Читать книгу Stone Butch Blues - Leslie Feinberg - Страница 9

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„Hi Kid, wie sieht’s aus?“ rief Meg mir zu, während sie die Theke abwischte. Vertraute Gesichter erhellten sich, als sie mich begrüßten. Ich war jetzt Stammgast bei Abba’s.

„Hi Meg. Krieg ich ’n Bier?“

„Klar, Kid, kommt sofort.“

Ich setzte mich neben Edwina. „Hey, Ed, soll ich dir ’n Bier ausgeben?“

„Klar“, lachte sie. „Warum sollte ich da nein sagen?“

Es war Freitagabend. Ich hatte Geld in der Tasche, und mir ging’s gut.

„Hey, und ich?“ Butch Jan lachte.

„Und eins für unsere Älteste, Meg.“

„Ey, paß auf, was du sagst“, gab Jan zurück.

Ich spürte eine Hand auf der Schulter. Den langen rotlackierten Fingernägeln nach zu urteilen, konnte es nur Peaches sein. „Hi, Schätzchen.“ Sie küßte mich sanft aufs Ohr.

Ich seufzte wohlig. „Und noch eins für Peaches“, rief ich Meg zu.

„Kind, du bist ja in Spendierlaune heute abend“, sagte Peaches. „Haste Glück bei ’nem Mädchen gehabt, oder was?“

Ich wurde rot. Sie hatte einen wunden Punkt getroffen. „Ich fühl mich einfach verdammt gut. Ich hab Arbeit, ein Motorrad und Freundinnen.“

Ed pfiff. „Du hast ’ne Karre?“

„Jawohl!“ rief ich. „Toni hat mir ihre alte Norton verkauft. Wir sind am Sonntag auf den Parkplatz vom Supermarkt gefahren, und ich hab geübt, bis sie’s satt hatte und ohne mich heimgegangen ist.“

Ed lächelte. „Wow! Heißer Ofen.“ Sie schlug mir auf die Schulter.

„Hey, Ed, weißt du, was ich gemacht habe, nachdem ich sie gestern angemeldet hatte? Ich meine, als mir klar wurde, daß sie wirklich mir gehört? Ich hab mich draufgesetzt und bin losgefahren, zweihundert Meilen hin und zweihundert Meilen zurück.“ Alles grölte. „Ich hab mich endlich richtig frei gefühlt. Ich bin so aufgeregt. Ich liebe diese Karre. Echt. Ich liebe dieses Ding dermaßen, daß ich es nicht erklären kann.“ Alle Motorradfahrerinnen nickten zustimmend. Jan und Ed klopften mir auf die Schulter.

„Es geht aufwärts mit dir, Kid. Ich freu mich für dich“, sagte Jan. „Meg, setz noch eins an für unseren jungen Marlon Brando.“

Der Ring schien zu wirken! „Läuft Mit Schirm, Charme und Melone schon?“ fragte ich.

Meg schüttelte den Kopf. „Noch ’ne Viertelstunde. Gott, ich kann’s kaum abwarten, was Diana Rigg heute anhat.“

Ich seufzte. „Hoffentlich wieder diesen Lederanzug. Ich glaub, ich verliebe mich noch in sie.“

Meg lachte. „Dann stell dich mal schön hinten an.“

Der Laden füllte sich allmählich. Ein junger Typ, den wir noch nie gesehen hatten, kam rein und bestellte einen Gin Tonic. Meg hatte gerade das Glas vor ihn hingestellt, als ein älterer Mann hereinkam und seine Dienstmarke zog. Uniformierte Bullen kamen hinterher. Der junge Typ steckte mit der Polizei unter einer Decke.

„Sie haben soeben einem Minderjährigen Alkohol ausgeschenkt. Also, meine Damen und Herren, lassen Sie Ihre Drinks auf der Theke und weisen Sie sich aus. Dies ist eine Razzia.“

Jan und Ed packten mich und schleiften mich zur Hintertür hinaus. „Weg hier, sofort! Hau ab!“ brüllten sie, während ich mich an meinem Motorrad zu schaffen machte. Ein paar Bullen verteilten sich über den Parkplatz. Meine Beine fühlten sich an wie Pudding. Ich bekam die Karre nicht an.

„Mach, daß du wegkommst!“ brüllten Jan und Ed.

Zwei Bullen in Uniform kamen auf mich zu. Einer griff nach seiner Waffe. „Runter von der Karre!“ befahl er.

„Mach schon, mach schon!“ murmelte ich vor mich hin.

Ein anständiger Tritt, und der Motor heulte auf. Ich ließ die Kupplung los und legte einen unfreiwilligen Kavalierstart hin.

Zu Hause hämmerte ich bei Toni und Betty gegen die Küchentür. Betty öffnete erschrocken. „Was ist los?“

„Die Bar – alle wurden verhaftet!“

„Beruhig dich erst mal.“ Toni legte mir die Hand auf die Schulter. „Beruhig dich und erzähl uns, was passiert ist.“

Aufgeregt berichtete ich von der Razzia. „Wie kriegen wir raus, was sie mit ihnen gemacht haben?“ fragte ich anschließend.

„Das kriegen wir noch früh genug mit, wenn das Telefon klingelt“, sagte Betty. Das Telefon klingelte. Betty nahm ab und hörte schweigend zu. „Niemand wurde verhaftet, außer Meg“, erzählte sie uns. „Jan und Ed haben sie allerdings übel zugerichtet.“

Ich rieb mir die Stirn. „Sind sie schwer verletzt?“ Sie zuckte die Achseln. Ich fühlte mich schuldig. „Ich glaube, sie haben es ihnen heimgezahlt, daß sie mich rausgebracht haben.“

Betty setzte sich an den Küchentisch und stützte den Kopf in die Hände. Toni ging zum Kühlschrank. „Willste ’n Bier, Kid?“

„Nee danke“, sagte ich.

„Wie du willst.“

Angst plagte mich, als ich an diesem Abend im Bett lag. Aber die richtige Panik kam erst auf, als ich mitten in der Nacht aufschreckte. Ich saß senkrecht im Bett, schweißgebadet, und dachte an die Razzia damals bei Tifka’s. Seitdem war ich einige Zentimeter gewachsen. Beim nächsten Mal, wenn die Polizei mich erwischte, würde mein Alter mich nicht mehr retten. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Es würde mir passieren. Das wußte ich. Aber ich konnte mich nicht ändern. Es war wie mit offenen Augen auf einen Abgrund zuzurasen und nicht mehr bremsen zu können.

Ich wünschte, Al wäre da. Ich wünschte, ich läge auf ihrem Sofa und Jacqueline würde kommen und mich zudecken, mir die Stirn küssen und mir versichern, daß alles gut werden würde.

Der Besitzer von Abba’s war einige Jahre zuvor so hoch verschuldet gewesen, daß er das Bier kistenweise herbeischleppen mußte – die Mafia ließ keine Lieferungen zu, bis er gezahlt hatte. Also verbreitete er, daß Homosexuelle in seiner Bar willkommen wären. Mit uns scheffelte er das Geld nur so. Wir waren ein lukratives und leicht auszubeutendes Stammpublikum. Normalerweise war immer nur eine Bar für uns offen. Als ein anderer Barbesitzer das Geschäft mit uns auch mal für eine Weile machen wollte, arrangierte die Mafia eine Razzia und ließ das Abba’s schließen.

Die neue Bar lag näher am Rotlichtbezirk von Buffalo. Sie hieß Malibou – ein Jazzclub, in den wir reindurften, wenn die Mitternachtsshow vorbei war. Auch das Malibou gehörte dem organisierten Verbrechen. Aber es wurde von einer Lesbe namens Gert geführt. Sie wollte, daß wir sie Tante Gertie nannten, aber da hätten wir uns wie Pfadfinderinnen gefühlt – also nannten wir sie Cookie.

Der neue Club hatte eine größere Tanzfläche, aber nur einen Ausgang. Dafür gab es einen Billardtisch, und Ed und ich spielten oft stundenlang, bis die Sonne aufging.

Ed wartete bis zum Morgengrauen auf ihre Freundin Darlene, die in einer nahegelegenen Bar in der Chippewa Street tanzte. Um die Ecke vom Malibou gab es ein Hotel, wo viele der Huren und Stricher mit ihren Freiern hingingen. Frühmorgens beendeten sie ihre Schicht und kamen ins Malibou, das nie zu schließen schien, oder gingen zum Frühstücken in eine Kneipe am Busbahnhof.

Mit der Zeit fiel mir auf, daß Ed an manchen Wochenenden nicht kam. Was gab es denn im Leben, außer den Fabriken und den Bars?

„Hey, Ed“, fragte ich sie eines morgens beim Billardspielen. „Wo warst du denn letztes Wochenende?“

Sie sah von dem Stoß auf, den sie gerade anpeilte. „In einer anderen Bar.“

Ihre Antwort überraschte mich. Es war doch immer nur ein Club für uns offen.

„Ja?“ fragte ich. „Wo denn?“

„Auf der East Side“, sagte sie und kreidete ihr Queue ein.

„Du meinst, es ist ein Negerklub?“

„Schwarz“, sagte sie, während sie die Kugel traf und versenkte. „Es ist ein schwarzer Club.“

Ich verdaute diese Information, während Ed ihren nächsten Stoß vorbereitete. „Scheiße“, sagte sie, als sie die Kugel verfehlte.

„Ist er anders als dieser Club?“ fragte ich und blickte auf den Billardtisch.

„Ja und nein.“ Ed war an diesem Morgen nicht sehr gesprächig.

Ich zuckte die Achseln und zielte auf die gegenüberliegende Ecke. Ich traf daneben. Ed lächelte und klopfte mir auf den Rücken. Ich hatte eine Menge Fragen, aber ich wußte nicht, wie ich sie stellen sollte.

Ed versenkte aus Versehen die Acht. „Scheiße!“ zischte sie. „Scheiße.“ Sie musterte mich von oben bis unten. „Was ist?“ fragte sie.

Ich zuckte die Achseln.

„Paß auf“, sagte sie. „Ich arbeite in der Fabrik den ganzen Tag mit diesen Butches hier zusammen. Ich komme gerne hierher und verbringe meine Zeit mit euch allen. Außerdem würden Darlene und ich es keinen Monat miteinander aushalten, wenn ich ständig auf der East Side herumhängen würde. Aber ich bin auch gern mit meinen Leuten zusammen, verstehst du?“

Ich schüttelte den Kopf. Ich verstand kein Wort.

„Darlene hat nichts dagegen, daß ich hier bin. Wenn ich jedoch soviel Zeit in meinen eigenen Clubs verbringen würde, na ja, sagen wir, die Versuchung wäre zu groß.“

„Hast du Hunger?“ fragte ich sie.

„Ach, Mann, ich bin auch nur ’n Mensch.“ Sie fühlte sich angegriffen.

Ich lachte. „Nein, ich meine, wollen wir frühstücken gehen?“

Sie schlug mir auf die Schulter. „Gehn wir.“

In der Bahnhofskneipe trafen wir Darlene und die anderen Frauen. Sie waren aufgeregt wegen irgendeiner Schlägerei mit einem Kunden, in die sich alle eingemischt hatten.

„Hey, Ed“, fragte ich sie beim Kaffee, während Darlene ihre Rolle in dem Aufruhr vorspielte, „meinst du, ich könnte mal mit dir hingehen? Ich meine, ich weiß nicht, ob es okay ist, das zu fragen.“

Ed sah befremdet aus. „Warum? Was willst du denn in meinem Club?“

„Weiß auch nicht, Ed. Du bist schließlich meine Freundin, oder?“

„Na und?“

„Und heute morgen ist mir aufgefallen, wie wenig ich von dir eigentlich weiß. Das ist alles. Ich würde dich einfach gern mal auf deinem eigenen Terrain sehen.“

Darlene zupfte Ed am Ärmel: „Baby, du hättest dabei sein sollen. Wir haben dem Typ in den Arsch getreten, bis er nur noch Sterne sah! Er hat um Gnade gefleht.“

„Muß ich drüber nachdenken. Ich weiß nicht“, sagte Ed zu mir.

„Kein Problem. War ja nur ’ne Frage.“

Bald darauf kam Ed nicht mehr ins Malibou. Ich fragte Grant, was los wäre, aber sie sagte nur, daß Ed nicht mehr die alte wäre, seit sie Malcolm X in New York ermordet hatten. Ich wollte Ed anrufen und mit ihr reden, aber Meg hielt mich davon ab. Sie erzählte mir, daß die Butches im Werk sagten, Ed wäre voll durchgedreht vor Wut und daß wir sie lieber in Ruhe lassen sollten. Ich fand das nicht richtig, aber der Rat war von einer der alten KVs gekommen, also hielt ich mich daran.

Es war Frühling, als Ed mir endlich über den Weg lief. Ich war so froh, sie zu sehen, daß ich die Arme ausbreitete, um sie zu drücken. Sie beäugte mich mißtrauisch, als sähe sie mich zum erstenmal. Ich hatte Angst, daß ihr nicht gefallen würde, was sie sah. Doch nach einer Weile breitete auch sie die Arme aus. Sie zu umarmen war, als käme ich heim.

Ed kam jetzt wieder öfter ins Malibou. Eines Morgens sagte sie aus heiterem Himmel: „Ich habe darüber nachgedacht.“

Ich wußte sofort, was sie meinte – ob sie mich in ihren Club mitnehmen würde.

„Ich wußte nicht, wie ich das finden würde, dich mitzunehmen, verstehst du? Aber nächsten Samstag ist eine Geburtstagsparty für zwei Frauen. Eine der beiden ist weiß. Ich dachte, falls du mitkommen willst …“

Ich wollte. Wir beschlossen, mit Eds Auto zu fahren.

Am Samstagabend holte Ed mich ab. Während der Fahrt schwiegen wir.

„Hast du Angst?“ fragte sie schließlich.

Ich nickte.

Sie schnaubte und schüttelte den Kopf. „Vielleicht war das ein Fehler.“

„Nein“, erwiderte ich. „Es ist nicht so, wie du denkst. Ich habe immer Schiß, wenn ich in einen neuen Club gehe, egal in welchen. Kennst du das?“

„Nein“, sagte Edwin. „Ähm, na ja, vielleicht. Ich weiß nicht.“

„Hast du Angst, Ed? Weil du mit einer weißen Butch in den Club kommst, meine ich.“

„Ja, vielleicht ein bißchen“, antwortete sie, während sie in den Rückspiegel blickte. Sie hielt an einer roten Ampel und bot mir eine Zigarette an. „Aber ich mag dich, weißt du.“

Ich sah aus dem Autofenster und lächelte. „Ich mag dich auch, Ed. Sehr.“

Mir fiel auf, daß ich zwar nach der Schule mit Freundinnen in der Nähe der Schwarzenviertel herumgehangen hatte, aber nie wirklich auf der East Side gewesen war. „Buffalo ist wie zwei Städte in einer“, sagte ich. „Ich wette, eine Menge Weiße sind in dieser hier noch nie gewesen.“

Ed lachte bitter und nickte. „Die Rassentrennung blüht und gedeiht in Buffalo. Hier ist es“, fügte sie hinzu und zeigte auf ein Gebäude.

„Wo denn?“

„Wirst du gleich sehen.“ Ed parkte in einer Seitenstraße.

Wir kamen an die Tür. Ed klopfte laut. Ein Auge erschien im Spion. Als die Tür aufging, scholl uns laute Musik entgegen. Der Laden war brechend voll. Viele Butches kamen sofort an, um Ed zu begrüßen; sie schüttelten ihr die Hand oder umarmten sie. Ed zeigte auf mich und brüllte ihnen über die Musik hinweg etwas ins Ohr. Einige Frauen boten uns an, an ihrem Tisch zu sitzen, und schüttelten mir die Hand, als ich mich setzte. Ed bestellte uns Bier und setzte sich neben mich.

„Daisy hat schon ein Auge auf dich geworfen!“ schrie Ed mir ins Ohr. „Die Frau, die auf der anderen Seite der Tanzfläche sitzt, in dem blauen Kleid. Sie hat sich nach dir erkundigt.“

Ich lächelte Daisy zu. Sie senkte den Blick; dann sah sie mich mutig an. Ein paar Minuten später flüsterte sie ihrer Freundin etwas zu und stand auf. Sie trug blaue Schuhe mit Pfennigabsätzen, passend zu ihrem Kleid. Mit sicheren Schritten kam sie direkt auf mich zu.

„Der Herr sei mit dir, Kid“, rief Ed mir zu, als ich aufstand. Daisy streckte die Hand aus und wollte mich zur Tanzfläche ziehen. Edwin griff nach meiner anderen Hand und zog mich zu sich herunter. „Immer noch Muffensausen?“ schrie sie mir ins Ohr.

„Ich gewöhn mich schon ein!“ rief ich über die Schulter zurück.

„Ich fasse es nicht!“ sagte Ed Stunden später zu mir, als wir den Club verließen. „Ich gewöhn mich schon ein“, äffte sie mich lachend nach und boxte meine Schulter. „Mensch, hast du ein Glück, daß Daisys Ex nicht da war. Sie hätte dich in deinen verdammten weißen Arsch getreten …“

Sie wurde jäh unterbrochen, als eine Hand sie an der Schulter packte und herumriß. Ich wurde in den Rücken gestoßen. Als ich mich umdrehte, sah ich einen Streifenwagen; beide Türen weit offen. Zwei Bullen stießen uns mit ihren Schlagstöcken vor sich her. „An die Wand, Mädels!“ Sie drängten uns in eine Gasse. Ed legte mir ermutigend die Hand auf die Schulter.

„Behalt deine Pfoten bei dir, Bulldagger!“ schrie einer der Bullen, während er sie gegen die Wand schleuderte.

Selbst als ich schon gegen die Mauer gestoßen wurde, spürte ich noch den Trost ihrer Hand, die kurz auf meiner Schulter gelegen hatte.

„Beine breit, Mädchen! Breiter!“ Einer der Bullen packte mich am Schopf und riß meinen Kopf zurück, während er meine Beine auseinandertrat. Er zog mir die Brieftasche aus der Hose und öffnete sie.

Ich sah zu Ed hinüber. Der Bulle tastete sie ab und fuhr mit seinen Händen ihre Oberschenkel hoch. Er zog ihr das Portemonnaie aus der Tasche, nahm das Geld raus und stopfte es sich in die Hosentasche.

„Augen geradeaus!“ Der Bulle hinter mir hatte seinen Mund dicht an meinem Ohr.

Der andere Bulle brüllte Ed an. „Du glaubst also, du bist ein Mann, he? Kannst du es auch nehmen wie ein Mann? Wir werden ja sehen. Und was ist das hier?“ sagte er. Er schob ihr Hemd hoch und riß ihr den Brustbinder runter. Er griff so brutal nach ihren Brüsten, daß sie nach Luft schnappte.

„Laß sie in Ruhe!“ brüllte ich.

„Schnauze, du Scheiß-Perverse!“ schrie der Bulle hinter mir und knallte meinen Kopf gegen die Wand. Ich sah ein ganzes Spektrum von Farben.

Ed und ich wandten den Kopf und sahen uns für den Bruchteil einer Sekunde an. Komisch, es schien, als hätten wir viel Zeit, uns zu beraten. Manchmal, hatten mir die alten KVs erzählt, ist es am besten, die Schläge hinzunehmen und zu hoffen, daß du noch einigermaßen am Leben bist, wenn die Bullen mit dir fertig sind. Manchmal aber ist dein Leben unmittelbar in Gefahr oder deine geistige Gesundheit, und dann ist Gegenwehr angesagt. Es ist eine schwere Entscheidung, denn es steht oft auf Messers Schneide.

Mit einem Augenzwinkern beschlossen Ed und ich zu kämpfen. Jede boxte und trat den Bullen, der ihr am nächsten stand. Einen Moment lang sah es ganz gut für uns aus. Ich trat den Bullen vor mir immer wieder gegen das Schienbein. Ed traf den anderen in den Unterleib und schlug ihn mit beiden Fäusten auf den Kopf.

Als der eine Bulle ausholte und zuschlug, traf mich die Spitze seines Schlagstocks genau auf den Solar plexus. Ich krachte gegen die Wand und bekam keine Luft mehr. Dann hörte ich einen ekelhaft dumpfen Schlag, als ein Schlagstock auf Eds Schädel niedersauste. Ich mußte kotzen. Die Bullen schlugen uns, bis ich mich durch die Schmerzen hindurch auf einmal fragte, ob die Anstrengung sie nicht ermüdete. Plötzlich hörten wir Rufe in der Nähe.

„Los, komm!“ rief der eine Bulle dem anderen zu.

Ed und ich lagen reglos am Boden. Ich sah, wie der Bulle, der über mir stand, ausholte, um zuzutreten. „Du verfluchte Verräterin!“ zischte er, und sein Stiefel krachte mir zur Bekräftigung in die Rippen.

Das nächste, an das ich mich erinnerte, war die Morgendämmerung, die den Himmel am Ende der Gasse erhellte. Das Straßenpflaster an meiner Wange war kalt und hart. Ed lag neben mir, das Gesicht abgewandt. Ich streckte die Hand aus, um sie zu berühren, aber ich reichte nicht ran. Meine Hand fiel in eine Blutlache an ihrem Kopf.

„Ed“, flüsterte ich. „Ed, bitte, wach auf. O Gott, bitte sei nicht tot!“

„Was?“ stöhnte sie.

„Wir müssen hier weg, Ed.“

„Okay“, sagte sie. „Du holst das Auto.“

„Bring mich nicht zum Lachen“, sagte ich. „Ich kriege kaum Luft.“ Ich verlor wieder das Bewußtsein.

Darlene erzählte uns später, daß uns eine Familie auf dem Weg zur Kirche gefunden hatte. Sie holten ein paar Leute, die ihnen halfen, uns zu sich nach Hause zu schaffen. Sie brachten uns nicht ins Krankenhaus, weil sie nicht wußten, ob wir vielleicht Ärger mit dem Gesetz hatten. Als Ed zu sich kam, gab sie ihnen Darlenes Telefonnummer. Darlene und ihre Freundinnen kamen und holten uns ab. Darlene pflegte uns beide eine Woche lang in ihrer Wohnung, bis Ed und ich wieder klar denken konnten.

„Wo ist Ed? Wie geht’s ihr?“ war das erste, was ich Darlene fragte.

„Das ist auch das erste, was sie mich gefragt hat – wie es dir geht“, antwortete Darlene. „Sie lebt. Ihr lebt beide, ihr blöden Arschlöcher.“

Keine von uns beiden wollte zum Notarzt, weil wir Angst hatten, sie würden die Bullen anrufen, um rauszukriegen, ob wir was ausgefressen hatten. Als Ed und ich aufstehen konnten, hockten wir tagsüber, wenn Darlene schlief, im Wohnzimmer. Das Sofa diente uns als Bett.

Ed gab mir The Ballot and the Bullet von Malcolm X. Sie ermunterte mich, Autoren wie W.E.B. DuBois und James Baldwin zu lesen. Wir hatten allerdings beide solche Kopfschmerzen, daß wir kaum Zeitung lesen konnten. Wir lagen oft stundenlang nebeneinander und sahen fern: Mini Max oder die unglaublichen Abenteuer des Maxwell Smart, Die Hillbilly Bären, Green Acres. Wir wurden trotzdem gesund.

Ed bekam Krankengeld. Ich verlor meinen Job als Druckerin.

Als Ed und ich schließlich einen Monat später wieder im Malibou auftauchten, zog jemand den Stecker der Jukebox raus, und alle stürzten auf uns zu, um uns in die Arme zu schließen. „Nun mal sachte, wartet mal“, riefen wir und wichen zurück. „Seht ihr die Ähnlichkeit?“ fragte ich, während Ed und ich unsere Gesichter nebeneinander hielten. Wir hatten beide die gleiche Narbe über der rechten Augenbraue.

Was mich betrifft, ich hatte nach dieser Schlägerei eine Menge Selbstvertrauen verloren. Die Schmerzen in meinem Brustkorb erinnerten mich bei jedem Atemzug daran, wie verwundbar ich in Wirklichkeit war.

Ich setzte mich an einen der hinteren Tische und sah meinen Freundinnen beim Tanzen zu. Es war schön, wieder bei ihnen zu sein. Peaches setzte sich neben mich, schlang mir den Arm um die Schultern und pflanzte mir einen langen, zärtlichen Kuß auf die Wange.

Cookie bot mir einen Job als Rausschmeißerin an. Ich hielt mir die Rippen und verzog das Gesicht. Sie sagte, wenn ich wollte, könnte ich die Bedienung machen, bis ich wieder gesund war. Das Geld konnte ich weiß Gott gebrauchen.

Ich sah, wie Justine, eine umwerfende Tunte, mit einer leeren Kaffeedose von Tisch zu Tisch ging und Geld sammelte. Schließlich kam sie an den Tisch, an dem Peaches und ich saßen, und fing an, die Scheine zu zählen. „Du mußt nichts geben, Darlin’.“

„Wofür ist es denn?“ fragte ich.

„Für deinen neuen Anzug“, antwortete sie und zählte weiter.

„Wessen neuen Anzug?“

„Deinen, Schätzchen. Du kannst ja wohl kaum erwarten, daß du in diesem verlotterten Aufzug als Zeremonienmeister der Monte Carlo Night Drag Show Extravaganza auftrittst, oder?“

Ich kapierte gar nichts.

„Wir gehen mit dir einen neuen Anzug kaufen“, erklärte mir Peaches. „Du leitest nächsten Monat die Drag Show.“

„Das hab ich ihr doch grade erklärt“, meinte Justine ungeduldig.

„Aber ich weiß überhaupt nicht, wie man so was macht …“

„Keine Sorge, Schätzchen“, lachte Justine. „Du bist ja nicht der Star.“

Peaches warf den Kopf zurück. „Das sind wir!“

„Aber du wirst göttlich aussehen“, sagte Justine und winkte mit einem Packen Banknoten.

Ich hatte Horrorgeschichten darüber gehört, wie Butches in Begleitung ihrer Femmes versuchten, bei Kleinhan’s einen Anzug zu kaufen. Aber diesmal war das Unbehagen auf Kleinhan’s Seite, als drei mächtige Fummeltrinen in großer Aufmachung mir halfen, einen Anzug auszusuchen.

„Nein.“ Justine schüttelte entschieden den Kopf. „Sie ist Zeremonienmeister, kein Bestattungsunternehmer.“

„Erdfarben.“ Georgetta faßte mein Kinn und drehte meinen Kopf. „Wegen ihrer Farben.“

„Nein, nein, nein“, sagte Peaches, „der hier ist es.“ Sie hielt einen dunkelblauen Gabardine-Anzug hoch.

„Ja“, seufzte Justine, als ich aus der Umkleidekabine kam. „Ja!“

„Hach, Schätzchen, ich könnte dir verfallen!“ rief Georgetta aus.

Peaches fummelte an meinem Revers herum. „Ja, ja, ja.“

„Den nehmen wir“, sagte Georgetta zum Verkäufer, der sichtlich entnervt war. „Passen Sie die Länge an. Und daß er auch schön sitzt!“

Der Verkäufer zog das Maßband von seinem Hals und versuchte, die Hose und das Jackett abzukreiden, ohne mich dabei zu berühren. Schließlich erhob er sich. „Sie können ihn in einer Woche abholen“, verkündete er.

„Wir können ihn heute abholen“, erklärte Georgetta. „Wir schauen uns einfach hier im Laden um und probieren Sachen an, bis er fertig ist.“

„Nein!“ stieß der Verkäufer hervor. „Kommen Sie in zwei Stunden wieder. Aber gehen Sie jetzt. Gehen Sie!“

„Wir sind in einer Stunde wieder da, Darlin’“, sagte Justine über die Schulter.

„Bis dann.“ Georgetta warf ihm eine Kußhand zu.

„Komm schon.“ Peaches winkte mir, ihr zu folgen. „Jetzt sind wir dran.“ Sie bugsierten mich zum Laden nebenan. Wir gingen in die Miederwarenabteilung.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich muß aufs Klo. Gott, ich wünschte, ich könnte noch warten, aber es geht nicht.“

Justine berührte meine Wange. „Tut mir leid, Liebling.“

Peaches richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. „Los, wir gehen alle zusammen rein.“

„Nein!“ Ich hob die Hände. „Sie werden uns alle schnappen.“ Meine Blase schmerzte. Ich wünschte, ich hätte nicht so lange gezögert. Ich holte tief Luft und öffnete die Tür zur Damentoilette.

Zwei Frauen standen vor dem Spiegel und frischten ihr Makeup auf. Die eine sah die andere an und zog sich die Lippen nach. „Ist das ein Mann oder eine Frau?“ sagte sie zu ihrer Freundin, als ich an ihnen vorbeiging.

Die andere Frau drehte sich zu mir um. „Das hier ist die Damentoilette“, informierte sie mich.

Ich nickte. „Ich weiß.“

Ich schloß die Kabinentür hinter mir ab. Ihr Lachen traf mich bis ins Mark. „Schwer zu sagen, ob das ein Mann oder eine Frau ist. Wir sollten die Polizei rufen.“

Ich zog die Spülung und fummelte hastig an meinem Reißverschluß herum. Vielleicht war es nur eine leere Drohung. Vielleicht würden sie wirklich die Polizei rufen. Ich eilte aus der Toilette, sobald ich hörte, daß die beiden Frauen gegangen waren.

„Alles in Ordnung, Darlin’?“ fragte Justine. Ich nickte. Sie lächelte. „Du hast die Mädels zehn Jahre ihres Lebens gekostet.“

Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Von wegen. Über einen Mann hätten sie sich nie so lustig gemacht. Ich hatte Angst, sie würden die Bullen rufen. Sie haben mich zehn Jahre meines Lebens gekostet.“

„Kommt!“ Peaches zupfte mich ungeduldig am Ärmel. „Zeit für die Femmes.“ Sie zog mich zur Miederwarenabteilung.

„Was meinst du?“ Georgetta hielt ein rotes Seidennachthemd hoch.

„Schwarz“, sagte ich. „Das schwarze, seidene.“

„Mann, der Junge hat Geschmack!“

Peaches seufzte. „Komisch, wie du diesen Anzug anprobiert hast, ganz aufgeregt und so. Ich mußte daran denken, wie mein Vater mich gezwungen hat, mir einen Anzug für den Gottesdienst zu kaufen. Wenn ich von schönen Klamotten träumte, Kind, dann nicht von einem Anzug. Soviel steht fest. Ich träumte von etwas … etwas Geschmackvollem, weißt du – mit Spaghetti-Trägern, so tief ausgeschnitten …“ Sie fuhr sich mit dem Finger über das Dekolleté. „Ich fühlte mich wie eine Ballerina im Abendanzug.“

Georgetta schnaubte. „Wohl eher wie ’ne Tunte.“

Peaches warf den Kopf zurück und zog mich weiter.

Eine Stunde später gingen wir zurück zu Kleinhan’s. Der Anzug war fertig.

„Wir haben noch genug Geld für ein Hemd und eine Krawatte“, erklärte Georgetta.

Justine hielt ein stahlblaues Hemd hoch. Es war schöner als alle Hemden, die mein Vater je besessen hatte. Die Knöpfe waren himmelblau mit weißen Schlieren, wie Wolken. Peaches und Georgetta einigten sich auf eine bordeauxrote Seidenkrawatte.

Die Verkäufer sahen allesamt aus, als hätten sie Kopfschmerzen. Immerhin, besser sie als wir.

„Ich kann euch allen gar nicht genug danken“, sagte ich.

„Doch, kannst du, Schatz. Du kannst mich zur Siegerin der Drag Show küren.“

„Sie sieht ja wohl, daß ich die Holdeste von allen bin.“

„Ach bitte, Kindchen, bring mich nicht zum Lachen.“

Ich hob die Hände. „Moment mal“, protestierte ich. „Es war nie die Rede davon, daß ich bei der Drag Show die Jury spielen soll.“

„Ach, Darlin’“, lächelte Justine. „Es ist ja noch einen Monat hin. Zerbrich dir nicht deinen hübschen Kopf darüber.“

Der Monat verging schnell. Ich versuchte, allen Meinungsverschiedenheiten der Kandidatinnen, wie die Show organisiert werden sollte, aus dem Wege zu gehen. Am Abend der Show kam ich recht spät zum Malibou. Ich parkte meine Norton auf dem rückwärtigen Parkplatz, nahm den Helm ab und rauchte eine Zigarette.

Peaches trat aus der Tür. „Kind, wo steckst du denn?“ rief sie mir zu und bemühte sich, in ihren hohen Stöckeln auf dem Kies das Gleichgewicht zu wahren.

„Ich komme!“ antwortete ich und drückte die Zigarette aus. „Ich bin schon da.“

Alle hielten inne und starrten mich an, als ich zur Tür hereinkam. „Du siehst zum Anbeißen aus“, sagte Peaches und strich mir über das Revers.

Georgetta faltete die Hände. „Ich glaube, ich verliebe mich.“

„Jaja, das sagt sie nach jedem Blowjob“, murmelte Justine.

Cookie ging das Programm mit mir durch. Ich kaute unterdessen nervös am Daumennagel. Mein Leben lang hatte ich mir gewünscht, mich unsichtbar machen zu können. Wie sollte ich jetzt bloß auf eine Bühne steigen, mitten ins Rampenlicht? Als ich auf den Laufsteg kam, war es dunkel im Club. Als der Lichtkegel mich traf, konnte ich die Menge vor mir kaum sehen.

„Sing etwas!“ rief eine der Butches laut.

„Seh ich vielleicht aus wie der verdammte Bert Parks?“ schrie ich zurück. „Okay“, fing ich an zu singen, „hier kommt sie, Miss-Ver-stääänd-nis.“

„Buh!“

„Jetzt hört mal zu“, bat ich. „Das hier ist ernst.“

„Das ist es nicht! Es ist eine Drag Show!“ rief jemand.

„Doch, es ist ernst.“ Ich wußte jetzt, was ich sagen wollte. „Wißt ihr, unser ganzes Leben haben sie uns gesagt, daß wir nicht so sind, wie wir sein sollten …“

Ein paar murmelten: „Ja!“

„Also, das hier ist unser Zuhause. Unsere Familie.“

Eine Welle von Beifall ertönte aus dem Publikum. „Du hast verdammt recht“, rief eine der Tunten hinter mir.

„Also werden wir uns heute abend so feiern, wie wir sind. Wir sind nicht nur akzeptabel, wir sind schön. Und ich will, daß ihr unseren umwerfenden Schwestern in dieser Show zeigt, wie sehr wir sie lieben und respektieren.“ Die Menge brüllte zustimmend. Justine und Peaches kamen raus, küßten mich und rannten wieder hinter die Bühne, um ihr Stichwort abzuwarten.

Ich sah auf die Karteikarten, die Cookie mir gegeben hatte. „Bitte begrüßt Miss Diana Ross mit ihrem Lied ‚Stop in the name of love’!“ Die Musik wurde lauter, und ich trat beiseite.

Peaches’ Kleid leuchtete auf, als der Lichtkegel auf sie fiel. Was für ein atemberaubend schöner Mensch!

„Stop in the name of love …“ Sie packte mich an der Krawatte, während sie ihr Lied beendete. „… before you break my heart …“ Ihre Lippen waren meinen ganz nahe. Ich schnappte nach Luft, war ganz gefangen von ihrer Ausstrahlung.

Donnernder Applaus.

„Gebt ihr ein Handtuch!“ rief jemand, als ich mir mit dem Handrücken über die Stirn wischte.

„Bitte begrüßt Miss Barbara Lewis mit ‚Hello Stranger’!”

Justine kam direkt auf mich zu – langsam und sehr sicher auf ihren Pfennigabsätzen –, während die Musik anschwoll. „Hello stranger …“ Sie legte mir den Arm um die Schultern. „… it seems like a mighty long time …“ Ich fand allmählich Gefallen an dieser Show.

Als nächstes kam Georgettas Freund Booker. Ich hatte ihn noch nie zuvor im Fummel gesehen, und selbst jetzt stellte ich ihn mir als er vor. Booker sang ebenfalls „Stop in the name of love“. Georgetta spähte hinter den Kulissen hervor und beobachtete ihn. „Ist es nicht wieder mal typisch?“ flüsterte sie mir zu. „Da meinst du, du hast einen richtigen Kerl geheiratet, und dann stellst du fest, er ist auch nur eine Schwester, die sich deinen Lippenstift leiht, und dann kriegst du ihn nie wieder.“ Ich kicherte.

„O Gott im Himmel!“ fuhr sie fort. „Das Mädchen hat ein Problem.“ Jedesmal, wenn Booker den Arm hob, um „Stop!“ zu singen, rutschte ihm anschließend der Träger seines Kleides herunter. Es hätte sehr sexy sein können, aber er war so nervös, daß er immer wieder versuchte, den Träger hochzuschieben.

„Hilf ihr“, sagte Georgetta zu mir.

Ich gab Georgetta das Mikro, ging raus auf die Bühne und trat vor Booker. Ich kniete vor ihm nieder und tat, als würde er mich ansingen. Dann umkreiste ich ihn und zog ihm verführerisch den Träger runter. „Laß ihn unten“, flüsterte ich, während ich ihn auf die Schulter küßte. Booker sang, „… before you break my heart …“ und stieß mich dramatisch von sich. Die Menge tobte vor Begeisterung. Niemand sah das rote Blinklicht.

Die Musik erstarb, und alle stöhnten auf. Dann stürmte die Polizei den Club. Ich hielt die Hand vor Augen, damit das Scheinwerferlicht mich nicht blendete, konnte aber trotzdem nicht sehen, was vor sich ging. Ich hörte Schreie und den Lärm umstürzender Tische und Stühle. Der einzige Ausgang war versperrt – diesmal gab es kein Entkommen. Mit sechzehn war ich immer noch minderjährig.

Ich zog langsam mein neues blaues Jackett aus, faltete es ordentlich zusammen und legte es auf das Klavier hinten auf der Bühne. Einen Moment lang dachte ich daran, meinen Schlips abzulegen, weil ich meinte, es wäre dann vielleicht leichter für mich. Aber das stimmte natürlich nicht. Im Gegenteil, die Krawatte gab mir ein Gefühl von Stärke angesichts dessen, was mir bevorstand. Ich krempelte die Ärmel hoch und stieg von der Bühne. Ein Bulle packte mich und fesselte mir die Hände fest auf den Rücken. Ein anderer schlug auf den schluchzenden Booker ein.

Sie hatten den Polizeitransporter rückwärts vor den Eingang gefahren. Die Bullen prügelten uns hinein. Einige Tunten kabbelten sich nervös auf dem Weg zur Wache und machten Witze, um die Spannung zu lösen. Ich schwieg.

Wir wurden alle zusammen in eine riesige Zelle verfrachtet. Meine gefesselten Hände waren geschwollen und kalt wegen der mangelnden Durchblutung. Ich wartete. Zwei Bullen öffneten die Zellentür. Sie lachten und redeten miteinander. Ich hörte nicht hin. „Brauchst du Arsch ’ne Extra-Einladung? Los!“ befahl der eine.

„Los, komm schon, Jesse“, höhnte einer. „Lächle mal schön in die Kamera! Bist so ’n hübsches Mädchen. Ist sie nicht hübsch, Jungs?“ Sie schossen mein Polizeifoto. Einer der Bullen löste mir die Krawatte. Als er mein neues Hemd aufriß, flogen die himmelblauen Knöpfe ab und rollten über den Fußboden. Er zog mir das T-Shirt hoch und entblößte meine Brüste. Meine Hände waren noch immer gefesselt. Ich stand mit dem Rücken an der Wand.

„Ich glaub, sie mag dich nicht, Gary“, sagte ein anderer. „Vielleicht bin ich eher ihr Typ.“ Er durchquerte den Raum. Meine Knie zitterten. Lieutenant Mulroney stand auf seinem Namensschild. Er bemerkte, daß ich darauf guckte und ohrfeigte mich hart. Seine Hand umspannte mein Kinn wie ein Schraubstock. „Lutsch meinen Schwanz!“ sagte er leise.

Kein Laut war zu hören. Ich rührte mich nicht. Niemand sagte etwas. Ich meinte fast, es könnte so bleiben, wie ein angehaltener Film, aber das tat es nicht. Mulroney fummelte an seinem Reißverschluß. „Lutsch meinen Schwanz, Bulldagger!“ Jemand schlug mir mit einem Knüppel von hinten gegen die Beine. Ich ging mehr vor Angst als vor Schmerz in die Knie. Mulroney packte mich am Kragen und schleifte mich zu einer Stahltoilette. Ein Stück Kot schwamm im Wasser. „Lutsch meinen Schwanz oder friß meine Scheiße, Bulldagger! Du hast die Wahl.“ Ich war zu verängstigt, um denken oder mich rühren zu können.

Als er meinen Kopf das erste Mal unter Wasser drückte, hielt ich die Luft an. Beim zweiten Mal hielt er mich so lange untergetaucht, bis ich Wasser schluckte und den Klumpen Scheiße an meiner Zunge spürte. Als Mulroney meinen Kopf wieder aus dem Klo zog, kotzte ich ihn voll. Ich würgte und erbrach mich wieder und wieder.

„Ach, Scheiße, schaffen wir sie hier raus!“ brüllten die Bullen einander zu, als ich schwer atmend da lag.

„Nein“, sagte Mulroney. „Auf den Tisch da drüben mit ihr!“

Sie hoben mich auf, warfen mich rücklings auf den Tisch und fesselten mir die Hände über dem Kopf. Als mir ein Bulle die Hose runterzog, versuchte ich, die Krämpfe in meinem Magen zu unterdrücken, damit ich nicht an meiner eigenen Kotze erstickte.

„Hey, ist das nicht süß? Richtige Männer-Unterhosen!“ rief ein Bulle. „Perverse Sau!“

Ich sah zu dem Licht an der Decke hoch, eine große gelbe Glühbirne hinter einem Metallgitter. Das Licht erinnerte mich an die endlose Folge von Western, die ich im Fernsehen gesehen hatte, nachdem wir in den Norden gezogen waren. Immer wenn sich jemand in der Wüste verirrte, zeigten sie bloß noch eine gleißende Sonne – die ganze Schönheit der Wüste wurde auf dieses eine Bild reduziert. Ich starrte auf die Gefängnisglühbirne, um nicht Zeugin meiner eigenen Erniedrigung sein zu müssen: Ich klinkte mich einfach aus.

Ich stand in der Wüste. Der Himmel hatte bunte Streifen. Jeder kleinste Lichtwechsel tauchte die Weite in einen anderen Farbton: lachsfarben, rosa, lavendel. Der Salbeigeruch war übermächtig. Noch bevor ich den Steinadler im Aufwind über mir dahingleiten sah, hörte ich ihn schreien, so deutlich, als wäre es aus meiner Kehle gekommen. Ich sehnte mich danach, mit dem Adler zu fliegen, aber ich fühlte mich mit der Erde verwurzelt. Die Berge kamen mir entgegen. Ich ging auf sie zu, auf der Suche nach Zuflucht, aber etwas hielt mich zurück.

„Verdammt!“ zischte Mulroney. „Dreht sie um! Ihre Fotze ist zu labbrig.“

„Ey, Lieutenant, wie kommt’s eigentlich, daß diese Scheiß-Bulldagger nicht mit Männern ficken, aber so große Mösen haben?“

„Frag doch mal deine Frau“, erwiderte Mulroney. Die anderen lachten.

Ich geriet in Panik. Ich versuchte, in die Wüste zurückzukehren, aber ich konnte die fließende Öffnung zwischen den Dimensionen nicht wiederfinden. Ein berstender Schmerz in meinem Körper katapultierte mich schließlich zurück.

Ich stand wieder in der Wüste, aber diesmal hatte sich der Sand abgekühlt. Der Himmel war bewölkt; ein Sturm drohte. Die schwüle Luft war unerträglich. Ich konnte nur schwer atmen. In der Ferne hörte ich wieder den Adler schreien. Der Himmel wurde so dunkel wie die Berge. Der Wind blies mir durchs Haar.

Ich schloß die Augen und wandte mein Gesicht dem Wüstenhimmel zu. Und dann, endlich, die Erlösung: Ein warmer Regen brachte meinen Wangen die ersehnte Erleichterung.

Stone Butch Blues

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