Читать книгу Die Verschwörung - Lauro Martines - Страница 10
Prolog
ОглавлениеAn einem Sonntag im April 1478 unternahmen Verschwörer im Dom zu Florenz den Versuch, die beiden Oberhäupter der Familie Medici zu ermorden: Lorenzo il Magnifico, „den Prächtigen“, das inoffizielle Staatsoberhaupt, und seinen jüngeren Bruder Giuliano. Das als Pazzi-Verschwörung bekannt gewordene Komplott schlug jedoch fehl, und als Vergeltung folgte ein Blutbad.
Es ist die Geschichte von Menschen, die von dämonischen Kräften getrieben wurden: eines stolzen, brillanten jungen Politikers und Dichters, des „prächtigen“ Lorenzo de’ Medici, und eines Papstes, der keine Skrupel hatte, seinen leiblichen Neffen Kirchenschätze und einflussreiche Ämter zuzuschanzen. Eines Erzbischofs, der bereit war, für seine Karriere über Leichen zu gehen, und eines ebenso ruchlosen wie gerissenen Königs von Neapel. Es ist die Geschichte bezahlter Berufssoldaten und einer ungeheuer vermögenden florentinischen Familie, der Pazzi. Zugleich markiert das Attentat einen Wendepunkt in der Geschichte der Stadt Florenz: mit einer vitalen, ins 13. Jahrhundert zurückreichenden Demokratie vor 1478 und, nach 1478, eines beginnenden Prinzipats, um nicht zu sagen einer Tyrannis. Der Vorfall selbst, samt Blutvergießen und den unmittelbaren Folgen, war eine verzweifelte und vielschichtige Angelegenheit – grausam, verübt im Rahmen einer feierlichen Messe, folgenschwer und mit einer durchaus tragischen Note.
Bedürfte es noch einer Begründung für ein Buch über diese Verschwörung, wäre zudem die Tatsache zu nennen, dass die auslösenden Ereignisse im Dom binnen nur zwei Tagen von den Interessen der fünf italienischen Großstaaten (Karte Seite 8) eingeholt wurden, da die Medici enge politische Beziehungen zum Herzogtum Mailand und der dort regierenden Familie Sforza pflegten und Lorenzo die Sforza als Beschützer und Gönner ansah. Zudem unterhielt Florenz eine Allianz mit der Republik Venedig, die die Venezianer dazu verpflichtete, der florentinischen Republik im Falle einer Notlage militärischen Beistand zu leisten.
Überraschenderweise zeigte sich alsbald, dass auch die beiden Großmächte südlich von Florenz, der Kirchenstaat und das Königreich Neapel, tief in das Mordkomplott verstrickt waren. Papst Sixtus IV. und König Ferrante verfolgten eigene politische Absichten in Mittelitalien: Wenn verhindert werden konnte, dass in der im Niedergang begriffenen Republik Florenz die keimende Fürstenherrschaft der Medici erstarkte, würden ebendiese Ziele in greifbare Nähe rücken. Vor diesem Hintergrund hatten sich die beiden Fürsten der Hilfe zweier Nachbarn von Florenz versichert, der winzigen Republik Siena und des Herzogs von Urbino, eines bedeutenden, ja genialen Söldnerführers. Die fast zwangsläufige Konsequenz der Pazzi-Verschwörung war der so genannte Pazzi-Krieg, der sich mit bewaffneten Auseinandersetzungen, aufwiegelnden Worten und raffinierten Ränkespielen nahezu zwei Jahre hinzog.
Nun war der italienischen Renaissance politische Gewalt keineswegs fremd, und tatkräftig zum Ausdruck gebrachte Wut gegen die Machthabenden kann auch ein Hinweis auf die Vitalität oder die geistige Regsamkeit eines Volkes sein. Die Gestalt des heutigen Italien bildete sich im späten Mittelalter heraus (ca. 1050–1350), und zwar in einer lockeren Folge von Aufständen und Kriegen gegen deutsche Könige und Kaiser, gegen Päpste, Feudalherren und fremde Invasoren. Ende des 14. Jahrhunderts hatte der italienische Stiefel seine klassische Anordnung unabhängiger Staaten erhalten: Venedig, Mailand, Florenz, der Kirchenstaat und das Königreich Neapel, jeweils mit eigenen abhängigen Regionen und Städten. Unbedeutende oder kleinere Staaten wie Ferrara oder die Zwergrepubliken Lucca und Siena lebten in ständiger Furcht vor ihren größeren Nachbarn, während die bedeutende Hafenstadt Genua unter der Verwaltung Mailands stand. Es waren Umstände, die die Kunst der Diplomatie förderten und die Institution eines ständigen Botschafters nahe legten, wie er bald zu einem festen Bestandteil der zwischenstaatlichen Beziehungen werden sollte.
Trotzdem dauerte der Kampf um Ländereien, Truppen und Führerschaft an. Der Ruf zu den Waffen war an der Tagesordnung. Rücksichtslosigkeit, Verhandlungsgeschick und starke Nerven waren ebenso überlebenswichtig wie Diskretion und Vernunft, und Eheschließungen wurden zu einem gängigen Instrument der Politik. All dies trug in unterschiedlichem Maße zu den hier behandelten Ereignissen bei: der April-Verschwörung, dem darauf folgenden Pazzi-Krieg und Lorenzo de’ Medicis zunehmendem Despotismus in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts.
Hinsichtlich öffentlicher Einnahmen und der Stärke zur Verfügung stehender Söldnertruppen war Florenz der schwächste der großen Staaten der italienischen Halbinsel – trotz der vielen Bankiers der Stadt und trotz ihrer herausragenden Position als Finanzzentrum. Ein Krieg musste die Florentiner und ihre „bürgerliche“ Republik folglich besonders hart treffen. Was Elan und kulturelles Potenzial anbelangt, war die Stadt, wie hinlänglich bekannt, freilich alles andere als unterbelichtet.
Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang Machiavelli (geb. 1469), der in einem politischen Umfeld aufwuchs, dessen Spannungen Florenz in den Jahren 1494/95 zu einer radikalen Erneuerung seiner republikanischen Freiheiten führen sollten. Er war Zeuge der heftigen Auseinandersetzungen und schwer wiegenden Differenzen jenes unruhigen Jahrzehnts – Reaktionen auf die Vorherrschaft der Medici –, die auch der Sprache seiner politischen Schriften ihren Stempel aufdrückten. Gleichzeitig – und von alldem scheinbar unberührt – schufen Verrocchio, die Brüder Pollaiuolo und andere florentinische Künstler herrliche Werke für private Auftraggeber und Gotteshäuser. Zwei oder drei Jahre nach der April-Verschwörung malte Botticelli seine Primavera, ein faszinierendes Bild, das eine ganze Reihe von Anspielungen für eine kleine Elite von Connaisseurs enthält. Viele sakrale Gemälde dieser Epoche, Werke von Ghirlandaio und Botticelli beispielsweise, die Porträts von Zeitgenossen enthalten, dürften Auftragsarbeiten für Kunstmäzene gewesen sein. Ihre Darstellung innerer Ruhe und Vollkommenheit stand freilich in krassem Gegensatz zu den gewaltigen politischen Spannungen und dem fortwährenden Gerangel um Stellung und Gefälligkeiten. Unter den Dichtungen der Ära, auch Lorenzo de’ Medicis eigenen, findet man ebenfalls immer wieder Hymnen auf das Landleben, gerichtet gegen den Ehrgeiz, die Habgier und die Unmoral der Stadt.
Abb. 1 Ausschnitt aus Domenico Ghirlandaios Die Bestätigung der Regel des hl. Franziskus. Auf der Treppe ist Poliziano zu sehen, der zu dem schwarzhaarigen Lorenzo emporblickt.
Obwohl all diese Elemente in unsere Geschichte einfließen, kann ich auf keines davon ausführlicher eingehen. Von großer Relevanz ist allerdings, in welch hohem Maße Politik das gesamte Leben in Florenz durchdrang und nicht zuletzt die Kultur beeinflusste. So bestand eine ständige Wechselbeziehung mit dem wiedererwachten Interesse am klassischen Altertum (Stichwort „Renaissance“) und dem Studium antiker Werke (Stichwort „Humanismus“). Schriftsteller und Gelehrte, die einen Lehrstuhl an der Universität von Florenz beziehungsweise Pisa anstrebten, mussten politische Gönner hofieren und diese dazu bewegen, sich aktiv für ihre Interessen einzusetzen. Selbst die Berufung in Positionen, die hoch gebildeten Intellektuellen vorbehalten waren, erforderte die Intervention von Politikern. Humanisten, die Schriften aus dem Griechischen ins Lateinische oder vom Lateinischen in die Alltagssprache übertrugen, taten dies sehr häufig im Auftrag vermögender und einflussreicher Bürger. Sie widmeten nicht angeforderte Übersetzungen und eigene Arbeiten führenden Köpfen in der Regierung und sahen sich gleichzeitig stets nach Werken aus dem Altertum um, die bei wohlhabenden Kaufleuten, Bankherren, Politikern und anderen hoch gestellten Persönlichkeiten Gefallen finden würden. Und sie waren bestrebt, Teile des antiken Kulturguts auch dem Volk zugänglich zu machen und ausgewählten Stimmen des klassischen Altertums – Quintilian, Livius, Plato, Plutarch, Plinius und andere – zu weiter Verbreitung zu verhelfen.
Nach Cosimo de’ Medicis Rückkehr aus dem politischen Exil im Herbst des Jahres 1434 sollte, was ihnen gewidmete Übersetzungen und poetische Lobeshymnen anging, keine florentinische Familie jemals wieder an die Medici heranreichen. Werbend und schmeichelnd suchten Künstler ihre Gunst. Einmal an der Macht, lernte das Haus Huldigungen zu erwarten und schließlich zu fordern. Wer sich in einem solchen Umfeld als Literat verdingte, wie es Poliziano (Abb. 1), der Verfasser von Della congiura dei Pazzi, tat, war gleichermaßen zu Kreativität und Loyalität gezwungen. Und auch Schriftsteller und Gelehrte, die nicht direkt mit Politik zu tun hatten, standen doch praktisch ständig unter ihrem Einfluss.
In der Masse neuerer historischer Arbeiten über die florentinische Renaissance wird Politik oft heruntergespielt oder gar völlig ausgeklammert – so, als hafte ihr etwas Widerwärtiges und Schändliches an oder als wäre sie so grau und trübe, dass man möglichst wenig oder noch besser gar keine Worte darüber verliert. Niedrig und schmutzig mag sie in der Tat gewesen sein, doch niemals grau, und wenn wir sie einfach ignorieren, laufen wir Gefahr, wesentliche Kontexte aus den Augen zu verlieren, die zum Verständnis der Geschichte unentbehrlich sind. Klein und kompakt, dicht besiedelt, stets bedroht und deshalb von hohen Stadtmauern (Venedig von Wasser) umgeben, war jede einzelne dieser Städte Schauplatz politischer Aktivitäten. Das Leben jedes Bürgers wurde, und zwar tagtäglich, von Entscheidungen berührt, die in einem Regierungspalast gefällt wurden, der von den Wohnhäusern meist nicht weiter als einen Steinwurf entfernt lag. Zeichen der örtlichen Autorität waren allgegenwärtig – Trompete blasende Herolde, uniformierte Wachleute, Aufrufe und Bekanntmachungen, Glockenschläge, prunkvolle Empfangs- und Verabschiedungskomitees, dazu die livrierten Boten und die prächtig gewandeten Amtsinhaber selbst. Erhoben wurden nicht nur die gängige Vermögenssteuer sowie „Zwangsanleihen“, die zu Lasten der Bürger gingen, sondern auch Abgaben bei Vertragsabschlüssen und auf Nahrungsmittel. Kostspieligere Kleidungsstücke unterstanden einer gesetzlichen Regelung. Nachts herrschte allgemeine Ausgangssperre. Folter war üblich. Die Vollstreckung einer Todesstrafe wurde mit voller Absicht als öffentliches Schauspiel inszeniert. Und Regierungsagenten sorgten dafür, dass kaum etwas vor den Augen oder Ohren der Nachbarn verborgen blieb. Dazu die Lehren des spätmittelalterlichen Christentums – kurz: Das städtische Umfeld hatte maßgeblichen Einfluss auf die gesellschaftliche wie die individuelle Prägung und ganz sicher auch auf die Ausbildung von bildender Kunst und Gedankengut.
Da Sixtus IV. in den Hauptkapiteln eine tragende Rolle spielt, sollte der Leser wissen, dass der Papst damals nicht nur das Oberhaupt der abendländischen Christenheit und in theologischer Hinsicht Statthalter Christi auf Erden war, sondern auch oberster Herrscher eines weltlichen Staates, der sich quer über den italienischen Stiefel von Rom bis zur Adria erstreckte. In dieser Hinsicht unterschied er sich kaum von anderen Regenten Italiens und verfügte neben einem Stab von Regierungsbeamten, Richtern, Polizisten und Finanzbeamten auch über bewaffnete Truppen und ein diplomatisches Korps.
Zu der Bedeutsamkeit von Kardinälen, die in dieser Geschichte gleichfalls ihren Platz haben, genügt der Hinweis, dass sie gewöhnlich hohen bürgerlichen beziehungsweise Adels- oder Fürstenhäusern entstammten. Sie wählten den Papst und wurden ihrerseits vom Papst ernannt. War ein Kardinal nicht von Haus aus reich, oblag es dem Papst, dafür zu sorgen, dass er ein Einkommen erhielt, das ihm einen standesgemäßen Lebensstil ermöglichte – ein Gefolge von Dienstboten und ein weit reichendes Netz von Beziehungen. Jede Region, jede Stadt bemühte sich um das Wohlwollen eines oder mehrerer Kardinäle, um Einfluss in Rom zu gewinnen. Schließlich ging es um wichtige Vergünstigungen: von dem Recht, Priester und Klöster zu besteuern, bis hin zur Beeinflussung römischer Gerichtshöfe. Kardinäle waren die Magnaten der Kirche.
Wenn ich in diesem Buch von Prioren spreche, so bezieht sich dies immer auf den regierenden Magistrat von Florenz, die Signoria. Dieses Regierungsgremium bestand aus acht Prioren und einem Gonfaloniere di giustizia, dem offiziellen Staatsoberhaupt. Allerdings blieb jede Signoria immer nur zwei Monate im Amt, und die Stadt hatte folglich sechs Regierungswechsel im Jahr. Trotzdem erwies sich das System in der Regel als bemerkenswert stabil, was zum einen darauf beruhte, dass die erfahrensten Mitglieder der politischen Schicht fast täglich zusammentraten, und zum anderen mit der aktiven Beteiligung der Bürger zu tun hatte, die die Hoffnung, wenn nicht gar die Erwartung hegten, selbst vom häufigen turnusmäßigen Wechsel der höchsten Ämter zu profitieren.
Die weit reichenderen, langfristigen Folgen der Pazzi-Verschwörung bedürfen einer genaueren Erörterung, die ich für die letzten Seiten aufgespart habe.