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Aufsteiger Heiratspolitik
ОглавлениеUm seinen Einfluss in Florenz möglichst weit auszudehnen, betätigte sich Lorenzo de’ Medici als aktivster Heiratsvermittler der Stadt: Er wurde sozusagen der Pate aller Eheschließungen der Oberschicht. Solche Verbindungen zwischen den Familien waren in jener Zeit ausschließlich politisch motiviert. Männer, die im öffentlichen Leben bereits hohen Status genossen, strebten gewöhnlich nach noch mehr Ämtern und Ehren, was in Lorenzos Fall dazu führte, dass die Politik ab 1469 weit mehr von seiner Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nahm als die schönen Künste oder seine literarischen Neigungen.
Doch betrachten wir genauer, was es mit dem Heiratsgeschäft auf sich hatte.
Am Anfang stand gewöhnlich die Beurteilung der Mädchen. Diese Aufgabe oblag – insbesondere in der besitzenden Klasse – normalerweise den Eltern und Verwandten der heiratsfähigen Männer. Im Gegenzug behielten Eltern, die sich eine „achtbare“ Mitgift für ihre Töchter leisten konnten, die Schritte und Nachforschungen interessierter Parteien im Auge, die nach einer guten Partie für einen Sohn oder Neffen Ausschau hielten. Körperbau, Figur, Gesicht, Haut, Haar, Bewegungen, Haltung, Kleidung und allgemeines Erscheinungsbild eines Mädchens wurden genauestens unter die Lupe genommen. Schließlich sollte es Kinder gebären und war damit ein essenzielles Bindeglied bei der Weitergabe des Familienerbes von einer Generation zur nächsten.1
Wurde ein Mädchen einer solch gründlichen Musterung unterzogen, hatte es die erste Hürde freilich schon genommen. Denn diejenigen, die es so genau prüften, hatten bereits entschieden, dass seine Familie akzeptabel war, ja für den potenziellen Bräutigam womöglich sogar einen Aufstieg auf der sozialen Leiter bedeutete. Erwies sich das Mädchen nun auch in körperlicher Hinsicht als zufrieden stellend, blieb noch die entscheidende Frage der Mitgift. Die beiden Familien mussten darüber zu einer Übereinkunft gelangen: der Vater oder Vormund der Braut hinsichtlich der Vermögensmenge, die ausbezahlt wurde, um sie angemessen unter die Haube zu bringen, und Vater oder Vormund des Bräutigams hinsichtlich der Summe, die man als achtbar, angemessen oder gar Gewinn bringend erachtete. Wenn alter Adel einer Tochter die Ehe mit einem gesellschaftlich niedriger stehenden Mann erlaubte, bezahlte man weniger für sie: Gesellschaftliche Stellung ließ sich insofern in bares Geld ummünzen. Die Tatsache, dass das Verhandlungsstadium bei der Frage der Mitgift angelangt war, hieß im Übrigen, dass die Familie der zukünftigen Braut mit dem Namen und den Verbindungen des betreffenden jungen Mannes einverstanden war.
Männer wurden indes keiner vergleichbaren körperlichen Prüfung unterzogen. Sie wurden weder in der Kirche noch bei einer der seltenen privaten Zusammenkünfte mit scharfem Blick beurteilt und als geeignet eingestuft oder indiskutabel verworfen. Sollte Derartiges doch vorgekommen sein, was durchaus der Fall gewesen sein mag, ist uns zumindest nichts davon überliefert. Die passive Rolle der Taxierten war immer die der Frau, und ihre Vormunde waren sich darüber im Klaren.
1467 übernahm Lorenzo de’ Medicis Mutter, Lucrezia Tornabuoni, die Aufgabe, eine mögliche Schwiegertochter zu begutachten. Dies war bei reichen Bürgerfamilien damals so Sitte, doch unterschied sich ihre Mission insofern, als die Familie für Lorenzo erstmals außerhalb von Florenz auf Brautschau ging. In der Hoffnung auf eine Verbindung mit dem höchsten römischen Adelsgeschlecht, den Orsini, war sie bis nach Rom gereist. Die Orsini stellten mächtige Fürsten, hochrangige Offiziere und Geistliche und besaßen beste Beziehungen zu Militär und Papsttum. Obendrein verfügten sie, anders als ihre stärksten Rivalen, die Colonna, zu dieser Zeit über einen Kardinal. Der Wunsch der Medici nach einem starken Band zu Rom und zur Kurie ging auf Lorenzos Großvater Cosimo (gest. 1464) zurück, der schon Ende der 1450er Jahre erkannt hatte, dass die Position des Hauses Medici in Florenz nach einer äußeren Stütze in der Welt der hohen Militärs und Geistlichkeit verlangte. Dass Lorenzo 1467 erst achtzehn Jahre alt und sein Vater Piero schwer krank, ja zeitweise völlig ans Bett gefesselt war, bezeugt die Dringlichkeit des Unterfangens. Es war nämlich ausgesprochen ungewöhnlich für florentinische Männer, so früh zu heiraten. In Lorenzos gesellschaftlichen Rängen lag der Durchschnitt eher bei etwa fünfundzwanzig Jahren.2
Als Lucrezia 1467 nach Rom fuhr, um die potenzielle Braut in Augenschein zu nehmen, bezog sie bei ihrem Bruder Giovanni Logis, dem Leiter der römischen Niederlassung der Medici-Bank. Am 28. März diktierte sie, die häufig religiöse Verse verfasste, selbst aber nur höchst ungern zur Feder griff, einen Brief an ihren kranken Gatten in Florenz. Ihr Bruder schrieb für sie Folgendes nieder:
Donnerstag vormittag, auf dem Weg zu Sankt Peter, begegnete ich … der Schwester des Kardinals, Maddalena Orsini, und ihrer Tochter, die etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre zählen dürfte. Sie [das Mädchen] war nach Art der Römerinnen gekleidet, in ein weites Tuch gehüllt, und sie schien mir recht wohlgestalt in diesem Gewand, schön und hochgewachsen. Aber weil sie so sehr verhüllt war, konnte ich nicht so viel von ihr erkennen, wie ich es mir gewünscht hätte. Gestern indes machte ich bereits erwähntem Monsignore Orsini [dem Kardinal] meine Aufwartung … und nachdem ich in Eurem Namen die erforderliche Erklärung abgegeben hatte, trat zufällig seine Schwester mit dem Mädchen ein, die dieses Mal ein eng anliegendes Kleid ohne das verhüllende Tuch trug. Wir plauderten ein Weilchen, und ich hatte Gelegenheit, das Mädchen genau zu betrachten. Sie ist, wie ich bereits erwähnte, von ansprechendem Wuchs und Aussehen, und sie hat angenehme Manieren, wenngleich natürlich nicht so gute wie unsere [Töchter]. Doch wirkt sie überaus sittsam und bescheiden und dürfte sich rasch anleiten lassen. Sie ist nicht blond, weil man dies in dieser Region nicht findet. Ihr Haar zeigt einen rötlichen Schimmer und ist füllig. Das Gesicht selbst wirkt mir etwas rundlich, was aber nicht stört. Ihr Hals ist ansprechend schlank, wenngleich er mir ein bisschen dünn vorkommt oder, genauer gesagt, zart. Ihre Brust konnten wir nicht sehen, weil es hier üblich ist, sich sehr hochgeschlossen zu kleiden, aber was ich erkennen konnte, wirkt viel versprechend. Sie geht nicht mit stolz hoch erhobenem Haupt, wie die unseren, sondern etwas nach vorn gebeugt, was, wie ich glaube, von Schüchternheit herrührt. Sie ist wirklich ausgesprochen schüchtern. Ihre Hände sind lang und schlank. Alles in allem befinden wir das Mädchen als deutlich über dem Durchschnitt, wenngleich natürlich nicht mit Maria, Lucrezia und Bianca [ihren eigenen Töchtern] vergleichbar. Lorenzo hat sie schon gesehen, und wenn er nichts einzuwenden hat, könnt Ihr mir Bescheid geben. Ich bin sicher, was immer Ihr und er entscheidet, wird das Rechte sein, und ich werde mich Eurer Meinung anschließen. Es liegt in Gottes Hand. Das Mädchen ist die Tochter Jacopo Orsinis, des Herrn von Monte Ritondo, und ihre Mutter ist die Schwester des Kardinals. Sie hat zwei Brüder, einen in der Armee und im Dienste des hochgeschätzten Herrn Orso, der andere Priester und Subdiakon des Papstes. Sie besitzen die Hälfte von Monte Ritondo. Die andere Hälfte gehört ihrem Onkel, der zwei Söhne und drei Töchter hat. Zusätzlich zur Hälfte von Monte Ritondo haben sie drei weitere Burgen, die ihren Brüdern gehören, und ich habe Grund zu der Annahme, dass sie alle in sehr guten Verhältnissen leben und täglich reicher werden, zumal sie nicht nur mütterlicherseits Neffen des Kardinals, des Erzbischofs Napoleone und des Ritters sind, sondern auch väterlicherseits Vettern, denn dieser [der Vater des Mädchens] ist ein Cousin zweiten Grades der genannten Herren, die ihnen allen sehr zugetan sind [das heißt, sie werden viel für das Mädchen und ihre Brüder tun].
In einem zweiten Brief fügte Lucrezia am selben Tag hinzu:
Wie ich Euch in dem Brief von Giovannis Hand mitteilte, konnten wir das Mädchen aus der Nähe betrachten. Es ging ohne großes Aufhebens, und wenn aus der Sache [einer eventuellen Heirat] nichts wird, habt Ihr Euch nichts vergeben, weil darüber kein Wort gefallen ist. Das Mädchen hat zwei große Vorzüge: Sie ist hochgewachsen und hellhäutig. Und auch wenn sie nicht schön ist, hat sie doch auch nicht die Züge einer Bäuerin, und sie verfügt über ein angenehmes Wesen. Findet heraus, ob Lorenzo zusagt, was er gesehen hat. Denn so viele andere Dinge sprechen für sie, dass wenn er zufrieden gestellt ist, wir es ebenfalls sein können. [Zuletzt, als sei es ihr erst nachträglich noch eingefallen:] Sie heißt Crarice [Clarice].
Mag Lucrezia sonst auch vorwiegend geistliche Verse gedichtet haben, diese Briefe zeugen von einer Frau mit viel gesundem Menschenverstand. Andererseits gingen religiöse und weltliche Gesinnung im Quattrocento häufig Hand in Hand. Obwohl sie an sich zu dem Mädchen tendierte, blieb Lucrezia zunächst distanziert. Als sie eine Woche später erfuhr, dass ihr Ehemann Piero ihr vorwarf, sich zu kühl über Clarice geäußert zu haben, verteidigte sie ihre unparteiische Haltung. Sobald feststand, dass Piero und Lorenzo mit dem Orsini-Mädchen einverstanden waren, zeigte auch Lucrezia offen ihre Freude und erklärte ohne Umschweife: „Ich glaube nicht, dass es derzeit in Rom [unter den Adelsfamilien] ein hübscheres Mädchen auf dem Heiratsmarkt gibt.“
Um die volle Bedeutung von Lucrezias Briefen ermessen zu können, müssen wir sie in Zusammenhang mit den Gesprächen sehen, die bereits im Familienkreis stattgefunden und jeden Aspekt der Beziehungen erörtert hatten, die die Familie Orsini nicht nur in Rom besaß. Deshalb war sie auch so bemüht, bestimmte Verwandtschaftsbande ausfindig zu machen. Die Familie Orsini besaß ein weit verzweigtes Netz von Anhängern und Freunden auf der gesamten Halbinsel.
Die geplante Hochzeit mit einer Nichtflorentinerin bedeutete für Lorenzo und sein Haus einen gewagten Schritt, barg sie doch das Risiko, eine Schranke zwischen sich und allen anderen florentinischen Familien zu errichten. Trotzdem entsprach Lucrezias Beurteilung von Clarice Orsini ganz dem in Florenz üblichen Brauch, Mädchen vor der Heirat abzuschätzen. In diesem Punkt unterschied sie sich in keiner Weise von hundert anderen Patrizierfrauen der Arnostadt. Bezeichnenderweise erwähnte sie nirgends das Wort Mitgift, ein Thema, dem man in Florenz gemeinhin überragende Bedeutung beimaß. Ganz offenbar waren die Medici nicht auf Bargeld, Schmuck oder Landbesitz aus, als sie sich in den Reihen des römischen Hochadels nach einer Braut umsahen. Clarice würde ein gewisses Vermögen mit nach Florenz bringen, dazu ihr blaues Blut und die Verbindungen nach Rom. Das würde genügen. Tatsächlich belief sich ihre Mitgift schließlich sogar auf die gigantische Summe von 6000 Fiorini.3
Auch eine etwas ältere Zeitgenossin und Bekannte von Lucrezia, Alessandra Macinghi Strozzi (1408–71), wusste Mädchen und ihre Mitgift mit kühler Objektivität zu beurteilen. Allerdings spionierte sie, Tochter, Gemahlin und Mutter geschäftstüchtiger Bankherren und Kaufleute, immer in erster Linie Mitgiften aus und zählte Fiorini, als spielten Politik und Orte nur eine sekundäre Rolle. Was jedoch die Politik des sozialen Aufstiegs anging, hatte ihr eigener Vater, Filippo Macinghi, beachtliches Talent bewiesen. Zuerst heiratete er eine Tochter einer der mächtigsten Politiker- und Bankiersfamilien, der Alberti. Nach deren frühem Tod ehelichte er eine Frau aus dem Geschlecht der Ricasoli, alter florentinischer Aristokratie. Schließlich hatte seine Tochter Alessandra, ausgestattet mit der überraschend beachtlichen Mitgift von 1600 Fiorini, in den Strozzi-Klan eingeheiratet, eine der führenden Familien. Alessandra selbst, die das Vermögen für ihre im Exil befindlichen Söhne zusammenhalten wollte, gab ihren eigenen Töchtern weit geringere Mitgiften und verheiratete sie zwar ehrenhaft, aber doch immer unter ihrem eigenen sozialen Rang.4
Als Alessandra sich in den 1460er Jahren nach passenden Kandidatinnen für ihre Söhne umsah, die ihnen (und auch ihr) gefielen, musste sie die Hürde bewältigen, dass diese im Exil in Neapel lebten – verbannt, weil ihr Vater Matteo sich bei der Palastrevolution der Jahre 1433/34 den Gegnern Cosimo de’ Medicis angeschlossen hatte. Noch dreißig Jahre später war keine der führenden florentinischen Familien bereit, eine Tochter an Matteo Strozzis Söhne zu verheiraten, weil sich das Stigma politischer Schande weitervererbte. Sobald die Jungen volljährig wurden, hatte man auch sie ins Exil geschickt, wenngleich ein späterer Notfall Lorenzo de’ Medicis Vater zwang, den Bann gegen die Strozzi aufzuheben.
Am 20. April 1465 jedenfalls schrieb Alessandra an ihren ältesten Sohn Filippo:5
Was die Frage einer Ehefrau angeht, so dünkt mir … dass wenn Francesco Tanagli uns seine Tochter überließe, dies unbedingt als ausgezeichnete Verbindung gelten würde, und von allen Aussichten, die zu meiner Aufmerksamkeit gelangten, ist dies diejenige, für die am meisten spricht. Mir gefiel der Gedanke mit dem Mädchen der [Grafen] Vernia, aber sie [ihre Familie] wirken ein wenig unbeholfen und bäuerisch … Francesco genießt einen guten Ruf. Er verfügt über eine politische Stellung, wenngleich nicht die höchste, und steht im Kreislauf [öffentlicher] Ämter. Warum er ihr erlauben würde, nach auswärts zu heiraten? Der erste Grund ist, dass es hier sehr wenige junge Männer aus guter Familie gibt, die noch dazu reich und geschäftstüchtig sind. Der zweite Grund ist die niedrige Mitgift des Mädchens – gerade einmal 1000 Fiorini, glaube ich, ein Betrag, der eher einem Handwerker entspricht. Das Manfredi-Mädchen bekommt 2000 dafür, dass sie in das Haus Pitti einheiratet, und sie ist fünfzehn, während das andere Mädchen [Francescos Tochter] siebzehn Jahre zählt. So also liegen die Dinge. Der dritte Grund, warum er sie [an einen Exilanten] weggeben würde, ist, dass er eine große Familie hat und den jungen Leuten einen guten Start verschaffen will. Nach meinem Dafürhalten ist das der Hauptgrund.
Vier Monate später sprach Alessandra in einem Brief vom 17. August noch einmal das Tanagli-Mädchen an, deren Vorname niemals genannt wird. Familie, Beziehungen und Mitgift rangierten an erster Stelle, es folgten körperliche Merkmale und Charakter. Welche Rolle spielte da schon der Name?
Über die Della-Luna-Hochzeit habe ich gehört, dass die Mitgift 3000 [Fiorini] beträgt sowie 1500 in Schmuck, Kleidung und Wäsche (donora). Wenn das stimmt, dann ist er [der Della-Luna-Mann] von dem, was es ursprünglich geheißen hat, auf der Mitgift-Leiter ein ganzes Stück weit abgestiegen. Warum musste er auch in eine Klerikerfamilie einheiraten? Es geht das Gerücht, dass es ihnen [geschäftlich] gut geht, vielleicht schaffen sie es also, das Blatt zu wenden. …
Ich muss noch erzählen, dass ich, als ich Sonntag früh zur ersten Morgenmesse in Santa Liperata [den Dom] ging, wie ich es jüngst verschiedentlich an Feiertagen getan habe, um das Adimari-Mädchen zu sehen, das gewöhnlich diesen Gottesdienst besucht, dort dem Tanagli-Mädchen begegnet bin! Ohne zu wissen, wer sie ist, stellte ich mich direkt neben sie und schenkte ihr meine ganze Aufmerksamkeit, denn sie schien mir von liebreizendem Wesen und gut gewachsen dazu. Sie ist so groß wie Caterina [Alessandras Tochter], womöglich sogar größer. Sie hat gute Haut, nicht so blond wie Ihr, aber sie sieht kräftig aus. Sie hat ein längliches Gesicht und keine besonders zarten Züge, aber sie sind auch keineswegs grob. Nach ihrem Gang und ihrem Blick zu urteilen, scheint sie mir zudem alles andere als dumm. In der Tat, ich denke, wenn uns auch das andere zusagt, wäre sie kein schlechter Handel (non è da sconciare mercato), und sie würde eine achtbare Partie abgeben. Ich folgte ihr aus der Kirche, bis ich merkte, dass sie das Tanagli-Mädchen war, deshalb weiß ich jetzt ein bisschen mehr über sie. Das Adimari-Mädchen zu treffen ist mir nie geglückt. Das dünkt mir bemerkenswert, weil ich so oft zu den Plätzen gehe, die man mir genannt hat, aber sie scheint nie das Haus zu verlassen.
Alessandra erkundigte sich noch bei anderen gut informierten Leuten nach dem Tanagli-Mädchen, und alle stimmten darin überein – so schreibt sie in einem Brief zwei Wochen später –, dass „wer auch immer sie bekommt, gewiss zufrieden sein darf, da sie sich mit Sicherheit hervorragend entwickeln wird. … Ich hatte [vor zwei Wochen] kaum Gelegenheit, ihr Gesicht anzusehen, aber ich glaube, sie spürte, dass ich sie beobachtete, und von dem Augenblick an sah sie nie mehr zu mir her und verschwand [nach der Messe] flugs wie der Wind.“
Letztlich zauderte Alessandras Sohn Filippo Strozzi zu lange, und Francesco Tanagli nutzte diese Verzögerung, um sich taktvoll aus den Verhandlungen zurückzuziehen, da ihm ein Anhänger der Medici in der Zwischenzeit dringend davon abgeraten hatte, eine Verbindung mit einer Exilanten-Familie einzugehen. Stattdessen heiratete Filippo 1467, ein Jahr nach seiner Rückkehr aus der Verbannung, dann doch das Adimari-Mädchen, Fiammetta. Sie entstammte einem der ältesten Geschlechter der Stadt, das, ebenso wie die Ricasoli, die Pazzi und die Buondelmonti seine Wurzeln bis auf den Feudaladel zurückverfolgen konnte. Trotzdem: Die Argumentation im Fall Tanagli verrät viel über die Heiratspolitik in der florentinischen Oberschicht. Noch genauer lässt sich das Ganze in den Briefen von Alessandras Schwiegersohn verfolgen, des ehrgeizigen und gebildeten Marco Parenti. Er setzte sich mit ungewöhnlichem Engagement und Beharrlichkeit für sie und ihre Söhne ein, sowohl bei den Eheverhandlungen als auch dadurch, dass er jahrelang den Medici-Kreis zu überzeugen suchte, den politischen Bann gegen die Strozzi aufzuheben.
Ein längerer Auszug aus einem Brief, den er am 27. Juli 1465 an seinen Schwager Filippo nach Neapel schickte, mag als Beispiel dienen. Hier Parentis Worte:6
Nach reiflicher Überlegung stimme ich nun [deiner Mutter] zu und rate dir, den Entschluss zur Heirat zu fassen. Wir haben ganz Florenz inspiziert und zwei Szenarien aufgestellt: Einmal angenommen, du wärst hier [und nicht im Exil in Neapel], und einmal so, wie die Dinge tatsächlich liegen. Wärst du hier, und wir hätten [gesellschaftlich wie politisch] Zugang zu den höchsten Kreisen, gäbe es vier Möglichkeiten, zwei davon in der Familie Pitti beziehungsweise der Familie Pandolfini … Die beiden anderen wären [in den Familien von] G. Canigiani und Messer Piero de’ Pazzi, doch diese [Mädchen] sind recht durchschnittlich. Es gibt noch weitere gute Familien, aber auch die haben nur gewöhnliche oder sogar derbe (rustice) Züge und durchschnittliche Mitgift. … Was mögliche Ehefrauen angeht, ist das Angebot zur Zeit dürftig, deshalb musst du Geduld haben. Da es nun aber sein muss, werden wir versuchen, das Beste daraus zu machen.
Im zweiten Fall gehen wir von der tatsächlichen Lage aus [Filippo Strozzi im Exil in Neapel]. Schauen wir uns die Art [Mädchen] an, die nicht in Frage kommt, und die Art, die dann noch bleibt. Erstens müssen wir alle oben Erwähnten vergessen [ganz offensichtlich können wir sie nicht haben]. Zweitens scheiden alle großen Mitgiften von Leuten aus, die gewöhnlichen oder niederen Standes sind (gran dote rustiche e ignobile). Das heißt, uns blieben vornehme und schöne Mädchen mit geringer Mitgift, wenn es denn solche gäbe. Da das leider nicht der Fall ist, müssen wir uns unter denen umsehen, die möglichst wenig nach Bauern aussehen, auch wenn sie nicht schön sind, und selbst davon gibt es nur so wenige, dass du überrascht sein würdest. In der Familie Rucellai gibt es ein Mädchen, das uns nicht sonderlich anspricht, und mit uns meine ich deine Mutter und Schwestern und andere Verwandtschaft. Domenico Borghini hat eine [Tochter], die uns noch weniger gefällt. Möglicherweise gibt es weiter unten [auf der sozialen Leiter] noch andere, die wir nicht kennen, aber diejenigen, die wir kennen, sind schlichtweg indiskutabel, deshalb zähle ich sie gar nicht mit. Ansprechend erscheinen uns zwei Töchter des kürzlich verstorbenen Donato … Adimali [Adimari] und einer Mutter aus der [vornehmen] Familie Vernia, die jetzt in Bologna verheiratet ist. Man sagte uns, beide hätten je 1500 Fiorini Mitgift und sie haben keine Brüder, also nehmen wir an, dass sie nicht versuchen werden, diesen Betrag zu kürzen. … Dann bleibt noch eine Tochter von Francesco … Tanagli. Er will nicht zu viel ausgeben, und ich bin mir sicher, dass wir das Mädchen bekommen können, aber wir fürchten, dass die [geringe] Mitgift das Ganze verderben könnte. Du hast mein Wort, dass wir alle erdenkliche Mühe aufwenden, um deinen Ansprüchen gerecht zu werden, aber wenn wir diese beiden [Möglichkeiten] verstreichen lassen, beim besten Willen nicht wüssten, wohin wir uns sonst noch wenden sollten. Trotzdem haben wir Sorge, dass die große Mitgift der einen unsere Chancen mindert [da dadurch auch andere angelockt werden], und wir wissen noch nicht einmal, ob du ihnen [den Vormunden der Adimari-Schwestern] überhaupt akzeptabel erscheinst. Und wir befürchten, dass die geringe Mitgift der anderen uns diesen Weg blockiert, obwohl wir wissen, dass du ihnen genehm wärst. … Die Adimari sind vornehmer als die Tanagli, aber sie [die Schwestern] haben keine enge Verwandtschaft, keinen Vater und keine Brüder – zwar zahlreiche Onkel und Vettern, das schon, doch diese sind Männer ohne große Bedeutung (omacci). Andererseits hat dieser Nachteil zugleich den Vorteil, dass du dir keine Gedanken über sie machen müsstest. Die andere [die Tanagli-Möglichkeit] ist das genaue Gegenteil: Sie sind zwar keine große Familie, aber sehr alt und von gutem Blute, und dieser Zweig stammt von Rittern ab. Der Vater des Mädchens ist so alt wie ich [fünfundvierzig], ein Mann von großem Ansehen, ein guter Redner, freundlich und mit ausgezeichneten Umgangsformen. Er genießt einiges Ansehen im öffentlichen Leben, verfügt über eine angemessene Zahl von Verwandten, allesamt hoch geachtete Männer, und seine Schwester ist mit Antonio … Alessandri [eine der ersten Familien] verheiratet. Seine eigene Frau stammt von den Guidetti ab, einer bekannten Familie von großem Wohlstand. Die Schwester seiner Frau ist mit Messer Antonio Ridolfi verheiratet [eine Schlüsselfigur in der Medici-Oligarchie. Er war derjenige, der Francesco Tanagli später davon abriet, seine Tochter mit einem Strozzi zu verehelichen]. Und er hat zahlreiche weitere achtbare und würdige Verwandte. Sein Bruder ist der Gatte von Francesco Vettoris Tochter etc. Er hat zwölf Kinder, sechs Jungen und sechs Mädchen. … Als ich ihn hinsichtlich der Mitgift befragen wollte, winkte er ab, fragte stattdessen, ob alles andere zu unserer Zufriedenheit wäre, und deutete an, dass er sich hinsichtlich der Mitgift auf mein Urteil und meine Diskretion verlassen möchte. So also liegen die Dinge. Jetzt ist es an dir, die Sache abzuwägen und uns deine Meinung wissen zu lassen. Das Mädchen ist so groß wie unsere Caterina, hat aber eine bessere Figur. Auch ihre Haut ist gut. Ihr Gesicht ist nicht … [das einer großen Schönheit], aber es hat auch nichts Abstoßendes. Sie hält sich gut und hat ein angenehmes Wesen. … Wenn diese Kandidatin in Frage kommt, gib uns Nachricht, wie weit du bei der Mitgift herunterzugehen bereit wärst.
Was ist diesem Brief noch hinzuzufügen, der so beredt für sich selbst spricht? Der im Exil in Neapel befindliche Strozzi hatte allem Anschein nach nach einem hübschen Mädchen verlangt. Der Verfasser des Briefes, Parenti, besaß beste Kontakte in allen Schichten der florentinischen Gesellschaft, konsultierte aber wohl auch gut informierte Heiratsvermittler (sensali). Er achtete sehr genau auf gesellschaftlichen Stellenwert. Emporkömmlinge und Neureiche wurden verächtlich abgewiesen. Geld spielte eine Rolle, durchaus, aber es musste ein gewisses Alter haben. Die entscheidenden Punkte waren Leumund, erstklassige politische Verbindungen und eine Familie mit weit zurückreichendem Stammbaum. Waren diese Voraussetzungen erfüllt, kam es darauf an, dass das Mädchen über schickliches Auftreten, ein angenehmes Wesen, gutes Aussehen und eine angemessene Mitgift verfügte. Für jemanden, der im politischen Exil weilte, dürfte – zumal in Anbetracht des beschränkten Heiratsmarktes – eine Verbindung mit Francesco Tanaglis Tochter am attraktivsten gewesen sein, eben wegen der wertvollen einflussreichen Beziehungen des Vaters. Und während sich die führenden Familien einstmals nach Eheverbindungen in der nächsten Nachbarschaft umgesehen hatten, war mittlerweile die ganze Stadt zum „Revier“ geworden.7
Ich habe dieses Kapitel „Aufsteiger“ genannt. Doch welche weiteren Aufstiegsmöglichkeiten bestanden eigentlich noch für Familien wie die Medici oder Pazzi, die bereits den Gipfel der gesellschaftlichen Hierarchie erreicht hatten?8
Nun war der Platz an der Spitze noch nie sicher, auch nicht im Florenz der Renaissancezeit, und zudem konnte einen das Gefühl, ganz oben zu stehen, auch trügen. Selbst in Venedig, wo die Inhaber der höchsten Ämter aus alten Familien eine eigene geschlossene Adelskaste bildeten, kam es innerhalb dieser Schicht immer wieder zu erbittert geführten Machtkämpfen.
Eine Heirat bot in den höheren Kreisen der italienischen Stadtstaaten stets Gelegenheit zur hierarchischen Neuordnung von Familien und Einzelpersonen. Es war dies der Augenblick im Leben von Männern und Frauen, in dem sie ihren exakten sozialen Status definierten, da sie hinsichtlich Vorfahren, gesellschaftlichem Hintergrund, gegenwärtiger und zukünftiger Erwartungen neu eingestuft wurden. Indem sie A anstelle von B als Ehepartner wählten beziehungsweise für eine bestimmte Verbindung ausgewählt wurden, gaben die beteiligten Parteien ein Statement darüber ab, wo auf der sozialen Leiter sie sich gerade befanden. Eine Eheschließung war der passende Anlass zum Austausch von Namen und Vermögen zwischen den Generationen. Sie band Individuum und Familie in ein System ein, das Hierarchie, Rang und gesellschaftliche Beziehungen definierte. Was man darstellte, die Identität, nahm in dem Moment der Einstufung feste Gestalt an. Alles andere wurde zu unwesentlichen Einzelheiten degradiert.
Über all dies waren sich Alessandra Strozzi, Lorenzo de’ Medicis Mutter und natürlich auch Marco Parenti durch jahrzehntelange Konditionierung instinktiv im Klaren.
Der Aufstieg von Parentis Familie begann um das Jahr 1400. In seinem Brief nimmt er die zum Teil auf persönlichen Eindrücken basierende Einschätzung der beiden Frauen auf und erstellt daraus eine Soll-und-Haben-Rechnung. Sämtliche Möglichkeiten werden aufgelistet und dann der Reihe nach abgehandelt, während er auf eine praktische Lösung hinarbeitet. Dabei verliert er niemals Filippo Strozzis Wünsche aus den Augen, behält aber auch die realen Chancen im Blick, denn im Florenz dieser Zeit waren Heiratsverhandlungen ein knallhartes Geschäft. Jedenfalls wurde mit sämtlichen Illusionen aufgeräumt, und es lag klar sichtbar vor Augen, wen und was jede(r) Einzelne darstellte.
Dies soll nun freilich nicht heißen, dass gesellschaftlicher Aufstieg unmöglich gewesen wäre. Tatsächlich fand er fast unentwegt statt, und politisch wie finanziell herrschte ein ständiges Auf und Ab. Alte Familien verloren ihr Vermögen, ihren Rang und ihre guten Heiratsaussichten. Zu viele Töchter und damit Mitgiften konnten ein Haus in den Ruin treiben. Und ohne die beispielsweise in England übliche Primogenitur, wonach sämtlicher Grundbesitz (oder zumindest der Löwenanteil des Erbes) an den ältesten Sohn fiel, konnten auch zu viele Söhne ein Vermögen zunichte machen. Einmal aufgesplittet, war das Geld rasch aufgebraucht – es sei denn, einer oder mehrere der Söhne konnten die Zerschlagung durch Gewinne aus florierendem Handel oder Bankgeschäften auffangen. Marco Parentis snobistischen Anmerkungen zum Trotz kam es also sehr häufig vor, dass Neureiche in alte Familien einheirateten und bald auch in der Politik die Fäden in der Hand hielten. Eine Familie ohne Söhne durfte kein öffentliches Amt bekleiden, verlor folglich ihre politische und gesellschaftliche Stellung. Traf eine einzige Generation unkluge Entscheidungen, konnte dies das Ende bedeuten. Worauf es ankam, war immer der politische Rang, denn wer in Florenz ein hohes Amt innehatte, konnte wahre Wunder wirken. Er flößte anderen Furcht ein. Er ermöglichte interessante Heiratsangebote. Und er verlieh dem Träger echte Macht.9
Viel ist hier die Rede von alten Familien und neuem Geld. Was aber war damals alt, was neu?
Die vornehmsten florentinischen Geschlechter erhoben den Anspruch, adliger Herkunft zu sein, und führten ihre Stammlinien ins 11. oder 12. Jahrhundert zurück. Zu ihnen gehörten beispielsweise die Familien Uberti, Guidi, Tornaquinci, Ricasoli, Pazzi, Buondelmonti und Adimari. Im Laufe der Zeit verbanden sich einige dieser Häuser durch Handel und Bankgeschäfte. Einige Kaufmannsfamilien konnten ihren Ursprung in das späte 12. oder frühe 13. Jahrhundert datieren. Für die namhaftesten und glanzvollsten „bürgerlichen“ Linien, die Strozzi, Albizzi und Medici etwa, begann der Aufstieg jedoch im ausgehenden 13. Jahrhundert, als sie als Zunftvorsteher („Prioren“) in die neue Stadtverwaltung, die Signoria, gewählt wurden. Nun konnten sie wirtschaftlichen Erfolg mit politischer Macht verbinden, und von diesem Zeitpunkt war ein Platz auf den obersten Sprossen der sozialen Leiter stets mit einer Union aus Reichtum und hohen politischen Ämtern verbunden. Lediglich eines von beidem reichte niemals aus, die Zugehörigkeit zur Oberschicht zu sichern. Florentiner, die erst nach der schlimmen Pestepidemie von 1348 zu Geld und Stand gekommen waren, galten im 15. Jahrhundert als „neureich“, insbesondere dann, wenn sie ursprünglich einer Zunft entstammten, bei deren Arbeit man sich die Hände schmutzig machte.
Im Verlauf ihres politischen Aufstiegs setzten natürlich auch die Pazzi auf vorteilhafte Verbindungen. Andrea, der Begründer des Familienvermögens, ehelichte die Tochter des prominenten Politikers Jacopo di Alamanno Salviati. Seine drei Söhne – Messer Jacopo, Antonio und Messer Piero – heirateten in die Familien Serristori, Alessandri und Giugni ein. Die Alessandri und die Giugni bekleideten regelmäßig hohe Ämter, und die Serristori zählten damals zu den zehn reichsten Häusern der Stadt. Später sollten drei Enkelinnen in führende politische Familien einheiraten – die Martelli, die Niccolini und in eine Nebenlinie der Medici. Andreas Enkel Guglielmo nahm Bianca de’ Medici zur Frau und wurde dadurch ein Schwager des magnifico Lorenzo. 1478 jedoch fand dieser gesellschaftliche Höhenflug ein abruptes Ende.10
Bevor sich Piero de’ Medici im römischen Adel nach einer Gemahlin für seinen Sohn Lorenzo umtat, hatte er sich gewiss gründlich umgehört. Er folgte dem Rat seines eigenen Vaters, des brillanten Strategen Cosimo, des mailändischen Gesandten in Florenz, Nicodemo Tranchedini, sowie seines Schwagers und Leiters der römischen Niederlassung der Medici-Bank, Giovanni Tornabuoni, der auch die ersten diskreten Nachforschungen in diese Richtung angestellt hatte. Die führende Familie von Florenz sah sich nach einer Allianz mit einer ebenbürtigen Familie in Rom um – die Verbindung war also durchaus angemessen. Und trotzdem bedeutete es einen Aufstieg für die Medici. Cosimo hatte 1444 Sorge getragen, dass Piero in die alte florentinische Familie Tornabuoni einheiratete, Kaufleute und Bankiers zwar, aber doch eine Nebenlinie der ehrwürdigen Tornaquinci. Und Lucrezia Tornabuoni brachte nur eine magere (in Alessandra Strozzis Worten) „Handwerker“-Mitgift in Höhe von 1009 Fiorini mit in die Ehe. Mit seiner Entscheidung für Lucrezia als Schwiegertochter hatte Cosimo einer starken und zuverlässigen politischen Bindung den Vorrang gegeben; der reichste Mann von Florenz hatte es schließlich nicht nötig, Fiorini zu zählen.11
Piero sollte jedoch der letzte männliche Medici seiner väterlichen Stammlinie sein, der in „Geschäfte“ und eine alte florentinische Familie einheiratete. Um ihre gesellschaftliche Stellung noch weiter auszubauen, sollten Medici-Männer von nun an die Verbindung mit Fürstenhäusern aus anderen Städten suchen. Oder sie sollten Kardinäle und Päpste werden.