Читать книгу Anna Karenina, 1. Band - Лев Толстой, Лев Николаевич Толстой, Leo Tolstoy - Страница 22
Erster Teil
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ОглавлениеZur Theestunde für die Erwachsenen erschien Dolly aus ihrem Zimmer; Stefan Arkadjewitsch kam nicht mit. Er mochte wohl, das Gemach der Gattin verlassend, einen Ausgang nach hinten benutzt haben.
„Ich fürchte, es wird dir oben zu kalt werden,“ wandte sich Dolly zu Anna, „und wünschte recht sehr, dich mehr nach unten zu placieren; wir sind uns dann auch näher.“
„O, meinetwegen beunruhige dich nicht,“ antwortete Anna, in das Gesicht Dollys blickend und sich bemühend aus ihm herauszulesen, ob die Aussöhnung zustande gekommen sei oder nicht.
„Es wird dir hier zu hell sein,“ versetzte die Schwägerin.
„Ich sage dir, daß ich überall schlafen kann und stets wie ein Murmeltier schnarche.“
„Wovon sprecht ihr denn?“ frug Stefan Arkadjewitsch, aus dem Kabinett hereintretend und sich an seine Frau wendend.
An seinem Tone erkannten Anna und Kity sofort, daß die Aussöhnung zustande gekommen war.
„Ich will Anna tiefer einlogieren, es müssen aber die Gardinen anders gesteckt werden. Niemand versteht dies jedoch richtig zu machen, ich muß es daher selbst thun,“ antwortete Dolly, sich an ihren Gatten wendend.
„Wer weiß ob die schon vollkommen ausgesöhnt sind,“ dachte Anna, als sie den kalten ruhigen Ton der Stimme Dollys vernahm.
„O, es ist genug so, Dolly, mach dir nicht zu viel Umstände,“ sagte Stefan Arkadjewitsch, „wenn du aber willst, so werde ich selbst alles thun.“
„Aha, es muß wohl so sein; sie sind versöhnt,“ dachte Anna.
„Ich weiß schon, wie du alles thust,“ erwiderte Dolly, „du sagst dem Mattwey, er möge thun, was sich gar nicht ausführen läßt, fährst dann fort von hier und er bringt alles durcheinander;“ das gewohnte spöttische Lächeln verzog die Mundwinkel Dollys bei diesen Worten.
„Die Versöhnung ist vollständig, vollständig,“ dachte Anna, „Gott sei gedankt!“ und in der Freude darüber, daß sie die Ursache derselben war, trat sie zu Dolly hin und küßte dieselbe.
„Es ist ganz und gar kein Grund vorhanden, wegen dessen du mich und den Mattwey so über die Achsel ansehen könntest,“ sagte Stefan Arkadjewitsch, mit kaum merkbarem Lächeln sich zu seinem Weibe wendend.
Den ganzen Abend hindurch war Dolly, wie stets, ein wenig zu einem gewissen leichten Spotte gegen ihren Gatten gestimmt, doch dieser selbst befand sich in sehr zufriedener und heiterer Stimmung, gleichwohl aber nicht so weit, daß er damit gezeigt hätte, er habe nach erlangter Verzeihung seinen Fehltritt schon vergessen.
Um halb zehn Uhr abends wurde jedoch die ausnehmend lustige und angenehme Unterhaltung im Familienkreis beim Theetisch der Oblonskiy durch ein dem Anschein nach höchst harmloses Ereignis plötzlich gestört; dieses harmlose Ereignis erschien indessen allen aus einem unbekannten Grunde seltsam.
Als man von den allgemeinen Petersburger Verhältnissen sprach, stand Anna Karenina plötzlich schnell auf.
„Sie befindet sich in meinem Album,“ sagte sie, „und ich werde sogleich auch meinen Sergey zeigen,“ fügte sie mit dem stolzen Lächeln der Mutter hinzu.
Um die zehnte Stunde, wo sie für gewöhnlich von ihrem Söhnchen Abschied nahm und ihn sogar oft selbst, bevor sie etwa auf einen Ball fuhr, zu Bett brachte, befiel sie Traurigkeit darüber, daß sie jetzt so weit von ihm entfernt sei. Wovon man auch sprechen mochte, sie blieb unzugänglich und ihre Gedanken schweiften fortwährend zu ihrem lockigen Sergey zurück. Jetzt wollte sie wenigstens sein Bildnis betrachten und von ihm reden. Unter dem ersten besten Vorwand der sich bot, erhob sie sich und ging mit ihrem elastischen energischen Gang nach dem Album. Die Treppe nach oben führte auf einen kleinen Vorsaal und ging dann als geheizte Zwischentreppe nach ihrem Zimmer.
Gerade zur Zeit, als sie den Salon verließ, wurde im Vorzimmer die Glocke laut.
„Wer mag das sein?“ frug Dolly. „Nach mir wäre es noch zu zeitig, es wird erst später jemand kommen,“ setzte sie bemerkend hinzu.
„Wahrscheinlich ist es ein Beamter mit Akten,“ meinte Stefan Arkadjewitsch. Als Anna an der Treppe vorüberschritt, kam soeben der Diener herauf, um den Ankömmling zu melden; dieser selbst stand aber bereits bei der Hauslampe.
Anna erkannte sofort beim Hinabschauen Wronskiy, und ein seltsames Gefühl der Freude gemischt mit dem des Schmerzes regte sich plötzlich in ihrem Herzen.
Er stand, ohne den Überrock abzulegen und zog etwas aus der Tasche. In diesem Augenblick, als sie soeben die Mitteltreppe erreicht hatte, hob er die Augen, erkannte sie und auf seinen Zügen malte sich ein Ausdruck von Verlegenheit und Erschrecken.
Sie ging, das Haupt leicht geneigt weiter; hinter sich aber vernahm sie die laute Stimme Stefan Arkadjewitschs, der Wronskiy bat, einzutreten, und die halblaute, geschmeidige und ruhige Stimme Wronskiys, welcher ablehnte.
Als Anna mit dem Album zurückkam, war er schon wieder gegangen, und Stefan Arkadjewitsch erzählte, er sei gekommen, um sich bezüglich eines Diners zu erkundigen, welches am folgenden Tage einer anreisenden Standesperson gegeben werden sollte.
„Er wollte um keinen Preis eintreten, und ist überhaupt ein wenig Sonderling,“ äußerte Stefan Arkadjewitsch.
Kity wurde rot; sie dachte daran, daß sie allein wisse, weshalb er gekommen sei und nicht habe eintreten wollen.
„Er wird bei uns gewesen sein,“ dachte sie, „und, mich daselbst nicht antreffend, vermutet haben, daß ich hier sei. Er wird nicht eingetreten sein weil er zu spät sich erinnert hat, daß auch Anna anwesend ist.“
Man blickte sich gegenseitig an, ohne weiter zu sprechen und beschäftigte sich alsdann mit dem Betrachten des Albums.
Es lag zwar nichts Ungewöhnliches oder Besonderes darin, daß jemand zu seinem Freunde kam um halb zehn Uhr abends, um einige Details über ein geplantes Essen einzuholen, dabei aber nicht in das Zimmer trat; indessen gleichwohl erschien dies allen seltsam, und am meisten von allen seltsam und von übeler Vorbedeutung erschien es Anna Karenina.