Читать книгу Der letzte Leopard - Lauren St John - Страница 6

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Martine legte das Buch nieder, das sie während der letzten hundert Kilometer zu lesen versucht hatte, und rappelte sich genervt in eine einigermaßen bequeme Sitzposition auf. Sie war verkrampft und müde, außerdem war ihr vom Autofahren leicht übel. Ihre Ohren schmerzten vom endlosen Brummen des Landrovers. Sie waren jetzt schon anderthalb Tage unterwegs, und bald würden sie in Rainbow Ridge ankommen und dort übernachten. Martine konnte es kaum erwarten. Autoreisen machten Spaß, solange man durch Felder mit bunter Blumenpracht oder malerische Städtchen fuhr, doch wenn nichts zu sehen war als ein endloses, sich in der Ferne verlierendes Asphaltband, waren Autofahrten das Langweiligste, was man sich vorstellen konnte.

«Ist es noch weit? Wie lange dauert es noch, bis wir ankommen?», hatte sie ihre Großmutter am ersten Tag immer wieder gefragt, bis diese damit drohte, bis nach Matopos nur noch laute Opernmusik zu spielen, wenn sie nochmals fragen würde.

Die erste Nacht hatten sie auf halbem Weg zwischen Kapstadt und Johannesburg auf einer Straußenfarm verbracht. Auf den meisten Farmen wurden Strauße wegen ihrer genoppten, ledrigen Haut, die sich zur Herstellung von Gürteln und Handtaschen eignet, und zur Fleischgewinnung gezüchtet. Diese Farm jedoch war ein Asyl für Strauße, die misshandelt oder von der Schlachtbank gerettet worden waren.

Martine und Ben hatten in der Abenddämmerung auf dem Bretterzaun des Straußenpferchs gesessen und die Tiere dabei beobachtet, wie sie in sonnendurchfluteten Staubwolken umherstolzierten und ihre runzligen Hälse wie Periskope auf- und abwärtsbewegten. Der Farmer hatte Martine erzählt, dass Strauße mitunter schlechter Laune sein konnten und mit ihren Saurierkrallen Hiebe austeilten, wenn ihnen etwas oder jemand nicht in den Kram passte. Sie wirkten äußerst selbstgefällig, als fühlten sie sich allen anderen Lebewesen auf der Farm überlegen. Auf jeden Fall schienen sie in keiner Weise dankbar zu sein, dass man sie gerettet hatte.

Martine spürte einen Druck in den Ohren. Mittlerweile fuhren sie steil bergauf. Lange waren die Berge nur als violette Konturen in der Ferne zu sehen gewesen. Jetzt befanden sie sich mitten im Gebirge. Bewaldete Flanken wurden von schroffen Gesteinsformationen und zerklüfteten Felswänden abgelöst. Sie hatten inzwischen eine solche Höhe erreicht, dass jetzt direkt unter ihnen ein messerscharfer Bergkamm zu sehen war, von dem gekräuselte Rauchschwaden aufstiegen.

Aus der Nähe betrachtet stellte sich der Rauch als Sprühnebel heraus, über den sich ein perfekter Regenbogen spannte.

«Rainbow Ridge!», rief Ben, der sich voller Aufregung aus dem Fenster lehnte. «Von hier aus sieht man es nicht, aber etwas weiter hinten befindet sich einer der höchsten Wasserfälle im südlichen Afrika. Dort gehen wir heute Nachmittag hin, Martine, um zu klettern.»

Auf dem Beifahrersitz des Landrovers durchfuhr Martine ein unfreiwilliger Schauer. Wenn sie nicht gerade mit Giraffen zu tun hatte, konnte sich Martine weder für tiefe Abgründe noch für große Anstrengungen begeistern.


Das kleine Feriendorf lag abseits von den Touristenströmen in einem abgeschiedenen Tal. Umso erstaunter waren sie, dass eine aufgeregte Menschentraube den Empfang belagerte. Ein Fotograf schoss Bilder, und Autogrammjäger drängelten sich um die besten Plätze. Als sich die Menschenmenge langsam auflöste, erhaschten Martine und Ben schließlich einen Blick von zwei bärtigen Männern in Klettermontur. Sie hatten die gesunde Ausstrahlung und den sonnengebräunten Teint von Menschen, die viel Zeit an der frischen Luft verbringen. Auf die scheue Frage nach dem Namen der Prominenten erfuhren sie, dass es sich um die berühmten kanadischen Bergsteiger Red West und Jeff Grant handelte, die gerade auf einer Tour durch Südafrika waren.

Schließlich wurden die Kletterer aus dem Empfangsraum geleitet, und die Fangruppe löste sich allmählich auf. Gwyn Thomas und die beiden Kinder checkten bei einer aufgeregten Rezeptionistin ein und erhielten den Schlüssel für ihre Blockhütte. Die Frau war von den beiden prominenten Hotelgästen immer noch hingerissen. «Solche Gentlemen», schwärmte sie, «und so gut aussehend!»

Gwyn Thomas hatte alle Mühe, die Aufmerksamkeit der jungen Dame zu gewinnen. Als es ihr schließlich doch gelang, hatte sie schlechte Nachrichten. Alle Bergführer waren ausgebucht, und die nächsten Gruppenführungen zur Rainbow Ridge fanden erst wieder am nächsten Tag statt.

«Aber es ist eine ganz einfache Wanderung, und die Wege sind gut ausgeschildert», sagte sie. «Solange man sich an die markierte Route hält, kann nichts passieren.»

«Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber ich hätte wirklich ein schlechtes Gefühl, die Kinder allein auf eine dreistündige Wanderung durch Wälder und Berge zu lassen, in denen nicht einmal ich mich auskenne», sagte Gwyn Thomas schnippisch. «Ich habe jetzt stundenlang am Steuer gesessen und habe keine Energie mehr, sie zu begleiten. Martine und Ben, es tut mir leid. Ich muss euch einmal mehr enttäuschen.»

Martine wollte gerade zu einem Protest – nicht für sich selbst, sondern für Ben – ansetzen, als die Rezeptionistin wieder ganz verträumte Augen bekam.

«Entschuldigen Sie, Ma’am.»

Als sie sich umdrehten, stand der größere der beiden Bergsteiger vor ihnen.

«Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Red», sagte er mit kanadischem Akzent. «Bitte entschuldigen Sie, dass ich mich hier einfach so einmische. Aber ich habe ihre Notlage mitbekommen und denke, mein Kletterpartner Jeff und ich könnten Ihnen vielleicht unsere Hilfe anbieten. Wenn unsere charmante Vicky für uns bürgt, dürfen vielleicht wir diese jungen Leute zur Rainbow Ridge begleiten. Unser Weg ins Gebirge führt ohnehin dort vorbei. Wir können sie zwar nicht zurückbegleiten, würden ihnen aber den Weg zeigen.»

Vicky wurde puterrot und brachte keinen zusammenhängenden Satz heraus. Stattdessen schaltete sich ein Journalist ein, der die Bergsteiger gerade eben interviewt hatte, und versicherte Gwyn Thomas, dass er für Red und Jeff jederzeit die Hand ins Feuer legen würde. Zusammen mit dem Direktor des Feriendorfs überzeugte er sie schließlich, dass Martine und Ben bei den beiden kanadischen Bergsteigern sicher aufgehoben sein würden.

Schon bald wanderten Martine und Ben mit zwei der weltbesten Bergsteiger durch einen Kiefernwald. Mit offenem Mund hörten sie Red und Jeff zu, die von ihren heroischen Expeditionen auf die höchsten Gipfel aller sieben Kontinente berichteten.

«Und welcher war der schwierigste?», fragte Ben.

«Der Denali in Alaska», antwortete Red, ohne zu zögern. «Bei einem minus 40 Grad kalten Sturmwind an einem Eisvorsprung zu baumeln, ist schon ziemlich abartig.»

Der Weg zur Rainbow Ridge war, wie die Rezeptionistin versprochen hatte, unproblematisch und gut ausgeschildert. Doch nachdem Martine eine Stunde lang versucht hatte, mit dem strammen Schritt der Bergsteiger mitzuhalten, begannen ihre Beinmuskeln vor Schmerzen aufzuheulen. Sie war froh, als sie an einen Picknickplatz gelangten und Jeff sagte, er habe gewaltigen Kohldampf.

«Und ich würde alles geben für eine Tasse Tee», pflichtete ihm Red bei. Martine wurde zwar das Gefühl nicht los, dass sie nur aus Rücksicht auf Ben und sie einen Halt einschalteten. Aber sie hatte natürlich nichts gegen eine Rast einzuwenden.

Während Jeff seinen Miniaturgasbrenner in Gang setzte, kramte Red einen Wasserkessel, Teebeutel und Sandwiches hervor. Martine saß auf einem Baumstrunk – dankbar für die Erholungspause und die schöne Aussicht. Ben übte sich in höflicher Geduld. Doch der Bergkamm war schon in Sichtweite, und es entging Martine nicht, dass er ihn wie gebannt anstarrte. Sein Eifer entlockte ihr ein Lächeln. Sobald Ben in der Natur draußen war, lebte er förmlich auf.

«Du kannst schon mal vorgehen», sagte sie. «Ich komm dann nach.»

«Wäre das okay?», fragte Ben Red und Jeff.

«Kein Problem», sagte Red. «Wir sind eh gleich da. Pass einfach auf.»

«Echt?» Ben sprang auf die Füße. «Super. Dann bis gleich», rief er aus und joggte den steilen Weg hoch.

Die Bergsteiger waren beeindruckt.

«Ist ganz schön fit, dein Freund», sagte Red. Er drehte den Gasbrenner aus und schenkte Tee ein. Jeff kaute ein Sandwich und wühlte in seinem Rucksack herum. Er wollte Martine ein Bild seiner Kinder zeigen.

Ben wurde immer kleiner, bis er schließlich ganz oben auf dem Grat stand, wo er sich inmitten wallender Dunstschwaden vom Regenbogen und dem dunstig-grauen Himmel abhob. Martine sah, wie er sich über den dampfenden Abgrund hinablehnte, als wolle er in dessen Innerstes hineinblicken.

Ben war der am wenigsten nervende Junge, den Martine kannte, doch jetzt ärgerte sie sich plötzlich über ihn. Was dachte er sich bloß dabei, sich einer solchen Gefahr auszusetzen? Seine Eltern würden einen Schlaganfall bekommen, wenn sie sehen könnten, wie er in schwindelnder Höhe über dem Wasserfall balancierte. Martines Herz pochte schwer in ihrer Brust.

«Zucker?», fragte Red.

«Was?», platzte es aus ihr heraus. In ihrer Angst hatte sie den Tee und die Bergsteiger ganz vergessen. «Oh, Entschuldigung. Zucker? Nein danke.»

Sie ergriff die Tasse, die er ihr reichte, nippte an ihrem Tee und blickte wieder zum Grat hinauf. Ben war weg. Sie schirmte die Augen mit der flachen Hand ab und ließ sie über den Horizont schweifen. Vielleicht war er ja für einen Augenblick in den Dunst- und Gischtschwaden verschwunden. Doch Ben war weg.

Martine warf die Tasse weg und sprang auf die Füße.

«Autsch!», rief Red, als sich der brühend heiße Tee über seine Hand ergoss. «Hey, was soll das?»

«Er ist abgestürzt», hörte sich Martine selbst in der Stimme einer Erwachsenen sagen. «Schnell ein Seil, er ist abgestürzt.»

Sofort stürmte sie den sich steil bergaufwärts windenden felsigen Pfad hoch, schneller als sie je in ihrem Leben gelaufen war, mit kurzen, schmerzvollen Atemstößen. Als sie am Grat oben ankam, war ihr sofort klar, was geschehen war. Ein Zacken eines überhängenden Vorsprungs fehlte – als habe ein Dinosaurier mit Zahnlücke in den Grat gebissen. Martine näherte sich dem Abgrund. Sofort stürzten eine Menge losgelöster Schiefersteine in die Tiefe.

«Ben!», rief sie, verzweifelt hoffend, dass es vielleicht doch eine harmlose Erklärung für sein Verschwinden gab. Red und Jeff kamen mit ihrer Kletterausrüstung rasch hinterher. Sie legte sich flach auf den Bauch. Wenn noch ein Stück vom Felssims in die Tiefe stürzte, dann wäre sie wenigstens mit einem Teil ihres Körpers auf festem Boden. Langsam kroch sie bis an den Rand des Grates. Das grollende Tosen des Wasserfalls trommelte gegen ihre Ohren, und ihr Gesicht wurde von der aufschäumenden Gischt pitschnass.

Mit größter Vorsicht wagte sie einen Blick über den Felsrand. Das hinabstürzende Wasser endete mindestens fünfzig Meter weiter unten in einem wild aufschäumenden Strudelbecken. Dieses war von einem Ring spitzer Felsdorne umgeben, die wie ein tödlicher Staketenzaun aus dem tosenden Nass ragten. Die Chance, dass Ben das Wasser oder die Felsspeere überlebt hatte, war gleich null.

«Ben!», rief Martine hysterisch. «B-E-E-E-E-N!»

«Martine!» Kaum hörbar drang Bens schwache Stimme durch das Tosen des Wasserfalls. Sie schien aus dem Boden unter ihrem Bauch zu kommen. «Hier … hier unten!»

Martine robbte vorsichtig vorwärts. Sie konnte sich nirgends festhalten. Die gähnende Leere unter ihr machte sie schwindlig und schien sie über die Kante nach unten zu ziehen.

«Hier!», rief Ben nochmals. Und jetzt sah sie ihn. Etwa zehn Meter weiter unten klammerte er sich an den kümmerlichen Stamm eines seitwärts aus dem Felsgestein herauswachsenden Bäumchens, das wie ein Bonsai aussah. Er schien unverletzt, aber er war triefend nass und kreidebleich. Einige mickrige Wurzeln des Baums waren von Bens Gewicht aus dem Fels gerissen worden, und der dünne Stamm dehnte sich gefährlich.

«Ben!», rief Martine. «Ben, halt dich fest. Hilfe ist unterwegs.»

Ben antwortete und rührte sich nicht – wahrscheinlich aus Angst, dass ein bloßes Wort oder die kleinste Bewegung die letzten schwachen Wurzelfäden des Bäumchens aus dem Fels reißen würden.

Gerade als Martine dabei war, sich langsam auf sicheren Boden zurückzuschlängeln, erreichten Red und Jeff den Grat.

«Wo ist er?», fragte Red ohne Umschweife. Als Martine auf den Abgrund deutete, riss er schockiert seine Augen auf.

Die beiden Bergsteiger schritten sogleich zur Tat. Mit der Fertigkeit von Profis, die wissen, wie man sich in lebensbedrohenden Situationen zu verhalten hat, konstruierte Jeff einen Art Flaschenzug, den er an zwei hervorspringenden Felsdornen befestigte, während Red mit dem anderen Seilende einen Klettergurt improvisierte und diesen zu Ben hinunterließ. Die ganze Zeit über erklärte er Ben in beruhigendem, fast spaßendem Ton, was er zu tun hatte.

«Ben, du musst dir jetzt vorstellen, dass du ein Spion bist. Du bist von Laserstrahlen umgeben, die einen Alarm auslösen, wenn du sie durchquerst. Du kannst aus deiner Notlage nur entkommen und deinen Gegenspieler nur unschädlich machen, wenn du es schaffst, diesen Tarnmantel über deinen Körper zu streifen. Fang mit dem Kopf an, ganz langsam – mit klitzekleinen Bewegungen. Super! Du machst das echt gut. Und jetzt lass das Seil über deinen Oberkörper gleiten, bis du mit den Armen in der Schlaufe hängst. Und jetzt ziehe die Schlaufe etwas fester zu …»

Ohne Warnung rissen sich weitere Wurzeln vom Fels los. Ben kippte vornüber und verlor beinahe das Gleichgewicht. Nun hing er, schwer atmend, über dem feuchten, glitschigen Baumstamm.

Reds Stimme verriet keine Aufregung. «Hoppla. Kein Problem. Wir holen dich da raus. So, und jetzt versuchst du, ganz vorsichtig aufzusitzen. Vergiss aber die Laserstrahlen nicht – nicht dass du einen Alarm auslöst. Gut. Und jetzt halt dich mit beiden Händen am Hauptseil fest und bewege dich so wenig wie möglich. Jeff, bist du bereit? Gut. Also – los geht’s.»

Im Moment, als Bens Füße vom grauen Baumstrunk abhoben, löste sich der ganze Baum aus seinem Felsbett. Es ertönte ein Krachen, das an das Brechen von Knochen erinnerte. Holzstücke, Steine und Moosfetzen stürzten in die dampfende Schlucht hinab. Alle vier sahen, wie der Baum in der Tiefe zersplitterte, und sagten kein Wort. Der Gedanke, dass Ben mit ihm abgestürzt und von den Wassermassen erschlagen, von einem Felsdorn aufgespießt oder vom Strudel verschluckt worden wäre, war so unerträglich, dass er keine Worte zuließ.

Red pfiff durch die Zähne, während er Ben mit Jeffs Hilfe über die Kante auf sicheren Boden hievte. «Das war knapp», sagte er, «aber du würdest bestimmt einen klasse Spion abgeben.»

Martine war so aufgewühlt, dass sie kaum wusste, wie sie auf Bens Rettung reagieren sollte. «Um ein Haar hätte es dich erwischt», sagte sie und drückte ihn an sich. «Du hättest da runterfallen können.»

«Bin ich aber nicht», sagte Ben, während er sich behutsam aus ihrer Umarmung befreite. Seine Stimme zitterte, doch ansonsten wirkte er erstaunlich ruhig. Abgesehen von ein paar Kratzern und blauen Flecken war er unverletzt. Er streckte den Bergsteigern die Hand entgegen. «Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich weiß nicht, was wir ohne Sie getan hätten. Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Scherereien gemacht und Sie aufgehalten habe.»

«Kein Problem», beruhigte ihn Red. «Gut, dass wir in der Gegend waren.»

Mit einem Blick auf Bens klitschnasse Kleider sagte Jeff: «Du musst so schnell wie möglich aus den nassen Klamotten raus. Wir begleiten euch bis zum Feriendorf zurück, um euch dort wieder heil abzuliefern. Der Berg kann warten.»

«Nicht nötig», antworteten Ben und Martine wie aus einem Mund.

«Trotzdem vielen Dank», schob Martine rasch nach, um nicht unhöflich zu wirken. «Meine Großmutter erwartet uns in einer der Blockhütten unten im Tal. Keine Sorge, wir gehen auf direktem Weg zu ihr. Sie wollte ein Feuer im Kamin machen und kocht Ben bestimmt einen Rooibostee oder eine Suppe. Dann wird ihm schnell wieder warm.»

Doch die Bergsteiger ließen nicht locker und begleiteten sie bis an den Rand des Feriendorfs zurück, wo sie sich von ihnen verabschiedeten. «Wir hätten euch schon zugetraut, auch ohne uns sicher zurückzukommen», sagte Jeff. «Aber Ben hatte ein traumatisches Erlebnis, und die Kombination von Schock und Kälte kann ebenso gefährlich sein wie ein Sturz.»

«Danke für den Tee und dass Sie Ben gerettet haben», sagte Martine, als sich die Bergsteiger wieder auf den Weg machten. «Tut mir leid, dass ich Ihre Hand verbrüht habe, Red.»

Zu ihr hinablächelnd sagte er: «Kein Thema. Ende gut, alles gut.» Martine konnte es kaum fassen, wie leicht Jeff und Red eine Beinahe-Katastrophe wegstecken konnten.

Erst als die Bergsteiger außer Sichtweite waren, wurde Martine und Ben richtig bewusst, was passiert war. Oder was hätte passieren können. Ben begann zu schlottern, und Martine, die sich Vorwürfe machte, weil sie an einer Tasse Tee genippt hatte, während sich Ben dem Abgrund genähert hatte, war voller Schuldgefühle.

«Es ist geschehen, weil wir uns getrennt haben», sagte sie schaudernd. «Ich hätte dich begleiten müssen. Grace hatte mich ja gewarnt. Sie hatte mir gesagt, dass sich Gefahr an unsere Fersen heften würde, sobald wir uns auf dieser Reise einmal trennen.»

«Ich weiß, dass Grace eine sehr weise Frau ist», sagte Ben, während er seine rote Fleecejacke abstreifte und die Arme rieb, um sich zu wärmen. «Aber ich bin einzig und allein schuld daran. Es war dumm von mir. Wenn du nicht gewesen wärst, würde ich jetzt in tausend Stücken und mausetot unten in der Schlucht liegen.»

Martine versuchte, das Bild aus ihrem Kopf zu verdrängen. «Red und Jeff haben dir das Leben gerettet», sagte sie zu Ben, während sie bergab ins Feriendorf gingen. «Ich hatte solche Angst, dass ich kaum ein Wort herausbringen konnte.»

«Nein, du hast mich gerettet», sagte Ben. «Sie hatten die Ausrüstung und das Know-how, aber wenn du nicht so superschnell reagiert hättest, wäre nichts mehr von mir zu retten übrig gewesen.»

Vor Martines Augen tauchte plötzlich Bens Bild auf, bevor er von der Bildfläche verschwunden war. «Warum bist du bloß so dicht an den Abgrund gegangen? Wolltest du dir etwas beweisen? Es war, als hättest du dich über die Felskante hinausgelehnt.»

Ben lachte verlegen. «Das klingt jetzt vielleicht verrückt … Es ist nur so … äh … ich glaubte, etwas dort unten zu sehen. Das ist alles. Ein Bild, eine Art Zeichnung. Auf einer Felswand, hinter einem Wasservorhang sozusagen. Ich konnte es nicht deutlich erkennen, aber es sah irgendwie aus wie eine gefleckte Wildkatze. Wie ein Leopard, ein Gepard, ein Jaguar oder so. Und als ich näher ran wollte, um es besser zu sehen, gab der Felsvorsprung nach. Aber vielleicht war das alles nur ein Hirngespinst.»

Martines Mund wurde staubtrocken. Sie suchte nach einer passenden Antwort, fand aber keine. «Wir müssen zusammenbleiben», war alles, was sie herausbrachte. «Bitte versprich mir, dass wir zusammenbleiben.»

Ben sah, dass sie es ernst meinte. «Okay, okay», sagte er, während er beruhigend eine Hand auf ihren Arm legte. «Ich versprech’s dir.»

Der letzte Leopard

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