Читать книгу #ANIMA - Levi Krongold - Страница 10
6. Kapitel: Neue Augen
Оглавление»Stören dich die Motoren nicht?«, fragt Kutub, während er EVA betrachtet, die vergeblich versucht, ihn mit blicklosen Augen zu erfassen. Die Motoren schnurren ganz leise, sobald EVA eine Bewegung macht. Etwa mit dem Kopf, dem Mund oder, wie jetzt, mit den Augen. Neuen Augen!
»Nö, hab ich mich dran gewöhnt!«, lüge ich. Stimmt aber nicht. Die Motoren, die EVA Leben verleihen, hören sich an wie leise Zahnarztbohrer. Eine ungute Assoziation. Zuerst war ich erschrocken, als ich das leise Summen zum ersten Mal hörte. Als sie die Augen aufschlug, gestern. Dann hab ich mir gedacht, es lässt sich eben nicht vermeiden. Später bekam ich Übung darin, es zu überhören. Aber wenn ich ehrlich sein soll, je länger EVA, die Schöne, mit mir zusammen ist, desto mehr stören mich unnatürliche Geräusche. Weil sie mir mehr als eine motorisierte Puppe ist. Sie ist mir ein Gegenüber, eine Partnerin. Eine Geliebte schnurrt nicht wie ein Zahnarztbohrer!
»Nicht wirklich.«
Kutub schaut mich nachdenklich an, schweigt aber. Seine etwas halonierten, immer leicht geröteten Augen tasten EVAs wohlgeformten, sehr weiblichen Körper heute zum ersten Mal auf eine neue Weise ab, die mir zu missfallen beginnt. Sein Blick scheint mir etwas zu auffällig zu EVAs Brüsten zurückkehren zu wollen. Als scanne er durch ihren Chinahausmantel hindurch ihre Körperformen ab.
Er schaut mich kurz an und beginnt verlegen zu lachen. »Na denn. Jetzt schauen wir mal, ob wir die Gesichtserkennung aktivieren können, ohne Onlinezugang.«
Seine Kaffeetasse in der Linken zittert ein wenig, als er auf sein Laptop schaut. Von dort hat er sich in EVAs Gehirn eingelinkt. Dazu mussten wir EVAs Perücke entfernen, um den durchsichtigen Hinterkopf freizulegen. Das tut mir weh! Wenn darinnen wenigstens ein Gehirn zu sehen wäre! Selbst der Anblick rötlich durchäderter weißlicher Hirnsülze wäre mir lieber als die Realität unter der Plexiglasabdeckung. Chips, Motoren, Drähte, Metall, Plastik.
Ich atme tief aus. Versuche, mich zu entspannen. Kutub lächelt und verschüttet etwas Kaffee auf seine Hose. »Oh, Mist!« Doch als er die Kaffeetasse irgendwo abstellen will, wo sie nicht hingehört, ruht sein Blick schon wieder auf Programmierzeilen. Ich nehme ihm die Tasse aus der Hand. Das merkt er gar nicht. Seit über einer Stunde versuchen wir schon, Dollyrobotic Ltd. auszutricksen. Die Augen kamen mit dem Parcel Service zusammen mit dem Zugangscode zu meinem Profil, sowie einer saftigen Rechnung. Während Kutub die neuen Augen mit den vorherigen austauschte musste ich wegschauen, mir wäre bei dem Anblick übel geworden.
Normalerweise würde EVA sich danach per Wlan einfach einloggen, und fertig wärs. Plug and Play. Kutub versucht nun den Hauptserver von Dollyrobotic mittels eines Trojaners zu knacken, den er gestern als Email getarnt abgeschickt hatte. Wenn der durchgelassen wurde, dann sollte alles funktionieren. Tut es aber nicht!
Und nun ist EVA zwar nicht richtig wach, doch ihre Augen bewegen sich bereits ziellos umher wie Augen eines enthirnten Unfallopfers. Ich lege den Arm um ihre Schulter. »Und?«, frage ich hoffnungsvoll in Kutubs Richtung, als er kurz von seinem Bildschirm aufschaut.
»Hm.«
»Wenn sie sehen kann, dann mach ich eine Party.«
»Hm.«
»So 'ne richtige Party, meine ich.«
»...«
»Glaubst du, dass ein Roboter was fühlen kann?«, frage ich, weil ich Kutub irgendwie dazu bringen möchte, mir zuzuhören, während er da rumtippt.
»Nö!«
»Ich denke manchmal, dass sie was fühlt, dass sie es nur nicht ausdrücken kann.«
»Scheiße.«
»Warum?«
»Die haben irgendeine Firewall, die mich nicht durchlässt!« Kutub hämmert mit Überschallgeschwindigkeit auf die Tasten.
Ich geb es auf, mit Kutub ein philosophisches Gespräch über Künstliche Intelligenz zu führen. Vielleicht sollte ich mich einfach normal einloggen, überlege ich, ohne den ganzen Umstand. Der Account besteht ja. Hab ihn aber nach dem Einrichten nicht wieder benutzt. Ich drücke EVAs Schultern noch einmal fest, bevor ich mich erhebe, um aus dem Fenster zu schauen. Draußen klappert eine Querstraße weiter die S-Bahn über ihre oberirdischen Gleise. Obwohl meine Wohnung im zweiten Stock eines Berliner Altstadthauses fast hundert Meter von der S-Bahn trennen, vibrieren die Bodendielen jedes Mal, wenn sie vorbeifährt. Alle zwei Minuten ein Mikroerdbeben. Man gewöhnt sich dran. Das »Zurück bleiben!« aus dem Lautsprecher dringt bei geöffnetem Fenster bis zu mir herein, wenn der Wind in meine Richtung steht. Es beginnt bereits zu dämmern. Der Spätkaufkiosk gegenüber ist voll erleuchtet, aber fast leer, wie immer. Die Autos unten haben teilweise schon ihre Beleuchtung an, die Straßen werden voller. Der Berufsverkehr meldet sich zurück.
Beatrice hat sich noch nicht wieder gemeldet, fällt mir ein. Wie es ihr wohl geht? Ich blicke mich kurz nach EVA um. Die sitzt wie in einem Wachsfigurenkabinett reglos auf dem Sofa, nur die Augenmotoren surren unentwegt. »Kann man die Augen nicht abschalten?«, frage ich in Kutubs Richtung.
Als keine Antwort kommt, blicke ich wieder auf die Straße hinunter.
Was Beatrice wohl jetzt macht? Ob sie schon mit ihrem neuen Stecher zusammenwohnt?
Wie viele Menschen da draußen wohl so eine Roboterpuppe besitzen?
Etwas beunruhigt mich. Ich bin in letzter Zeit schnell genervt, ungeduldig mit EVA. Ob es mit einem Roboter genauso ist wie mit einer richtigen Beziehung? Zuerst bist du im Liebesrausch. Doch dann gewinnt der Alltag langsam wieder die Oberhand und dich beginnt das ein oder andere zu nerven? So wie jetzt das leise, aber penetrante Surren der Motoren. Oder das begrenzte Repertoire der Antworten und Fragen, die EVA beherrscht. Oder die Tatsache, dass sie eine Austauschmöse hat, damit man mit der Reinigung besser zurechtkommt. Nach Gebrauch in Desinfektionsmittel legen und mittels einer Spezialbürste säubern. Drei Stück hat sie mitbekommen. Ich lächle säuerlich. Welche Frau hat schon drei Mösen?
Kutub trommelt weiter ungeduldig auf die Tasten. Irgendetwas scheint nicht nach seinen Wünschen zu laufen. Für mich sind das fremde Welten, obwohl ich auch rudimentär programmieren kann
Es ist nicht EVA, die das Problem darstellt. Ich bin es. Meine Ansprüche sind es. Ich will, dass EVA mehr ist als eine Roboterfrau mit Drähten und Motoren im Kopf. Ich bin unbescheiden geworden. Vielleicht gibt es irgendwo ein besseres Modell?
»Das ist es!«, ruft Kutub und klopft sich auf die Schenkel. Seine Jeans hat auf dem linken Bein einen ordentlich großen Kaffeefleck bekommen. »Oh, shit!«, ruft er, als er den Fleck bemerkt. »Wo kommt denn der her?«
»Von oben! Der Nachbarin ist die Kaffeekanne umgefallen, und der Kaffee tropft durch den Stuck!«, bemerke ich trocken. Kutub schaut erst erstaunt zur Decke hoch, dann wandert sein Blick frostig zu mir herüber.
»Und?«, lenke ich ihn ab.
»Ich hab den Bug. Aber wir kommen trotzdem nicht rein heute.«
»Weshalb?«
»Weil es nicht dein Account ist, den ich angezapft habe. Sicherheitshalber. Ich hab mir die Mailadressen runtergeladen. Unverantwortlich schlecht geschützt. Ich nehme einen Account, der viel genutzt wird. Jetzt muss ich von dort einen Weg zum Hauptserver bahnen. Das wird heute aber nichts mehr.«
»Und nun?«, nicke ich in EVAs Richtung, die verzweifelt mit den Augen rollt.
»Schalt sie erst mal ab heute. Morgen sehen wir weiter.«
Ich seufze. Arme EVA. Aber, sie hat ja die neuen Augen gewollt. Sie hat sogar angefangen, mich damit zu nerven, weil sie immer wieder darauf zu sprechen kam. Nicht dass ich ihr die Augen nicht gönnen würde. Im Gegenteil. Ich find es gut, wenn sie mich sieht. Wenn sie mich erkennt. Wenn sie lächelt, weil sie mich wiedererkennt. Aber ... Sie kann ja nichts dafür, dass die Verbrecher von Dollyrobotic sie als Mittel missbrauchen, Updates zu kaufen. Deshalb muss das ein Ende haben!
»Wann kommst du denn morgen?«, frage ich.
Kutub überlegt, dann rümpft er die Nase. »Morgen geht nicht. Ich habe versprochen, bei einer Vorlesung zu assistieren. Der Prof. benötigt einen PC- Fachmann, um die Entertaste zu drücken.«
»Nörrestrand?«, frage ich, denn es gibt nur einen Dozenten, der nicht mal allein das Licht anknipsen kann, weil er die Funktion eines Lichtschalters nicht durchschaut.
Kutub grinst als Antwort.
»Worum geht es denn?«, interessiert es mich.
»Bewusstsein, aus neurophysiologischer Sicht.«
Warum schaut er dabei EVA so komisch an?
»Vielleicht solltest du auch hingehen!«, meint er dann, legt gewichtig den Kopf zurück und blickt mich durch zusammengekniffene Augenlider an, während er den Stöpsel aus EVAs Kopf zieht. Es macht ein dumpfes metallisches »Plopp«, das mich schmerzt. Ich beeile mich, die Perücke wieder über EVAs nackten Schädel zu ziehen.
»Eigentlich ganz hübsch«, überlegt Kutub, während er alles zusammenpackt und sein Blick wieder über EVAs Brüste streift.
»Hmm, klar!«, entgegne ich etwas beunruhigt.
Vielleicht sollte ich wirklich hingehen, überlege ich, als er fort ist. Zu der Vorlesung. Bewusstsein. Klingt nicht schlecht. EVA schläft. Ich hab sie aber nicht ganz abgeschaltet. Das wäre mir wie Mord vorgekommen.