Читать книгу Anna Karenina, 1. Band - Лев Толстой, Лев Николаевич Толстой, Leo Tolstoy - Страница 29
Erster Teil
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ОглавлениеNach dem Balle früh morgens sandte Anna Karenina ihrem Gatten ein Telegramm betreffs ihrer Abreise von Moskau noch am nämlichen Tage.
„Nein, nein, ich muß, muß unbedingt reisen,“ erklärte sie ihrer Schwägerin, dieser die Änderung ihres Entschlusses in einem Tone mitteilend, als habe sie sich erinnert, daß es eine solche Unmasse von Geschäften wie man sich gar nicht denken könne, gäbe. „Nein, nein, es ist am besten, ich fahre jetzt!“
Stefan Arkadjewitsch speiste heute nicht daheim, versprach aber, die Schwester um sieben Uhr abzuholen, um sie nach dem Bahnhof zu begleiten.
Kity war gleichfalls nicht gekommen, hatte aber eine Mitteilung geschrieben, sie habe Kopfschmerzen.
Dolly und Anna speisten also allein mit den Kindern und der Engländerin. Mochten nun die Kinder unbeständig oder feinfühlig sein, und empfinden, daß Anna an diesem Tage gar nicht so war, wie an jenem, als man sie so allgemein liebgewonnen hatte, daß sie sich gar nicht mehr mit ihnen befaßte, genug, diese brachen vielmehr plötzlich ihr Spiel mit der Tante ab und schienen nicht mehr die alte Liebe zu ihr zu empfinden; es kümmerte sie auch ganz und gar nicht, daß dieselbe heute fortreiste.
Anna war den ganzen Vormittag über mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt. Sie schrieb Briefe an ihre Moskauer Bekannten, schrieb ihre Rechnungen und packte.
Im allgemeinen schien es Dolly, als ob Anna sich nicht bei ruhiger Stimmung befinde, sondern in jener sorgenvollen Aufgeregtheit, welche Dolly selbst an sich recht wohl kennen gelernt hatte, und die nicht ohne Ursache sich einfindet und meistenteils eine Unzufriedenheit mit sich selbst verdeckt.
Nach dem Essen begab sich Anna nach ihrem Zimmer, um sich anzukleiden, und Dolly folgte ihr dahin.
„Wie bist du doch heute so seltsam?“ sagte sie zu Anna.
„Ich? Findest du das? Ich bin nicht seltsam, aber ich bin nicht wohl. Das pflegt öfters bei mir der Fall zu sein, und ich möchte dann immer weinen. Man kann dies eine Thorheit nennen, doch es geht schon noch vorüber,“ sagte Anna schnell und beugte das errötende Gesicht nach dem Reisesack, in den sie ihr Nachthäubchen und ihre Battisttaschentücher packte.
Ihr Auge zeigte einen absonderlichen Glanz und wurde beständig von Thränen umflort.
„Erst wollte ich nicht von Petersburg fort und jetzt möchte ich nicht von hier hinweg.“
„Du bist hierher gekommen und hast ein gutes Werk gestiftet,“ sagte Dolly, sie aufmerksam betrachtend.
Anna blickte mit thränenfeuchten Blicken auf Dolly.
„Sage das nicht,“ sagte sie, „ich habe nichts gethan und konnte auch nichts thun. Ich wundere mich nur oft, weshalb die Leute sich verschworen zu haben scheinen, mich zu verderben. Was habe ich gethan, was konnte ich thun? In deinem Herzen selbst fand sich so viel Liebe, daß du verzeihen mußtest und konntest.“
„Wer weiß, ob es ohne dich der Fall gewesen wäre. Wie glücklich bist du, Anna,“ sagte Dolly. „In deiner Seele ist alles klar und gut.“
„Ein jeder hat in sich sein skeleton, wie der Engländer sagt.“
„Und was hast du für ein skeleton in dir? Bei dir ist doch alles so klar.“
„Ja wohl!“ antwortete Anna schnell und unvermutet nach den Thränen erschien ein schlaues, spöttisches Lächeln auf ihren Lippen.
„Nun, also ist es lächerlich, dein skeleton, und nicht traurig,“ sagte Dolly lächelnd.
„Nein, traurig. Du weißt, warum ich jetzt abreise und nicht erst morgen? Ein Geständnis, welches mich bedrückt, will ich dir ablegen,“ fuhr Anna fort, voll Entschiedenheit sich in einem Lehnstuhl zurückwerfend und Dolly gerade in die Augen blickend.
Zu ihrer Verwunderung bemerkte Dolly, daß Anna bis an die Ohren, bis zu den sich ringelnden schwarzen Löckchen auf dem Nacken errötete.
„Ja,“ fuhr diese fort, „du weißt, weshalb Kity gestern nicht zum Essen hierher gekommen ist? Sie ist eifersüchtig auf mich. Ich soll sie vernichtet haben; ich war die Ursache davon, daß ihr jener Ball zu einer Tortur geworden ist, nicht aber zur Lust gereicht hat. Aber, wahrhaftig, ich bin nicht schuldig, oder doch wenigstens nur wenig schuld daran,“ sagte sie, mit ihrer feinen Stimme das Wort „nur wenig“ hervorhebend.
„O, das hast du ganz ähnlich gesagt wie mein Stefan es that,“ lachte Dolly.
Anna fühlte sich verletzt.
„Nein, nein! Ich bin nicht Stefan,“ sagte sie sich verfinsternd. „Ich sage es nur deswegen dir, damit ich auch nicht für eine Minute nur mir erlauben möge, an mir selbst irre zu werden,“ sagte Anna.
Aber in demselben Augenblick, da sie diese Worte sagte, fühlte sie, daß dieselben unwahr seien; sie zweifelte nicht nur an sich selbst, sie empfand vielmehr eine Erregung bei dem Gedanken an Wronskiy und sie fuhr früher ab, als sie gewollt hatte, nur zu dem Zwecke, ihm nicht mehr zu begegnen.
„Ja, Stefan hat mir gesagt, daß du mit ihm die Mazurka getanzt hast, und daß er“ —
„Du wirst dir nicht vorstellen können, wie wunderlich dies zuging. Ich gedachte nur, die Freiwerberin zu spielen, und plötzlich war die Sache ganz anders geworden. Möglich ist es ja, daß ich wider Willen“ —
Sie wurde wiederum rot und hielt inne.
„Und man hat dies sofort empfunden,“ ergänzte Dolly.
„Ich würde jedenfalls in Verzweiflung geraten, wenn von seiner Seite irgend etwas ernst aufgefaßt würde,“ unterbrach sie Anna, „und ich bin überzeugt, daß alles dies vergessen werden wird und Kity dann aufhört, mich zu hassen?“
„Aufrichtig übrigens gestanden, Anna,“ sagte Dolly, „wünsche ich nicht diesen Ehebund für Kity. Es wäre viel besser, wenn er nicht zustande käme, da Wronskiy sich an einem einzigen Tage in dich verlieben konnte.“
„Mein Gott, das wäre doch so thöricht!“ rief Anna Karenina, und von neuem stieg die tiefe Röte der inneren Freude in ihr Gesicht. Da hörte sie den Gedanken, der sie so sehr beschäftigte, in Worten ausgesprochen; „so werde ich also reisen, nachdem ich mich der Kity zum Feinde gemacht habe, die ich doch so sehr lieb gewonnen. O wie liebenswert sie doch ist! Aber willst du mich wieder mit ihr aussöhnen, Dolly, ja?“
Dolly vermochte nur schwer ein Lächeln zu unterdrücken. Sie liebte Anna, aber es gewährte ihr Vergnügen zu sehen, daß auch diese eine Schwäche habe.
„Zum Feinde? Das kann doch nicht sein.“
„Ich hätte es so sehr gewünscht, daß Ihr alle mich lieben möchtet, wie ich Euch liebe; jetzt aber habe ich Euch noch lieber gewonnen,“ fuhr Anna fort mit Thränen in den Augen, „o, wie thöricht bin ich heute doch.“
Sie fuhr mit dem Taschentuch über das Gesicht und begann, sich anzukleiden.
Kurz vor der Abfahrt kam, ziemlich verspätet, Stefan Arkadjewitsch an, mit gerötetem, lustigem Gesicht und einen Duft von Wein und Cigarre um sich verbreitend.
Die Empfindsamkeit Annas begann sich jetzt auch Dolly mitzuteilen, und als diese zum letztenmal die Schwägerin umarmte, flüsterte ihr Dolly zu: „Bleibe eingedenk dessen, Anna, was du für mich gethan hast – ich werde es niemals vergessen. Und denke daran, daß ich dich geliebt habe und stets lieben werde als meinen besten Freund.“
„Ich verstehe nicht, wofür,“ versetzte Anna und küßte Dolly, ihre Thränen verbergend.
„Du hast mich verstanden und verstehst mich überhaupt. Leb wohl mein Herz!“