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Porträt: Manetti
ОглавлениеPolitik ist Leben. Dieser Satz könnte als Lebensmotto sämtlicher ehrgeiziger Männer der florentinischen Oberschicht gelten, denn nur wer in Florenz ein höheres Amt bekleidete, wurde geehrt, gefürchtet und umworben. Es verlieh dem Inhaber ungleich größeres Gewicht, machte ihn, wenn man so will, erst zu einer wirklich bedeutenden Persönlichkeit. Lorenzo de’ Medicis jüngerer Zeitgenosse Guicciardini sagte einmal, ein Florentiner, der niemals Mitglied der Signoria war, sei eigentlich gar kein richtiger Mann. Er sprach dabei von den begüterten Bürgern der Stadt, und er meinte, dass jeder, der diese Ehre nicht erlangte, ein Versager sei, dem es nicht gelungen war, sein Soll zu erfüllen.1
Während seiner zweimonatigen Amtszeit in der Signoria verließ ein Prior den Regierungspalast nur selten – wenn überhaupt. Er schlief dort, nahm sämtliche Mahlzeiten dort ein, und ein eigener Diener kümmerte sich um seine persönlichen Belange. Zusammen mit den sieben anderen Prioren verfügte er über eine gewaltige Machtfülle. Selbst wenn diese Erfahrung nicht ausreichte, ihn zu verändern, so änderte sie zumindest sein Ansehen. Schließlich kannte er danach alle maßgeblichen Personen des öffentlichen Lebens, er hatte Einblick gewonnen in das Innenleben der Stadt und die größeren politischen Rahmenbedingungen – Kenntnisse, die er von nun an mit einem erlesenen Personenkreis teilte. Und falls er im Laufe seines Lebens zwei- oder dreimal in der Signoria saß, wie es bei ausgewählten Mitgliedern führender Familien die Regel war, dann gehörte er den allerhöchsten Kreisen an.
Politik war praktisch Bestimmung, ebenso wie die charakteristischen Kleidungsstücke, die den Platz ihres Trägers in der sozialen Rangordnung auswiesen: Notar, Künstler, Gelehrter, Ritter, Arbeiter, Arzt, Kaufmann, Witwe, Jungfer, auffällig geschminkte Prostituierte oder gebrandmarkter Sträfling. Für männliche Mitglieder der ersten Familien wurde es als selbstverständlich erachtet, dass sie ein öffentliches Amt anstrebten und alles Erdenkliche unternahmen, dieses auch zu bekommen. Gelang es einem Mann mit entsprechender Abstammung nicht, in die richtigen Ämter gewählt zu werden, obwohl er sich darum bewarb und auch die nötigen Verdienste aufzuweisen hatte, pflegte er sich bitter über die Hindernisse, die Opposition, „den Feind“ oder die finsteren Machenschaften von fortuna, dem Schicksal, zu beklagen.
Oligarchische Strukturen und Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Parteien waren seit bald drei Jahrhunderten fester Bestandteil der florentinischen Politik. Dann und wann fielen, wie wir gesehen haben, Familien oder gar ganze Geschlechter in Ungnade oder wurden verbannt, während ein Haus oder eine Reihe von Häusern die Oberhand gewann. Nach 1434 aber und unter dem ständig wachsenden Einfluss der Medici mit Cosimo an der Spitze sah sich die große Mehrheit der führenden Familien mit deutlichen Veränderungen hinsichtlich der Verteilung der Macht konfrontiert. Die Medici waren schlichtweg zu reich, und zu viel verdeckte Macht war in Cosimos Hände gelangt. Zudem waren sie begnadete politische Kämpfernaturen – perfekt organisiert, findig, durchsetzungskräftig – und mit der Begabung ausgestattet, Klienten und Anhänger entweder zu kaufen oder anderweitig für sich gewinnen zu können. Mithilfe eines Netzwerks dieser Verbündeten gelang es ihnen schließlich, die verschiedenen Ratsgremien nach ihren Interessen zu dirigieren.
Wie diese Einflussnahme funktionierte, lässt sich am besten anhand einiger Porträts veranschaulichen: drei Männer mit unterschiedlichen Ansichten, drei Kontrastfiguren zu Lorenzo de’ Medici und der Familie Pazzi. Sie führen uns in die undurchschaubare Sphäre persönlicher Sympathien und Antipathien. Das erste Porträt, das des Giannozzo Manetti, soll die Hintergründe und Spannungen beleuchten, vor denen die April-Verschwörung Gestalt annahm. Die beiden anderen Porträts, Kapitel fünf und zwölf, tauchen noch tiefer in diese zwielichtige Zone ein.