Читать книгу Die Erfindung des Marktes - Lisa Herzog - Страница 10

Mit Smith und Hegel weiterdenken

Оглавление

Um eine Marktgesellschaft, wie sie Smith vorschwebte, zu gestalten, kommt es aber nicht nur auf das formelle Rahmenwerk an, so wichtig dieses auch ist. Eine zweite Ebene betrifft die der informellen Institutionen: der Gewohnheiten, der sozialen Normen, dessen, was akzeptiert oder abgelehnt wird in einer Gesellschaft, das, wofür soziale Anerkennung vergeben oder verweigert wird. Derartige Fragen, die man im weitesten Sinne unter dem Stichwort „Kultur“ fassen kann, sind bis heute in der Ökonomie unterbelichtet, auch wenn der Bereich der „Identity Economics“ inzwischen die eine oder andere Dimension von Märkten entdeckt hat, die mit derartigen Phänomenen zu tun hat.9 Viel naheliegender wäre, wenn Ökonominnen in diesem Bereich mit Soziologen und Sozialpsychologinnen zusammenarbeiten würden, die sich mit diesen – oft schwer zu fassenden – Fragen ebenfalls auseinandersetzen.

Dies ist einer der Bereiche, in denen ich Potential für ein Anknüpfen an die Argumente sehe, die ich in Inventing the Market entwickelt habe. Smiths Theorie der ethischen Gefühle, aber auch Hegels Konzept einer in Gebräuchen und Lebensformen verankerten Sittlichkeit bieten interessante Möglichkeiten, die Frage nach dem Zusammenhang von Kultur und Wirtschaft weiterzudenken. Auch für normative Fragestellungen spielt dieser Zusammenhang eine wichtige Rolle, denn wenn Marktteilnehmer z.B. von sich aus sozialen Normen folgen, die ein „unparteiischer Beobachter“ gutheißen kann, dürfte der Ausgang ein komplett anderer sein, als wenn sie ausschließlich eigeninteressiert agieren und nur durch den gesetzlichen Rahmen daran gehindert werden, anderen Schaden zuzufügen. Aber können derartige soziale Normen in Märkten stabilisiert werden, oder droht hier stets die Gefahr eines „crowding out“ durch egoistisches Verhalten? Auch Erkenntnisse der Verhaltensökonomie können zu dieser Debatte beitragen.

Eine mögliche Richtung, in die diese Überlegungen führen, ist die der Professionalisierung, im spezifischen Sinne des englischen Begriffs der „professions“. Ein „professional“ ist jemand, der über Fachwissen oder spezifische praktische Kenntnisse verfügt und diese anderen gegen Bezahlung zur Verfügung stellt – aber eben nicht in der Marktlogik der reinen Gewinnmaximierung, sondern im Bewusstsein, eine moralische Verantwortung der anderen Person gegenüber zu haben. Paradigmatisch ausgedrückt wird diese moralische Verantwortung im Hippokratischen Eid der Ärzte, doch die Ausgangskonstellation – Expertinnen, die über Fachwissen verfügen, das sie Laien anbieten, die es nicht wirklich beurteilen können – findet sich auch in zahlreichen anderen Branchen.

Aus der Perspektive des Smithschen „unparteiischen Beobachters“, aber auch aus Perspektive der Hegelschen Sittlichkeit, liegt es nahe, dieses Phänomen in den Blick zu nehmen, als eine Form, wie Märkte moralisch „eingebettet“ werden können. Der Sozialisierungseffekt in Professionen – die in der Regel auch organisierte Gemeinschaften der in einem entsprechenden Beruf tätigen Individuen sind – kann eine natürliche Grenze für das rein eigenorientierte Marktstreben darstellen. Um freilich eine „Professionalisierung“ in diesem moralisch aufgeladenen Sinn in Bereichen wie z.B. den Finanzmärkten zu erreichen, müssten auch die formellen Institutionen entsprechend stabilisierend wirken – ein Thema, das ich im Aufsatz „Professional ethics in banking and the logic of ‚integrated situations‘: aligning responsibilities, recognition, and incentives“ weiterverfolgt habe.10

Eine zweite, auf Inventing the Market aufbauende Forschungslinie habe ich gemeinsam mit der an der Hebrew University Jerusalem lehrenden Juristin Katya Assaf-Zakharov verfolgt, einer Expertin im Immaterialgüterrecht. Märkte werden an den unterschiedlichsten Stellen durch Rechte geformt, die sich auf immaterielle Güter beziehen, und diese Regulierungen unterscheiden sich von Rechtssystem zu Rechtssystem. Ein Beispiel ist die Verwendung von Namen: Kann der private Name eines Individuums in Märkten als Handelsmarke unwiederbringlich verkauft werden, oder ist das Führen des eigenen Namens ein Persönlichkeitsrecht, das durch keinen Vertrag aufgelöst werden kann? Wie wir in einem gemeinsamem Aufsatz11 zeigen konnten, regeln das US-amerikanische und das deutsche Recht diese Frage unterschiedlich, und zwar anhand von Unterscheidungen, die sich direkt auf die Modelle von „Humankapital“ à la Smith und „berufliche Identität“ à la Hegel beziehen lassen. Auch hier zeigt sich: Die ideengeschichtlichen Tiefenschichten wirken bis heute nach und hinterlassen ihre Spuren in ganz konkreten rechtlichen Regelungen, die dementsprechend mehr oder weniger stark „vermarktlichend“ wirken.

Die Erfindung des Marktes

Подняться наверх