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Samstag, 27. Dezember 2014

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North Arlington, New Jersey

Am nächsten Morgen, dem Tag der Beisetzung, klingelte Williams Wecker um 7 Uhr. Er schlich ins Badezimmer, wo er zunächst ausgiebig duschte und sich rasierte. Schon seit seiner Zeit beim Militär trug er den Bart um den Mund herum, hatte die Wangen jedoch stets glatt rasiert. Als er auch mit dem Zähneputzen fertig war, ging er zurück ins Schlafzimmer, um die Kleidung für die Beerdigung zurechtzulegen: Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte. Zusätzlich würde er draußen einen dunkelblauen Trenchcoat tragen, den er oftmals auch im Dienst trug.

Da er noch immer ohne Dienstwagen war - sein eigener, privater Wagen stand in der Garage, war jedoch noch nicht fahrbereit -, wurde er um 8:45 Uhr von Gordon in dessen Privatwagen abgeholt, einem schwarzen Cadillac ATS aus der Vorjahresproduktion. Schwarz … wie passend! Sein Schwager Luke fuhr in seinem eigenen Wagen hinterher, einem dunkelblauen Chrysler Voyager RS.

Um 8:55 Uhr trafen sie am Friedhof ein. William wollte eine Beerdigung im kleinsten Rahmen haben. Umso erstaunter war er, als er das Aufgebot sah. Es mussten mindestens hundert Polizisten und Polizistinnen in GalaUniform mit Trauerflor versammelt sein. Einzig er und Commissioner Malone sowie Luke waren offensichtlich zivil gekleidet.

»Ich habe kein Wort gesagt«, beteuerte Gordon und begrüßte die Anwesenden.

William hielt nach dem Reverend Ausschau. Er fand ihn inmitten der Trauergemeinde und fragte ihn, wer alles von der geplanten Beerdigung gewusst hätte. Der Reverend blickte ihn jedoch nur an und bemerkte, dass die Verstorbene wohl sehr viele Freunde und Kollegen gehabt haben musste.

Als Gordon wieder zu ihm kam, fragte William ihn: »Woher wussten die davon, Gordon?«

»Billy, natürlich musste ich dem NYPD sagen, was passiert ist. Und was sollte ich denn bitte tun, als man mich fragte, wann die Beisetzung sei? Ich konnte doch nicht ahnen, dass das halbe Revier und noch einige mehr kommen würden. Sieh es doch einmal so: Sie alle sind gekommen, um dir in deiner schweren Zeit beizustehen und Solidarität zu demonstrieren.«

Er klopfte William väterlich auf den Rücken und wandte sich nun seinerseits dem Reverend zu. William war völlig durcheinander und suchte nach Luke. Als er ihn fand, hielt er mit ihm nach Trauergästen Ausschau, die nicht in Uniform waren. Er entdeckte einige Gesichter, von denen er wusste, dass es Kollegen seiner Frau waren. Alles andere waren Polizisten. Durch den Umzug in das neue Haus hatten Angela und er noch keine neuen Bekanntschaften schließen können. Angela kam ursprünglich aus Ridgefield Park, New Jersey. Doch war beiden die Fahrzeit nach Manhattan und Jersey City zu lang. Angelas Eltern waren bereits vor Jahren gestorben, und William hatte die beiden nie kennengelernt. Luke war der einzige Familienangehörige.

Um Punkt 9 Uhr schritt die Trauergemeinde hinter dem Reverend her zur Grabstelle. Zum Glück, dachte William in diesem Moment, war dies das wahre Leben und nicht irgendein Film im Fernsehen. Dort setzte bei Beerdigungen, zur Unterstreichung der traurigen Stimmung, zumeist ein andauernder Regen ein. An diesem Samstag im Dezember war es in New York und New Jersey hingegen trocken und mild. Die Temperaturen sollten gegen Mittag gar noch auf bis zu 12°C ansteigen.

Für William und Luke standen Klappstühle bereit, auf denen sie als Angehörige platznahmen. Hinter Ihnen standen Detectives des NYPD in Uniform und ihnen gegenüber die Officers. Unter ihnen erkannte William auch die Officers Moore und Nicholson, die er im Krankenhaus kennengelernt hatte. Während der Trauerrede des Reverends ließ William ständig seine Augen über die Gäste und den Hintergrund schweifen. Er trug eine dunkle Brille, die nicht nur seine trä­nenfeuchten Augen bedeckte, sondern ihm zudem ermög­lichte, unauffällig die Gegend zu sondieren. War vielleicht der Mörder anwesend und beobachtete die Szenerie?

Als der Reverend endlich zum Ende kam, standen William und Luke wieder auf. Gordon stand direkt hinter William, als er zunächst eine rote Rose und anschließend eine Kelle voll Erde ins Grab auf den Sarg warf. Im Hintergrund spielte ein Trompeter den Zapfenstreich, und der Reverend drückte William sein Beileid aus, während alle anwesenden Polizisten in Uniform salutierten.



North Arlington, New Jersey

Die nächsten Wochen nach der Beerdigung verliefen ereignislos. Commissioner Malone hatte durchgesetzt, dass William beurlaubt blieb, um in Ruhe seine Trauer auszuleben. Doch er merkte auch, dass William die Umgebung mit all ihren Erinnerungen nicht gut tat. Sein Freund zerbrach förmlich an seinem Kummer, der ihn mehr und mehr von innen heraus aufzufressen schien.

Es war bereits Ende Januar, als Commissioner Malone über seine beruflichen und politischen Kontakte einen Weg fand, wie man William wieder zu sich selbst verhelfen konnte. Ein Kollege aus Georgia stand gerade vor dem Problem, den Chief in einer Kleinstadt nördlich von Atlanta seines Amtes entheben lassen zu müssen: Amtsmissbrauch, Bestechlichkeit und Unterschlagung von Beweismitteln. Nun suchte man für diesen Posten einen erfahrenen Nachfolger, um die Polizei dieser Kleinstadt wieder auf Vordermann zu bringen …

Als Gordon am 30. Januar 2015 zu seinem Freund William in North Arlington fuhr, fand er ihn wieder in der Garage an seinem Auto bastelnd. William hatte noch während seiner Militärzeit einen 1968'er Ford Mustang GT500 Fastback aufgetrieben. Genau so einen Wagen, wie er in Bullitt von Steve McQueen gefahren wurde. Leider war er in einem erbärmlichen Zustand, und William war in all den Jahren nicht dazu gekommen, ihn zu reparieren. Seit Beginn des Jahres, und seit er beurlaubt worden war und folglich Zeit hatte, schraubte er jeden Tag von morgens bis abends herum. Gor­don half ihm gelegentlich, diente ansonsten jedoch eher als Bote, wenn es darum ging, bestimmte Ersatzteile zu besorgen, die man William nicht postalisch zukommen lassen wollte oder konnte.

Heute schien William nach knapp einem Monat harter Arbeit kurz vor dem Ziel zu stehen. Als Gordon die Auffahrt hinauf fuhr, hörte er bereits das Grollen des V8 Bigblock mit seinen mehr als 400 PS.

»Hey, Billy, mein Junge!« Gordon betrat die Garage und sah, wie William noch ein paar Justierungen am Motor vornahm. »Er läuft ja wieder!«

»Hallo Gordon!« William schaltete den Motor aus, wischte sich die Hand grob an einen Tuch ab und reichte Gordon den kleinen Finger. »Pass auf, dass die dich nicht eindreckst!«

»Billy, wir müssen reden. Es gibt Neuigkeiten!«

»Habt Ihr Angelas Mörder erwischt?«

»Nein. Und ich denke, du weißt, dass dies noch sehr lange dauern könnte.«

»Lass uns bitte nach oben gehen, damit ich mir die Hände waschen kann.«

William schloss das Garagentor und ging anschließend die Treppe hinauf in sein Haus. Gordon war bereits vorgegangen und goss sich aus Williams Kühlschrank ein Glas Wasser ein. »Billy, ich habe einen Job für dich!«

»Einen Job?«, fragte Billy aus der Gästetoilette, während er sich die Hände wusch. »Ich habe bereits einen Job!« William kam gleich darauf wieder aus der Gästetoilette und trocknete sich gerade noch die Hände an einem alten Handtuch ab. »Du sagtest mir doch, ich solle Urlaub nehmen. Wozu brauche ich dann also einen neuen Job?«

»Billy, setz dich bitte und hör mir zu.« William und Gordon setzten sich wieder in ihre Sessel vor dem Kamin. »Machen wir uns nichts vor. Du wirst hier nicht mehr glücklich werden. Du selbst sagst doch immer wieder, dass dich hier alles an deine Frau erinnern würde. Denkst du etwa, das würde sich jemals ändern?«

»Um was für einen Job soll es denn bitte gehen?«

»Wenn man es genau nimmt, geht es sogar um eine Beförderung.«

»Eine Beförderung? Welchen Posten sollte ich denn dann bitte bekommen? Ich bin bereits Lieutenant und würde demnächst ohnehin vermutlich Captain werden. Doch scheint dies wohl nicht dem entsprechen, was dir als Lösung vorschwebt.«

»Nein, tut es wirklich nicht.«

»Und wie genau sähe mein neuer Job aus?«

»Man wird dir eine Stelle als Chief anbieten. Damit wärst du mir im Rang gleichgestellt.«

»Chief? Wo?«

»In Georgia.«

»In Georgia?«, fragte William ungläubig und wenig begeistert nach.

Gordon erklärte nun seinem Freund, was es mit diesem Posten im Norden Georgias auf sich hatte. Beiden war klar, dass William auf eine harte Probe gestellt werden würde. Die Erwartungen an ihn waren immens hoch. Der Ruf und das Ansehen der Polizei in der besagten Kleinstadt waren extrem angekratzt. Es musste alles von A bis Z neu organisiert werden. Idealerweise von einem erfahren Mann mit Durchsetzungsvermögen, der nicht aus der Gegend kam und folglich unvoreingenommen aktiv werden konnte.

»Wie heißt diese Stadt?«, fragte William schließlich.

»Fairview«, antwortete ihm Gordon bedächtig und lächelte in sich hinein. Er kannte William zu gut und wusste, dass er ihn am Haken hatte. »Der Bürgermeister von Fairview hat in Atlanta um einen Nachfolger für den Posten gebeten. Zwar gäbe es einen lokalen Bewerber, doch sei dieser aus Sicht der Stadtführung gänzlich ungeeignet für solch einen hohen Posten.«

»Fairview, sagst du?«

»Ja.« Gordon sah William erwartungsvoll an, doch dieser schwieg eine Weile. Es verstrichen mindestens zwei oder drei Minuten, in denen keiner ein Wort sprach. Der Commissioner konnte sehen, wie es hinter der Stirn seines Schützlings arbeitete. William wog gerade das Für und Wider gegeneinander ab. Und Gordon war sich sicher, dass William vernünftig genug sein würde, den Posten anzunehmen. Dieser versprach nicht nur höhere Bezüge und später eine deutlich bessere Pension, sondern es bot ihm auch die einzigartige Chance eines Neuanfangs in völlig neuer Umgebung.

»Okay, ich bin dabei.«, sagte William dann plötzlich in einem ruhigen Ton, der trotz allem ein wenig Resignation mit sich führte.

Gordon sprang auf vor Freude. William erhob sich ebenfalls, und die beiden Männer umarmten sich freundschaftlich. »Billy, mein Junge, das müssen wir feiern!«



North Arlington, New Jersey

Die nächsten Tage waren geprägt von Vorbereitungen für den großen Umzug. William hatte dermaßen viele Überstunden angehäuft, dass er noch bis Ende Februar freima­chen konnte, ohne Gehaltseinbußen befürchten zu müssen. Gordon ließ ihm schriftlich von der Stadt New York beschei­nigen, dass er noch bis einschließlich 28. Februar 2015 seine vollen Bezüge als Detective Lieutenant bekäme. Man bedaure seine Versetzung und wünsche ihm für die Zukunft in seinem neuen Amt alles Gute.

William plante, am Samstag, 14. Februar 2015 seine Reise nach Fairview anzutreten. Das gäbe ihm genügend Zeit, sich vor Ort einzurichten, damit er seinen Dienst als Chief offiziell zum 1. März 2015 antreten konnte. Seinen Mustang hatte er bereits am 2. Februar zum Lackieren bringen lassen und erwartete, ihn am Donnerstag wieder zurück zu bekommen. Der Motor und die Elektrik waren nun komplett über­holt, und William ging davon aus, dass der Wagen es bis nach Georgia schaffen würde. Zumal er am Freitag neue Bremsen eingebaut bekäme.

Beinah täglich telefonierte William mit seinem Schwager Luke in Massachusetts. Da William mit dem Mustang nach Fairview fahren wollte, brauchte er jemanden, der ihm sein gesamtes Hab und Gut nachschickte, sobald er ein neues Haus für sich gefunden hätte. Die Stadtverwaltung hatte zwar angekündigt, ihm ein städtisches Wohnhaus zur Verfü­gung zu stellen, doch hatte William seine eigenen Vorstellun­gen, wie sein Haus aussehen sollte. Außerdem würde er in den nächsten Wochen die Lebensversicherung seiner Frau ausbe­zahlt bekommen, die beide sicherheitshalber gegenseitig auf sich abgeschlossen hatten.

Gordon ging auch jetzt noch täglich bei William ein und aus. Zusammen packten sie erneut Kisten über Kisten und schafften sie auf den Speicher. Seine Waffen und einen Teil seiner Kleidung wollte William auf jeden Fall direkt mitnehmen. Alles weitere würde er zur Not vor Ort neu kaufen müs­sen. Doch dies erschien ihm allemal besser als einen U-Haul Wagen voller Möbel und sonstiger Besitztümer für Tage oder gar für Wochen in den Wintermonaten am Straßenrand stehen zu lassen.

Am Freitagabend wurde ihm sein Mustang aus der Werkstatt zurückgebracht. Die Lackierung sah super aus, und auch alles andere wurde gemäß seiner Order ausgeführt. Neue Reifen, neue Bremsen … Nun konnte er beginnen, den Wagen nach und nach voll zu packen. Ein Mustang war nun einmal ein Sportwagen und kein Van. Hier galt es daher umso mehr, den Platz optimal auszunutzen.

Die folgende Woche vom 9. bis 13. Februar verbrachte er mit Ausmisten. Was sollte sofort mit? Was sollte nachgeschickt werden? Und was sollte Luke am besten zum Müll oder zur Salvation Army geben?

Klar war für William, dass er die Kisten mit Angelas Habe auf jeden Fall später nachgeschickt haben wollte. Ihr Bild vom Kaminsims würde er definitiv direkt mitnehmen. Er hatte sich angewöhnt, abends vor dem Kamin zu sitzen, Pfeife zu rauchen und Angelas Foto zu erzählen, was er den Tag über so getrieben hatte. Anfänglich erschien es ihm albern, doch mehr und mehr erkannte er, dass ihm dies bei der Bewältigung seiner Trauer zu helfen schien. Nachts weinte er sich immer noch in den Schlaf, und das würde wohl auch noch eine ganze Weile so bleiben. Doch zumindest tagsüber hatte er sich nun im Griff und war sicher, dass der Umzug in eine neue Umgebung nur hilfreich sein konnte.



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