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Kopenhagen 1971

Er bekommt nie Pakete, wer sollte ihm Pakete schicken? Er kauft nichts per Postauftrag und er kennt niemanden, der auf den Gedanken kommen könnte, ihm ein Weihnachtsgeschenk zu schicken. Ein heimlicher Bewunderer ist die am wenigsten unwahrscheinliche Erklärung, vielleicht die Vorsitzende des jütländischen Theatervereins, die helfen wollte, aber im Weg war. Einer der Kollegen könnte ihr die Adresse gegeben haben, sie waren sehr damit beschäftigt, dass sie ein Auge auf ihn geworfen hatte.

So steht er mit dem Paket in der Hand da. Es wiegt sicher ein Kilo und ist so groß wie ein Lexikon. Es sind deutsche Briefmarken darauf, westdeutsche. Die Adresse ist maschinengeschrieben, der Absender sagt ihm nichts. Die Stasi folgt Flüchtlingen weit bis in ihr neues Leben und schlägt zu, wenn sie aufhören, auf der Hut zu sein, aber Briefbomben schickt man wichtigen Personen, nicht einem kleinen Würstchen, wie ihm, und die Form des Pakets ist regelmäßig, ohne Dellen oder etwas, das sich wie Metall oder Kabel anfühlt.

Er nimmt ein Messer aus der Küchenschublade und macht sich an das Paketband. Derjenige, der das Paket verpackt hat, hatte genug davon. Alle Seiten und Ecken sind mit braunem Paketband verklebt. Im Paket liegen ein Brief und ein weiteres Paket. Der Brief hat einen Briefkopf von einer Anwaltskanzlei aus Frankfurt. Auf dem Paket steht: Im Falle meines Todes, und in einer neuen Zeile: Wird ungeöffnet gesendet an, und dann sein Name und seine Adresse. Die Schrift ist dieselbe, wie auf dem Zettel, der in seiner Brieftasche liegt, der letzte Zettel, den sie an ihn geschrieben hatte.

Falls Sie ernsthafte Probleme haben, steht Ihnen das Theater gerne mit Rat und Tat zur Seite, steht dort. Haben sie einfach nur schlechte Laune, möchte ich Sie bitten, diese außerhalb des Arbeitsplatzes zu lassen.

Der Zettel lag in seinem Postfach im Theater. Die Kritik eines Chefs oder die Zurechtweisung eines widerspenstigen Kindes durch einen Lehrer, korrekt und formell, ohne jegliche Gefühle. Dies war die schwierigste Phase und er erinnert sich, dass er dachte, den hier behalte ich. Den hier nehme ich raus und lese ihn, wenn ich sie vermisse. Seit fast zehn Jahren liegt er in seiner Brieftasche und er hat ihn nicht herausgenommen, nicht einmal, als ihn die Sehnsucht nachts wach gehalten hatte. Dass sie jetzt tot ist, ändert nichts, für ihn war sie schon seit langem tot.

Das Paket liegt auf dem Küchentisch. Gleich öffnet er es. Gleich nimmt er es, geht die Treppe herunter, auf die Rückseite des Hauses und wirft es in die Mülltonne. Gleich geht er los und kauft braunes Papier und Paketband, packt es wieder ein und schickt es an den Absender zurück. Aber es ist schon spät und wenn er den Tourneebus erreichen will, der nicht wartet, ist jetzt keine Zeit. Im Schlafzimmer packt er seine Tasche mit dem Notwendigsten für drei Übernachtungen. In der Küche knüllt er das Umschlagpapier mit dem Paketband zusammen und wirft es in den Mülleimer, bindet die Tüte zu und stellt sie an die Tür. Er hinterlässt nie Unordnung und Schweinerei, aus Prinzip. Selbst wenn er nur kurz zum Kaufmann geht, räumt er auf.

Das Paket liegt immer noch dort. In seinem grauen Papier mit einer Schnur drum, mit vielen Knoten. Er trägt es ins Wohnzimmer, wo sich sein neues Regal bereits unter den Büchern, die ihm Gesellschaft leisten, biegt. In dem kleinen Schrank des Regals bewahrt er wichtige Papiere und die Geldkassette, in die er jeden Monat Geld für den Haushalt legt. Aber dort soll das Paket nicht hin.

Das Sofa ist ein Schlafsofa. Er hatte es gekauft, ohne zu wissen, dass es eins war, wegen des Aussehens und des Komforts, aber wenn er den Rücken aufklappt, ist dort ein Hohlraum. Er hat keine Übernachtungsgäste und keine Extradecke, der Stauraum ist leer. Das Paket legt er, aus Gründen, die er selbst nicht kennt, in eine Irma-Tüte. Nach genauerem Nachdenken, in eine weitere Tüte. Er wickelt Gummibänder darum und klemmt es unter ein paar Federn in den Rücken des Sofas. Dann klappt er den Rücken zurück.

Dort kann es liegen. Bis er tot ist und das Sofa auf einer Auktion verkauft oder zur Müllhalde gebracht wird. Oder wenn er es eines schönen Tages herausnimmt und sich vielleicht, vielleicht auch nicht, entscheidet, es zu öffnen.

Die Süßkirschenzeit

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