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Aufbruch zu neuen Ufern
ОглавлениеDas Frühjahr 1945 bedeutete auch für Norbert Wackernell einen Neuanfang. Er hatte den Krieg zwar äußerlich unversehrt überlebt, das Ereignis prägte ihn jedoch ein Leben lang. Vor allem wirkte die Angst nach, gegen Kriegsende doch noch zum aktiven Militär eingezogen zu werden. Wie schmal die Grenze zwischen Leben und Tod war, erfuhr er in den letzten Kriegsmonaten wiederholt. Als Beispiel führte er eine Episode um seinen späteren Schwager Florian Putzer aus St. Pauls an. Putzer stand in enger Verbindung zu SS-Sturmbannführer Karl Nicolussi-Leck, der ihn, so vermutete Wackernell, wohl auch vor dem Kriegsdienst bewahrt habe. Dafür verpflichtete sich der junge Paulser, „Freiwillige“ zu rekrutieren. So tauchte er auch bei Wackernell mit einem Formular auf, das dieser unterfertigen sollte: die Beitrittserklärung zur SS. Wohl nicht zuletzt das in der Familie vorhandene Misstrauen gegenüber politischen Organisationen bewahrte Wackernell vor einem fatalen Fehltritt. Obwohl er eigenen Aussagen zufolge damals nicht in der Lage war, die SS als Organisation klar zu verorten, lehnte er ab. Die Richtigkeit seiner Entscheidung wurde ihm bald drastisch vor Augen geführt: Zwei Buben vom nahen Stemmerhof unterschrieben – und kehrten beide nicht mehr aus dem Krieg zurück. Aufgrund solcher Erfahrungen sah der junge Wackernell nach Kriegsende nicht frohen Mutes einer friedlichen, harmonischen Zukunft entgegen, sondern er blieb von tiefer Skepsis geprägt. Diese kam vor allem in seiner Einstellung zum Ausdruck, es sei nur eine Frage der Zeit, bis es zum nächsten bewaffneten Konflikt käme. Der bald folgende Kalte Krieg schien diese Haltung zu bestätigen. Erst mit der zunehmenden politischen Entspannung zwischen Ost und West Anfang der 1970er-Jahre blickte auch Wackernell optimistischer in die Zukunft. Seine anfängliche Zukunftsskepsis wurde freilich überlagert von den unmittelbar drängenden Fragen des Lebens wie der Fortsetzung seines Bildungsweges. Weil er die Kriegsmatura nicht mehr absolvieren konnte, schrieb er sich ins Wissenschaftliche Lyzeum ein, um die Abschlussprüfung nachzuholen. Zuvor galt es, im Herbst 1945 eine Aufnahmeprüfung zu schaffen, die es in sich hatte. Obwohl Wackernell den ganzen Sommer hindurch lernte, bestand er nur knapp. In der Folge lief dann alles wie geplant: Er absolvierte das Schuljahr und bestand im Sommer 1946 die Matura. Auch der Weg danach war vorgezeichnet. Obwohl sich die Eltern nie in Schul- und Studienfragen einmischten und allenfalls der Großvater ihm öfters eine Zukunft als Ingenieur prophezeit hatte, war die Entscheidung klar: Er schrieb sich am Mailänder Politecnico in das Fach Hoch- und Tiefbau ein. Doch ein Studium nach dem Krieg – das war leichter gesagt als finanziert. Auch für eine Familie des gehobenen Mittelstandes stellte es in der Nachkriegszeit eine materielle Herausforderung dar. Ein Ereignis drohte Wackernells Studienpläne abrupt zunichtezumachen. 1947 ging der Meraner Banco di Roma pleite, eben jene Bank, bei der die Familie ihr gesamtes Barvermögen deponiert hatte. Nur ein Glücksfall rettete die Situation. Der Direktor der Meraner Filiale war ein Jagdfreund des Vaters. Er präsentierte sich eines Nachts an der Haustür und teilte den verdutzten Eltern mit, im mitgebrachten Koffer befinde sich deren gesamte Einlage. Morgen melde die Bank nämlich Konkurs an. Es war eine illegale Handlung. Norbert Wackernell aber rettete sie das Studium.