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3.

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Die Abendvisite war vorbei. Rasmussen kam eilig aus Station 3b. Ihm entgegen Schwester Christine.

„Also, Schwester Christine, die kleine Grete bekommt zur Nacht einen Ölumschlag, sollte sie sehr unruhig sein, dann ein halbes Luminal.“

„Verzeihung, Herr Doktor, ich bin heute dienstfrei“, sagte Schwester Christine.

„Na schön. Wer vertritt Sie?“

„Schwester Helene.“

Rasmussen sah Christine scharf an:

„Wie sehen Sie denn aus, Schwester Christine? Haben Sie Schnupfen oder haben Sie geweint?“

Schwester Christine schüttelte heftig den Kopf. Aber Rasmussen sah doch, wie sie mit den Tränen kämpfte.

„Hat’s wieder einen Kampf mit der Oberin gegeben?“ fragte er lächelnd. „Na, hören Sie, Schwester Christine, wie kann man sich darüber noch aufregen? Sie sollten lieber Ihren freien Tag geniessen.“

Christine zuckte die Achseln:

„Geniessen — ach, du lieber Gott!“

Etwas sehr Verlassenes, sehr Einsames war in den paar Worten. Wärme stieg in Rasmussen auf.

„Nun seien Sie einmal vergnügt“, sagte er energisch. „Machen Sie sich fertig, wir gehen zusammen aus.“

„Aber, Herr Doktor, das ist doch unmöglich.“

Seelenruhig fragte er zurück:

„Wieso unmöglich? Glauben Sie, dass uns die elektrische Bahn nicht zusammen befördern wird, oder glauben Sie vielleicht, dass unser schätzenswertes Krankenhaus hier einstürzt, wenn wir beide irgendwo im Freien zusammen ein Butterbrot essen oder in einen Kientopp gehen oder so?“

„Wenn Sie meinen“, sagte sie, immer noch zögernd.

„Sie sollen meinen, Schwester Christine. Ich glaube, Ihr ganzes Unglück ist, dass Sie immer glauben, die andern müssen meinen.“

Ein schüchternes Lächeln:

„Vielleicht. Aber Frau Oberin würde es vielleicht nicht richtig finden.“

„Die Frau Oberin findet überhaupt nichts richtig, was wir tun, Schwester Christine, Wenn wir darauf warten wollen, dann könnten wir uns sogar das Atmen abgewöhnen. Sie sollten sich darum ebensowenig kümmern wie ich. Also, was ist es? Treffpunkt Haltestelle drüben.“

„Ach, nicht drüben“, sagte sie schnell und erschrocken. Rasmussen lächelte:

„Schön. Dann genehmige ich Ihnen eine Haltestelle weiter zur Stadt zu. Sie sind doch ein ängstliches Menschenkind. Lassen Sie doch die andern denken und reden, was sie wollen!“

Als sie sich zum erstenmal trafen, war Schwester Christine dem Doktor Rasmussen zuerst ganz fremd erschienen. Er hatte sie ja nur in der Anstaltstracht gekannt. Nun war sie ein junges Mädchen in einem hellen weichen Kleide, mit einem kleinen Hütchen, unter dem das Blond des Haares wie ein zartes weiches Tuch sich um die schmalen Schläfen legte. Wenn Rasmussen auf dieses Haar sah, kamen ihm in einer unbewussten Gedankenverbindung immer die letzten Blüten des Sommers in Erinnerung, die Linde mit ihrem süssen, etwas schwermütigen Duft. Irgend etwas von diesem süssen, unendlich zarten, etwas Schwermütigen der Lindenblüte hing mit Christine zusammen. Das gleiche Haar wie seine Schwester Dorothee! Bald wurde ihm Christine vertraut. Vertraut in der ganzen weichen und gelösten Art, die sie auf einmal hatte. Als wäre das Schwesternkleid eine Uniform, unter der man sich nicht entfalten konnte. Wieso sie Schwester geworden wäre, hatte er sie gefragt. Da hatte sie ihm ihre Geschichte erzählt, vertrauensvoll aufgeschlossen, wie junge Menschen sein können, wenn sie Teilnahme spüren. In ihren Worten erstand für ihn das Bild ihres Lebens; die Heimat, das Vaterhaus, das glückliche Leben mit den Eltern. Ihr Interesse für Menschen, von dem klugen menschlichen Vater zeitig geweckt. Wäre der Vater nicht so zeitig gestorben, sie hätte vielleicht Medizin studiert, gestand sie. Aber so musste sie möglichst schnell zum Beruf und Verdienen kommen. Die Mutter daheim hatte es schwer und wartete sehr darauf, von ihr entlastet zu werden. Es war ein einfaches, eng begrenztes Lebensbild, das sich vor Malte Rasmussen entrollte. Aber erfüllt von Wärme. Und es hatte die Kristallhelle, das um diese ganze Christine war. Dann hatte er von sich erzählt, offener als je seit Jahren. Er wollte nicht allzulange in der grossen Stadt bleiben. Grossstadt war nichts für ihn:

„Man kommt von sich weg, statt zu sich“, sagte er, „es gibt zuviel Möglichkeiten hier, auch im Geistigen. Man gerät so leicht in die Gefahr, immer in sich hineinzufüllen, anstatt zu versuchen, aus sich herauszuschöpfen.“ Er wollte später eine Praxis aufmachen, irgendwo in einem kleinen Ort, am liebsten an der See, wo auch Bade- oder Kurbetrieb war. „Dann konnte man im Winter immer noch reisen, sich weiterbilden, seinen Spezialforschungen leben, in den Kliniken der Grossstadt arbeiten. Und war doch mit seinem wahren Leben mit wirklichem Boden verwachsen, nicht wurzellos auf dem Asphalt der Grossstädte.“

Christines Augen hatten geleuchtet:

„Geht es Ihnen auch so?“ hatte sie gefragt. „Ich habe immer das Gefühl, dass man in der grossen Stadt wie abgeschnitten ist. Vielleicht hängt das allerdings auch damit zusammen, dass ich im Krankenhaus nicht recht Fuss fassen kann.“

Ihr Lächeln wurde von einem Schatten getrübt. Er wusste, woran sie dachte. Die unerquicklichen Verhältnisse mit der Oberin standen vor ihren Gedanken. Aber sie sollte jetzt nicht daran denken. Sie sollte fröhlich sein. Er war auch fröhlich. Es war schon lange her, dass er mit einem Mädchen wie Christine Storm zusammengewesen. Nach der schweren Liebesenttäuschung, die er endlich überwunden, war er lieber für sich. Es gab Etappen im Leben eines Mannes, die sehr einsam gelebt sein wollten. Erst Christine hatte ihn wieder seelisch angerührt. Wie schön sie war in dieser weichen, zarten Mädchenhaftigkeit, die doch nichts Weichliches hatte. Er wusste, was für eine Energie sich unter dieser zarten Hülle barg. Er kannte es von Dorothee, an die Christine ihn immer mehr erinnerte. Alles, was Christine sagte, und wie sie es sagte, es klang so ganz einfach — und doch, er überlegte es sich, ja, das war wohl ihr eigentümlicher Reiz: alles, was sie tat, war nicht banal. Sie redete nicht wie andere Frauen, nur um zu reden. Selbst das Unbedeutendste und Kleinste empfing Wärme und Besonderheit von ihrer Person. Er hätte stundenlang mit ihr hier sitzen mögen und sprechen. Es gab so viel Gemeinsames. Denn die Arbeit im Krankenhaus, wenn sie auch jetzt in ihren Gesprächen ziemlich ausgeschaltet war, war doch ein gemeinsames Band.

Aber um neun Uhr schon war Christine unruhig geworden. Sie hatte nur bis zehn Uhr Ausgang. Und wer auch nur eine Minute später heimkam, hatte Unannehmlichkeiten.

„Aber wir gehen bald wieder zusammen aus, Schwester, nicht wahr?“ hatte Doktor Rasmussen gesagt, als sie sich an der Haltestelle hastig von ihm verabschiedete. Sie hatte nicht erlaubt, dass er sie bis an das Mutterhaus begleitete. Wie sie wieder in den Umkreis der Anstalt kam, war dies Gelöste, Freie wieder unter dem Druck der Angst. Mit einer leisen Zärtlichkeit sah Malte Rasmussen Christine Storm nach. Dass es ihm gelungen war, sie für ein paar Stunden sorglos und fröhlich zu machen, erhöhte das Glücksgefühl, das in ihm schwang.

Eine Woche später war es schon selbstverständlich, dass er ihren freien Nachmittag und Abend mit ihr verbrachte. Sie fuhren ins Freie, wanderten durch einen lichten Buchenwald. Dann mieteten sie in einem kleinen Restaurant ein Boot. Er ruderte sie hinaus. Jung und schön sass sie ihm gegenüber am Steuer. Ihr feines Profil mit dem weichen Blond des Haares stand gegen den tief erblassten Frühlingshimmel. Sie sprachen nicht viel in dieser Stunde. Es war so schön, nichts zu wissen, als dass man jung war, dass es Frühling war und dass man ein paar Stunden der Freiheit hatte.

Als Schwester Christine an diesem Tage heimkam, war es eine Viertelstunde über die Urlaubszeit. Sie hatte Glück. Die Oberin, die sonst die Heimkommenden zu kontrollieren pflegte, schien schon zu schlafen. Unbehelligt gelangte Christine in das Schwesternzimmer. Noch lange konnte sie keinen Schlaf finden. Das Gesicht brannte von der warmen Sonne. Diese Glut schien sich dem ganzen Menschen mitzuteilen. Immer wieder sah Christine das Gesicht Malte Rasmussens in seiner festgefügten energischen Klarheit, hörte sie seine fröhliche und mutige Stimme.

Schiffbruch der Liebe

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