Читать книгу Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi - Страница 14
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ОглавлениеLjewin trank sein Glas aus, und beide schwiegen eine Weile.
»Eines muß ich dir noch mitteilen. Kennst du Wronski?« fragte Stepan Arkadjewitsch darauf seinen Freund.
»Nein, ich kenne ihn nicht. Warum fragst du?«
»Bring noch eine Flasche!« wandte sich Stepan Arkadjewitsch an den Tataren, der die Gläser wieder gefüllt hatte und sich um die beiden gerade dann zu schaffen machte, wenn seine Anwesenheit nicht erwünscht war.
»Du solltest Wronski deswegen kennen, weil er einer deiner Nebenbuhler ist.«
»Wer ist dieser Wronski?« rief Ljewin, und der kindlich-schwärmerische Ausdruck seines Gesichtes, über den sich Oblonski soeben noch gefreut hatte, verwandelte sich plötzlich in einen grimmigen, feindseligen.
»Wronski ist einer der Söhne des Grafen Kirill Iwanowitsch Wronski und einer der hervorragendsten Vertreter der Petersburger jeunesse dorée. Ich habe ihn in Twer kennengelernt, als ich dort angestellt war und er zur Rekrutenaushebung hinkam. Er ist furchtbar reich, ein schöner Mann, hat viele gute Beziehungen, Flügeladjutant, und dabei zugleich ein sehr liebenswürdiger, guter Kerl. Aber er ist mehr als nur so ein guter Kerl. Nach dem, wie ich ihn hier kennengelernt habe, ist er ein gebildeter, sehr gescheiter Mensch; er wird es noch einmal weit bringen.«
Ljewin zog ein finsteres Gesicht und schwieg.
»Na also, der erschien hier bald nach deiner Abreise, und soviel ich weiß, ist er in Kitty bis über die Ohren verliebt, und du begreifst wohl, daß die Mutter ...«
»Entschuldige, aber ich begreife gar nichts«, sagte Ljewin mit düsterer Stirn. Und zugleich fiel ihm sein Bruder Nikolai ein und wie schlecht er selbst sei, daß er diesen hatte vergessen können.
»Halt, warte einmal!« sagte Stepan Arkadjewitsch lächelnd und berührte seine Hand. »Ich habe dir mitgeteilt, was ich weiß, und ich wiederhole: in dieser heiklen, zarten Angelegenheit sind, soweit sich dergleichen vorher beurteilen läßt, meines Erachtens die Aussichten auf deiner Seite.«
Ljewin lehnte sich auf seinem Stuhl zurück; sein Gesicht war ganz blaß geworden.
»Ich würde dir aber raten, die Sache möglichst bald zur Entscheidung zu bringen«, fuhr Oblonski fort und füllte ihm das Glas wieder.
»Nein, ich danke, ich kann nicht mehr trinken«, lehnte Ljewin ab und schob das Glas zurück. »Ich würde betrunken werden. – Nun, und du, wie geht es dir denn?« fragte er, offenbar mit dem Wunsche, das Thema zu wechseln.
»Nur noch ein Wort: auf jeden Fall rate ich dir, die Frage mit möglichster Beschleunigung ins reine zu bringen; aber heute schon davon zu reden, dazu würde ich nicht raten«, sagte Stepan Arkadjewitsch. »Mach morgen vormittag dort in der nun einmal üblichen Form einen Besuch und halte um ihre Hand an. Und Gott möge dich segnen!«
»Du wolltest mich doch immer einmal zur Jagd auf dem Lande besuchen? Komm doch in diesem Frühjahr!« erwiderte Ljewin.
Er bereute es jetzt in tiefster Seele, mit Stepan Arkadjewitsch dieses Gespräch begonnen zu haben. Sein Gefühl, ein Gefühl, das nach seiner Meinung ganz eigenartig dastand, war entweiht durch das Gespräch über die gleichen Bemühungen irgendeines Petersburger Offiziers und durch Stepan Arkadjewitschs Mutmaßungen und Ratschläge.
Stepan Arkadjewitsch lächelte. Er begriff völlig, was in Ljewins Seele vorging.
»Ich komme schon noch einmal«, antwortete er. »Ja, liebster Freund, die Weiber, das ist doch der Angelpunkt, um den sich alles dreht. Auch mir geht es schlimm, recht schlimm. Und alles kommt von den Weibern her. Sage mir doch mal ganz aufrichtig deine Meinung«, fuhr er fort – in der einen Hand hielt er eine Zigarre, die er hervorgeholt hatte, die andere Hand hatte er am Weinglase – »und gib mir einen Rat!«
»In welcher Angelegenheit denn?«
»Hör zu! Nehmen wir an, du wärest verheiratet und liebtest deine Frau, hättest aber eine Leidenschaft zu einem anderen weiblichen Wesen gefaßt ...«
»Entschuldige, aber ich verstehe durchaus nicht, wie jemand ... ebenso wie ich nicht verstehe, was mich veranlassen könnte, jetzt, da ich völlig gesättigt bin, aus einem Bäckerladen im Vorbeigehen einen Kringel zu stehlen.«
Stepan Arkadjewitschs Augen glänzten noch heller als gewöhnlich.
»Warum nicht? Ein Kringel duftet manchmal so gut, daß man nicht widerstehen kann.
Himmlisch war's, wenn ich bezwang
Meine sündige Begier;
Aber wenn's mir nicht gelang,
Hatt ich doch ein groß Pläsier!«
Bei diesen Worten lächelte Stepan Arkadjewitsch fein und listig. Auch Ljewin vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken.
»Ja, aber nun ohne Scherz«, fuhr Oblonski fort. »Verstehst du: ein Mädchen, ein gutes, sanftes, liebendes Wesen, hat einem Manne alles geopfert und steht nun arm und einsam da. Soll nun jetzt, nachdem die Tat bereits geschehen ist, verstehst du wohl, soll der Mann sie nun im Stiche lassen? Allerdings, er wird sich von ihr trennen müssen, um sein Familienleben nicht zu zerstören; aber soll er sie nicht bemitleiden, sie nicht wirtschaftlich sicherstellen, ihren Kummer mildern?«
»Du mußt mich schon entschuldigen. Du weißt, für mich zerfallen alle Frauen in zwei Klassen – das heißt, nein – richtiger so: es gibt Frauen, und es gibt ... Ich habe unter den gefallenen Weibern noch keine reizenden Geschöpfe gesehen und werde solche wohl auch nie unter ihnen sehen; dergleichen Weiber, wie die geschminkte Französin da an der Kasse, mit den Papilloten, das ist in meinen Augen widerwärtiges Geschmeiß, und alle Gefallenen sind von dieser selben Sorte.«
»Und die Sünderin im Evangelium?«
»Ach, fang nicht damit an! Christus hätte jene Worte nie gesprochen, wenn er gewußt hätte, wie sie mißbraucht werden würden. Aus dieser ganzen Geschichte werden immer nur diese Worte angeführt. Übrigens ist das bei mir nicht sowohl Sache des Verstandes wie Sache des Gefühls. Ich habe einen Widerwillen gegen gefallene Weiber. Du ekelst dich vor Spinnen und ich mich vor diesem Geschmeiß. Und dabei hast du die Spinnen gewiß nicht studiert und bist mit ihrem Charakter nicht bekannt; mit mir steht es ebenso.«
»So zu reden wie du, ist kein Kunststück; du verfährst gerade wie jener Herr bei Dickens, der alle schwierigen Fragen mit der linken Hand über die rechte Schulter wirft. Aber die Daseinsberechtigung einer Tatsache ableugnen, das ist noch keine Antwort. Was ist in solcher Lage zu tun? Das sage mir: Was ist zu tun? Deine Frau altert, und du selbst bist noch voll Lebenslust. Ehe du dich dessen versiehst, fühlst du auch schon, daß du deine Frau nicht mehr lieben kannst, wenn du sie auch noch so sehr achtest und verehrst. Und auf einmal steht wie aus dem Boden gewachsen eine wirkliche Liebe da, und du bist verloren, verloren!« stöhnte Stepan Arkadjewitsch niedergeschlagen und verzweifelt.
Ljewin verzog das Gesicht zu einem Lächeln.
»Jawohl, verloren!« fuhr Oblonski fort. »Aber was ist da zu tun?«
»Man darf keine Kringel stehlen.«
Stepan Arkadjewitsch lachte auf.
»O du Moralprediger! Aber mach dir das doch nur klar: Da sind zwei Frauen: die eine kann sich nur auf ihr Recht berufen, und nach diesem Rechte steht ihr deine Liebe zu, die du ihr doch nicht zu geben vermagst; die andere bringt dir alles zum Opfer, ohne irgend etwas zu fordern. Was mußt du da tun? Wie mußt du dich verhalten? Das ist die furchtbare Tragik dieser Lage.«
»Wenn du meine aufrichtige Meinung darüber wissen willst, muß ich dir sagen: ich glaube gar nicht, daß dabei irgendwelche Tragik vorkommen kann. Der Grund ist der: Nach meiner Ansicht dient die Liebe – oder genauer: die beiden Arten der Liebe, die, wie du dich wohl erinnerst, Plato in seinem ›Gastmahl‹ unterscheidet –, also die beiden Arten der Liebe dienen als Prüfstein für die Menschen. Manche Menschen besitzen nur für die eine, manche nur für die andere Art Verständnis. Diejenigen, die nur für die nichtplatonische Art der Liebe Verständnis besitzen, haben kein Recht, von Tragik zu reden. Bei dieser Art der Liebe kann überhaupt keine Tragik vorkommen. Da heißt es: ›Ich danke ergebenst für das genossene Vergnügen und empfehle mich‹, und damit ist die Sache erledigt. Bei der platonischen Liebe aber ist Tragik deswegen unmöglich, weil bei einer solchen Liebe alles klar und rein ist und weil ...«
In diesem Augenblicke fielen ihm aber seine eigenen Sünden und der Seelenkampf ein, den er durchgemacht hatte. Und er fügte ohne Zusammenhang mit dem, was er vorher gesagt hatte, hinzu:
»Es mag übrigens auch sein, daß du recht hast. Sehr möglich ... Aber ich weiß es nicht, ich weiß es schlechterdings nicht.«
»Ja, siehst du wohl«, erwiderte Stepan Arkadjewitsch, »du bist ein durchaus einheitlicher Mensch. Das ist an dir ein Vorzug und zugleich ein Mangel. Du selbst bist ein einheitlicher Charakter und möchtest nun, daß sich auch das ganze Leben aus einheitlichen Erscheinungen zusammensetze, – aber das geht eben nicht an. Da verachtest du zum Beispiel unsere Tätigkeit im Staatsdienste, weil du möchtest, daß diese Tätigkeit sich stets mit ihrem Ziele im Einklang befinde; aber das ist nicht möglich. Du möchtest auch, daß die Tätigkeit eines jeden einzelnen Menschen immer ein bestimmtes Ziel habe und daß Liebe und Eheleben immer zusammenfielen; aber das ist unmöglich. Die ganze bunte Mannigfaltigkeit, der ganze Reiz, die ganze Schönheit des Lebens setzt sich aus Licht und Schatten zusammen.«
Ljewin seufzte und erwiderte nichts darauf. Er hatte seine eigenen Gedanken und hörte nicht auf das, was Oblonski sagte.
Und auf einmal fühlten sie beide, daß, obgleich sie Freunde waren und obgleich sie zusammen gespeist und Wein getrunken hatten, was sie eigentlich einander hätte noch näherbringen müssen, daß dennoch ein jeder von ihnen nur an sich selbst dachte und sich um den anderen herzlich wenig grämte. Oblonski hatte schon mehr als einmal diese Erfahrung gemacht, daß nach einem gemeinsamen guten Mittagessen statt der zu erwartenden Annäherung vielmehr eine Entfremdung eintritt, und wußte, was in solchen Fällen zu tun sei.
»Die Rechnung!« rief er und begab sich dann in den anstoßenden Saal, wo er auch sogleich einen ihm bekannten Adjutanten traf und sich mit ihm in ein Gespräch über eine Schauspielerin und ihren Liebhaber einließ. Und bei dieser Unterhaltung mit dem Adjutanten fühlte Oblonski sofort, daß ihm leichter zumute wurde und er sich von dem Gespräche mit Ljewin erholte, der ihn immer zu einer übermäßigen geistigen und seelischen Anspannung veranlaßte.
Der Tatar erschien mit der Rechnung im Betrage von sechsundzwanzig Rubeln und einigen Kopeken, wozu dann noch das Trinkgeld kam; aber Ljewin, der als Bewohner des platten Landes zu anderer Zeit einen gewaltigen Schreck über eine Rechnung bekommen hätte, bei der auf sein Teil vierzehn Rubel entfielen, beachtete dies jetzt gar nicht, bezahlte und begab sich nach Hause, um sich umzukleiden und dann zu Schtscherbazkis zu fahren, wo sich sein Schicksal entscheiden sollte.