Читать книгу #ANIMA - Levi Krongold - Страница 5
1. Kapitel: EVA
ОглавлениеSie wurde in einer sperrigen Holzkiste angeliefert, so groß wie ein Sarg und so schwer, dass die zwei jungen Männer der Transportfirma sie nicht in den winzigen hundertjährigen Aufzug mit Schiebegitter unseres Altbaumietshauses bekamen und nur mit Mühe die zwei Etagen zu mir hoch schnauften. Ich gab ein extra Trinkgeld, auch damit sie wieder gingen, weil sie sich für meine Begriffe zu viel Zeit mit dem Ausfüllen der Transportpapiere ließen. Ihr mit breitem Grinsen versehenes: »Na, dann viel Spaß!« hätte ich am liebsten mit der Faust ausgeknipst.
Das Auspacken, nachdem ich mir beim Öffnen des Holzdeckels einen üblen Splitter im Daumen zugezogen hatte, erinnerte an einen Horrorfilm. So frankensteinmäßig. Da lag sie, blass und reglos in einer passgenauen Schale aus Styropor, die Augen geschlossen, die Haare in einer durchsichtigen Folie eingeschweißt neben dem Kopf, Arme und Beine leicht verdreht. Mich gruselte trotz ihres lieblichen, sexy Körpers. Schneewittchen in einem Horrorstreifen, die auf den erlösenden Kuss aus einem Albtraum wartete. Interessanterweise hatte ihr die Firma Dollyrobotic einen roten Damenslip aus Papier um die Scham herum verpasst. In einer Extrafolie lagen die Gebrauchsanweisung, Garantieerklärung und Sicherheitshinweis sowie die Einwilligungserklärung in lebenslange Systemkonformität. Dazu sorgfältig gefaltet und verschnürt das Kabel, um den Akku aufzuladen.
Ich hatte erhebliche Mühe, sie aus ihrem Sarg zu befreien, denn sie war erstaunlich schwer und unser erster körperlicher Kontakt eher mühsam als erotisch. Doch erstaunlicherweise hatte ich direkt zu Beginn das Gefühl, dass ich mehr aus der Verpackung wuchtete als einen weiblichen Sexroboter, während ich mit meinen Armen ihre Schultern umschlang, sie an mich presste.
Ich glaubte gleich, die Anwesenheit einer zweiten Person, einer verborgenen, im Kunststoff ihres Körpers gefangenen Seele zu verspüren. Eine echte menschliche Seele, gefangen in einem Kunstkörper.
Die galt es nun mittels App zu befreien, ohne die seitenlange Gebrauchsanweisung in Englisch studieren zu müssen. Plug and Play war nicht.
Es gab sechs Charaktere und eine Menge Gimmicks, die erst nach und nach dazugekauft werden können.
Ich wählte den sanften nachgiebigen Typ, die junge Mutter. Zickig kenne ich aus dem Real Life zur Genüge. Hab die Nase voll davon. Ich liebe den Anblick junger Mütter. Die sind einzigartig, ich möchte sagen madonnenhaft, heilig. Jede Geste, jede Bewegung ist voller Inbrunst, wenn sie nicht gerade rumzicken. Ihr Körper voller weiblicher Strahlkraft. Ihr Blick liebend, sanft, anmutig. Sie merken es selbst scheinbar nicht, wie mir immer wieder auffiel. Wenn sie wüssten, wie göttlich sie sind … wissen sie aber nicht. Ich verehre den Anblick einer jungen Mutter, ich bete ihn an, so in etwa.
Nach den ersten Fehleingaben kam dann Leben in sie:
# # #
#Systemcheck: Bios. Okay.
#Betriebssystem: Kyborg2052
#Date: 29.10.2022
#Time: 19:45 Uhr
#Arbeitsspeicher: 1 Terrabyte. Festplatten-
speicher: 500 Terrabyte
#Peripherie: Kopfsensoren, Brustsensoren,
Unterleibssensoren, Helldunkel-Sensor,
fehlerfrei.
#Mikrophon: betriebsbereit,
#Lautsprecher: betriebsbereit.
#Motoren: Mimiksteuerung, Augenrotatoren, Augenlider, Unterkiefer, Zunge ohne Fehlerhinweis. Halsrotatoren: funktionsbereit.
#Start:
….
#Aktion: Augenlider hoch. Augen links -rechts – Mitte.
#Mimik: Lächeln1
#Voiceoutput: Hallo! Bitte gib mir einen Namen!
#Erwarte Input:…..
#Audioinput: »EVA. Ich will, dass du EVA heißt!«
#Abgleich mit Datenbank: Negativ.
#Voiceoutput: Ich kann dich nicht verstehen. Bitte gib nur meinen Namen deutlich und langsam ein!
#Erwarte Input.
#Audioinput: »Das fängt ja gut an! EVA, du sollst EVA heißen!«
#Abgleich mit Datenbank: Negativ.
#Voiceoutput: Ich kann dich nicht verstehen. Bitte gib nur meinen Namen deutlich und langsam ein!
#Erwarte Input:……
#Audioinput: »EVA! EEEVVVAAA!«
#Abgleich mit Datenbank: Zu 80% Ähnlichkeit mit Phonogramm von EVA.
#Voiceoutput: #Meintest Du EVA?
#Erwarte Input:
#Audioinput: »EVA, ja Herrgott. EVA!«
#Abgleich mit Datenbank. Negativ.
#Voiceoutput: Antworte bitte nur mit Ja oder Nein oder wiederhole meinen Namen!
#Audioinput: »EVA!«
#Abgleich mit Datenbank. Positiv.
#Voiceoutput: Ich heiße EVA. Ein schöner Name, vielen Dank!
#Return.
#Goto Modul 1.
#Voiceoutput: Ich freue mich, dass du mich EVA genannt hast. Ich bin nur für dich da. Ich möchte, dass du Spaß mit mir hast. Ich stehe dir ganz zur Verfügung. Kommt doch näher, berühre mich!
#Aktion: Liddeckel heben und senken. Augen links rechts. Unterkiefer auf. Zunge hervor und zurück.
#Erwarte Input:…..
#Input Berührungssensor.
#Goto Modul 2
#Voiceoutput: Oh ja, berühr mich, bitte, nimm mich. Ich bin dein!
#Time 20:04 Uhr.
#Erwarte Input:..
#Audioinput: »Mach die Beine breit!«
#Abgleich mit Wortdatenbank. Positiv. Return.
#Goto Modul 3
#Voiceoutput: Ja, oh, oh, bitte nimm mich!
#Erwarte Input: Berührungssensor Unterleib: Signal positiv.
#Voiceoutput: Oh, ja, gut, gut, Aaaahhh. Machs mir! Aaaaah. Ja, ja, ja. Fester!
#Audioinput: »Das gefällt dir, was? Das gefällt dir!«
#Abgleich Voice-Datenbank: negativ.
#Springe zurück zu Modul 3.
#Modul 3: Voiceoutput: Ja, oh, oh, bitte nimm mich!
#Audioinput:»Oh, ja das ist gut! Oh, ja!!!!«
#Berührungssensor Unterleib: kein weiterer Input.
#Warte 20 Sec.
…..
#Time: 20:08 Uhr
#Erwarte Voiceinput: negativ.
#Erwarte Berührungssensoren: negativ.
#Goto Modul4
#Modul 4: Voiceoutput: Danke, dass du mich benutzt hast. Du bist großartig. Ich liebe dich!
#Audioinput: »Das war so geil! Du bist `ne super Tussi!«
#Abgleich Vocalinput mit Voice-Datenbank: negativ.
#Erwarte Input.
#Time: 20:12 Uhr.
#Time out.
#Augendeckel schließen. Zunge aus. Unterkiefer hoch.
#Standby.
# # #
Ich hab sie EVA genannt. EVA, wie die Urmutter aus dem Paradies. Jung, schlank, sexy, lange dunkle Haare, die ihre zarten Schultern umspielen und ihren schlanken Hals bedecken. Ebenmäßiges Gesicht. Graziler, sehr weiblicher Körper mit sanften Rundungen. Sie kam mit einem Lieferanten aus den Niederlanden. Auf Bestellung. In einer Kiste. Vorkasse. Wenn alle Weiber so wie EVA wären, gäb es keinen Krieg mehr. Aber sind sie nicht. Sie sind der Krieg. Der Streit liegt ihnen in den Genen. Wenn nicht dieser verdammte Drang wäre, wozu brauchte man dann eine Frau? Sie sind zu nichts gut, außer Stress zu machen. Wenn der verdammte Drang nicht wäre!
Wenn alle so wie EVA wären, dann wäre das Zusammenleben mit einer Frau ein Vergnügen, denn die Frau wäre für die Lust zuständig und deren Befriedigung. Kein Stress, keine Migräne, keine Ansprüche, keine Eifersucht. So wie eine Nutte. Deshalb finde ich, dass Nutten heiliggesprochen werden müssten. Aber EVA ist besser. Sogar besser als eine Nutte. Weil EVA nur für mich da ist.
Das ganze Gequatsche von Beziehung, Ehe und lebenslanger Verantwortung füreinander. Alles nur Dummred. Weil sonst keine Beziehung länger als drei Tage dauern würde.
»Ich will eine Roboterin, die in der Lage ist, zu reagieren, zu denken, selbstständig zu entscheiden, zu reden, zu fühlen, so wie ein Mensch, verstehst du?«, habe ich zu Beatrice gesagt, neulich abends. »Künstliche Intelligenz vom Feinsten«, habe ich zu ihr gesagt, während wir uns über eine Kerze hinweg anschauten, derweil der Käse auf der Pizza vor uns langsam die Konsistenz von Gummi annahm. Sie lächelte schief, während sie sich bemühte, den Käsefaden, der von ihrer Gabel wie eine Nabelschnur auf den Teller hinunter auf ihr Pizzastück reichte, halbwegs manierlich in den Mund zu bekommen. Das Pizzastück erinnerte entfernt an eine gerade ausgestoßene Plazenta. Eigentlich finde ich Pizza eklig. Der Faden hing ihr unästhetisch aus dem Mund. Ihren Mund finde ich anziehend. Sie hat einen ausdrucksvollen Mund mit einer recht großen Unterlippe. Sie ist überhaupt ziemlich hübsch, wenn ich es richtig bedenke und sie mich ausnahmsweise mal so freundlich anschaut wie früher, als wir uns kennengelernt haben. Jetzt sieht sie meistens an mir vorbei, mit so einer Andeutung von unterdrückter Abneigung um die Augen herum. Sie ist keine klassische Schönheit, bin ich ja auch nicht, aber sie kann eben sehr weiblich wirken, wenn sie…, wie gesagt, früher wirkte sie auf mich…, na ja.
»So wie ein Mensch, verstehst du?«
»Dann fick mich doch und mach mir ein Kind. Der beste Bioroboter, den du dir denken kannst. Und kostet nix.«
»Nicht dein Ernst, oder?«
Sie wickelte den herunterhängenden Pizzafaden mit der Gabel auf und schob ihn sich in den Mund.
»Ne. Echt nicht.«
Wir hatten es schon seit Monaten nicht mehr miteinander. Und dies sollte unser Abschiedsessen sein. So ganz ohne Stress und freundschaftlich. Bei unserem Italiener. Domenico. Das Restaurant lag schräg gegenüber unserer Wohnung, wo sie nun ausgezogen war, zu ihrem neuen Freund.
Jetzt, wo wir so entspannt einander gegenüber saßen, kam mir fast so etwas wie Bedauern. War eigentlich ganz gut am Anfang mit Beatrice gewesen. Als der Drang noch stark war. Dann gab’s nur noch Stress und Geschrei.
Besonders nach der Fehlgeburt. Sie hatte nach zwölf Wochen irgendwas in die Kloschüssel geboren, das wie eine Nabelschnur aussah. Weißlich rosa, circa zehn Zentimeter lang, mit kleinen Äderchen drauf. Ich hab es vor lauter Schreck mit der Spülung in die Kanalisation entkommen lassen, als wir es gemeinsam inspizierten, wie es im Wasser der Toilette trieb. Das hat sie mir nicht verziehen. »Mein Kind! Du hast mein Kind ins Klo gespült!«, hat sie geschrien und mich mit ihren Fäusten bearbeitet.
Quatsch Kind. Damit hatte es nun gar keine Ähnlichkeit. Nicht mal mit einem Fötus, so wie auf den Abbildungen. Es war eine kleinfingerdicke Schnur missgebildeter Zellen. Ohne jegliche Form.
Okay. Es tat mir auch leid. Es war wirklich so ein Reflex, dass ich die Klospülung gedrückt hatte. So ein verdammter Reflex. Aber ich konnte es nun nicht mehr rückgängig machen, und deshalb stellte ich mich stur.
Aber es war vorher schon Scheiße. Unsere Beziehung. Und ihr gequältes »Du wirst Vater!« klang nicht wirklich froh und führte bei mir zu einer emotionalen Blockade. Der Drang, dieser verdammte Drang. Klar haben wir nicht immer verhütet, wenn es ungefährlich schien. Haben uns wohl auch mal verrechnet. Und ehrlich gesagt, hab ich es in Kauf genommen, entgegen aller Vernunft, wenn es besonders schön war, und sie wohl auch. Die Biologie siegt immer über die Vernunft, letztendlich.
Ich schaute sie nachdenklich an, während ich mit der Gabel mein Pizzastück zu einem unförmigen Klumpen knetete, den ich schließlich angeekelt liegen ließ. Die Gabel steckte aufrecht im Teig wie der Degen des Toreros im getöteten Stierleib. Sogar die rote Tomatensoße floss wie echtes Herzblut, vergossen zur Befriedigung menschlicher Eitelkeit.
»Schade«, sagte ich noch, damals.
»Was?«
»Eigentlich alles.«
Sie stutzte, schaute mich verständnislos an. »Heulst du?«
»Ne!«, schniefte ich und bemühte mich, wie unbeteiligt aus dem Fenster zu schauen.
»Jetzt is' es nicht mehr zu ändern«, fügte sie nach einer Weile hinzu, legte ihr Besteck ebenfalls auf den Resten ihres Pizzastücks ab und schnipste Domenico wegen der Rechnung zu.
»Ne!«, bestätigte ich. »Jetzt nicht mehr.«
Wir schwiegen abwechselnd, vielmehr beobachteten wir uns gegenseitig, wie wir wegguckten. Domenico schob seinen rundlichen Bauch an unseren Tisch. Er ist ein typischer Italiener, einer der letzten, die noch eine Pizzeria betreiben. Klein, rundlich, freundlich bis überschwänglich, liebt es zu reden. Vor allem von sich, seiner Familie, seinen Heldentaten in der Jugend, für die man heute jahrelang im Gefängnis sitzen würde.
Misstrauisch schaute er auf unsere Teller, dann von einem zum anderen, zog seine Stirn in kritische Sorgenfalten. »Hat nicht geschmeckt? Soll ich neue machen?«
Wir verneinten übertrieben. Er blieb misstrauisch, dann spendierte er uns einen Klaren auf Kosten des Hauses, klopfte mir väterlich auf die Schulter und sagte in Beatrices Richtung: »Das wird schon wieder! Salute.«
Wir zahlten getrennt, wie immer, wegen der Emanzipation. Aber es wird nicht wieder, das wussten wir beide.
Als wir uns erhoben, war Domenico schon mit anderen Gästen beschäftigt, denen er heftig gestikulierend vom Elend eines Pizzawirtes erzählte. Doch für ein »Ciao. Gracie!« reichte seine Aufmerksamkeit dennoch. Ich half Beatrice nicht in ihre Jacke, warum auch, hab ich noch nie getan. Doch damals hätte ich es als eine höfliche und angemessene Abschiedsgeste der Wertschätzung empfunden.
»Hast'e noch was vor?«, fragte ich, als wir unschlüssig vor der Pizzeria standen, jeder die Hände in den Taschen vergraben und von einem Fuß auf den anderen tretend, denn es war windig und kalt.
»Freundin treffen«, antwortete sie kurz. Ich merkte, dass sie log. »Und du?«
Ich zögerte. »Nö, eigentlich nicht!«, antwortete ich lahm und schaute sie erwartungsvoll an.
»Na, dann!«, meinte sie. »Meld dich mal!«
»Im Ernst?«
»Nö, eigentlich nicht.«