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Erinnerung – Loreley

„Alten, stresst mich nicht“

Loreley saß auf einem roten Küchenstuhl, die Augen und den Verstand völlig fixiert. Sie versuchte gerade einen äußerst wichtigen Zauber zur Transformation eines Glases Wassers in ein Glas voll kaltem Kakao auszuführen, wurde jedoch von Herakles, Ted und Pius daran gehindert.

„Jungs, echt jetzt! Haltet bitte den Rand!“

Ihre Laune war nicht gerade auf dem Gipfel der Heiterkeiten. Verständlich, wenn man bedachte, dass ihre Eltern nun auch im Haus der Großmutter wohnten und sie nichts tun konnte, ohne von irgendwem beobachtet zu werden. Ihre Eltern hatten ihre kleine Villa am Rand von Berlin untervermietet und wollten die Situation auch beibehalten, bis Loreley volljährig werden würde.

Loreley gab es für den Tag auf. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren, wenn die Clowns neben ihr herumalberten. Sie nahm die Zitronenbrause in die Hand, die sie aus dem frischen Wasser gezaubert hatte und schüttete das erquickende Zuckerwasser in ihren Rachen, wo es rasch hinunterglitt.

„Nu reg dich ma ab, L! Wir ham frei! Entspann dich ma. Echt, ey! Die Andan sind heut dran mit Stadtbewachn, da könn wa och ma chilln!“, versuchte Pius ihre Laune zu bessern, was jedoch keinen sichtlichen Effekt hatte.

Ihre mannigfach glühenden Augen funkelten ihn hasserfüllt an. Klar, er und die Anderen hatten sie – nicht nur einmal – gerettet, was aber nicht hieß, dass sie ihn IMMER sehen wollte. Sie hätte gern etwas Privatsphäre.

Loreley verzog das Gesicht, als wenn sie in eine Zitrone gebissen hätte und setzte das Glas auf dem Küchentisch ihrer Großmutter ab. Die Küche war wirklich zu klein für vier Personen. Vor allem, da drei davon pubertierende Jungs waren. Loreley seufzte.

„Was wolln wir denn heute machen?“, fragte Ted zaghaft nach und stemmte seinen Oberkörper auf die hölzerne Lehne von Herakles' Stuhl.

Herakles hatte in der Zwischenzeit den Mund voll mit einem viel zu großen Sandwich und versuchte gerade davon abzubeißen, was ihm nicht wirklich gelingen wollte. Er sah aus wie eine gierige Fressraupe, was Loreley ein Schmunzeln auf die Lippen zauberte.

Die Junghexe konnte die Narben an seinem Hals erkennen, die von seiner Gefangenschaft durch die Blutroten übrig geblieben waren. Sie musste schwer schlucken. Die Geschehnisse mit Gerald und seinen Blutroten schienen ihr, als wären sie gestern gewesen, doch lagen sie nun schon ein halbes Jahr zurück.

„Jungs, meine Eltern müssten bald nach Hause kommen. Ihr kennt ja die Regeln. Immer in Sichtweite! Keine krummen Sachen!“, ahmte Loreley die krächzende und bestimmende Stimme ihrer Mutter nach und bei den letzten Worten musste sie kichern.

Pius, der neben ihr auf einem blauen Küchenstuhl saß, schien sich nicht für ihre Ansage oder das äußerst amüsante Treiben von Herakles zu interessieren. Er stierte ins pure Nichts. Das einzige Anzeichen für seine vitalen Funktionen war das Heben und Senken der Brust, die unter einem schlichten schwarzen Kapuzenpulli steckte.

Woran er wohl denkt? Seine Eltern? Mieses Pack! Schlimmer als jede TV – Sendung! Echt mal!

Loreley schüttelte den Kopf. Sie hörte das typische Knirschen der Bremsscheiben vom kleinen grünen Polo ihres Vaters. Ihre Mutter würde heute etwas später nach Hause kommen; sie hatte eine Nachricht geschickt. (1)

KNARZ. Da ging auch schon die Tür des Hauses auf. Loreley kannte die Prozedur.

TAK. Die Tasche ihres Vaters wurde abgestellt.

TONK. KLONK. Herr Kautzfeld zog seine Schuhe aus. Dann das typische „Wen es interessiert: Bin wieder da!“.

Sie hörte ihn in Richtung Küche gehen.

„Na, ihr Rasselbande! Mensch, das war ein Tag. Die Neunte hat mich fast zur Weißglut gebracht, kann ich euch sagen! Niemand, wirklich NIEMAND hat die Aufgabe hinbekommen! Was aus denen mal werden soll!“, erzählte er halb erschöpft und ließ sich dennoch kerzengerade auf einem der freien Stühle nieder.

„Loreley, sei doch so gut und mach deinem alten Herrn einen Tee! Kamille, bitte!“

Während er die Worte sprach, schlug Herr Kautzfeld den 'Berliner Kurier' auf und vertiefte sich in den Nachrichtenteil. Die nächste halbe Stunde würde er keinen von den vier Jugendlichen, die in der Küche verweilten, auch nur eines Blickes würdigen.

Jajaja. Loreley lief trantütig zur violetten Teekanne, die sie schon erwartungsvoll anfunkelte. Sie strich ihr liebevoll über den Deckel und schon machte sich die Kanne freudig daran, den vom Vater gewünschten Tee zuzubereiten. Es hatte schon ehrlich was Geniales, eine Hexe zu sein – kein Putzen, kein Kochen, kein Abwasch, kein Wäschewaschen. Und die Utensilien machten es gerne für sie.

Sie schnaufte kurz und bedeutete den Jungs dann, mit ihr ins Wohnzimmer zu gehen. Also schlurfte die Bande in den kuscheligen, kleinen Raum und breitete sich auf den bequemen Sofas aus. Herakles hatte sein Sandwich mitgenommen, das doppelt so hoch wie breit war.

Spinner!

Loreley kuschelte sich in eine graue Decke, die über der Lehne des grün-goldenen Sofas gelegen hatte. Vor sich sah sie den wuscheligen, braunen Schopf von Ted, der merkwürdigerweise den Tick hatte, nicht AUF, sondern VOR den Möbeln zu sitzen. Pius fläzte neben ihr und Herakles saß ihnen gegenüber auf dem lilafarbenen Sofa.

Herakles wollte üble Essensflecken vermeiden, so beugte er sich weit zum kleinen dunklen Holztisch vor und versuchte nicht zu kleckern. Sein sowieso von der Sonne verbranntes Gesicht hatte vor Anstrengung nun die Farbe einer überreifen Tomate. Loreley musste lachen und kuschelte sich dann noch mehr in die weiche, warme Decke ein, wobei sie den Duft des frischen Kamillentees tief einsog.

„Also, Leude, wat wolln wa heut machn?“, fragte Pius, während er sich den Dreck aus den Fingernägeln polkte.

Ekelig!

Loreley grübelte ein wenig nach und dachte an ihre Großmutter, die gerade beim Hexenkonvent war. Die Ratsmitglieder hatten sich immer noch nicht für eine Großhexe oder einen Großhexer entscheiden können, was allen magischen Wesen des Landes allmählich die Nerven raubte.

Was ist denn daran so schwer?

Herakles, der sich den letzten Happen seiner riesigen Mahlzeit in den Mund gestopft hatte und immer noch daran herumkaute, machte einen Vorschlag: „Wie wär's denn mit einem kleinen Ausflug?“.

Herakles' Tonfall ließ auf ein winzig kleines Abenteuer oder wenigstens etwas Spannung schließen, was Honig für Loreleys Ohren war. Der Junghexe kam das Angebot ganz recht.

„Und, wohin? Vergiss nicht, wir dürfen Schattenthal nur im Notfall verlassen!“, warf Ted ein, der sich gerade eine braune Strähne aus der Stirn fegte, während er sein magisches Lehrbuch zuklappte – es war zerschlissen und mit Teeflecken bestückt.

Das hat auch schon bessere Tage gesehen!

„Ah, lass das mal meine Sorge sein, Teddy! Wir werden schon nichts VERBOTENES tun!“

Ted rümpfte die Nase ob seines Spitznamens und Herakles zwinkerte Pius zu, der ihn verschmitzt angrinste. Loreley war alles recht – Hauptsache, sie kam mal von ihrem Vater weg. Mutter Kautzfeld war sowieso selten zuhause, da viele OP's anstanden und sie die Nummer Eins in ihrem Feld war.

„Das will ich auch hoffen. Vergesst nicht, dass da ungefähr hundert genervte Grannys in Schattenthal hocken!“, warnte Ted sie und blickte dann Loreley an. „L, was meinst du?“

„Worauf warten wir denn noch, Jungs? Ab! Du gibst den Weg an, Herki!“

Die Meute stand abrupt auf, verabschiedete sich von Vater Kautzfeld, der ihr Gehen lediglich mit einem Murren hinter der Zeitung kommentierte, und stapfte in Jolandas fantastischen Garten hinaus. Dieses Wunderwerk der Magie schien leider nicht nur die Jahreszeit Sommer zu kennen, wie Schattenthal. Weshalb es auch immer wieder etwas irritierend war, wenn sie in die Menschenwelt und zu Jolanda gingen und dort Minusgrade herrschten, wo sie doch gerade eben noch bei sommerlichen Temperaturen in Hängematten herumgelungert hatten.

Juan, der pickellose Gartenflamingo, begrüßte sie fröhlich aus einiger Entfernung und auch seine 'Gefolgschaft' schwang fröhlich die Flügel zum Gruße. Loreley freute sich immer, wenn sie ihn sah. Er erinnerte sie an die einfachen Zeiten – vor den Kämpfen. Sie winkte zurück und schlurfte dann hinter den Jungs her; Herakles und Pius voran, Ted hinterdrein.

++++

„Wo sind wir hier!?“

Loreley schaute sich gespannt um, konnte aber in der einsetzenden Dunkelheit nichts weiter als Wald erkennen. Die Sonne ging gerade unter und sie saßen auf einem kleinen Hügel inmitten des Waldes, von dem aus sie den Sonnenuntergang beobachten konnten. Ein wohliges Lila-Rosa-Orange-Rot ging nun in das Dunkel der Nacht über.

Sie befanden sich noch in der Menschenwelt, sonst wäre es schon Morgen bzw. Vormittag. Diesen Zeitunterschied musste die Junghexe auch noch ergründen. Das war ganz schön MERKWÜRDIG.

„N Stück vom Dorf wech. Schön ruich hia!“, freute sich Pius und fläzte sich auf einem Findling, der völlig allein seinen Platz in der Welt behauptete.

Loreley setzte sich auf den feuchten Waldboden. Es schien gerade erst geregnet zu haben. Herakles und Ted hingegen lehnten sich jeweils an eine Tanne und so blickten sie alle diesem alltäglichen Naturspektakel zu.

„So, und nun?“, hakte das Mädchen nach und pustete sich gleich darauf eine verirrte Strähne ihres hellen Haares aus dem leicht geröteten Gesicht.

Es war doch ein wenig SEHR kalt draußen und Loreley hätte sich mindestens zwei Schichten mehr Kleidung gewünscht. Kalt!

Die Junghexe konnte allerlei Insekten und Waldgeschöpfe um sich herum hören – geschäftig und ungestört. Sie war zwar die Bewohner des Schattenwaldes gewohnt, aber die Geschöpfe hier kannte sie nicht, weshalb sie auch auf der Hut war.

„Aaaaalso, hört mal. Wir müssen jetzt nur noch hier hinten runter laufen und dann sind wir auch schon an dem Ort, den ich euch zeigen wollte!“, erklärte Herakles, stellte sich gerade hin und stapfte dann, der Meute voran, los.

Sie folgten ihm im Gänsemarsch und kraxelten den kleinen Hügel hinunter – das erste Mal, dass Loreley sich bei so einer Aktion keine Schnittwunden einfing! Geht doch!

Sie konnte kaum noch die Hand vor Augen sehen und so fischte das Mädchen ein kleines Einmachglas aus ihrem Rucksack und entzündete darin ein wohlig warmes magisches Feuer, das ihnen von da an rosanes Licht darbot. Sie schaute sich verdutzt um, genau wie Ted und Pius.

„Alta, was is did denn?“, Pius ging einen Schritt weiter auf das zu, was er vor sich sah.

„Wie genial isn did?“, freute sich Pius, sichtlich angespornt und interessiert.

Loreley nickte übereinstimmend und ließ ihren Mund offen stehen. (2)Trolololololol!

Vor den vier Abenteurern lag ein kleines Camp, Dorf, wie auch immer. Baumhäuser waren durch Strickleiterbrücken miteinander verbunden und dicke Seile sollten es den Bewohnern wohl möglich machen, sich noch schneller fortzubewegen. (3)

Loreley staunte nicht schlecht. Sie schloss ihren Mund, da er schon ganz trocken wurde. Gibt es hier auch Bewohner?

„Lebt hier wer?“, kam Ted ihr zuvor.

Er nahm Loreley das Glas aus der Hand und hielt es in Richtung des baulichen Meisterwerkes. Das magische Licht erhellte beinahe alle Ecken des hölzernen Konstruktes.

„Nenene, das ist alles schon lange leer. Hab ich vor zwei Jahren mal mit meinem Cousinchen entdeckt.“

Er streckte sich mit einem lauten Knacken, kletterte auf eine nahe Anhöhe und schwang sich mit einem dicken Seil auf das nächste Plateau, von dem aus er ihnen nun fröhlich zuwinkte. „Kommt rauf, macht echt Fun!“

Loreley zog es vor, an der nächsten Strickleiter empor zu klettern und Ted tat es ihr gleich. Pius hingegen ließ sich das dicke graue Seil von Herakles zurückschwingen und stand wenige Sekunden später schon neben ihm. Sie ließen sich auf der Plattform nieder, lehnten am rauen Geländer und schauten auf den aufgeweichten Waldboden hinab. Loreley mochte den erdigen Geruch.

Ted stellte das Wärme spendende Einmachglas in ihre Mitte und warf jedem eine kleine Tüte mit Möhrensticks zu. (4) Loreley musste unweigerlich an Terra (5) denken, sobald sie eine Möhre sah, was ihre Laune sogleich ins Bodenlose zog. So saßen die Vier da, knabberten lautstark vor sich hin und hörten dem Summen der Insekten zu. In der Nähe hörten sie ein vertrautes UHUUU.

Herakles lehnte sich, nachdem er seine Möhrchen in Windeseile verschlungen hatte, vor und entfachte ein grünliches Feuer in seinen Händen, das dort für die Dauer der Geschichte, die nun folgen würde, eine unheimliche Atmosphäre schaffen sollte. Der Junghexer räusperte sich.

„Es war einmal … nein, so fangen wir nicht an … Auf dem Golm, einem Berg zwischen Baruth und Jüterbog, stand einst eine Kapelle, wo die Leute hingingen, um Ablass zu leisten. Mit der Zeit sammelten sich dort RIESIGE Schätze an, die in den Kellern der Kapellen mitten im Berg versteckt wurden. Der Legende nach liegt dort immer noch ein so wunderbarer und prächtiger Schatz, dass immer wieder Abenteurer und Geldgierige zum Golm pilgern, um den Reichtum zu bergen. Doch Obacht! Der Schatz wird bewacht von einem mysteriösen Schattenwesen, ähnlich unserem Waldgeist. Es soll glühend rote Augen haben und den Eindringlingen die Kehlen zerfetzen, sobald es diese erwischt!“

Herakles schaute sie gespannt an. Klar, es war eine schöne Geschichte, aber jetzt mal ehrlich. Sie hatten schon viel Schlimmeres erlebt. Mit so einem Ding würden sie doch locker fertig werden! Den Gedanken äußerte Loreley auch – nun wieder bester Dinge – und erhielt als Erwiderung wohlwollendes Nicken von beiden Seiten.

„Och Mensch, ey. Macht einmal mit! L, du bist so'ne Spielverderberin!“, klagte Herakles und wirkte eingeschnappt.

„Geht die Geschichte noch weiter? Du hast doch irgendwas vor, oder?“, fragte Ted und nagte an seiner Karotte, bis nur noch der süße innere Strunk übrig war.

„Wir befinden uns hier ganz nah am Fuß des Golms, Leute. Das Baumdörfchen hier wurde gebaut, damit die Leute halbwegs komfortabel wohnen konnten, während sie den Berg plünderten! – Was wir hier wollen? Den Schatz!“

What?

Loreley zog eine Augenbraue voll Skepsis in die Höhe.

Alter, brauchen wir wirklich noch mehr Abenteuer?

Jungs, ey! Nur Stuss im Kopf!

„Dein Ernst? Was, wenn da wirklich so'n Schattenwesn haust, was uns krepiern sehn will?“, warf Ted ein.

„Egal, man. Das is unsre Chance! Granny und Jolanda sind beim Konvent, L's Fadder hat zu tun und ick hab echt Bock ufn bissl Spaß!“, erwiderte Pius und lehnte sich dabei ein Stück nach vorn.

Nun lag es an Loreley. Es funkelte in ihren Augen. Sie kannte die Gefahr, aber sie hatte auch noch nie an einer echten Schatzsuche teilgenommen. Ted wusste schon, was kommen würde, kniff seine Lippen zusammen und zog sie beim Einatmen schmollend nach oben. Loreley nickte ihnen zu. Sie streckt die Hand vor und wartete darauf, dass ihre Freunde es ihr gleich taten.

„Na gut, aber wir beeiln uns, OK?“, sagte Ted und legte seine Hand auf die der Anderen.

++++

(1) Falls ihr euch fragen solltet, wie das möglich ist, da ja Gerätschaften u.Ä. nicht funktionieren [eine Anomalie: Elektrizität beißt sich mit den magischen Wellen, wie zwei bissige Hunde!] → DIE NEUHEIT schlechthin! I.A.M. → Instant Air Message. Hauch einfach deine Nachricht in den Wind. Ohne Magie? Da hatte Oma Jolanda was gedreht. :)

(2) Immer wieder ein wunderschöner Anblick – wie ein staunendes Kamel.

(3) Ähnlich wie im Film 'Robin Hood – König der Diebe' mit Kevin Costner, Morgan Freeman und natürlich Alan Rickman! Wunderbarer Streifen!

(4) Diese viel zu gesunde Lebensweise war der einzige Nachteil an der magischen Welt – keine Chips! Daran musste Loreley sich lange Zeit über gewöhnen.

(5) Terra war der Hund ihrer Großmutter, in Wahrheit aber eine Spionin und Freundin des Anführers der Blutroten – ihren magischen Gegnern. Beim großen Kampf wurde sie 'unschädlich' gemacht.

L II

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