Читать книгу Fiesta Fatal - Leonie Bach - Страница 6
3. Kapitel
ОглавлениеNatürlich war Beatrice amüsant. Sie hatte den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als sich amüsante Bemerkungen auszudenken, amüsante Vergnügungen vorzuschlagen und amüsante Outfits auszuwählen.
Mit diesen Talenten hatte sie es – ohne allzu große Anstrengungen – verhältnismäßig weit gebracht. Bis vor einem Jahr hatte sie für das Klatschmagazin eines privaten TV-Senders gearbeitet. Wobei das Wort Arbeit übertrieben war, sie hatte lediglich von jenen Events, Partys und Promitreffs berichtet, die sie ohnehin regelmäßig besuchte. Dann war ihr das Ganze – auch das typisch Beatrice – zu langweilig geworden, und sie hatte sich wieder ganz aufs Amüsement verlegt und – seltsamerweise – aufs Heiraten, wie ihre illustren Bekannten meinten.
Beatrice war von Kindesbeinen an dazu erzogen worden, mit Scharm und Schlagfertigkeit zu gefallen, möglichst vielen Menschen zu gefallen – sofern es sich lohnte. Für ihren Bräutigam – den Hoteldesigner Daniel Derndorfer – lohnte sich das nur begrenzt, befand jedenfalls Beatrices Partybekanntschaft.
Sicher, er hatte in der internationalen Designszene einen guten Namen, aber er war ein Partymuffel, ein Small-Talk-Verächter, sein Glamourfaktor ging gegen Null, und er weigerte sich standhaft, seine Bekanntschaften mit Stars, die seine Luxusdomizile und ihn schätzten, zu pflegen und anderen zugänglich zu machen. Erstaunlich, dass ausgerechnet Beatrice Gabler sich mit so einem Spaßverderber verlobt hatte. Gigantisch reich war er nämlich ebenfalls nicht, und man munkelte, dass seine Eigenbrötelei inzwischen so weit ging, dass er sich auf die Langeweilerinsel Fuerte zurückgezogen hatte.
Hätten Beatrices Freunde ihre Partyprinzessin in diesem Moment jedoch mit Verena Malchow entdeckt, sie hätten sich noch mehr gewundert. Die Frau mit dem stillen, nachdenklichen Gesicht und dem unspektakulären Outfit lohnte das Gefallen und Schmeicheln doch nun überhaupt nicht!
Weshalb Beatrice in Verenas Gegenwart tatsächlich bevorzugt unschmeichelhafte Wahrheiten auszuplaudern, zu nörgeln oder hemmungslos zu lästern pflegte.
Trotzdem war Verena gegen ihren Willen amüsiert, als sie Beatrice mit komisch verzweifelter Miene und in ständig wechselndem Schuhwerk vor deren überdimensionalem Schlafzimmerspiegel auf und ab marschieren sah.
Außer den Schuhen trug Beatrice nur seidene French Knickers, einen halblangen Schleier aus Seidentüll und ein T-Shirt mit dem Aufdruck »I’m a luxury few can afford« – wie es vor mehr als einem Jahrzehnt Lady Di getragen hatte. Äußerlich war die blond gelockte, katzenäugige Beatrice allerdings das glatte Gegenteil der englischen Rose.
Verena betrachtete das Spiegelbild der schönen Gablertochter. Neben deren kräftigen Farben und sinnlichen Zügen verblasste jeder. Erst recht Verena, die das zarte Gesicht ihrer Mutter und — zu ihrem großen Ärger — auch die leicht madonnenhaften Züge geerbt hatte.
»Du hast ein altmodisches Gesicht«, hatte einmal einer ihrer Liebhaber, ein Künstler, zu ihr gesagt. Es war als Kompliment gemeint gewesen. »Ganz wie ein Engel von Botticelli«, hatte er hinzugefügt. Ein sehr bleicher Engel, dachte Verena selbstkritisch wie immer und widmete sich lieber der Modeshow, die Beatrice vor ihr abzog.
Eben schlüpfte die in kremfarbene Satinpumps mit Blockabsätzen und kuhmaulbreiten Vorderkappen.
»Igitt. Verena, gib zu, in denen sehe ich aus wie Daisy Duck auf dem Weg zum Ententanzwettbewerb, oder? Ich meine, der Designer ist entweder ein extrem frauenfeindlicher Typ oder ein aus dem Ruder gelaufener Birkenstockdesigner. Gib mir mal die Dinger mit den Kreuzriemchen zum Binden. Nee, die anderen, die mehr so nach Nutte im ersten Semester aussehen.«
Verena nestelte ein Paar Sandaletten mit mörderisch hohen Stilettoabsätzen aus violettem Seidenpapier und warf sie der halb nackten Braut zu. Beatrice schlüpfte hinein, griff sich eine Erdbeere aus einer Silberschale und befahl kauend: »Und nun musst du mich einmal ordentlich schnüren, Vreni.«
Verena kniete sich hinter Beatrice und begann die Riemchen über Kreuz um deren Waden zu binden.
»Ich fänd’s nett, wenn du mich nicht Vreni nennen würdest, okay?«
»Okay. Wie wär’s dann mit Vroni? Ich mein, Verena ist doch ein echt bescheuerter Name. Erstens hochtrabend, und zweitens erinnert er mich an diese billigen Damenbinden, Serena, oder so.«
Verena runzelte die Stirn. Hochtrabend, was sollte das heißen? Schien der Name Verena dieser verwöhnten Göre zu gut für die Tochter einer Haushälterin?
»Hör auf, meinen Namen zu veräppeln, oder ich kenn dich nur noch als Trixie.«
Beatrice trat spielerisch nach hinten aus, machte sich von Verena frei und drehte sich wieder vor dem Spiegel.
»Schon gut, Babe, meinen Namen finde ich genauso überdreht und besemmelt. Mich wie die Königin der Niederlande zu nennen, ausgerechnet! Wo die aussieht wie Tante Erna im Gardinenkleid aus Oer-Erkenschwick. Aber jetzt sag mal, diese Riemchenteile hier sehen doch so richtig schön nach Asischlampe aus, oder? Schade, dass sie nicht pink sind.«
»Asi?« Verena studierte den Preisaufkleber auf dem Karton. »Ich bezweifle, dass Asischlampen für diese paar Zentimeter Leder ...«
»Plastik, echtes Vollplastik.«
»Dann eben für Plastik achthundertundneunundneunzig Mark ausgeben würden. Unfassbar der Preis!«
»Tja, schon Scheiße, wenn man reich ist. Dann kostet es ein Vermögen, wie eine Schlampe auszusehen. Das war übrigens Versaces genialer Trick, er hat Frauen angezogen wie Nutten und sie dafür zehntausende latzen lassen, damit sie sich nicht so fühlen. Man will eben immer das haben oder sein, was man nicht ist. Mom wäre jedenfalls begeistert von den Schuhen. Sie macht gerade ihre Ivana-Trump-Phase durch – mit dem Alter wird sie immer jünger. Genau wie ihre Lover.«
Verena schwieg eisern. Klatsch war nicht ihre Sache, zumindest nicht mit Beatrice. Der schien Verenas Zurückhaltung jedoch nicht aufzufallen.
»Hast du diesen halbdebilen Masseur schon mal besichtigt? Seine inneren Werte dürften schätzungsweise alle in der Unterhose verborgen sein. Ich glaube, Mom will mit 56 jetzt all die jungen Männer nachholen, die sie an der Seite von Randolf Daddy Kalkleiste versäumt hat.«
Verena zuckte zusammen. »Beatrice, du kannst nicht so über deinen Vater reden.«
Blöde Bemerkung, ärgerte sie sich im gleichen Moment. Klang irgendwie nach Bibel und den zehn Geboten, außerdem gingen die Familienleichen der Gablers sie nichts an.
Beatrice drehte sich ehrlich erstaunt um.
»Mein Gott, aber er war eine Kalkleiste. Für mich von Anfang an. Fünfundfünzig als er mich gezeugt hat – wenn er es denn war – und neunundachtzig als er starb. In den vierunddreißig Jahren dazwischen hat er mich zunächst das Ding, dann Hosenscheißer und später verzogenes Pummelchen genannt, falls er mich überhaupt zur Kenntnis nahm, was in den letzten fünf Jahren kaum der Fall war.
Da hat er die meisten Menschen mit Topfpflanzen oder Kleiderständern verwechselt oder umgekehrt. Typisch senile Kalkleiste eben. Man hätte ihn entmündigen müssen. Als er noch klar war, war er allerdings auch kein ausgesprochener Menschenfreund, oder? Überleg mal, wie viele Menschen der übers Ohr gehauen haben muss, um so reich zu werden.«
Verena schwieg.
Ist das nicht genau die Form der schonungslosen Ehrlichkeit gegenüber den aufgeblasenen Gablers, nach der du dich eben in der Küche deiner Mutter selber gesehnt hast?, fragte das Teufelchen in ihr. Verena merkte, das sie flammrot wurde.
Beatrice hatte sich wieder dem Spiegel zugewandt: »Mein Gott bist du empfindlich, meine Eltern sind echt keine Heiligen, ich dachte, wenigstens mit dir kann ich in diesem Punkt offen reden. Hm, ich glaube, ich bleibe doch mehr meinem klassischen Stil beim Braut-Outfit treu. Gib mal die Seidenstilettos in Feuerrot.«
»Klassisch würde ich das nicht eben nennen.«
»Doch, klassisches Miststück. Und das bin ich schließlich in deinen Augen, oder?«
Verena horchte auf. Beatrices Stimme hatte plötzlich einen ganz merkwürdigen Klang, so wackelig, irgendwo zwischen Bekenntnistonlage und Jammeroper. Verena tauchte ab in den Berg aus Schuhkartons.
Nur keine Psycho-Gespräche mit Beatrice. Verena wollte keine Mitleidsstorys vom armen, reichen Mädchen. Sie war nicht ganz so duldsam wie ihre Mutter. Und sie war lediglich hier zu Besuch – noch zwei Tage.
Verstecken half nichts. Beatrice schien anscheinend ihr Lieblingsthema – sich selber – und ihre Lieblingstonlage – Selbstmitleid in Düster-Moll – gefunden zu haben.
Warum konnten verwöhnte, ekelhafte, oberflächliche Erbinnen nicht einfach sein, was sie waren? Eben ekelhaft und vor allem oberflächlich. Wenigstens therapeutischer Mitteilungszwang und Selbsthilfegruppengeschwätz sollten doch den tatsächlich sozial Benachteiligten vorbehalten bleiben, dachte Verena, sagte sie aber nicht. Stattdessen legte Beatrice los.
»Du hast ja Recht! Ich bin ein eiskaltes, herzloses Luder.«
Die Gute trug wohl nicht nur ein T-Shirt in memoriam von Lady Di, sondern hegte wie die verunglückte Prinzessin auch eine Neigung zum erbarmungslosen Seelenstrip.
»Ich nehme auf die Gefühle anderer einfach keine Rücksicht, Vreni.«
»Verena.«
»Siehst du! Ich kann es nicht lassen, die Leute zu missachten und zu verletzen. So bin ich eben, ein Miststück. Ein Opfer der Umstände: zynisch, berechnend, so wie mein Vater. Nur leider sensibel genug, um meine Fehler und Schwächen zu erkennen und unter ihnen ehrlich zu leiden, ohne sie abstellen zu können. Manchmal komme ich mir vor wie verflucht ...«
Ihre Stimme zitterte in Richtung Heulkrampf. Auch das noch. Verena sortierte mit gesenktem Blick knisterndes Seidenpapier. Noch zwei Tage waren entschieden zu viel. Zwei volle Tage in diesem Irrenhaus. Das war zum ... zum ...
Lachen?
Ja. Wenigstens für Beatrice.
»Pffff. Mann oh Mann, Vreni, du müsstest jetzt mal dein Gesicht sehen! Das lautere Leiden Maria nach der Kreuzigung Jesu. Hast du mir etwa ein Wort geglaubt von dem Schmu? Nichts für ungut, ich bin zwar ein Miststück, aber wenigstens stehe ich dazu. Es macht mir Spaß. Keine Lügen mehr, keine aufgesetzte Fassade, okay? Davon gibt es hier in dieser Villa genug.«
Womit sie Recht hatte, dachte eine erstaunte Verena und schaute Beatrice zum ersten Mal seit vielen Jahren mit echtem Interesse an.
»Mein Vater war ein hemmungsloser Raffzahn, meine Mutter hat den IQ von Zuckerwatte und ein Herz aus Stahlschwamm, das ist die Wahrheit. Und ich? Ich bin vollkommen verdorben vom Geld. Ich glaube genauso wenig an die große Liebe wie an den Weltfrieden, humane Schweinezucht, solidarisches Miteinander unter Frauen oder bügelfreie Leinenhemden. Das Einzige, woran ich glaube, ist ein Kontostand mit sechs Nullen am Ende und einem Plus am Anfang. Und dafür muss ich in drei Wochen heiraten.« Beatrice begann Mendelsohns Hochzeitsmarsch zu summen.
Verena vergaß Zurückhaltung und Seidenpapier: »Wie bitte? Du musst für Geld heiraten? Das ist jetzt ja wohl die unverschämteste Lüge von allen, oder?«
Beatrice schleuderte einen Pumps von ihrem Fuß, griff nach zwei Pikkoloflaschen Champagner, warf eine davon Verena zu, die diese geschickt auffing. Beatrice öffnete die andere und prostete ihrer Zuschauerin zu.
»Trinken wir erst mal einen. Auf die Wahrheit. Ich habe nämlich irgendwie keine richtige Lust mehr, die ganze Welt anzulügen. Aber leider muss ich das gegenüber meinen so genannten Freunden, Bekannten, Schwiegertanten und künftigen Ehemännern. Könnte ja sein, dass sie meine Freundschaft und Liebe plötzlich nicht mehr so wahnsinnig interessant fänden, wenn sie wüssten, dass ich pleite bin, oder?«
Sie nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. »Hast du Lust auf die ganze ungeschminkte Wahrheit über eine kaltblütige Heiratsschwindlerin?«
Verena runzelte ungläubig die Stirn.