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Vallejo/Kalifornien 20. Dezember 1968

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Vallejo war ein Städtchen mit knapp hunderttausend Einwohnern im kalifornischen Solano County. Hier lebten Mittelstandsamerikaner in Mittelstandshäusern, die mit Mittelstandsautos zur Arbeit fuhren. Der Ort lag eingebettet zwischen sanften Hügeln, und wenn man den richtigen Platz für sein Haus gewählt hatte, konnte man bis zur Golden Gate Bridge sehen.

Seit der Gründung im Jahre 1851 hatte Vallejo stets im Schatten der nahegelegenen Metropole San Francisco gestanden; eine Rolle, mit der sich die Bewohner von V-Town, wie die Einheimischen ihr Städtchen nannten, jedoch stets zufriedengaben. Im Zweiten Weltkrieg blühte Vallejo dann auf, als Tausende in den Ort strömten, um für die Navy zu arbeiten. Die Verbrechensrate blieb dennoch verschwindend gering – trotz der Rassenunruhen, die es auch hier Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre gegeben hatte.

Die Bewohner waren stolz auf Vallejo und auch der siebzehnjährige David Faraday liebte seinen Heimatort. Er besuchte die örtliche High School, war ein guter Schüler und Sportler und die Nachbarn und Lehrer bezeichneten ihn durchgängig als „wohlerzogenen Jungen“. Mit seinen dunklen Haaren, den intelligenten Augen und der sportlichen Figur kam er bei den Mädchen aus der Nachbarschaft gut an – sein Herz jedoch hatte er an Betty Lou Jensen verloren.

Die Sechzehnjährige, deren Mutter aus Colorado stammte, war ein eher stilles Mädchen, dabei jedoch intelligent und ausgesprochen attraktiv. Sie hatte langes, braunes Haar und ein warmherziges Lächeln, von dem David, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, nicht genug bekommen konnte.

Die beiden hatten sich bereits mehrfach getroffen, immer nach der Schule, und an diesem 20. Dezember sollte es das erste Mal sein, dass sie abends zusammen ausgingen. David hatte seiner Schwester Debbie am Nachmittag noch erzählt, dass er beabsichtigte, mit Betty Lou später in die Lake Herman Road zu fahren - zu einem Platz, der in Vallejo als „Lover’s Lane“ bekannt war. Ein beliebter Ort für junge Paare, die noch kein eigenes Heim hatten.

Gegen 19:30 Uhr verließ David das Haus seiner Eltern und verabschiedete sich von ihnen. Er trug ein hellblaues Hemd, eine braune Cordhose und braune Wildlederschuhe. Ein beigefarbenes Sportsakko rundete sein Outfit ab – es war Mitte Dezember, und nachts sanken die Temperaturen oft unter den Gefrierpunkt. Dann stieg er in den braun-beigen Rambler-Kombi, den er sich von seiner Mutter geliehen hatte, und machte sich auf den Weg zu Betty Lou.

Als er dort ankam, unterhielt er sich zuerst mit Bettys Vater. Seine Tochter sei noch nicht fertig, sagte dieser, aber es könne nicht mehr lange dauern. David wusste, dass das Warten sich lohnen würde, und er sollte sich nicht täuschen: Als Betty Lou die Treppe herunterkam, sah sie in ihrem violetten Kleid mit den weißen Armbündchen einfach hinreißend aus! Dazu der helle Kragen, der ihre dunklen Augen auf geheimnisvolle Weise betonte. Das Mädchen versprach ihrem Vater, bis 23 Uhr zu Hause zu sein, küsste ihn auf die Wange und verabschiedete sich von ihm. Es war jetzt 20:20 Uhr.

Die frisch Verliebten fuhren zuerst auf einen Sprung bei einer Mitschülerin von Betty Lou vorbei, von der sie sich um 21 Uhr wieder verabschiedeten, um bei Mr. Ed’s, einem Schnellrestaurant, eine Cola zu trinken. Zeugen sagten später aus, dass das junge Paar anschließend auf der Georgia Street bis zum Columbus Parkway gefahren war, wo David auf die kurvenreiche Lake Herman Road abbog. Auf der schmalen und hügeligen Straße gab es keine Beleuchtung, und nur wenige Autos kamen ihnen entgegen. Ihr Weg führte sie an mehreren kleinen Farmen vorbei, deren Bewohner meist schon schliefen. David ließ die Häuser hinter sich und steuerte den Rambler weiter durch die Dunkelheit nach Osten, bis er einen direkt an der Landstraße gelegenen Parkplatz erreichte, der bei Liebespaaren sehr beliebt war.

Dort hielt er gegen 22 Uhr etwa fünf Meter abseits der Straße an. David verriegelte die Türen, legte sein Sportsakko und Betty Lous Jacke auf den Rücksitz, ließ die Heizung laufen und stellte im Autoradio einen Sender ein, der die aktuellen Hits spielte. Marvin Gaye, Elvis Presley, The Temptations. Wahrscheinlich küssten sie sich innig, mehr passierte nicht.

Eine knappe Stunde später passierte das Ehepaar Homer und Peggie Yours den Parkplatz. Sie waren auf dem Weg zu einem nahegelegenen Pumpwerk, um dort Kanalrohre zu inspizieren, die Homers Firma verlegt hatte. Dabei fielen ihnen der geparkte Rambler und das darin sitzende Pärchen auf. Für einen Sekundenbruchteil konnte Peggie Yours die beiden Insassen im Scheinwerferlicht sogar erkennen: David saß auf dem Fahrersitz und Betty Lou hatte ihren Kopf an seine Schulter gelegt.

Nicht weit entfernt, direkt am Tor des Pumpwerks, hatte ein Schäfer kurze Zeit vorher einen weißen oder cremefarbenen Chevrolet Impala bemerkt, der dort geparkt war. Zwei Waschbärenjäger hatten das gleiche Fahrzeug an derselben Stelle bereits eine Stunde zuvor gesehen. Als die Yours jedoch gegen 23 Uhr am Pumpwerk ankamen, war der helle Chevrolet bereits verschwunden. Sie inspizierten kurz die Baustelle und machten sich dann auf den Rückweg, wobei sie erneut an dem geparkten Kombi des Liebespärchens vorbeikamen. David und Betty Lou saßen darin wie vorher, und immer noch stand ihr Fahrzeug allein dort.

Unmittelbar darauf musste aber ein zweiter Wagen auf dem Parkplatz angekommen sein und drei Meter neben dem Auto des jungen Pärchens angehalten haben. Seite an Seite standen die beiden Fahrzeuge an der abgelegenen Landstraße. So zumindest sagte es ein Ölarbeiter aus, der auf dem Weg nach Hause war und um 23:10 Uhr dort vorbeikam. Er konnte sich später noch gut an den Kombi von David Faraday erinnern, während er Form und Farbe des danebenstehenden Fahrzeugs nicht beachtete.

Was passierte, nachdem der Wagen des Arbeiters in der Dunkelheit verschwunden war, rekonstruierte die Polizei von Vallejo später wie folgt: Der Fahrer des zweiten Wagens stieg aus und zog eine Pistole Kaliber 22. Er richtete die Waffe auf das hintere Fenster von Davids Kombi und schoss. Glas splitterte. Dann ging er auf die linke Seite des Fahrzeugs und feuerte in den Radkasten, während das Pärchen im Inneren schrie und schrie und schrie. Wahrscheinlich, so mutmaßten die Ermittler, wollte der Täter die beiden Insassen mit den Schüssen dazu bewegen, den Wagen zu verlassen.

Sein Plan ging auf. Panisch riss Betty Lou die Tür auf und stürmte nach draußen. David rutschte hinter ihr auf den nun frei gewordenen Beifahrersitz, um seiner Freundin zu folgen. Der Täter hielt ihm die Waffe hinter das linke Ohr und drückte ab. Schmauchspuren brannten sich in Davids Haut ein. Er schaffte es noch, das Fahrzeug zu verlassen, brach dann aber am Hinterrad des Kombis zusammen.

Währenddessen versuchte Betty Lou blind vor Angst, die Landstraße in Richtung Vallejo zu erreichen. Der Unbekannte schoss fünfmal und alle fünf Kugeln trafen sie rechts oben in den Rücken. Knapp zehn Meter vom Auto entfernt brach die Sechzehnjährige zusammen und fiel auf die rechte Seite, das Gesicht nach unten. Sie war sofort tot. David Faraday dagegen lebte noch, als der Unbekannte zurück zu seinem Auto ging, einstieg und auf der in der Dunkelheit liegenden Landstraße davonfuhr.

Dabei musste der Mörder fast Mrs. Borges begegnet sein, die um 23:10 Uhr ihr Haus verlassen hatte, um nach Benicia zu fahren. Etwa fünf Minuten später kam sie an dem Parkplatz vorbei. Im Scheinwerferlicht sah sie den Kombi, die offenstehende Beifahrertür und das reglose Paar auf dem Boden. Was ihr außerdem auffiel, war das Blut, das im Mondlicht schwarz glänzende Bahnen über den Asphalt zog. Sie erstarrte einen Moment lang und trat dann aufs Gaspedal, um so schnell wie möglich Hilfe zu holen.

Exakt um 23:19 stoppte sie in der Nähe einer Tankstelle einen Polizeiwagen, der ihr zufällig entgegenkam. Die Beamten riefen per Funk einen Krankenwagen und fuhren anschließend mit Blaulicht zum Tatort. Als sie dort eintrafen, atmete David Faraday noch schwach, hatte aber bereits das Bewusstsein verloren. Vielleicht hätte man den Jungen retten können, wenn alles schneller gegangen wäre, so aber starb er um 00:05 Uhr im Krankenwagen, noch bevor dieser das Krankenhaus erreicht hatte.

Betty Lou Jensen und David Faraday wurden die ersten Opfer eines Killers, der sich später selbst als Zodiac bezeichnen sollte. Es war die Geburtsstunde eines amerikanischen Alptraums.

Die Akte Zodiac - Gesamtausgabe

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