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5. Kapitel

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Sehnst du dich nicht auch manchmal danach, allen Leuten einfach und geradeaus genau das zu sagen, was du denkst?«, fragte Beatrice. »Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich habe diese ewigen Schmeicheleien und Halbwahrheiten manchmal so satt!«

Verena setzte ihren Champagnerpikkolo ab und musste husten. Beatrice hinkte auf einem Pumps zu Verena hinüber und klopfte ihr kräftig den Rücken.

»He, altes Mädchen, krieg dich ein. Du musst ja nicht gerade jetzt und hier sagen, was du über mich denkst, wäre vielleicht dem zarten Keim unserer Freundschaft abträglich. Ich war als Zwerg ziemlich unausstehlich. Hab die ganze Welt für mein Privateigentum gehalten, dich inklusive. Habe ich Recht?«

Verena grinste nur schief.

»Schon gut, ich weiß, was für ein Mistviech ich sein kann. Aber zu deinem Trost: Das Leben hat mich am Ende hart und gerecht dafür bestraft. Mich und meine liebreizende Mami. Wir haben – wie bereits erwähnt – all das verloren, an dem uns wirklich etwas lag ... Daddy Randolfs Geld. Ich stehe schlechter da als Aschenputtel, die hatte wenigstens einen festen Job in der Kaminfeger- und Linsensortierbranche. Ich bin sozusagen eine Cinderella verkehrt herum.«

»Ich verstehe nicht, wovon du redest«, sagte Verena und ließ demonstrativ ihren Blick über den Berg aus Designerschuhen schweifen.

Beatrice winkte ab. »Ach, du meinst, weil hier all der teure Tineff rumfliegt. Das heißt nichts. Wir haben selbstverständlich überall Kredit bis zum Abwinken. Millionäre kriegen jeden Scheiß auf Pump und meistens Rabatt. So ist die Welt – bestechlich, unfair und unverbesserlich. Bis jetzt weiß noch keiner, dass Randolf Kalkleiste in seinen letzten – viel zu vielen – umnachteten Jahren alles verspielt hat, was er vorher aufgebaut hatte.«

»Verspielt?«, fragte Verena verwirrt.

»Nicht am Roulettetisch, das wäre ihm zu einfach gewesen. Nein, mit Immobiliengeschäften, Baby. Hat den letzten Mist gekauft. Jede Menge Sumpfgrundstücke in Australien, Wüstenparzellen in der Sahara, Mondlandschaften auf den kanarischen Inseln und so weiter und so weiter. Ein schwerer Fall von Megalomanie – Größenwahn. Irgendwo wollte er Randolfopolis bauen, die Megastadt der Zukunft, bevölkert mit Wesen von künstlicher Intelligenz oder seinen Klonen.«

Verena starrte sie fassungslos an. »Aber, soweit ich weiß, litt er doch nur unter einer schweren Form von Alzheimer.«

»Nenn es, wie du willst, er hat uns jedenfalls neben einem Haufen Brachland und Schulden noch ein entsprechendes Buch mit Anweisungen über die Megastadt vermacht. Außerdem sollen wir jeden Tag frische Alufolie um den Kopf wickeln, um uns vor den gefährlichen Marsstrahlen zu schützen. Tja, und das war’s. Prost Randolf!«

Verena schüttelte ungläubig den Kopf. »Das kann nicht sein. Ich meine, irgendwas muss euch doch geblieben sein. Allein die Villa, der Park ...«

»Sind bereits mit mehreren Hypotheken belastet, gehören quasi der Bank und kosten uns dennoch ein Heidenvermögen an Unterhalt! Mag sein, dass irgendwo noch ein paar zehntausend Märker rumliegen, aber mehr als ein halbes Jahr können wir die Fassade hier unmöglich aufrecht erhalten. Was meinst du, warum wir in den letzten beiden Jahren den Gärtner, den Chauffeur und sonstige hilfreiche Geister entlassen haben?«

»Bis auf meine Mutter«, warf Verena bitter ein.

Beatrice biss sich auf die Lippen. Zum ersten Mal schien sie fast verlegen. »Deine Mutter, ja weißt du denn nicht

»Was?«

»Na ja, Vater hatte ihr zu Lebzeiten bereits das Pförtnerhäuschen überschrieben, und sie ist anscheinend der Meinung, dass sie deshalb weiterhin und umsonst für uns arbeiten sollte. Sie hat sogar eine Hypothek auf ihr Haus aufgenommen, um uns zu unterstützen.«

Verena richtete sich auf. »WAS? Sie bekommt kein Gehalt mehr und finanziert euch?«

Beatrice nickte und setzte einen reumütigen Gesichtsausdruck auf, der halbwegs echt wirkte: »Sie zahlt für unseren Haushalt und lebt wohl von ihrem Ersparten. Glaub mir, mir ist das saupeinlich. Ich meine, wir haben ihr immer eine Rente oder ein fürstliches Legat versprochen für all die Arbeit und stattdessen ...«

»Sie muss komplett verrückt sein.«

Beatrice verzog trotzig den Mund. »He, nicht alle Menschen sind plemplem. Es scheint einfach so, dass sie uns mag und als ihre Freunde ansieht. Oder sie hat andere Gründe, von denen wir nichts ahnen.«

Verena überhörte den leicht angriffslustigen Unterton im letzten Satz und schnaubte verächtlich. Hier war höfliche Zurückhaltung wirklich fehl am Platze.

Beatrice schien kurz nachzudenken, dann hob sie beschwichtigend die Hände. »Okay, okay, ich weiß auch nicht, warum sie Schmarotzer und Ausbeuter wie uns mag. Aber all das ist ein Grund mehr, liebe Verena, warum in drei Wochen für mich auf Fuerte die Hochzeitsglocken läuten müssen. Mit allem Bimbamborium. Wir brauchen Geld, Geld, Geld. Ich habe deiner Mutter versprochen, ihr nach meiner Heirat alles zurückzuzahlen, was wir ihr bereits schulden, ob sie will oder nicht.«

»Ist dieser Daniel denn wirklich so reich?«

»Na, ein Vermögen schulden wir deiner Mutter noch nicht. Sie hält uns ziemlich knapp.«

Verena machte eine ärgerliche Handbewegung. »Ich meine, ist dieser Daniel reich genug für dich und deine kleine Auswahl an Designerschuhen und sonstige Grundbedürfnisse.«

»Geht so, knapp an der Halbmillionengrenze würde ich ihn schätzen, vielleicht aber weniger. Er investiert zu viel in seine verrückten Designideen statt einfach Geld zu scheffeln. Hat einen Hang zum künstlerischen Idealismus, glaub ich.«

Sie schüttelte leise angeekelt den Kopf. »Wie der mich manchmal langweilt mit seinen Gesprächen über die KUNST! Bringt doch nichts ein. Außerdem hat seine Ex ihn bei der Scheidung bluten lassen. Reich ist er also nicht. Will sagen: Früher hätte meinereins ihn nicht mal zur Kenntnis genommen. Und Hoteldesigner, klingt doch irgendwie nach gehobener Frisör oder? Zumindest klingt es nicht nach richtig gutem, verschärftem Sex. Da denke ich an andere ...« Ihr Blick bekam etwas eindeutig Verträumtes.

»Beatrice, wie kannst du diesen Daniel so abtun, du willst ihn doch heiraten!«

»He, wir haben uns auf die Wahrheit geeinigt, nichts als die Wahrheit, okay?«

Verena verzog den Mund und nickte widerstrebend, ihr inneres Teufelchen zwang sie dazu. Sie hob den Pikkolo.

»Okay, ein Prost auf die Wahrheit. Daniel ist also ein minderbemittelter Frisör mit nicht mal einer halben Million und wenig Talent im Bett. Warum hast du ihn dir dann ausgesucht? Beim letzten Sommerfest rannten doch ganz andere Kaliber rum, auch kohlemäßig, ich denke an ...«

Ihr Teufelchen feixte und flüsterte was über Fabian. So ein Blödsinn. Verena versuchte nicht hinzuhören, brach jedoch ab und warf Beatrice nur einen auffordernden Blick zu. Die nickte zustimmend.

»Hast ja Recht. Mein Traumtyp sähe anders aus, aber nicht ich habe Daniel für mich ausgesucht, sondern Mutter. Und sie hat auch nicht ihn ausgesucht, sondern seine Tante. Die gute, liebe, und Gott sei Dank sehr, sehr alte Tante Lena Derndorfer, Freundin meines Herrn Papas. Dürfte nach dem Verkauf ihrer Baufirma vor acht Jahren schätzungsweise zehn Millionen besitzen. Nicht so üppig wie es bei uns mal war, aber wenn man Daniel ein bisschen auf Erfolg trimmt und ihn auf den Massentourismustrip bringt, lässt sich das Ganze mit seinen Hotelbauten und ein paar von unseren weniger wüstenähnlichen Grundstücken leicht verdoppeln. Ich trau mir da was zu. Papis Naschen für rentable Geschäfte ist nämlich zufällig das einzig Brauchbare, was ich geerbt habe.«

»Und Daniel weiß, dass ihr selber pleite seid?«

»Wo denkst du hin! Ich bin zwar sehr hübsch, aber nicht so dumm zu glauben, dass mein Geld – mein Ex-Geld – keine Rolle für ihn spielt. Oder besser gesagt für seine Tante. Ohne deren Einfluss wäre er nicht so schnell auf Hochzeitsgedanken gekommen, glaub mir.«

Verena schüttelte wieder den Kopf, sogar heftig, als wäre das ein Mittel, all die wirren Gedanken zu sortieren, die ihr durch den Kopf wirbelten.

»Ich verstehe dich doch richtig, oder? Du, die vormalige Millionenerbin Beatrice Gabler, bist auf dem besten Weg nach Fuerte, um dort als Hochstaplerin und Heiratsschwindlerin der gehobenen Kategorie die Hochzeit des Jahres zu feiern?«

»Genau.«

»Das ist krank.«

»Ich war nie bei klarerem Verstand. Prost.«

»Das ist tiefstes Mittelalter, Beatrice, eine Zweckehe aus Geldgier.«

»Genau! Wenn man die Ehe wie in den guten alten Zeiten als ein möglichst solides Geschäft betrachtet, hat sie echte Erfolgsaussichten. Ich meine dieser Quatsch von wegen Liebe, das ist doch nichts weiter als emotionale Pornografie oder vorübergehende Blindheit dank akuter Geilheit. Denk doch mal an deinen letzten Lover. Wie war’s mit dem? Die Wahrheit bitte. Ein kurzer, verlogener Emo-Porno oder einfach scharfer Sex? Na? Was war’s von beidem?«

Nichts von beidem, feixte Verenas Teufelchen.

Beinahe feindselig blickte Verena auf. Wusste Beatrice etwas von der Sache im Badehaus? Von Fabian? Der ging sie überhaupt nichts an! Den hatte sie zuerst entdeckt, der gehörte ihr, wenn auch nur als leicht unscharfe Erinnerung, bei der Sex keine Rolle gespielt hatte. Verena presste die Lippen aufeinander – ihr Glück mal wieder, sie brachte die Männer zum Einschlafen.

Beatrice grinste breit. »Oops, so lange musst du nachdenken? Junge, Junge. Hast wohl ewig keinen mehr rangelassen, oder?«

Verena warf Beatrice einen abweisenden Blick zu. »Ich warte eben auf den Richtigen.«

»Das ist ja noch schlimmer als Mittelalter, das ist kleinbürgerliche Verblendung. Romantik für Gartenzwerge. Mal ehrlich, Verena, wenn wir jemandem längere Zeit was bedeuten, dann vielleicht, weil sich die Neurosen, die wir aus der Kindheit mitgebracht haben, toll ergänzen oder weil unsere hormonellen Körperausdünstungen signalisieren, dass sie toll zueinander passen und wir pumperlgesunden Nachwuchs produzieren könnten. Das ist alles, der Rest ist pure Geilheit. Wer etwas anderes glaubt, hat selber Schuld an seinem sexlosen Unglück.«

Verenas Teufelchen nickte heftig.

»Das, das glaube ich nicht, nein«, sagte Verena entschieden. Ihr Herz begann wild zu klopfen. »Ich glaube, dass es Menschen gibt, die zueinander gehören, die sich ergänzen, die einander befruchten ...«

Beatrice warf ein anzügliches »Na, das bestimmt« ein.

Verena sprach unbeirrt weiter: »Menschen, die sich gegenseitig inspirieren und nur als Gefährten ihre jeweiligen Lebensträume verwirklichen können, weil sie einander beistehen. Auch wenn du das kitischig findest, Beatrice, ich glaube an die Liebe. Und zwar in Großbuchstaben.«

Wer kicherte da? Natürlich, Klein-Luzifer. Machte gemeinsame Sache mit Beatrice. Die kicherte auch und betrachtete zugleich mit betont gelangweilter Miene die Fingernägel ihrer rechten Hand. »Soso, und wann bist du der Liebe in Großbuchstaben zum letzten Mal begegnet? Und warum hast du sie fallen lassen? Ich meine, du bist doch seit Monaten, wenn nicht Jahren solo oder? Ist dieses Liebe-auf-Ewigkeit-Geschwätz nicht einfach eine Ausrede dafür, dass du keinen findest, nicht mal einen halbwegs anziehenden Trottel? Oder bist du wirklich ganz der Kunst verpflichtet, wie deine Mutter stolz berichtet. Verena, die vernünftige, leidenschaftslose, autonome Frau – ganz das Gegenteil ihrer Mama.«

Verena wurde gegen ihren Willen rot. »Ich habe nicht gesagt, dass man die Liebe seines Lebens in jedem Falle findet. Schon gar nicht auf Knopfdruck. Vielleicht hat man sogar ein Leben lang Pech und ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber, das ist kein Grund, sich unter Wert zu verkaufen und seine Zeit mit den falschen Kerlen zu verschwenden, das tun viel zu viele Frauen, und hinterher jammern sie einem die Ohren voll. Das nenne ich Romantik für Gartenzwerge.«

Falsche Kerle?, fragte anzüglich das Teufelsstimmchen dazwischen. Kerle wie Fabian?

Beatrice rollte mit den Augen: »Tut mir Leid, Süße, aber das sehe ich anders. Besser den falschen Kerl im Bett als gar keinen. Außerdem ist es absurd, Kerle in gute oder schlechte zu unterteilen, sie sind entweder amüsant oder langweilig, das ist alles! Und verlieben ist zwar ein Wahnsinnskick, aber der geht vorüber. Was dann kommt, ist emotionaler Kriechstrom. Fußbodenheizung statt verzehrender Flammen der Leidenschaft. Da nehme ich doch besser gleich die Fußbodenheizung – also Daniel.

Der hat erträgliche Macken und dazu eine Erbtante, also alles, was ich brauche, um richtig durchzustarten, mein Faulenzerleben habe ich nämlich sowieso satt. Ich will einen Mann und ein Karriereprojekt. Daniel ist beides. Außerdem küsst er passabel.«

Ein heftiges Klopfen unterbrach das Zwiegespräch. Gleich darauf wurde mit unnachahmlich dramatischer Geste die Tür zu Beatrices Schlafzimmer aufgerissen.

»Etwas Entsetzliches ist passiert.« Mit diesem Satz begann Beatrices Mutter Katharina ihren Auftritt, geriet allerdings ins Stolpern. Über ein Paar pinkfarbene Riemchensandaletten, die sie augenblicklich von der angekündigten Tragödie ablenkten. »Was für entzückende Schuhe, die muss ich dringend anprobieren!«

»Mutter! Könntest du dich vielleicht ein einziges Mal entscheiden zwischen Hiobsbotschaft oder deinem ganz normalen Shoppingwahn?«

Katharina Gabler entwirrte begeistert die Sandalenriemchen: »Welcher Hiob? Ich kenne niemanden, der so heißt und einen Brief für uns hat. Überhaupt, ein ganz blödsinniger Name.«

Beatrice entriss ihr die Schuhe. »Du wolltest uns etwas Entsetzliches erzählen, also?«

»Oh, oh ja. Lena Derndorfer sitzt unten im Salon.«

Beatrice verdrehte die Augen. »Mama, du sprichst von meiner künftigen Schwiegertante. Ich finde zwar auch, dass sie den Scharm eines schlecht gelaunten Panzergenerals hat, aber entsetzlich ist eine wirklich übertriebene Beschreibung, zumal wir auf ihr Geld angewiesen sind.«

Katharina winkte ungeduldig ab. »Ich meine ja nicht, dass Tante Lena entsetzlich ist, obwohl sie in ihrem Alter wirklich Make-up benutzen sollte, ein wenig Rouge in icy rosé, diese neue Farbe von Saint Laurent etwa ...«

»Mutter!«

»Wie? Ach so. Wirklich entsetzlich ist, dass Daniel die Heirat platzen lassen ...«Sie brach ab, erst jetzt entdeckte sie inmitten der offenen Schuhkartons Verena.

»Ach, eh, du bist hier.« Ihr Tonfall verriet, dass sie Verena für völlig fehl am Platze hielt.

Beatrice warf ihrer Mutter einen warnenden Blick zu, die hob unschuldig die Brauen. »Na ja, macht vielleicht nichts. Im Gegenteil. Wärst du so lieb, Verena, für uns alle einen Tee aufzusetzen und vielleicht ein paar von diesen köstlichen kleinen Orangen-Ingwer-Muffins zu backen, die deine Mutter sonst immer macht? Sie hat erzählt, dass sei ein Rezept von dir, und sie ist nicht da, und ich weiß wirklich nicht, wie ich mir ohne sie ...»

»Mutter! Verena ist mein Gast, nicht unser Dienstmädchen.«

Katharina Gabler setzte eine blasierte Miene auf.

»Natürlich ist Vera, eh Verona, eh, na, unser Gast, aber in Zeiten der Not, dachte ich immer, hält man zusammen, hilft sich gegenseitig. Ich meine, es geht doch nur um etwas Gebäck und Tee, und schließlich ist sie doch Köchin. Ein ausgesprochen respektabler Beruf im Übrigen, da muss man sich nicht für schämen. Ich jedenfalls wäre stolz darauf, wenn ich kochen könnte, aber mir hat ja niemand was beigebracht und ...«

Verena erhob sich langsam, pflückte Seidenpapier von ihren Oberschenkeln. »Schon gut, Frau Gabler, ich mache Ihnen Tee und Muffins.« Katharina nickte hoheitsvoll und verließ das Zimmer – ganz Dame – mit schwebenden Schritten.

Beatrice fasste Verena am Arm. »He, du musst hier keine Männchen oder Muffins machen. Warum sagst du meiner Mutter nicht einfach, sie soll sich vom Acker machen?«

»Warum sagst du Daniel nicht dasselbe? Die reine Wahrheit ist doch angeblich dein Spezialgebiet.«

Beatrice unterdrückte ein Kichern. »Eins zu null für dich. Langsam gewöhnst du dich an die schonungslose Offenheit.«

»Na ja, die andere Wahrheit ist, dass es meiner Mutter nicht gefallen würde, wenn ich zu deiner Mutter frech werde. Okay, Beatrice. Kümmer du dich um die Katastrophe mit Daniel, ich gehe backen.«

»Ich dachte, du wolltest mich davon abhalten, ihn zu heiraten, du Madonna der Liebenden.«

Verena schüttelte den Kopf. »Nein, will ich nicht. Im Gegenteil. Wenn dieser Daniel wirklich kalte Füße wegen der Hochzeit kriegt, verliert meine Mutter schließlich ihr letztes Erspartes an euch und das Häuschen. Ich kann auch egoistisch sein, sehr gut sogar.«

Beatrice sah Verena fest an. »Glaub ich zwar nicht, aber jetzt mal ganz im Ernst: Du rätst mir also zu der Heirat? Du bist die einzige Person, auf deren Rat ich Wert lege, weil du mir nicht nach dem Mund redest. Also? Soll ich oder soll ich nicht?«

Verena schwieg. So weit wollte sie nicht gehen.

Beatrice schluckte. »Ich wünschte, du würdest einfach mitkommen.«

»Wohin?«

»Nach Fuerte.«

»Ich habe kein Geld für sowas, Beatrice.«

»Aber ich.«

»Eben hast du das glatte Gegenteil behauptet.«

Beatrice hob abwehrend die Hände. »So etwas sind Peanuts, wusste bereits Doc Sneider! Wenn man erst mal ein, zwei Millionen Mark Schulden hat, Baby, sind ein paar Tausender egal. Außerdem wohnen wir umsonst in der Luxussuite des Hotels. Schließlich hat Lena Derndorfer den Rummelpuff mitfinanziert. Essen und Drinks sind ebenfalls frei. Und selbst, wenn das mit Daniel in Arbeit ausartet, könntest du dich nebenher prächtig amüsieren. Das Hotel ist speziell auf begüterte Singles und Flirts ausgerichtet, hat fünf Sterne und ist das beste der Insel.«

Verena verzog den Mund. »Mag sein, aber ich bin nicht auf Flirts ausgerichtet.«

Ach ja?, fragte spitz das Teufelchen. Verena kehrte ihm und Beatrice den Rücken zu, öffnete die Tür.

»Sei kein Spielverderber, Verena, vielleicht triffst du auf Fuerte ja sogar die Liebe mit den Großbuchstaben. Im Hotel rennen demnächst jede Menge attraktive Promis rum. Erinnerst du dich an die Fernsehleute von unserem Sommerfest im letzten Jahr? Einer ist dir doch regelrecht nachgestiegen. Dir oder deinen Scampihäppchen. War ein bisschen angeschickert der Gute, hm?«

Verena drehte jäh den Kopf zu ihr hin. »Wen meinst du?«

Beatrice nickte grinsend. »Ertappt. Wusste ich doch, dass du letztlich in Sachen Sex doch kein Kostverächter bist. Na, jedenfalls diese TV-Schnuckis sind alle schon da, um Dreharbeiten in Daniels Hotel vorzubereiten. Ich habe damals alles eingestielt. Hat Riesenspaß gemacht, warte kurz ...«

Beatrice rannte zu ihrem Kingsize-Bett mit Seidenhimmel, durchwühlte einen Berg aus Kissen und zerknüllten Laken und kehrte mit einem Hochglanzmagazin für gehobenen Klatsch zurück. Eifrig durchblätterte sie das Magazin, murmelte halblaut die Überschriften, die von Prinzenpein und Millionärssorgen, Königskindern und Geldadel, rauschenden Hochzeiten und schmutzigen Scheidungen berichteten.

Weiter hinten – vor der Abteilung Schönheitsfarmen, Verjüngungskuren, Anlagetipps, Modenews und Schlemmerrezepte – stieß sie auf den Kurzklatsch aus dem Fernseh-Promiland. »Da ...«, rief sie triumphierend, stupste mit dem Zeigefinger auf ein seitenfüllendes Foto und hielt es Verena unter die Nase.

Zu sehen war ein schlanker, muskulöser Mann mit entblößtem Oberkörper, der tropische Hitze abzustrahlen schien. Schweißperlen hingen in seinen wenigen, sorgfältig arrangierten Brusthaaren. Den Kopf hatte er halb in den Nacken gelegt, als sei er ganz einem ekstatischen, selbstverliebten Tanz hingegeben.

Dabei fixierten seine hellbraunen, fast bernsteinfarbenen Augen mit genauem Kalkül die Kamera des Fotografen. Fabian Seiler vergaß nie, was er seinem Publikum – vor allem dem weiblichen – schuldig war: Die Raubtierpose und einen ziemlich verächtlichen Blick voller Weltekel à la Robbie Williams.

Verena war das Bild geradezu peinlich. Sie schämte sich für Fabian. Oder für sich? Ich habe ihn anders kennen gelernt, beruhigte sie sich – und das johlende Teufelchen.

»Ist er nicht absoluuut hinreißend?«, schwärmte hingegen Beatrice. »Ein echtes Ekelpaket, treulos, selbstverliebt, aber Mann-o-mann, sowas von sexy. Schon erstaunlich, aber eine unumstößliche Tatsache, dass eine Reihe von Frauen diese provozierend selbstgewisse Arroganz unwiderstehlich finden. Mich würde interessieren, wie viel Geld er damit macht. Der könnte noch nach ganz, ganz oben kommen. A real bad, bad boy. Leider hatte ich ihn nie in einer meiner Klatschsendungen. Im Bett ist er bestimmt eine Wucht. Wenn ich du wäre, würde ich ihn ausprobieren. Ich darf ja zurzeit nicht, so als künftige Braut und von wegen ganz in Weiß.«

Verena ertappte sich beim Nicken.

Sie las die Bildunterzeile: »Bad boy: TV-Star Fabian Seiler zieht Partys, Girls und die Hitze der Nacht seiner Arbeit an der neuen Hotelserie »Fiesta Fuerte« eindeutig vor.«

War das nun Fabians eigene Inszenierung oder ein Trick seiner ausgebufften Managerin, um ihn ins Gespräch zu bringen, wunderte sich Verena.

Fabian hatte ihr am Abend ihres Kennenlernens erzählt, wie sehr er sich nach einer ernst zu nehmenden Hauptrolle sehne, wie wichtig es ihm war, von den Sonnyboyparts wegzukommen, weil er nun mal kein Sonnyboy sei. Der Alkohol hatte seine Bekennerlaune befeuert – und die Energie andernorts erlahmen lassen.

»Also?«, fragte Beatrice. »Wie steht es nun mit Fuerte? Du könntest diesen Fabian vielleicht flachlegen. Mit ein bisschen Make-up und ein paar scharfen Klamotten wärst du ein echter Feger. So eine Mischung aus Hure und Madonna. Darauf fahren Typen wie Fabian Seiler voll ab.«

»Nein«, sagte Verena bestimmt. »Ich will niemanden flachlegen. Um ehrlich zu sein, will ich nur eins: weg von hier, nach Hause, an die Arbeit, ich habe da ein interessantes Projekt, die Skizzen sind schon fertig.«

»Ach ja?«, fragte eine aufreizend ungläubige Beatrice. »Was denn?«

»Eh, ja, eine Skulptur für ein Bankhaus.«

Du lügst, raunte das Teufelchen.

»Du lügst«, echote Beatrice, »das sehe ich dir an!«

Schon schlecht, wenn man ein ehrliches Gesicht sein Eigen nannte.

Fiesta Fatal

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