Читать книгу Tochter des Ozeans - Leinani Klaas - Страница 9

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PROLOG

»Yara, Yara, Yara. Ich bin Yara Bright!«

Sie wiederholte es wie ein Mantra. Immer und immer wieder. Sie hatte es in der letzten Zeit so oft wiederholt, wie oft genau wusste sie schon gar nicht mehr. Bestimmt tausendmal, aber so weit konnte sie noch gar nicht zählen.

»Yara, Yara Bright…«

Wenn sie sich schon an nichts anderes mehr erinnern konnte, dann durfte sie zumindest sich selbst nicht vergessen. Das war wichtig, das wusste sie. So viele Dinge hatte sie schon vergessen, zum Beispiel, welcher Tag heute war, ob es immer noch Sommer oder schon Herbst war. Sie konnte sich auch nicht mehr an die blendende Helligkeit der Sommersonne erinnern. Oder wie es sich anfühlte von ihren Sonnenstrahlen auf der Nase gekitzelt zu werden. Der Geruch von frisch gemähtem Gras und die prachtvolle Vielfalt der bunten Blumen im Garten waren aus ihrem Gedächtnis verschwunden. Aber vor allem wusste sie nicht mehr, wie sie hierhergekommen war. Da war eine dunkle Lücke in ihrem Kopf, die die Erinnerungen daran verdrängte.

Ihr fehlte Nähe, körperliche, menschliche Nähe und sie sehnte sich nach Geborgenheit und der Wärme eines vertrauten Heimes.

Ihr war kalt, so kalt. Eiskalt! Sie saß zitternd auf dem nackten Betonboden, die Arme um die dünnen Beine geschlungen, die nur in kurzen sommerlichen Shorts steckten. Sie zitterte vor Kälte, aber auch vor Angst, bodenloser, schwarzer Angst, die ihren kleinen Körper packte und durchschüttelte.

»Yara… Yara… Mein Name ist Yara.«

Ihre piepsige, kraftlose Stimme verlor sich in der schummrigen Dunkelheit um sie herum.

Sie wiegte sich vor und zurück und flüsterte ihren Namen wie ein beruhigendes Kinderlied, wie eines das ihr Daddy im Auto mit ihr gesungen hatte, wenn er sie morgens in den Kindergarten gefahren hatte.

Ihr Körper war schon ganz steif gefroren und weiße Wölkchen bildeten sich beim Ausatmen in der Luft vor ihrem Gesicht.

»Yara, Yara, Yara…«

Eine neue Angstwelle ergriff sie und durchflutete ihr ganzes Sein, füllte sie aus bis in die kleinste Zelle. Sie hatte vor so vielem Angst. Davor ihren Namen zu vergessen, Angst vor der Dunkelheit, in der sie saß, und vor allem aber hatte sie Angst vor ihm.

Sie verstand nichts von dem, was er sagte oder ihr antat. Sie wusste auch nicht, warum sie hier eingesperrt war und warum er sie nicht gehen ließ. Ihr Verstand begriff das Ausmaß ihrer Situation nur bedingt.

Als sie vor Kälte erschauderte, fingen ihre Zähne an zu klappern. Sie schlugen aufeinander und das schaurige Geklapper hallte von den nackten Wänden wider, die sie umschlossen. So sehr sie sich auch bemühte die Zähne aufeinander zu pressen, sie schaffte es nicht, ihr Kiefer hatte sich verselbstständigt.

Und dann, mitten in die Dunkelheit hinein, ertönte das Geräusch von schweren Schritten auf einer Holztreppe, die nach unten kamen. Zu ihr.

Ihr Herzschlag verdoppelte sich und galoppierte los. Sie schnappte panisch nach Luft. Mit jedem knarzenden Schritt wuchs ihre Angst.

»Yara, ich heiße Yara Bright! Yara, Yar… Yaya…«

Vor Panik verhaspelte sie sich, verschluckte fast ihre Zunge.

Er kam!

Was würde er ihr dieses Mal antun? Würde er ihr wieder wehtun, sie auf Knien betteln lassen, sich ganz nah vor sie setzen und sie einfach aus seinen blutunterlaufenen Augen anstarren?

Egal was er tat, sie würde wieder ein Stück mehr vergessen und ein bisschen mehr von sich verlieren. Es würde immer so weitergehen, bis sie sich selbst ganz vergessen hatte und verloren war im Würgegriff der Zeit.

Jetzt waren die Schritte auf massivem Boden zu hören, kamen immer näher und näher.

Sie versuchte nicht zu schreien, das mochte er gar nicht.

Aber die Angst, die sich jetzt in ihr Gehirn fraß, war nicht mit der Angst von gerade eben zu vergleichen. Sie war viel schrecklicher und zerstörerischer.

Ein Schloss wurde klickend geöffnet. Sie zitterte heftiger.

Klick. Ein zweites Schloss wurde entriegelt. Sie bekam keine Luft mehr.

Klick. Schloss Nummer drei war offen. Ihr wurde schlecht.

Und mit einem lauten Scharren wurde der Riegel zurückgeschoben.

Als die Tür geöffnet wurde, war sie halb ohnmächtig vor Angst. Yara, der Name hallte durch ihren Kopf. Gelähmt starrte sie auf den schmalen Streifen Helligkeit, der plötzlich durch den Türspalt sickerte.

Flimmerndes Licht der brummenden Leuchtstoffröhren drang ins Zimmer, als die Tür aufgezogen wurde.

Von der plötzlichen Helligkeit geblendet, nahm sie nur den verschwommenen Umriss einer großen, hageren Person wahr.

Aber das reichte, um sie in Tränen ausbrechen zulassen.

Tochter des Ozeans

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