wurde gesagt, man hätte wohl auf Ihre Frau geschossen. Ich fand ihre Handtasche, von der ein Riemen abgerissen war. Möglich, dass es ein missglückter Handtaschenraub war.«

»Ich möchte vorschlagen, dass wir uns alle setzen«, schlug Commissioner Malone vor.

Sie setzten sich hin, Officer Moore und sein Partner Officer Nicholson auf die eine Seite, Commissioner Malone und William ihnen direkt gegenüber.

»Ist sie noch am Leben?«, fragte William mit einem riesigen Klos im Hals.

»Wir wissen es nicht mit Gewissheit, Sir«, antwortete erneut Officer Moore. »Als ich sie auf dem Boden liegend fand, tastete ich ihren Puls – konnte aber nichts spüren. Und die Ärzte operieren sie gerade.« Er konnte ihnen einfach nicht die Wahrheit sagen. Der Sanitäter hatte ihm bereits vor Ort bestätigt, dass sie tot war. Doch er hatte in all den Jahren bei der Polizei nie lernen müssen, den Hinterbliebenen den Tod eines geliebten Menschen schonend beizubringen. Er blickte William an, der ihn nur fragend ansah. Er blickte weiter zu Commissioner Malone, der seinen Blick ebenfalls fragend erwiderte. Schließlich spürte er, wie ihm Tränen in die Augen traten.

»Ist schon gut, Officer«, sagte Gordon und legte dabei seine Hand auf Williams Arm, der rechts neben ihm saß und noch immer wortlos zu den beiden Officers blickte. »Ich verstehe …«

Es dauerte beinah zwei Stunden, ehe sich die Tür öffnete und ein Arzt heraustrat.

»Doktor, ich bin William Justice. Was ist mit meiner Frau?«

»Mr. Justice? Es tut mir leid, aber wir konnten leider nichts mehr für Ihre Frau tun. Sie starb noch vor Ort …«

William hörte nicht mehr zu. Er sah alles nur noch wie durch einen Nebel, alles verschwamm vor seinen Augen. Er spürte, wie sich ihm alles drehte. Das Gesicht des Arztes verzog sich zu einer Grimasse, seine Worte waren völlig unverständlich. Plötzlich sackte er in sich zusammen …

»William! Um Gottes Willen …«, erschrak Gordon Malone, als William plötzlich neben ihm zusammenklappte. Er und der Doktor konnten ihn gerade noch auffangen und mit Hilfe der beiden Officers auf einen der Stühle setzen. »Doktor, so tun Sie doch was!«

Es vergingen mehrere Minuten, ehe William wieder etwas von dem mitbekam, was um ihn herum geschah. Noch immer war alles leicht verschwommen, doch er konnte Gordon mit einem Arzt sprechen sehen. Allerdings konnte er nicht verstehen, worüber sie redeten. Er richtete sich wieder lang­sam auf; doch spürte er, dass ihm noch immer schwindlig war. Direkt vor sich sah er ein Gesicht, das auf ihn einzureden schien; aber er konnte die Worte nicht verstehen. Dann erschien ein zweites Gesicht, das deutlich jünger zu sein schien. Sie gaben ihm etwas … Wasser! William trank es und atmete tief und gleichmäßig durch.

Langsam lichteten sich die Schleier vor seinen Augen. Wo war er? Ach ja … das Krankenhaus. Angela!

»Was ist mit meiner Frau?«, fragte er, noch immer leicht lallend.

Gordon kam zu ihm, setzte sich wieder links neben ihn und legte ihm den Arm um die Schultern. »Billy, mein Junge. Warte bitte noch ein bisschen, bis es dir wieder besser geht.«

»Sie ist tot! Mein Baby ist tot …!!!«

William brach bitterlich in Tränen aus. Und je mehr er weinte, desto klarer wurde plötzlich wieder alles um ihn herum. Nun erkannte er durch die Tränen hindurch den Arzt, die beiden Officers, die immer noch vor ihm in der Hocke saßen, und Gordon Malone, der links neben ihm saß und ihn zu trösten versuchte. So weinte er ungehemmt weiter und ließ seine Emotionen herausbrechen.

Es dauerte beinah eine halbe Stunde, ehe er sich wieder halbwegs beruhigt hatte. Der Arzt hatte ihm zwischenzeitlich eine Beruhigungsspritze gegeben. Doch diese konnte den unerträglichen Schmerz, der tief in Williams Brust wütete, nicht lindern. Noch immer leicht angeschlagen, bat er schließ­lich: »Ich möchte sie sehen!«

Weitere Minuten vergingen, die William wie eine Ewigkeit vorkamen. Minuten, in denen er an die Worte seines Freundes Gordon Malone dachte: Genießt jeden freien Moment, den ihr miteinander habt. Und ihm wurde urplötzlich bewusst, wie sehr sein alter Freund recht hatte. Ihm wurde klar, wie wenig er in den vergangenen Jahren von seiner Frau hatte. Dabei sehnte er sich immer so sehr nach ihr. Gordon bestand immer wieder darauf, dass William endlich einmal Urlaub machte, um Zeit mit seiner geliebten Angela verbringen zu können. Nun musste William auf die schmerzlichste Art und Weise erfahren, wie sehr er seine Frau vermissen würde. Wieder rannen Tränen sein Gesicht hinab.

Als es ihm soweit gut genug ging, dass er wieder stehen und gehen konnte, führte der Doktor ihn und Gordon Malone, der seinen Freund nicht allein lassen wollte, durch die Metalltür. Diese führte, wie sie sahen, nicht bloß zu den OPs, sondern auch in die benachbarte Pathologie. William ahnte, dass die Officers bereits vom Tod seiner Frau gewusst haben mussten. Doch er wusste selbst, wie schwierig es war, den Hinterbliebenen eine solche Hiobsbotschaft zu überbringen.

Der Doktor führte sie in einen grün gefliesten Raum, in dessen Mitte sich ein Operationstisch befand. Darauf lag ein Körper, der mit einem weißen Tuch bedeckt war. Die Mitte des Tuches war dunkelrot … Blut! Als sie den Tisch erreichten, blieben William und Gordon auf einer Seite des OP-Ti­sches stehen, während der Arzt, der folgerichtig der Pathologe der Klinik war, sich zur anderen Seite begab.

»Wie ist sie gestorben?« Williams Stimme klang auf einmal gefasst, beinah nüchtern und professionell. Ganz der knallharte Cop, der sich nach einem ihm unbekannten Mordopfer erkundigte.

»Sie wurde erschossen«, erklärte der Pathologe. »Zwei Schüsse trafen Ihre Frau aus nächster Nähe in die Brust. Sie war wohl sofort tot.« Er griff hinter sich zu einem kleinen Rollcontainer, auf dem eine flache Metallschale lag. »Diese beiden Projektile habe ich vorhin aus ihr herausgeholt. Ich tippe auf Kaliber .22 Magnum.«

Gordon und William sahen sich die Projektile genauer an. »Kleinkaliber?«, fragte Gordon nach.

»Ja. Deswegen konnten von dem Officer zunächst auch keine Schusswunden festgestellt werden. Eine Kugel ist in das Herz eingedrungen, die zweite Kugel hat den rechten Lungenflügel perforiert. Das Herz blieb stehen, es pumpte kein Blut mehr durch den Körper, und dadurch haben die beiden kleinen Eintrittslöcher auch kaum geblutet. Zumindest nicht genug, um auf dem Mantel gesehen zu werden. Der war zudem anthrazitfarben, wodurch die Schmauchspuren und die beiden kleinen Löcher kaum zu erkennen waren.«

»Ich möchte sie sehen«, bat William mit ruhiger Stimme.

Der Pathologe legte die Metallschale mit den Projektilen wieder zurück. Dann drehte er sich um, ergriff das Tuch rechts und links neben dem Kopf der Leiche und zog es lang­sam nach unten, bis das Gesicht freigelegt war. »Ich lasse Sie gern ein paar Minuten mit ihr allein, wenn Sie wünschen.«

»Danke, Doktor.«

»Ich warte draußen bei Ihren beiden Kollegen. Zögern Sie nicht, mich zu holen …«

»Danke Doktor. Ich glaube, wir kommen zurecht«, antwortete Gordon, der neben William stand und seine rechte Hand auf dessen linken Schulter hielt. »Möchtest du, dass ich auch gehe, Billy?«

»Bleib bitte bei mir …«

So standen die beiden Freunde nebeneinander und blickten auf das Gesicht Angelas herab. Selbst jetzt sah sie noch immer wunderschön aus, auch wenn ihr Teint nicht mehr beige sondern gräulich war. William strich ihr immer wieder über ihre langen, naturgelockten Haare. Gordon sah dabei Tränen über das Gesicht seines Freundes fließen. Er musste sich selbst sehr zusammenreißen, konnte er Williams Schmerz in diesem traurigen Moment doch besser nachempfinden als sonst jemand.

Schließlich beugte sich William vor, küsste seine geliebte Frau auf Lippen und Stirn und wandte sich um, zu gehen. Gordon, der irische Wurzeln hatte und katholisch erzogen worden war, bekreuzigte sich vor Angela und musste sich schließlich doch eine Träne vom Auge wischen. »Beidh muid chailleann tú, Angela!«, sagte er auf Irisch und folgte William nach draußen.

Officer Moore hatte gerötete Augen, als er William sein Beileid bekundete. Er hätte ihn stets bewundert, und daher sei es ein Schock für ihn gewesen, als er die Personalien überprüfte und feststellen musste, dass es Mrs. Justice sei. Er hoffe sehr, dass der Täter erwischt würde.

Und auch Officer Nicholson verabschiedete sich und sprach William sein tiefstes Mitgefühl aus.

William setzte sich wieder auf einen der Stühle. Nun war ihm klar, dass er heute sein Leben verloren hatte. Er hatte sich von seiner über alles geliebten Frau verabschiedet und dachte mit Grauen daran, dass er es in wenigen Tagen noch einmal würde tun müssen. Er nahm sich ein Papiertaschentuch aus seiner Manteltasche und trocknete sich die Tränen ab. Was für ein Scheißtag!



North Arlington, New Jersey

Angela wurde bereits am darauffolgenden Samstag, den 27. Dezember 2014 beerdigt. Gordon hatte darauf bestanden, dass William sich eine längere Zeit frei nahm. Er sollte ausreichend Zeit zum Trauern haben. Als William sich wei­gerte, gipfelte es darin, dass Gordon damit drohte, ihn vom Dienst zu suspendieren, wenn er nicht unverzüglich seine Überstunden abfeierte.

So kam es dann auch, dass Gordon täglich bei seinem Freund zu Hause vorbeischaute, um nach dem Rechten zu sehen. Sie wählten bereits am 24. Dezember einen Sarg aus. William bestand auf einer Beerdigung im engsten Freundes- und Familienkreis. Gemeinsam konnten sie beide am Tag vor Weihnachten alle Behördengänge machen und die Formalitä­ten erledigen. William hatte noch am Abend ihres Todes ihren Bruder Luke angerufen, der direkt nach Weihnachten zu ihm nach New Jersey kommen wollte. Seine Frau und seine Kinder wollte er hingegen lieber zu Hause in Massachusetts lassen, wo sie ein kleines Haus in der Nähe von Boston bewohnten.

Gordon hatte William am Mittwochabend nach ihren Erledigungen nach Hause gebracht. Williams Dienstwagen stand bereits seit dem Mordabend in der Garage des NYPD. Im Krankenhaus hatte Gordon darauf bestanden, seinen Freund nicht selbst fahren zu lassen. Er blieb noch bis spät in die Nacht bei William, der in den eigenen vier Wänden in tiefe Melancholie versank. Alles rief in ihm Erinnerungen wach, die ihn peinigten und an seinen bitteren Verlust erinnerten. In seinem Arbeitszimmer bewahrte er die Geschenke auf, die er für Angela besorgt hatte. Er wusste, dass sie diesen Raum niemals betrat. Schon vor Wochen hatte er bei Tiffany eine Halskette mit einem weißgoldenen Anhänger in Form eines Herzens geholt, das in seiner Spitze einen Brillanten barg. Daher packten sie vorerst alles, was Angela gehörte, in Kisten, die sie auf dem Speicher unterbrachten. Es war kurz vor drei Uhr morgens, als der Commissioner seinen Freund endlich allein zu Hause zurückließ.

An diesem Mittwoch vor Weihnachten 2014 waren sowohl Gordon als auch William wieder sehr früh auf den Beinen gewesen. Am Abend spürten sie jedoch beide, dass sie am Ende waren. Der Sarg bestellt, die Beerdigung für Samstag um 9 Uhr morgens angesetzt. Die Beisetzung sollte auf dem North Arlington Friedhof stattfinden.

Den Weihnachtstag verbrachten die beiden Freunde ebenfalls miteinander. Gordon hatte darauf bestanden, dass William an diesem Tag auf gar keinen Fall allein bleiben sollte. So packten sie weiter Kisten über Kisten, die Gordon vorsorglich noch beim Home Depot besorgt hatte. Lediglich auf dem Kaminsims im Wohnzimmer stellte William ein wunderschönes Foto seiner geliebten Frau auf, über das er in der oberen linken Ecke eine schwarze Schleife zog.

Am Weihnachtsabend ließen sich die beiden Männer Chinesisches Essen von einem Lieferservice bringen. Nachdem sie alles weggeräumt hatten, setzten sie sich zusammen vor den Kamin, in dem William für ein behagliches Feuer sorgte. William, der leidenschaftlicher Pfeifenraucher war, stopfte sich seine Lieblingspfeife, die er nur zu Hause rauchte, mit einem aromatischen Tabak, der zudem sehr angenehm duftete. Beide Männer tranken Kräutertee und blickten traurig in die Flammen.

»Ich bin es so leid, Gordon. So unendlich leid …«, brach William plötzlich das Schweigen. »New York wird mehr und mehr zu einem Moloch. Drogen, Gangs, Mord und Totschlag. Ganz zu schweigen von der ewigen Gefahr, erneut Opfer eines Terroranschlags zu werden. Wieso ist es den Menschen nicht möglich, friedlich in Harmonie miteinander zu leben? Kannst du mir das vielleicht verraten?«

»Billy, diese Frage beschäftigt mich schon immer. Wieso fügt ein Mensch einem anderen Leid zu? In der Bibel wird bereits der erste Mord erwähnt. Und eines muss man der Menschheit lassen: Das Morden hat sie seitdem wirklich sehr gut weiterentwickelt. Kein anderes Wesen tötet, außer es dient der Verteidigung oder der Futterbeschaffung.«

»Denkst du, ich werde jemals vergessen können?«

»Bloß nicht! Billy, daran darfst du nicht einmal denken! Du darfst nicht einmal versuchen, deine Frau zu vergessen. Ihr beide wart ein wunderschönes Paar. Du, der Bär und die kleine, meistens sehr elegante Angela. Ihr habt euch einander so gut ergänzt. Sie war ein wichtiger Teil deines Lebens, und tief in deinem Herzen sollte sie es auch immer bleiben.«

»Wie war das damals bei dir, Gordon? Wie hast du den Verlust deiner Frau verarbeiten können?«

»Die Umstände waren anders, mein Junge. Zwar hatte man mir auch meine geliebte Jeanne aus meinem Leben genommen, doch konnten wir beide uns zumindest einige Wochen lang darauf vorbereiten. Dir jedoch wurde deine Angela gewaltsam aus dem Leben gerissen. Ihr hattet keine Zeit, euch zu verabschieden. Und du und ich, wir wissen beide, dass der Mörder noch immer irgendwo dort draußen ist. Und ich kenne dich! Du wirst nicht eher ruhen, ehe dieses Schwein nicht seiner gerechten Strafe zugeführt worden ist.«

»Ich würde ihn sofort erschießen!«

»Ja, ich weiß … das würdest du. Und ich weiß auch, dass du dich danach sehnst. Und du, mein Junge, weißt, dass ich das nicht zulassen kann.«

Beide Männer schwiegen wieder eine Weile und tranken ihren Tee. William zog zudem immer wieder an seiner Pfeife. Sie waren zwei Männer, die sich gut kannten und einander verstanden, ohne das auch nur ein Wort fallen musste.

»Morgen wird Luke aus Massachusetts kommen, um der Beisetzung seiner großen Schwester beiwohnen zu können. Ich denke, er wird hier bei mir wohnen wollen.«

»Ist euer Gästezimmer dafür vorbereitet?«

»Nicht wirklich. Es steht noch immer voller Kisten mit Büchern, die wir bis heute nicht unterbringen konnten.«

»Wenn du magst, kann dein Schwager auch zu mir kommen. Mein Haus ist größer.«

»Danke, Gordon!«

Es war beinah 22 Uhr, als Gordon sich wieder auf den Heimweg begab.

William verzog sich nach Gordons Aufbruch in sein Arbeitszimmer. Auch dieses war noch immer nicht komplett eingerichtet. Angela und er hatten das Haus erst ein Vierteljahr nach ihrer Hochzeit gekauft und zogen praktisch seit einem knappen Vierteljahr ein. Sie waren beide berufstätig. Angela arbeitete in Jersey City in einem Steuerberaterbüro. Somit blieben ihnen nur die gelegentlichen Sonntage, an de­nen William sich nicht in sein Büro beim NYPD begab.

Sein privates Arbeitszimmer war an den Wänden mit einem hellen Holz verkleidet und diente früher vermutlich als eine Art Teezimmer. William gefiel der Charakter des Raums. In einem dunkelbraunen Stahlschrank neben der Tür bewahrte er seine privaten Waffen auf. Durch die vielen Jahren beim Militär waren einige Waffen zusammengekommen, was seiner Frau allerdings nicht wirklich gefiel. Heute nahm er sich vor, die Waffen allesamt zu zerlegen, zu reinigen und zu ölen. Eine Arbeit, die ihn wunderbar ablenkte und entspannte.

Seine Dienstpistole war eine Walther P99, die er von seiner kurzen Zeit in Deutschland mitgebracht hatte. Als er beim NYPD anfing, wollte er sie unbedingt als Dienstwaffe einsetzen. Zunächst abgelehnt, hatte er es schließlich Commissioner Gordon Malone zu verdanken, dass man sie ihm später doch als Dienstwaffe zugestand. Für den privaten Gebrauch hatte er sich im Laufe der Jahre ferner eine Walther PPK im Kaliber 7.65 mm mit passendem Schalldämpfer zugelegt, den er einst bei einem Sondereinsatz benötigt hatte. Aus seiner Zeit im Irak besaß er eine Desert Eagle im gewaltigen Kaliber .50AE, die er seitdem jedoch nur auf Schießständen abge­feuert hatte. Seine Ruger Redhawk im Kaliber .44 Magnum hingegen war ein echter Man-Stopper. Die klassische Waffe von Dirty Harry! Auch sie hatte bisher nur auf diversen Schießständen zeigen dürfen, was in ihr steckte. Sein Sahne­stück war allerdings ein Heckler & Koch G3 SG 1 Scharf­schützengewehr, das er ebenfalls schon seit seiner Zeit in Deutschland besaß.

So reinigte und ölte er also seine Waffen, setzte sie anschließend wieder zusammen und schloss sie zurück in den Waffenschrank. Mittlerweile war es bereits elf Uhr durch. William löschte das Licht im Arbeitszimmer und ging zurück ins Wohnzimmer. Das Feuer im Kamin war erloschen. Er nahm das Bild mit Angela vom Kaminsims. Wieder traten ihm Tränen in die Augen. »Baby, du fehlst mir!«



Fairview - Willkommen, Chief Justice!

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