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„Die Tat, die er nicht begehen wollte, beging der Andere.“

Überlegungen zu Hanns Heinz Ewers und seinem Film- und Novellenstoff Der Student von Prag

Reinhold Keiner

Der Film DER STUDENT VON PRAG, uraufgeführt am 22.8.1913 in den ‚Lichtspielen‘ im Berliner ‚Mozartsaal‘, war ‚der‘ Film der deutschen Produktion vor dem Ersten Weltkrieg. Er verhalf der ‚Kinematographie‘ in Deutschland zu einer gewissen gesellschaftlichen Reputation, überzeugte mehr Teile der Presse von ihrer Wichtigkeit und eroberte auch den Weltmarkt, begründete mit den Weltruf des deutschen Stummfilms.

Die Grundidee des Films, das Doppelgänger-Motiv, das literarische Motiv der ‚Romantik‘ schlechthin, wird heute übereinstimmend dem Schauspieler Paul Wegener (1874-1948) zugeschrieben, Darsteller der Hauptfigur, dem Student Balduin. Der von diesem neuen Medium ebenso wie der Autor des Films, Hanns Heinz Ewers (1871-1943), faszinierte Wegener, späterhin in der Stummfilmzeit mit seinen Filmen auch immer um die Entwicklung der künstlerischen Möglichkeiten des Films bemüht, war wohl durch die damals bei Studenten beliebten Scherze mit Fotos von Doppelgängern neugierig geworden, ob es wohl möglich sei, solche Aufnahmen auch im Film zu machen.(1) Ewers, heute gerne auch als ‚Stephen King des Kaiserreichs‘ tituliert, brachte Wegener dann seine Idee in die Form eines Films, immer in Zusammenarbeit mit ihm.

Sein in diesem Buch erstmalig abgedrucktes ‚Szenario‘ war zwar sehr kolportagehaft und inhaltlich stark einem literarischen Eklektizismus verhaftet – es finden sich darin u.a. Anklänge an E.T.A. Hoffmanns (1776-1822) Sammlung Fantasiestücke in Callots Manier, an Adelbert von Chamissos (1781-1838) Peter Schlemihls wundersame Geschichte, an E.A. Poes (1809-1849) William Wilson und an den Faust-Stoff –, es hob sich aber doch andererseits durch sein Verständnis für die formalen Möglichkeiten des Films von der Masse der anderen ‚Vorlagen‘ der Zeit ab. Ewers spürte in seinem Exposé(2) nach Bildern, suchte Beleuchtungseffekte zu schaffen und bemühte sich, Stimmungen zu dichten. Ohne ihn, der in der Folgezeit noch etliche weitere Filmskripte schrieb, ist die erste ‚Blütezeit‘ der deutschen ‚Kinematographie‘ nicht denkbar. Den Autor eines Films empfand man nun für die Produktion immer wichtiger, was sicherlich auch mit den veränderten technischen Anforderungen innerhalb der Filmindustrie zusammenhing. Die nunmehrige Herstellung mehraktiger Filme bedeutete einen Einschnitt im Vergleich zu den Produktionsbedingungen bei der Herstellung von Einaktern – die Dramaturgie der Filme veränderte sich zwangsläufig: „Verzweigte Erzähllinien, Parallel- und Gegenhandlungen waren nicht nur möglich, sondern erforderlich. Rückblenden und Zeitsprünge, Wendungen in der Handlung und die Einführung neuer Figuren bekamen eine größere Bedeutung, weil sie den erweiterten Erzählraum und die verzweigtere Handlungsführung gliedern oder kausal legitimieren konnten.“(3)

Mit dem ‚Romantischen Drama‘ DER STUDENT VON PRAG verbreitete Hanns Heinz Ewers zudem ein Thema auf der Leinwand, das eine Obsession des deutschen Films werden sollte: eine tiefe und furchtbare Sorge um die Grundlagen des Ich. Das fantastische Thema, die Persönlichkeitsspaltung der Hauptfigur des Films, des Studenten Balduin, signalisierte zudem bereits ein Merkmal des so genannten Film-Expressionismus der 1920er-Jahre. DER STUDENT VON PRAG ist wie das von Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) geschriebene ‚Traumspiel‘ DAS FREMDE MÄDCHEN (1913)(4) ein frühes Beispiel dieses nichtrealistischen Filmstils, dem in diesem konkreten Fall aber noch die traditionell naturalistische Inszenierung entgegenstand. Wenn es überhaupt für die ganzen so genannten ‚Autoren‘- oder ‚Künstlerfilms‘ dieser Jahre vor 1914 einen gemeinsamen Nenner gibt, so ist er am ehesten in der Vorliebe für fantastische, legenden- und märchenhafte Stoffe zu suchen.

Die meisten anderen Stoffgebiete, die die Vorlagen für die ‚Kinostücke‘ der Zeit lieferten, waren zudem von der Film-Industrie bereits gründlich ‚verwertet‘ worden. Die eigentümliche Konstanz der ‚Autorenfilme‘, zu denen DER STUDENT VON PRAG zählte, in denen die Bilderwelt eines vorindustriellen Zeitalters entstand, entsprach aber auch ganz einfach den filmtheoretischen Vorstellungen mancher zeitgenössischer Schriftsteller, die die Filmemacher dazu aufforderten, „den spezifischen Möglichkeiten ihres Mediums Substanz zu verleihen und weniger existierende Objekte als vielmehr Produkte reiner Imagination wiederzugeben.“(5) In den Inhalten der ‚Autoren-Films‘ ‚spiegeln‘ sich sicherlich auch sozialpsychologische Dispositionen ihrer Urheber.

Man muss Hanns Heinz Ewers auch das filmhistorische ‚Verdienst‘ zusprechen, dass er mittels seines Exposés das literarische Motiv ‚Horror‘, das in der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland vorhandenen Form der ‚Schauerromane‘ seinen wohl populärsten Niederschlag fand, in ein neu entstehendes Genre der Film-Industrie transponierte. Das Motiv des Doppelgängers zählt auch heute noch zu den sechs oder sieben immer wiederkehrenden Themen des Genres ‚Horrorfilm‘, es ist eines seiner typologischen Grundmuster. Den STUDENT VON PRAG muss man allerdings noch zu denjenigen Filmen zählen, die die Thematik verbreiten halfen, das Motiv erst selbst entdeckten und seine Darstellbarkeit erprobten. Aufgabe des Genrefilms ist es dagegen, das Motiv immer wieder in leicht variierter Form neu zu zeigen; ihre Hersteller können sich auf das Einverständnis des ‚Konsumenten‘ mit dem Motiv/der Thematik berufen.(6)

In Artikeln und in Anzeigen, die in den damaligen Filmzeitschriften erschienen, galt DER STUDENT VON PRAG in allererster Linie als ‚Ewers-Film‘. Die den Film herstellende ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ zählte ihn in ihren Anzeigen zu den Filmen einer ‚Hanns-Heinz-Ewers-Serie‘, gelegentlich ordnete sie ihn aber auch ihrer ‚Paul-Wegener-Serie‘ zu. Der Name Paul Wegener hatte wohl – bedingt durch dessen Erfolge an Max Reinhardts ‚Deutschem Theater‘ in Berlin – einen ähnlich populären Ruf wie der von Ewers. Die Film-Gesellschaft wies sogar in einer Anzeige, die in der ‚Erste Internationale Film-Zeitung‘ vom 16.8.1913 erschien, darauf hin, dass DER STUDENT VON PRAG vom Verfasser selbst in Szene gesetzt worden sei. Weder im Programmheft noch im Vorspann des Films – „In Szene gesetzt vom Verfasser“(7) – wurde sein (Mit-)Regisseur Stellan Rye (1880-1914) erwähnt; selbstredend vereinnahmte auch der immer etwas selbstgefällige und eitle Hanns Heinz Ewers dessen Regieleistung für sich selbst.(8) Viele Jahre später verschob sich dann die Zumessung ästhetischer Urheberschaft mit zugunsten von Rye und besonders von Wegener.

Man muss aber bei diesem Streifen, wohl zum ersten Mal in der deutschen Filmgeschichte, von einer echten Ensembleleistung aller künstlerisch Mitwirkenden sprechen; auch Ewers hat sicherlich einige der Aufnahmen persönlich geleitet(9), aber „... die in die Spielhandlung eingebauten Filmtricks der Doppelgängeraufnahme und des Stoptricks, die Beweglichkeit der schwenkenden Kamera, die Inszenierung der Massenszenen in die Tiefe, …, die Beleuchtungseffekte …“(10) sind z.B. ohne das Können des ‚Aufnahme-Operateurs‘ Guido Seeber (1879-1940) nicht denkbar. Mit 20.000 Mark Produktionskosten war DER STUDENT VON PRAG etwa doppelt so teuer wie eine normale Produktion in jenen Jahren.

Der Film(11) hielt sich in seinem Handlungsablauf weitgehend an das 19-seitige und 80 ‚Bilder‘ umfassende Exposé von Ewers, von ihm in einer knappen anschaulich-handlungsbezogenen Sprache geschrieben, ohne Angabe von Einstellungsgrößen und mögliche Aktschlüsse bedenkend. Das Exposé sah nur elf Zwischentitel vor, darunter eine inhaltsbezogene Texttafel, den Vertrag zwischen dem Studenten Balduin und dem alten Abenteurer Scapinelli. Der fertige Film hatte dann sicherlich mehr Zwischentitel/Texttafeln, einschließlich der damals gebräuchlichen Akt-Einteilungen (Beginn/Ende), die in späteren Betrachtungen des Films(12) aber immer wieder erwähnten 90 Zwischentitel/Texttafeln waren dem Umstand geschuldet, dass der Film ca. 1915 von der Film-Gesellschaft ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ an die Firma ‚Robert Glombeck‘ in Berlin verkauft wurde und diese ihn später, wohl in den Jahren 1925/26, entsprechend veränderte, und, so Ewers: „Er (Die Glombeck-Fassung, d.V.) enthält hunderte von Metern, die völlig neu gemacht wurden. Er enthält ferner fast hundert geradezu ungeheuerlich blöder und kindischer Schriften, die selbstverständlich nicht von mir stammen: Mein Original-‚Student‘ hatte nur ein halbes Dutzend Schriften. Dazu ließ Herr Glombeck – der übrigens in der Titulatur des Films stolz als Glombeck-Film bezeichnete – eine Reihe von Passagen ein halbes Dutzendmal hintereinander wiederholen, brachte dieselben Schriften immer wieder von neuem. Kein Wunder, daß (später, d.V.) das Publikum den Film von vorn bis hinten verlachte.“(13)

Den Film, dessen Negativ nach dem Verkauf verbrannt war, hatte Robert Glombeck bereits am 4.6.1921 erneut der Zensur vorgelegt und er lief bis zu seiner wesentlichen Veränderung 1925/26 in den Kinos, allerdings fehlten in dieser Fassung durch Beschädigung des Films bereits 70 m von der ursprünglichen Länge.(14) 1925/26 fügte Robert Glombeck in seine Fassung des Films hauptsächlich Dialogtitel, orts- und zeitbestimmende Titel bzw. Mischformen wie erklärende Dialogtitel sowie erklärende orts- und zeitbestimmende Titel ein.(15)

Die Rezensenten der ursprünglichen Fassung lobten dagegen öfters, dass die Handlung ohne die Aufklärung des Wortes sich abwickle und der Inhalt auch durch Mimik und ansprechende Bilder verständlich sei; überhaupt rief DER STUDENT VON PRAG das Lob der Kritiker, besonders in der Tagespresse, hervor, „auch wenn sie nicht bloß aus dem 12 seitigen Programmheft der Bioscop zu dem Film abschrieben.“(16) Die ‘Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ konnte schon bald nach der Premiere des Films die Dokumentation einer Vielzahl von positiven Presseaussagen und -kritiken erstellen, die dann per Anzeige in Filmzeitschriften und als Sonderdruck für die Kinobesitzer verbreitet wurden.(17)

Ewers selbst reiste gelegentlich zu Vorführungen des Films, setzte damit ein Engagement fort, das er bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts – vorerst publizistisch – für das damals neue Medium Film begonnen hatte, zu einer Zeit, als die Mehrzahl seiner Schriftstellerkollegen der ‚Kinematographie‘ noch ablehnend gegenüberstand. In der offiziellen Literatur- und Kulturkritik blieb ‚der‘ Kino unbeachtet. „Damals galt es für jeden Schriftsteller, der auf sich hielt, als Sünde wider alle Geistigkeit, sich mit dem Film zu befassen.“(18)

Sein erstes Bekenntnis zum Kino als Kunstform legte der „enthusiastische Verehrer des Kinematographen“(19) 1907 in einer ‚Morgen‘ betitelten ‚Wochenschrift für deutsche Kultur‘ ab, die u.a. von solchen Autoritäten des damaligen Kulturlebens wie Werner Sombart (1863-1941), Richard Strauss (1864-1949), Georg Brandes (1842-1927), Richard Muther (1860-1909) und Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) herausgegeben wurde. Ewers, „... der König der Bohème mit seiner Residenz im alten Café des Westens neben Schickele, Else Lasker-Schüler und Reinhardt“(20), war eines Tages bei einem der Mitherausgeber des ‚Morgen‘, Dr. Artur Landsberger (1876-1933), erschienen und hatte diesem dargelegt, „daß es Pflicht eines Blattes sei, das, wie der Titel ‚Morgen‘ beweise, in die Zukunft weise und sich Zeitschrift für deutsche Kultur nenne, sich des Films anzunehmen – und zwar nicht nur gelegentlich und so nebenbei, sondern mit Ernst und Hingabe.“(21) Es gelang ihm mit Hilfe von Artur Landsberger, den er wohl für sein Anliegen interessiert hatte und mit dem er bis ca. Mitte der 1920er-Jahre sehr freundschaftlich verbunden blieb, im Oktober 1907 seinen Artikel, der die Überschrift ‚Der Kientopp‘(22) trug, in der Wochenschrift unterzubringen. Dieser rief, wie nicht anders zu erwarten, einen ziemlichen Sturm der Entrüstung hervor, hatte Ewers es doch u.a. auch gewagt, sich Gedanken über die Verfilmung von Stücken Shakespeares zu machen – „die damals wie eine Blasphemie und Schändung des Allerheiligsten klangen“(23) – und die von ihm so genannten ‚Preßleute‘ der kulturellen Blindheit zu zeihen.

Die Möglichkeit, sein über die nächsten Jahre fortwährendes – und sehr entschiedenes – publizistisches Engagement für die „unbegrenzten Möglichkeiten des Rollfilm auf allen nur möglichen Gebieten“(24), seine bislang nur theoretisch geäußerten Ansichten in der Film-Praxis zu erproben, bekam er 1912 – und zwar von dem Direktor der Berliner Filmfirma ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘, von Erich Zeiske.(25) Schließt man sich der Schilderung von Ewers an, die dieser selbst von dem Vorgang gibt, so nahm ihn Zeiske mit hinaus in die Ateliers nach Neubabelsberg: „Ein paar kleine Regisseure drehten dort mit kleinen Schauspielern und Statisten Zehnminutenfilms, zu denen sie selbst die Texte schrieben, die an Kindlichkeit ihresgleichen suchten. (...) Der Betrieb da draußen war in ausgezeichneter Ordnung: ...“(26) Interessant ist, dass Ewers sich gegenüber der Filmfirma nicht nur darauf verpflichtete, acht Filme zu schreiben, zehn Filme sollte er auch selbst inszenieren(27) – und: im selben Jahr besuchte er auch die Studios der Filmfirmen ‚Pathé‘ und ‚Gaumont‘ in Paris, um sich dort über den aktuellen Stand der Filmtechnik zu informieren!

Eine nennenswerte Mitarbeit von anderen bekannten Schriftstellern in der Kinoindustrie hatte bis zu diesem Zeitpunkt kaum stattgefunden; zudem erwies es sich dann, als es endlich zu ersten Zusammenarbeiten kam, dass die meisten der von den Schriftstellern gelieferten Filmmanuskripte sich bei und nach ihrer Umsetzung als den spezifischen Eigenschaften des neuen Mediums wenig gerecht erwiesen. Auch der heute noch Bekannteste der so genannten Autorenfilme – die ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ brachte ihre Filme allerdings unter der Bezeichnung ‚Künstlerfilms‘ heraus –, der nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Paul Lindau (1839-1919) und mit dem berühmten Theater-Schauspieler Albert Bassermann (1867-1952) gedrehte Film DER ANDERE (1913) vermochte letztendlich nur wegen der Mitwirkung von Albert Bassermann bei Publikum und Presse Interesse zu erwecken.(28) Die vollmundigen Ankündigungen der Filmfirmen in der Presse, wen sie nun alles von den Schriftstellern als Mitarbeiter gewonnen hatten, entsprachen wohl auch nicht immer der Wahrheit, so lehnte z.B. Gerhart Hauptmann (1862-1946) es weiterhin ab, seine Dramen zur Verfilmung freizugeben; die Einwilligung gab er vorerst nur für seinen Roman ‚Atlantis‘. Zudem stieß die beabsichtigte künstlerische – und moralische – Hebung des Niveaus der Filme auch in Schriftstellerkreisen weiterhin nicht überall auf Zustimmung.

Der Dichter Hans Kyser (1882-1940) griff z.B. in der Zeitung ‚B.Z. am Mittag‘ beherzt das ‚Kino-Drama‘ an und stellte sogar die Maxime auf: „es darf der Dichter nicht zum Kino gehen!“(29) Kyser's Ablehnung gründete sich vor allem auf die Tatsache des fehlenden Wortes im Film; in diesem Zusammenhang schreckte er nicht davor zurück, sich auf den Bibelsatz zu berufen: ‚Und Gott sprach; so wurde die Welt geschaffen.‘ Hanns Heinz Ewers antwortete ihm in einer Zuschrift an die ‚B.Z. am Mittag‘(30), dass er wohl die Pantomime nicht kenne und hielt ihm den Goethe-Satz aus dem ‚Faust‘ entgegen: „Geschrieben steht: ‚Im Anfang war das Wort!‘ Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muß es anders übersetzen --. “(31) Ewers plädierte in seiner Antwort auch für das nur für das Kino geschriebene Stück, und er betonte, dass auch das Schaffen eines Filmmanuskriptes genau so strenge künstlerische Arbeit wie jedes Gedicht, jeder Roman und jedes Drama erfordern würde: „Nur die Technik ist eine andere, ‚das Ringen mit dem Geiste: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn‘- ... ist genau dasselbe.“(32) Ewers musste hierüber Bescheid wissen, war er doch gerade damit beschäftigt, sich selbst in diesem Metier, dem Schreiben von Filmmanuskripten, zu versuchen; auch sein in der Antwort niedergeschriebener Wunsch, dass aus Hans Kyser hoffentlich noch ein Paulus werde, sollte sich erfüllen – Kyser wurde in den 1920er-Jahren ein ziemlich renommierter Drehbuchautor und war 1935 kurioserweise Mitverfasser des Drehbuchs für ein Tonfilm-Remake von Ewers‘ DER STUDENT VON PRAG.(33)

An dem ersten Remake des Films 1926, hergestellt von der wenig bekannten Berliner Filmfirma ‚Sokal-Film‘, war Ewers zwar anfangs inhaltlich beteiligt, gedreht wurde diese Neuverfilmung dann aber letztendlich nach einem Drehbuch(34) von Henrik Galeen (1892-1949), der auch den ursprünglich als Regisseur vorgesehenen Paul Wegener in dieser Funktion ablöste.

Schwierigkeiten gab es in der Vorphase der Produktion vor allem mit dem Drehbuch; nach dem Ewers-Exposé aus dem Jahre 1913 war – in einigen, unwesentlichen Details leicht verändert resp. umgestellt – ein erstes Drehbuch geschrieben worden, welches aber nicht die Zustimmung von Ewers fand und von ihm immer wieder bearbeitet wurde; er versah es mit Anmerkungen und berief sich dabei oft auf sein 1913-Exposé: „Gestern habe ich den ganzen Tag herumgeredet und gearbeitet an dem Filmmanuskript mit diesen blöden Filmmenschen, die immer alles viel besser wissen und sich benehmen genau wie Oberlehrer in der Schule. Es ist wirklich kein Vergnügen und ich habe den ganzen Tag nichts zu essen bekommen. Abends war ich fürchterlich hungrig, hatte Kopfschmerzen und war wütend. Es ist sozusagen zum Kotzen.“(35)

Zudem kam es zu einem Streit zwischen der ‚Sokal-Film‘ und Robert Glombeck, der ja seit 1915 Besitzer der Rechte an der ersten Verfilmung des Stoffes aus dem Jahr 1913 war. Einstweilige Verfügungen gingen hin und her: Glombeck sollte Negativ und Kopien des ersten Films herausgeben, die ‚Sokal-Film‘ die zweite Fassung nicht im Kino zeigen, da Ewers das gleiche Drehbuch angeblich zweimal verkauft hatte. Die Vergleichsverhandlungen endeten im Oktober 1926 mit dem Ergebnis, dass die ‚Sokal-Film‘ die Verfahrenskosten übernahm und an Robert Glombeck eine erhebliche Summe zahlte, „der dafür seinerseits auf die Rechte an der ersten Verfilmung des ‚Studenten von Prag‘ verzichtete.“(36)

Die hochgesteckten Erwartungen, die Hanns Heinz Ewers an diese Neuverfilmung hatte, erfüllten sich bei ihm persönlich – „This Film must be a success – it's too important! If it's a success – it will help me enormous ...“(37) – und auch bei der den Film dann besprechenden Presse nicht, und dies lag nicht nur daran, dass eine sehr breit ausgespielte Kneipenszene völlig aus Stil und Rahmen fiel, was sowohl Ewers(38) als auch ein Rezensent der ‚Lichtbild-Bühne‘(39) monierten. Dieser forderte darüber hinaus an der im Film vorgestellten Handlung noch zusätzliche Schnitte – wodurch seiner Meinung nach der Streifen nur an Wirksamkeit gewinne – und wies darauf hin, dass das Drehbuch den Stoff von Ewers noch mehr pointieren, noch effektvoller hätte steigern können. Auch der ‚Bildwart‘(40) sah diese 7 Akte und 3173 m lange Verfilmung, die am 25.10.1926 im Berliner Lichtspielhaus ‚Capitol‘ uraufgeführt wurde(41), als nicht geglückt an, obwohl die Neuverfilmung die psychologische Bedeutung der Handlung noch stärker betonte als das Original und den Kampf Balduins mit seinem Doppelgänger offen als Kampf mit seinem anderen Ich interpretierte.

Lediglich der ‚Kinematograph‘(42) sprach von einem Erlebnis, von einem Film, der in seltener Vollendung künstlerische Wirkung und Publikumserfolg in sich vereinige. Auch bei späteren Betrachtern fällt das Remake gegenüber dem Original deutlich ab; bei Heide Schlüpmann z.B. vermittelt die Darstellung des Doppelgängers nicht mehr das Projektive, den Eindruck, Gebilde subjektiven Wahns zu sein – Conrad Veidt als Spiegelbild agiert ihr zu selbstständig: „Das Unheimliche ist zur Schauerromantik herabgesunken, die Spannung zwischen realistisch und phantastisch nivelliert.“(43)

Das Remake von DER STUDENT VON PRAG wurde in einer Zeit gedreht, in der an die Stelle der bisherigen künstlerischen Vielfalt im deutschen Film weitgehend das Muster des kommerziellen Films getreten war; entstanden noch Streifen mit fantastischem Inhalt, so erinnerten diese nur noch in der Form, aber nicht mehr im Gehalt an die vorangegangene ‚expressionistische‘ Kunstrichtung. In diese Zeit der durch den Dawes-Plan seit 1924 eingeleiteten wirtschaftlichen ‚Schein‘-Stabilisierung passten keine Gespenster und Tyrannen mehr.(44) Filme mit Zirkus- und Music-Hall-, orientalischer und zaristisch-russischer Thematik, nicht zu vergessen die Ende der 1920er und zu Beginn der 1930er-Jahre bei den Zuschauern so populäre ungarische Pußta, prägten nun die Produktion, neben der lediglich einige ‚Großfilme‘ wie FAUST (1926) und METROPOLIS (1927), sowie die im Zeichen der ‚Neuen Sachlichkeit‘ gedrehten so genannten Querschnittsfilme und die Arbeiten des Regisseurs G.W. Pabst (1885-1967) herausragten.

1929 kam noch einmal eine Tonfassung der 1926-Verfilmung in die Kinos; diese Fassung war aber nur noch 2750 m lang. Hanns Heinz Ewers hatte vermutlich zu dieser Zeit bereits das Interesse an seinem ‚Student‘-Stoff und an der ‚Filmbranche‘ verloren, zudem befand er sich in einer schweren beruflichen und persönlichen Krise.(45) Dies erklärt möglicherweise wesentlich mit, warum er seinen Stoff nicht selbst zu einer Novelle ausarbeitete, sondern diese Arbeit dem zumindest literarisch zu dieser Zeit noch ziemlich unbekannten Journalisten, Rundfunkmoderator, Literaturkritiker und Schriftsteller Leonard Langheinrich-Anthos(46) (1890-1944) überließ, der erst 1933 mit seinem Buch über Leben und Wirken des deutsch-baltischen Dichters Frank Thiess (1890-1977), dessen Schulfreund er war, größere Bekanntheit erlangte. Eine andere Erklärung lieferte Ewers bereits selbst in seinem Vorwort zu der Novelle Der Student von Prag, die 1930 im Berliner ‚Dom-Verlag‘ erschien. Grundsätzlich hielt er nichts von einer ‚Übertragung‘ von einer Kunstgattung in eine andere: „Auf alle Fälle aber scheint mir, wenn schon eine solche Umgießung vorgenommen werden soll, der Autor selbst hierzu die ungeeignetste Person zu sein: er wird stets mit künstlerischen Hemmungen zu kämpfen haben, die das notwendige rücksichtslose Zufassen verbieten. Darum habe ich es immer abgelehnt, an eine derartige Arbeit heranzugehen, die Dramatisierungen und Verfilmungen meiner Romane ‚Alraune‘, ‚Zauberlehrling‘ usw. vielmehr andern überlassen.“(47) Ansonsten nutzte Ewers sein ‚Geleit‘ in dem Buch dazu aus, mit der von ihm mittlerweile nicht mehr geschätzten ‚Filmbranche‘ abzurechnen.

Auf keinerlei Ewers'sche Gegenliebe stieß dann auch einige Jahre später die dritte Verfilmung des Stoffes, der 1935 uraufgeführte Tonfilm DER STUDENT VON PRAG. Dieser Film entstand nur noch nach Motiven der von ihm ursprünglich geschriebenen Geschichte um den Studenten Balduin und seinen Doppelgänger; gegen das von Hans Kyser und Artur Robison (1888-1935), der auch Regie führte, geschriebene Drehbuch legte er dann auch – allerdings erfolglos – Protest ein: „dieses gradezu scheußliche drehbuch wurde gegen meinen Willen angefertigt und trotz meines protestes und verzweifelten kämpfens auch von der völlig von Gott verlaßenen, schlechten und dummen Filmproduktion ‚Cineallianz‘ zum Film (...) benutzt!“(48) Überhaupt war die „ursprüngliche Story“ von den beiden Drehbuchautoren „… im Stile der zu Beginn der Tonfilmzeit so beliebten Rührstücke mit Gesangseinlagen und prächtiger Ausstattung sentimentalisiert (worden).“(49) Nach Lotte H. Eisner(50) belegt diese Tonfilmversion einmal mehr die Unüberbrückbarkeit der Kluft zwischen Stumm- und Tonfassung eines gleichen Themas, die auch ein Regisseur vom Niveau eines Artur Robison – der 1923 mit dem Film SCHATTEN reüssiert hatte – nicht überwinden konnte. Am 28.11.1935 wurde der Streifen von der Berliner Filmprüfstelle zur öffentlichen Vorführung zugelassen; sie verbot allerdings die Aufführung vor Jugendlichen und folgenden Teil: „Im 1. Akt die Einstellung, die einen Studenten zeigt, der den Baron Waldis zärtlich streichelt und die dazugehörige Dialogstelle: ‚Du hast so etwas Liebes ...‘ “(51)

Ewers war – wie von dem Drehbuch – auch von dem Film absolut nicht angetan: „Natürlich entstand, mit völlig unmöglichen Schauspielern, Regisseur u.s.w., auch ein geradezu grauenhafter Film! – Mir wurde schlecht, als ich ihn sah!“(52) Auch der ‚Filmbetrachter‘ Betz schrieb in der Zeitschrift ‚Der Film‘ nach der Uraufführung am 10.12.1935 einen ziemlichen Verriss; neben grundsätzlichen Einwänden gegen das Drehen von ‚Phantastischen Filmen‘ wies er auf die Skepsis der Zeit vor jeder Art vernebelnder Symbolik hin, „und was immer an problematischer Aufzeigung in lose Szenen gefügt wurde, war so entwaffnend unkompliziert und auf der anderen Seite so diesseitig real, so spukhaft aufgeleimt, daß es als ohnmächtiges Gebilde einer unzureichend in Gang gesetzten Fantasie niedersank.“(53) Auf einen unverbindlichen Standpunkt stellte sich der Rezensent der ‚Filmwoche‘, der empfahl, den Film doch nur als Spiel für das Auge, ohne tiefere Bedeutung, zu betrachten.(54)

Als 5. Band der ‚Tobis-Film-Bücherei‘ erschien im Berliner ‚Ullstein-Verlag‘ zu dem Film noch ein Büchlein, von dem sich Ewers aber auch entschieden distanzierte – zumal das Ganze angeblich „Frei nach Hanns Heinz Ewers“(55) geschrieben worden war: „Diese Fürchterlichkeit wurde selbstverständlich hinter meinem Rücken und ohne Erlaubnis von der schweinischen Film Gesellschaft gemacht!“(56) Mit der Tonfilmversion des STUDENT VON PRAG(57) endete, schließt man sich Peter A. Hagemann an(58), 1936 auch die erste Phase des ‚Phantastischen Films‘ im Dritten Reich; allerdings hatten von den während der NS-Herrschaft aufgeführten über tausend Spielfilmen nur etwa ein Dutzend einen fantastischen Inhalt – den ‚Phantastischen Film‘ gab es im Dritten Reich eigentlich so gut wie gar nicht.

Auch zu anderen Verfilmungen der literarischen Werke von Ewers, geschweige denn zu eigenen – realisierten – Drehbucharbeiten, kam es während der Zeit des Dritten Reiches nicht mehr. Nicht nur sein genuines Stoffgebiet, das Fantastische, war nicht mehr gefragt, auch der Autor Ewers war als „Schreiberling“ mit der „schwüle(n) Phantasie und Freude am Unsauberen“, der es gewagt hatte, „sich an die nationalsozialistische Bewegung“ heranzumachen, als „Schmierfink“(59) grundsätzlich in der Film-Industrie unerwünscht; das vermeintlich Gesunde war nunmehr auch hier heroischer Befehl! Ab 1937 waren dann auch seine Bücher verboten und er hatte Schreibverbot.

Der Student von Prag

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