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XIX

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An demjenigen Ende des Tisches, wo die Herren saßen, wurde das Gespräch immer lebhafter. Der Oberst erzählte, daß das Manifest über die Kriegserklärung in Petersburg bereits erschienen und ein Exemplar, welches er selbst gesehen habe, heute durch einen Kurier dem Oberkommandierenden von Moskau zugestellt worden sei.

»Wozu plagt uns denn der Teufel, mit Bonaparte Krieg zu führen?« sagte Schinschin. »Er hat den Österreichern schon ihren Dünkel benommen, und ich fürchte, jetzt kommen wir an die Reihe.«

Der Oberst war ein großgewachsener, stämmiger, vollblütiger Deutscher, offenbar mit Leib und Seele Soldat und ein guter Patriot. Er fühlte sich durch Schinschins Worte verletzt.

»Warum wir das tun, mein Herr?« sagte er; man hörte seiner Aussprache des Russischen den Deutschen an. »Ganz einfach, weil unser Kaiser es will. Er hat in dem Manifest gesagt, er könne der Gefahr gegenüber, welche Rußland bedrohe, nicht gleichgültig bleiben, und durch die Rücksicht auf die Sicherheit und Würde des Reiches und auf die Heiligkeit der Bündnisse ...« (er legte auf das Wort Bündnisse einen ganz besonderen Nachdruck, als ob darin der eigentliche Kern der Sache läge. Und mit seinem unfehlbaren Gedächtnis in Dienstsachen zitierte er den einleitenden Satz des Manifests weiter) »sowie durch den das einzige und unverrückbare Ziel Seiner Majestät des Kaisers bildenden Wunsch, den Frieden Europas auf feste Fundamente zu gründen, sehe er sich heute veranlaßt, einen Teil seiner Kriegsmacht über die Grenze rücken zu lassen und neue Anstrengungen zur Erreichung dieser seiner Absicht zu machen. Sehen Sie: darum, mein Herr!« schloß er, goß zu größerer Bekräftigung ein Glas Wein hinunter und blickte den Grafen an, um diesen zu einer Beifallskundgebung zu veranlassen.

»Kennen Sie das Sprichwort: ›Bleib zu Hause, dann passiert dir nichts‹?« erwiderte Schinschin, indem er die Stirn runzelte und zugleich lächelte. »Das paßt auf uns ganz ausgezeichnet. Ich denke da an Suworow: auch dem ist es schließlich schlimm genug gegangen, und wo haben wir jetzt Heerführer, wie er einer war, frage ich Sie?« sagte er, indem er unaufhörlich vom Russischen ins Französische und vom Französischen wieder ins Russische übersprang.

»Wir müssen kämpfen bis zum letzten Blutstropfen«, erwiderte der Oberst, kräftig auf den Tisch schlagend, »und ster-r-rben für unsern Kaiser; dann wird alles gut werden. Und mit unserm eigenen Kopf urteilen, sollen wir mö-ö-öglichst wenig«, er zog das Wort möglichst unnatürlich in die Länge und wandte sich beim Ende dieses Satzes wieder zum Grafen hin. »So denken wir alten Husaren, und damit basta! Und wie denken Sie darüber, Sie junger Mann und junger Husar?« fügte er, zu Nikolai gewendet, hinzu, der, sobald er hörte, daß vom Krieg die Rede war, das Gespräch mit seiner Nachbarin abgebrochen hatte und mit leuchtenden Augen den Oberst anschaute und jedes seiner Worte verschlang.

»Ich bin vollständig derselben Ansicht wie Sie«, antwortete Nikolai. Er war blutrot geworden, drehte an seinem Teller und stellte seine vier Gläser mit so grimmiger, entschlossener Miene in andere Ordnung, als ob er schon in diesem Augenblick einer großen Gefahr gegenüberstände. »Nach meiner Anschauung müssen die Russen siegen oder sterben«, sagte er, hatte aber, gleich nachdem er diese Worte gesprochen hatte, ebenso wie die Hörer, die Empfindung, daß dieser Satz unter den vorliegenden Umständen zu schwärmerisch und zu schwülstig und darum nicht recht angebracht war.

»Ganz vortrefflich! Was Sie soeben gesagt haben, ist ganz vortrefflich!« sagte die neben ihm sitzende Julja mit einem Seufzer der Bewunderung. Sonja hatte, während Nikolai sprach, zu zittern angefangen und war bis an die Ohren, hinter den Ohren und bis zum Hals und den Schultern rot geworden. Pierre hatte die Reden des Obersten aufmerksam mitangehört und beifällig mit dem Kopf genickt.

»Vorzüglich gesprochen«, bemerkte er.

»Nun, Sie sind ein echter Husar, junger Mann!« rief der Oberst und schlug wieder auf den Tisch.

»Worüber redet ihr denn da, daß ihr solchen Lärm macht?« erscholl plötzlich vom andern Ende des Tisches her Marja Dmitrijewnas tiefe Stimme. »Warum haust du so auf den Tisch?« wandte sie sich an den Husaren. »Auf wen bist du denn so grimmig? Du meinst wohl, du hättest hier schon die Franzosen vor dir?«

»Ich rede die Wahrheit«, erwiderte der Husar lächelnd.

»Wir reden hier immer nur vom Krieg!« rief der Graf über die ganze Länge des Tisches hin. »Mein Sohn geht ja auch in den Krieg, Marja Dmitrijewna, mein Sohn geht auch hin.«

»Ich habe vier Söhne bei der Armee; aber aufregen tue ich mich darüber dennoch nicht. Es geschieht alles nach Gottes Willen: man kann sterben, wenn man auf dem Ofen liegt, und umgekehrt kann Gott in der Schlacht Erbarmen mit einem haben«, so tönte Marja Dmitrijewnas kräftige Stimme ohne jede Anstrengung vom andern Ende des Tisches herüber.

»So ist es!«

Und dann bildeten sich in der Unterhaltung wieder zwei geschlossene Kreise; die Damen redeten unter sich an dem einen Ende des Tisches, die Herren unter sich am andern.

»Du wirst doch nicht fragen«, sagte der kleine Bruder zu Natascha, »du wirst doch nicht fragen.«

»Ich werde doch fragen«, antwortete Natascha.

Ihr Gesicht erglühte plötzlich, und es prägte sich auf ihm eine kühne, heitere Entschlossenheit aus. Sie erhob sich ein wenig, forderte durch einen Blick den ihr gegenübersitzenden Pierre auf, zuzuhören, und wandte sich an ihre Mutter.

»Mama!« tönte ihre kindliche Bruststimme über den ganzen Tisch.

»Was hast du?« fragte die Gräfin erschrocken; aber da sie dann an dem Gesicht der Tochter merkte, daß diese nur einen ausgelassenen Streich vorhatte, so winkte sie ihr streng mit der Hand und machte eine drohende, verbietende Bewegung mit dem Kopf.

Das Gespräch verstummte überall.

»Mama, was gibt es heute als süße Speise?« rief Nataschas helles Stimmchen in noch entschlossenerem, festerem Ton.

Die Gräfin wollte ein finsteres Gesicht machen, aber es gelang ihr nicht. Marja Dmitrijewna drohte der Kleinen mit ihrem dicken Finger.

»Ei, ei, Kosak!« rief sie tadelnd.

Die meisten Gäste wußten nicht recht, wie sie diese Keckheit aufnehmen sollten, und blickten nach den älteren und vornehmeren hin.

»Na, warte du nur!« sagte die Gräfin.

»Mama! Was gibt es als süße Speise?« rief Natascha nun schon ganz kühn und mit lustigem Eigensinn, da sie vorhersah, daß ihre Keckheit gut aufgenommen werden würde.

Sonja und der kleine dicke Peter versteckten ihre Gesichter, weil sie das Lachen nicht unterdrücken konnten.

»Siehst du wohl, ich habe doch gefragt!« flüsterte Natascha ihrem kleinen Bruder und ihrem Gegenüber Pierre zu, auf den sie wieder ihren Blick richtete.

»Es wird wohl Eis geben; aber du wirst nichts davon bekommen«, sagte Marja Dmitrijewna. Natascha sah, daß sie keine Angst zu haben brauchte, und fürchtete sich darum auch vor Marja Dmitrijewna nicht.

»Marja Dmitrijewna! Was für Eis? Sahneeis mag ich nicht!«

»Mohrrübeneis!«

»Nein, was für welches? Marja Dmitrijewna, was für welches?« wiederholte Natascha fast schreiend. »Ich will es wissen!«

Marja Dmitrijewna und die Gräfin fingen an zu lachen, und ihrem Beispiel folgten alle Gäste. Alle lachten nicht über Marja Dmitrijewnas Antwort, sondern über die unbegreifliche Keckheit und Gewandtheit dieses kleinen Mädchens, das so mit Marja Dmitrijewna umzugehen verstand und umzugehen wagte.

Natascha hörte erst dann mit ihren hartnäckigen Fragen auf, als man ihr sagte, es werde Ananaseis geben.

Vor dem Eis wurde Champagner gereicht. Die Musik setzte wieder ein; der Graf und die Gräfin küßten sich, und die Gäste standen auf, gratulierten der Gräfin und stießen über den Tisch weg mit dem Grafen, mit den Kindern und miteinander an. Wieder kamen die Diener herbeigelaufen, die Stühle wurden gerückt, und in derselben Reihenfolge, aber mit röteren Gesichtern, kehrten die Gäste in den Salon und in das Herrenzimmer zurück.

Krieg und Frieden

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