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VIII
ОглавлениеDie noch übrige Infanterie drängte sich am Zugang der Brücke trichterförmig zusammen und marschierte dann eilig hinüber. Endlich hatten alle Fuhrwerke die Brücke passiert, das Gedränge nahm ab, und das letzte Bataillon betrat die Brücke. Nur die Husaren der Denisowschen Eskadron und die einer anderen seitwärts auf Vorposten befindlichen, sowie einige Kosaken waren auf dem jenseitigen Ufer dem Feind gegenüber zurückgeblieben. Der Feind, den man von dem gegenüberliegenden Berg aus in der Ferne sehen konnte, war von unten, von der Brücke aus, noch nicht zu sehen, da für die im Flußtal Befindlichen der Horizont durch eine nicht mehr als eine halbe Werst entfernte vorliegende Anhöhe begrenzt wurde. Nach dem Feind zu lag eine freie, ansteigende Fläche, auf welcher sich hier und da kleine Trupps plänkelnder Kosaken bewegten. Plötzlich erschienen oben auf jener Anhöhe, da wo der Weg über sie hinführte, Truppen in blauen Kapotmänteln und Geschütze. Das waren die Franzosen. Die Kosakenpatrouillen zogen sich im Trab den Abhang hinunter zurück. Sämtliche Offiziere und Mannschaften der Denisowschen Eskadron gaben sich zwar alle Mühe, von anderen Dingen zu reden und nach rechts und links zu blicken; aber dabei dachten sie doch unaufhörlich einzig und allein an das, was dort auf dem Berg vorging, und wandten ihre Augen fortwährend nach den am Horizont auftauchenden Flecken hin, die sie als feindliche Truppen erkannten. Das Wetter hatte sich nach dem Mittag wieder aufgehellt; die Sonne senkte sich in klarem Glanz über der Donau und den sie umgebenden dunklen Bergen herab. Die Luft war still, und von der Anhöhe, die der Feind besetzt hatte, klangen mitunter Hornsignale und Geschrei zu den Unsrigen herüber. Zwischen der Eskadron und den Feinden befand sich jetzt niemand mehr als einige kleine Patrouillen. Ein freier Raum von etwa achthundert Schritten lag zwischen der Eskadron und den Franzosen. Der Feind schoß nicht mehr, und nur um so deutlicher machte sich jene strenge, drohende, unnahbare und dabei undefinierbare Grenzlinie fühlbar, welche zwei feindliche Heere voneinander trennt.
»Einen Schritt über diese Grenze, diese mahnende Grenze hinaus, welche die Lebenden von den Toten trennt, und – man kennt kein Leid mehr, ist tot. Und was ist dort? wer ist dort? Dort hinter diesem Feld und dem Baum und dem von der Sonne beschienenen Dach? Niemand weiß es, und doch möchte es jeder wissen; jeder fürchtet sich, diese Grenze zu überschreiten, und doch möchte er es tun; er weiß, daß er sie früher oder später wird überschreiten müssen und erfahren wird, was dort, jenseits dieser Grenze ist, ebenso wie er unweigerlich erfahren wird, was dort, jenseits des Grabes ist. Aber dabei ist man doch sowohl selbst stark und gesund und froh und erregt, als auch von ebenso gesunden, erregten, lebensfrohen Menschen umgeben.« So denkt jeder Mensch, der sich dem Feind gegenüber befindet, oder wenn er nicht so denkt, so fühlt er wenigstens so, und dieses Gefühl verleiht allen Vorgängen in solchen Augenblicken einen besonderen Glanz und dem Eindruck, den sie hervorbringen, eine froh stimmende Schärfe.
Auf dem Hügel bei den Feinden erschien ein Rauchwölkchen von einem Schuß, und eine Kanonenkugel flog pfeifend über die Köpfe der Husareneskadron hin. Die Offiziere, die zusammengestanden hatten, ritten an ihre Plätze. Die Husaren bemühten sich eifrig, ihre Pferde in Reih und Glied zu halten. Alles schwieg in der Eskadron. Alle blickten nach vorn auf den Feind und auf den Eskadronchef, in Erwartung seines Kommandos. Eine zweite, eine dritte Kugel flog vorbei. Es war offenbar, daß der Feind auf die Husaren zielte; aber die Kugeln flogen mit gleichmäßigem, schnellem Pfeifen über die Köpfe der Husaren weg und schlugen irgendwo hinter ihnen ein. Die Husaren sahen sich nicht um; aber bei jedem Ton einer vorüberfliegenden Kugel hob sich wie auf Kommando die ganze Eskadron mit ihren bei aller Verschiedenheit doch so gleichförmigen Gesichtern, den Atem anhaltend, solange die Kugel flog, ein wenig in den Steigbügeln in die Höhe und ließ sich dann wieder zurücksinken. Ohne den Kopf zu drehen, schielten die Soldaten einer nach dem andern hin und beobachteten neugierig, welchen Eindruck die Sache auf die Nebenmänner machte. Auf jedem Gesicht, von Denisow bis zum Hornisten, zeigte sich um Lippen und Kinn herum ein und derselbe gemeinsame Zug, ein Ausdruck von Kampflust, Spannung und Erregung. Der Wachtmeister sah die Soldaten mit finsterem Gesicht an, wie wenn er ihnen eine Strafe androhte. Der Junker Mironow bückte sich jedesmal, wenn eine Kugel vorüberflog. Rostow war auf dem linken Flügel der Eskadron und saß auf seinem »Raben«, dessen Beine zwar nicht recht zuverlässig waren, der aber recht stattlich aussah; der junge Mann machte ein so glückliches Gesicht wie ein Schüler, der in Gegenwart eines großen Publikums beim Examen aufgerufen wird und bestimmt weiß, daß er sich auszeichnen wird. Mit heller, heiterer Miene blickte er rings um sich alle an, wie wenn er sie bitten wollte, darauf zu achten, wie ruhig er den Kugeln zum Trotz dastand. Aber auch auf seinem Gesicht zeigte sich in der Mundpartie unwillkürlich eben jener Zug, der auf ein neuartiges, ernstes Gefühl schließen ließ.
»Wer bückt sich da? Junker Mironow! Das paßt sich nicht! Sehen Sie auf mich!« schrie Denisow, der nicht auf einem Fleck bleiben konnte und vor der Front der Eskadron hin und her sprengte.
Waska Denisows Gesicht mit der aufgestülpten Nase und dem schwarzen Haar und seine gesamte kleine, kräftige Gestalt mit der sehnigen, kurzfingrigen, behaarten Faust, in der er den Griff des blank gezogenen Säbels hielt, das alles sah ganz genau ebenso aus wie immer, namentlich abends, wenn er seine zwei Flaschen Wein getrunken hatte. Er war nur noch röter als gewöhnlich, und nachdem er seinen zottigen Kopf, wie Vögel beim Trinken, in die Höhe gereckt und mit seinen kleinen Füßen dem braven »Beduinen« schonungslos die Sporen in die Seite gedrückt hatte, galoppierte er, mit dem Oberkörper nach hinten fallend, nach dem andern Flügel der Eskadron und schrie mit heiserer Stimme, die Leute sollten ihre Pistolen noch einmal nachsehen. Er kam in die Nähe des Vizerittmeisters Kirsten. Dieser ritt auf seiner breit gebauten, kräftigen Stute dem Rittmeister im Schritt entgegen. Der Vizerittmeister mit seinem langen Schnurrbart war ernst wie immer; nur seine Augen glänzten stärker als gewöhnlich.
»Was hilft das alles!« sagte er zu Denisow. »Zum Schlagen kommt es doch nicht. Du wirst sehen, wir müssen wieder zurückgehen.«
»Weiß der Teufel, was sie für Geschichten ma chen!« brummte Denisow. »Ah, Rostow!« rief er dem Junker zu, als er dessen fröhliches Gesicht bemerkte. »Na, nun ist's da, worauf du so lange gewartet hast.«
Er lächelte beifällig, offenbar erfreut über die Haltung des Junkers. Rostow fühlte sich völlig glücklich. In diesem Augenblick erschien ein höherer Kommandeur auf der Brücke. Denisow galoppierte zu ihm hin.
»Exzellenz! Erlauben Sie, daß wir attackieren! Ich werde sie in die Flucht jagen!«
»Was reden Sie von Attackieren!« erwiderte der höhere Kommandeur in verdrießlichem Ton und zog das Gesicht in Falten, wie wenn ihn eine Fliege belästigte. »Wozu halten Sie denn hier noch? Sie sehen ja, daß die Tirailleure sich zurückziehen. Führen Sie die Eskadron zurück!«
Die Eskadron überschritt die Brücke und kam außer Schußweite, ohne auch nur einen Mann verloren zu haben. Hinter ihr ritt auch die zweite Eskadron, welche auf Vorposten gewesen war, herüber, und auch die letzten Kosaken räumten das jenseitige Ufer.
Die beiden Pawlograder Eskadronen gingen, nachdem sie die Brücke überschritten hatten, eine hinter der andern wieder bergauf zurück. Der Regimentskommandeur Karl Bogdanowitsch Schubert ritt zu Denisows Eskadron heran und kam im Schritt nicht weit von Rostow vorüber, ohne ihn im geringsten zu beachten, obwohl sie nach dem Renkontre in der Teljaninschen Affäre einander jetzt zum erstenmal wiedersahen. Rostow, der sich hier in der Front in der Gewalt des Mannes fühlte, gegen den er sich, wie er jetzt urteilte, vergangen hatte, verwandte kein Auge von dem herkulischen Rücken, dem blonden Hinterkopf und dem roten Hals des Regimentskommandeurs. Mitunter hatte Rostow die Vorstellung, daß Bogdanowitsch sich nur so stelle, als ob er ihn gar nicht beachte, und daß seine ganze Absicht jetzt darauf hinauslaufe, zu sehen, wie es mit seiner, des Junkers, Tapferkeit stehe; und dann richtete Rostow sich gerade auf und blickte fröhlich um sich. Bald wieder kam es ihm so vor, als ob Bogdanowitsch absichtlich in seine Nähe komme, um ihn seine, des Regimentskommandeurs, Tapferkeit sehen zu lassen. Und dann wieder kam ihm der Gedanke, sein Feind werde die Eskadron jetzt absichtlich in eine tollkühne Attacke hineinschicken, um ihn, Rostow, zu bestrafen. Und dann wieder malte er es sich aus, wie nach der Attacke der Regimentskommandeur zu ihm treten und ihm, dem Verwundeten, großmütig die Hand zur Versöhnung reichen werde.
Die den Pawlogradern wohlbekannte Gestalt Scherkows mit den hochgezogenen Schultern (der Kornett war vor einigen Tagen zum zweitenmal aus dem Regiment ausgeschieden) näherte sich zu Pferd dem Regimentskommandeur. Scherkow war, nachdem man ihn aus dem Hauptquartier weggejagt hatte, nur kurze Zeit beim Regiment geblieben. Er hatte gesagt, er würde doch nicht so dumm sein und sich im Frontdienst abplagen, während er beim Stab, ohne etwas zu tun, ein besseres Avancement haben könne, und hatte es einzurichten verstanden, daß er beim Fürsten Bagration Ordonnanzoffizier geworden war. Nun kam er zu seinem früheren Regimentskommandeur mit einem Befehl von dem Kommandeur der Arrieregarde.
»Oberst«, sagte er mit finsterem Ernst, indem er sich zu Rostows Feind wandte und dabei seinen Blick auch über seine früheren Kameraden schweifen ließ, »es ist befohlen worden, haltzumachen und erst die Brücke anzuzünden.«
»Wer hat das befohlen?« fragte der Oberst ingrimmig.
»Das weiß ich nicht, Oberst, wer das befohlen hat«, antwortete der Kornett ernst. »Ich kann nur sagen, daß mir der Fürst befohlen hat: ›Reite hin und sage dem Obersten, die Husaren sollten schleunigst wieder umkehren und die Brücke anzünden‹.«
Gleich nach Scherkow kam ein Offizier à la suite mit demselben Befehl zu dem Husarenobersten herangesprengt. Und unmittelbar nach dem Offizier à la suite kam auf einem Kosakenpferd, das ihn im Galopp nur mit Anstrengung tragen konnte, der dicke Neswizki herbei.
»Aber was soll denn das heißen, Oberst?« schrie er, ehe er noch heran war. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollten die Brücke in Brand stecken; und nun ist das wie in den Wind gesprochen! Die Herren vom Stab sind außer sich; kein Mensch weiß sich die Geschichte zu erklären.«
Ohne sich zu übereilen, ließ der Oberst das Regiment haltmachen und wandte sich zu Neswizki.
»Sie haben mir etwas von den Brennstoffen gesagt«, erwiderte er. »Aber davon, daß ich die Brücke anzünden sollte, haben Sie mir nichts gesagt.«
»Aber Väterchen«, entgegnete Neswizki, der sein Pferd angehalten hatte, die Mütze abnahm und sich mit seiner dicken Hand die schweißtriefenden Haare zurechtstrich, »wie sollte ich denn nichts vom Anzünden der Brücke gesagt haben, wenn doch die Brennstoffe schon zurechtgelegt waren?«
»Ich bin für Sie kein ›Väterchen‹, Herr Stabsoffizier, und Sie haben mir nicht gesagt, daß ich die Brücke in Brand stecken soll! Ich kenne den Dienst und bin gewohnt, einen Befehl genau auszuführen. Sie haben mir gesagt, die Brücke solle angesteckt werden; aber wer sie anstecken solle, das ist mir vom Heiligen Geist nicht offenbart worden.«
»Na ja, immer dieselbe Geschichte!« sagte Neswizki und schwenkte dabei den Arm, als ob er sagen wollte: Gegen solchen Unverstand ist man macht los ... »Wie kommst du denn hierher?« wandte er sich an Scherkow.
»Zu demselben Zweck wie du. Aber du bist ja ganz durchnäßt; erlaube, ich werde dich auswringen.«
»Sie sagten, Herr Stabsoffizier ...«, fuhr der Oberst in gekränktem Ton fort.
»Oberst«, unterbrach ihn der Offizier à la suite, »Sie müssen sich beeilen, sonst bringt der Feind seine Artillerie so nah heran, daß er Sie mit Kartätschen beschießen kann.«
Der Oberst blickte schweigend den Offizier à la suite, den dicken Stabsoffizier und Scherkow an und zog ein finsteres Gesicht.
»Ich werde die Brücke in Brand stecken«, sagte er in feierlichem Ton, wie wenn er dadurch zum Ausdruck bringen wollte, daß er trotz aller ihm angetanen Kränkungen dennoch tun werde, was erforderlich sei.
Mit seinen langen, muskulösen Beinen schlug er sein Pferd so heftig, als wäre dieses an allem schuld, ritt vor die Front und erteilte der dritten Eskadron, eben derjenigen, in welcher Rostow unter dem Rittmeister Denisow diente, den Befehl, nach der Brücke umzukehren.
»Es ist also richtig«, dachte Rostow. »Er will mich auf die Probe stellen.« Sein Herz zog sich krampfhaft zusammen, und das Blut stürzte ihm ins Gesicht. »Mag er mich beobachten, ob ich ein Feigling bin«, dachte er.
Wieder trat auf allen Gesichtern bei der Eskadron an die Stelle der Heiterkeit jener ernste Zug, der vorhin auf ihnen gelegen hatte, als die Eskadron den Kanonenkugeln ausgesetzt war. Rostow blickte, ohne die Augen einen Moment wegzuwenden, auf seinen Feind, den Regimentskommandeur, in dem Wunsch, auf dessen Gesicht eine Bestätigung seiner Vermutungen zu finden; aber der Oberst sah ihn auch nicht ein einziges Mal an; sein Gesicht war, wie immer, wenn er vor der Front stand, streng und feierlich. Ein Kommando ertönte.
»Rasch, rasch!« hörte Rostow einige Stimmen in seiner Nähe sagen.
Mit den Säbeln an den Zügeln hängenbleibend und mit den Sporen klirrend, stiegen die Husaren eilig ab, ohne selbst zu wissen, was sie nun zu tun hatten. Sie bekreuzten sich. Rostow sah nicht mehr nach dem Regimentskommandeur hin; dazu hatte er jetzt keine Zeit. Er fürchtete, fürchtete mit Herzbeklemmung, er würde vielleicht mit den Husaren nicht schnell genug mitkommen können. Seine Hand zitterte, als er sein Pferd einem Pferdehalter übergab, und er fühlte, wie ihm das Blut laut pochend zum Herzen strömte. Denisow ritt, den Oberkörper nach hinten zurücklegend und irgend etwas schreiend, an ihm vorbei. Rostow sah nichts als die Husaren, die rings um ihn nach der Brücke zu liefen und dabei mit den Sporen anhakten und mit den Säbeln rasselten.
»Die Tragbahren!« rief eine Stimme von hinten.
Rostow dachte nicht darüber nach, was es zu bedeuten habe, daß jetzt Tragbahren verlangt wurden; er lief, einzig und allein bemüht, allen vorauszukommen; aber dicht bei der Brücke geriet er, da er nicht vor seine Füße sah, in zähen, auseinandergetretenen Schmutz, glitt aus und fiel auf die Hände. Die andern liefen an ihm vorbei.
»An den Seiten, rechts und links, Rittmeister«, hörte er den Regimentskommandeur sagen, der vorwärts geritten war und nun nicht weit von der Brücke mit feierlicher, aber heiterer Miene hielt.
Während sich Rostow die beschmutzten Hände an den Hosen abwischte, sah er sich nach seinem Feind um und lief dann weiter, in der Meinung, je weiter er vorwärts laufe, um so besser sei es. Aber Bogdanowitsch, der nur flüchtig hinsah und Rostow nicht erkannte, schrie ihn an:
»Wer läuft denn da mitten auf die Brücke? Auf die rechte Seite! Zurück, Junker!« schrie er zornig und wandte sich zu Denisow, der, mit seiner Tapferkeit paradierend, auf die Brückenbohlen hinaufritt.
»Es hat ja keinen Zweck, sich der Gefahr auszusetzen, Rittmeister. Sie sollten lieber absteigen«, sagte der Oberst.
»Ach was! Wen's treffen soll, den trifft's«, antwortete Waska Denisow, sich im Sattel umwendend.
Unterdessen standen Neswizki, Scherkow und der Offizier à la suite außer Schußweite beieinander und blickten bald nach diesem kleinen, an der Brücke eifrig tätigen Häuflein von Husaren in gelben Tschakos, dunkelgrünen, mit Schnüren besetzten Jacken und blauen Reithosen, bald nach der gegenüberliegenden Seite, nach den in der Ferne sich nähernden blauen Kapotmänteln und den mit Pferden untermischten Gruppen, die man leicht als Artillerie erkennen konnte.
»Ob sie wohl die Brücke in Brand bekommen werden oder nicht? Wer wohl zuerst seine Absicht erreicht: ob die Unsrigen noch rechtzeitig hinkommen und die Brücke anzünden, oder die Franzosen vorher auf Kartätsch-Schußweite heranrücken und sie über den Haufen schießen?« Diese Fragen legte sich beklommenen Herzens unwillkürlich jeder einzelne Mann in der großen Truppe vor, die diesseits der Brücke auf der Anhöhe stand und bei dem hellen Abendlicht auf die Brücke und die Husaren und jenseits auf die heranrückenden blauen Kapotmäntel mit den Bajonetten und Kanonen hinblickte.
»O weh, den Husaren wird es schlimm ergehen!« sagte Neswizki. »Jetzt ist der Feind schon auf Kartätsch-Schußweite heran.«
»Es war ein Fehler von ihm, so viele Leute hinzuführen«, sagte der Offizier à la suite.
»Allerdings«, erwiderte Neswizki. »Zwei tüchtige Burschen hätte er hinschicken sollen; das hätte dieselben Dienste getan.«
»Ach, Euer Durchlaucht«, mischte sich hier Scherkow in das Gespräch, der unverwandt nach den Husaren hinunterblickte; er sprach in seiner gewöhnlichen ungenierten Manier, bei der man nicht erraten konnte, ob er im Ernst redete oder nicht. »Ach, Euer Durchlaucht! Wie können Sie über die Sache nur so urteilen! Zwei Mann hätte der Oberst hinschicken sollen? Aber wer hätte ihm dann den Wladimirorden am Band verliehen? Aber so, wenn wir auch einige Verluste haben, kann er doch in seinem Bericht die Eskadron rühmend erwähnen und selbst ein Bändchen bekommen. Unser Bogdanowitsch weiß, wie es gemacht wird.«
»Sehen Sie«, sagte der Offizier à la suite, »da sind die Kartätschen!«
Er zeigte auf die französische Artillerie, welche abprotzte und schnell zurückfuhr.
Auf der französischen Seite, in den Gruppen, wo sich die Geschütze befanden, erschien ein Rauchwölkchen, dann ein zweites und mit ihm fast gleichzeitig ein drittes, und in demselben Augenblick, als der Knall von dem ersten Schuß herübergelangte, erschien ein viertes. Dann hörte man zwei Knaller unmittelbar nacheinander, und dann noch einen.
Die französischen Geschütze wurden schnell wieder geladen und gaben eine zweite und eine dritte Salve.
»Oh, oh!« stöhnte Neswizki wie infolge eines starken körperlichen Schmerzes und griff nach der Hand des Offiziers à la suite. »Sehen Sie nur, da ist einer gefallen, gefallen, gefallen!«
»Zwei, wie es scheint.«
»Wenn ich Kaiser wäre, würde ich nie Krieg führen«, sagte Neswizki und wandte sich ab.
Jetzt setzte sich die französische Infanterie in ihren blauen Kapotmänteln im Laufschritt nach der Brücke in Bewegung. Wieder, aber in verschiedenen Abständen, zeigten sich Rauchwölkchen, und die Kartätschen prasselten und knatterten auf die Brücke nieder. Aber diesmal war Neswizki nicht imstande zu sehen, was bei der Brücke vorging. Von der Brücke erhob sich dicker Rauch. Es war den Husaren bereits gelungen, die Brücke anzuzünden, und die französischen Geschütze schossen nach ihnen nicht mehr in der Absicht, das Anzünden zu verhindern, sondern weil die Kanonen nun einmal gerichtet waren und Feinde da waren, nach denen sie schießen konnten.
Die Franzosen hatten dreimal feuern können, bevor die Husaren zu ihren Pferden zurückkehrten. Die beiden ersten Salven waren schlecht gezielt gewesen, und die ganzen Kartätschladungen waren darüber hinweggegangen; bei der letzten dagegen fuhren die Kugeln mitten in das Häufchen Husaren hinein und warfen drei Mann zu Boden.
Rostow, dem fortwährend seine Beziehungen zu Bogdanowitsch im Kopf herumgingen, war auf der Brücke stehengeblieben, ohne zu wissen, was er nun tun solle. Zum Niederhauen (wie er sich immer einen Kampf vorgestellt hatte) war kein Gegner zur Stelle; beim Anzünden der Brücke konnte er gleichfalls nicht helfen, weil er nicht, wie die andern Soldaten, eine Strohfackel mitgenommen hatte. Er stand da und blickte um sich, als es auf einmal auf der Brücke prasselte, wie wenn Nüsse daraufgeschüttet würden, und einer der Husaren, der ihm gerade von allen am nächsten stand, stöhnend gegen das Geländer fiel. Rostow lief mit anderen zu ihm hin. Wieder rief jemand: »Eine Tragbahre!« Vier Mann faßten den Verwundeten von unten und machten sich daran, ihn aufzuheben.
»Oh, oh, oh, oh ...! Laßt mich liegen, um Christi willen«, schrie dieser; aber sie hoben ihn dennoch auf und legten ihn auf die Bahre.
Nikolai Rostow wandte sich ab und blickte, wie wenn er etwas suchte, in die Ferne, nach dem Wasser der Donau, nach dem Himmel, nach der Sonne. Wie schön sah der Himmel aus, so blau, so ruhig und so tief! Wie hell und majestätisch die sinkende Sonne! Wie freundlich schimmerte und glänzte das Wasser der fernen Donau! Und noch schöner sahen jenseits der Donau die fernen, bläulichen Berge aus und das Kloster und die geheimnisvollen Schluchten und die bis zu den Wipfeln von Nebel umflossenen Fichtenwälder. So still alles, so glücklich ... »Nichts, nichts wollte ich weiter wünschen, wenn ich nur dort wäre«, dachte Rostow. »In meiner Seele und in diesem Sonnenschein wohnt so viel Glück; aber hier ist nichts als Stöhnen, Leiden, Furcht und diese Ungewißheit, dieses Hasten ... Da wird wieder etwas gerufen, und wieder laufen alle irgendwohin zurück, und ich laufe mit ihnen, und da, da ist er, der Tod, er schwebt über mir, um mich ... Ein Augenblick nur, und ich werde nie mehr diese Sonne und dieses Wasser und diese Schluchten sehen ...«
In diesem Augenblick verbarg sich die Sonne hinter dunklen Wolken; Rostow erblickte noch andere Bahren vor sich, die getragen wurden. Und die Furcht vor den Tragbahren und vor dem Tod, und die Liebe zur Sonne und zum Leben, alles floß zu einer einzigen schmerzlichen, beunruhigenden Empfindung zusammen.
»Herr Gott! Du, der du in diesem Himmel wohnst, rette mich und vergib mir und beschütze mich!« flüsterte Rostow vor sich hin.
Die Husaren waren zu ihren Pferden gelangt; die Stimmen wurden wieder lauter und ruhiger; die Tragbahren waren nicht mehr zu sehen.
»Nun, Bruder, hast du Pulver gerochen?« hörte Rostow dicht neben sich Waska Denisow schreien.
»Die Gefahr ist vorbei; aber ich bin ein Feigling, ja, ein Feigling!« dachte Rostow, nahm mit einem schweren Seufzer aus den Händen des Pferdehalters seinen »Raben« in Empfang, der den einen Fuß seitwärts gestellt hatte, und stieg auf.
»Was war denn das? Kartätschen?« fragte er Denisow.
»Und ganz gehörige!« rief Denisow. »Unsere Leute haben ihre Aufgabe wacker erledigt! Aber es war eine widerwärtige Aufgabe! Eine Attacke, das ist eine vergnügliche Sache; da kann man einhauen. Aber dies hier war eine verteufelte Geschichte; sie schossen ja nach uns wie nach der Scheibe.«
Damit trennte sich Denisow von Rostow und ritt auf eine nicht weit entfernt stehende Gruppe zu; es waren der Regimentskommandeur, Neswizki, Scherkow und der Offizier à la suite.
»Es scheint aber, daß es niemand gemerkt hat«, dachte Rostow mit Bezug auf sein Verhalten. Und wirklich war niemandem etwas aufgefallen, weil jedem das Gefühl bekannt war, das ein Junker durchmachen muß, wenn er zum erstenmal ins Feuer kommt.
»Na, nun werden wir aber mal einen Bericht über Sie machen«, sagte Scherkow. »Sie sollen sehen, es wird auch für mich etwas dabei abfallen, die Beförderung zum Sekondeleutnant.«
»Melden Sie dem Fürsten, daß ich die Brücke in Brand gesteckt habe«, sagte der Oberst in heiterem, feierlichem Ton.
»Und wenn nach den Verlusten gefragt wird?«
»Unbedeutend!« antwortete der Oberst mit seiner Baßstimme. »Zwei Husaren verwundet und einer zur Strecke gebracht«, sagte er mit sichtlicher Freude und außerstande, ein glückseliges Lächeln zu unterdrücken, während er die schöne Wendung »zur Strecke gebracht« klangvoll aussprach.