Читать книгу Das Gesetz in uns - Lisa Honroth Löwe - Страница 8

5

Оглавление

Lord Iverthon war fort. Frau v. Ellringen hatte sich auf einen unmerklichen Wink Printheers hin zurückgezogen. Eine schwere Stehlampe brannte in Printheers riesenhaftem Herrenzimmer mit den alten Florentinermöbeln, legte ihren Lichtkreis um Agnete und Printheer, auf den niedrigen, eingelegten Tisch und den goldenen Zigarettenkasten. Printheer blickte auf eine Geschäftsmappe vor sich.

„Also, Fräulein Reyersdorff, es liegt hier das Angebot einer Firma vor. Wie ich Ihnen sagte, ist Interesse für das Grundstück Ihres Vaters vorhanden. Ich habe das Angebot durch meine Immobilienabteilung prüfen lassen. Die Firma ist vertrauenswürdig. Die Auszahlung des Betrages könnte sofort erfolgen.“

„Und wie hoch würde der Betrag sein, Herr Konsul?“

Printheer schien in den Akten zu suchen:

„Hier haben wir es. Fünfundzwanzigtausend Mark.“

„Das scheint mir außerordentlich günstig, Herr Konsul. Mein Vater sagte immer, daß er große Sorge hätte, man könnte ihm die Hypothek kündigen, da bei den sinkenden Grundstückspreisen der Wert des Grundstücks die Hypothek kaum noch übersteige. Wie kommen die Leute zu einem so guten Angebot?“

Leichthin sagte Printheer:

„Es kommt immer darauf an, Fräulein Reyersdorff, was für Zwecke mit dem Erwerb eines Grundstücks verbunden werden. Diese Grundstücksgesellschaft plant eine größere Fabrikniederlassung mit Werkhaussiedlung. Das Terrain hat gute Zufahrtsmöglichkeiten, liegt an der Hauptstrecke. Das ist für Fabrikbetriebe wichtig. Was geht es außerdem uns an, wenn die anderen einen so hohen Preis anlegen wollen? Ich würde Ihnen sehr raten, anzunehmen. Oder sind Sie anderer Meinung?“

Agnete schwieg einen Augenblick.

„Herr Konsul, ich werde Ihnen vermutlich als eine sehr undankbare oder romantische Person erscheinen. Ich müßte ja mit beiden Händen zugreifen, wenn mir ein solches Angebot gemacht wird. Natürlich werde ich es annehmen.“

„Es wird Ihnen aber schwer?“

Printheer sah unter seinen buschigen Augenbrauen scharf auf.

„Ja, es wird mir schwer. Solange ich das Häuschen noch habe, habe ich noch ein Stückchen Heimat. Ich habe keinen Menschen auf der Welt. Mir ist, als zerschnitte ich den letzten Faden, der mich an Eltern und Kindheit bindet. Aber —“ fügte sie mit einem Versuch zu lächeln hinzu, „ich sehe ein, das sind Sentimentalitäten, die darf ich mir nicht leisten.“

„Sie dürfen sich alles leisten, Fräulein Reyersdorff.“

Wieder war in der Stimme Printheers dieses Gleitende, was wie eine Verlockung war und wie einBann. „Das Grundstück wird also nicht verkauft.“

Er machte eine kurze Notiz in die Akten.

„Aber ich bitte Sie, Herr Konsul. Das geht doch nicht. Ich brauche das Geld zu nötig. Ich muß doch verkaufen.“

„Sie müssen gar nicht, Fräulein Reyersdorff. Wir brauchen das Haus ja nicht abzugeben. Machen wir doch den Leuten ein Angebot nur auf das Ackerland, das hinter Haus und Garten liegt, und lassen wir das Haus vorderhand heraus. Sehen Sie, von hier an etwa.“

Er zog eine Skizze aus den Akten hervor. Agnete sah den Lageplan ihres Hauses und Grundstücks mit genauen Maßen aufgenommen.

„Das Angebot wird natürlich dann dementsprechend geringer ausfallen. Aber immer noch besser, als daß Sie etwas tun, wogegen Ihr Herz sich sträubt.“

„Sie werden mich für kindisch halten, Herr Konsul. Sie können sich so etwas vermutlich nicht vorstellen, daß man an so einem kleinen jämmerlichen Hause hängt. Sie —“

Agnete machte eine Gebärde, als wollte sie all das umfassen, was hier an Pracht und Größe war.

„Aber ich, ich bin nun einmal so.“

„Bleiben Sie so, Fräulein Reyersdorff. Gerade daß Sie anders sind, das ist vermutlich Ihre Stärke. Was Sie ‚kindisch‘ nennen, ist vielleicht das, was im letzten Grunde wichtig ist, um einem Menschen die Ruhe in sich selbst zu geben. Ich —“

Er sah gedankenvoll vor sich hin, wieder lag das Finstere auf seinen Zügen, aber jetzt war es mit einer leisen Trauer gemischt, „ich weiβ in der Tat nicht, was es bedeutet, ein Stückchen Erde zu lieben. Mir ist es gleich, wo ich bin. Uberall, ob in Paris oder in London oder in Amsterdam, meiner Heimat, überall erwartet mich ein Haus so wie hier. Gekauft — na ja, wie man einen Anzug kauft, den man für eine kurze Zeit tragen will. Unpersönlich, unpersönlich und gleichgültig.“

„Aber es ist doch so schön hier. Wie können Sie es „unpersönlich“ nennen? Die Kunstschätze, die Bilder, alles, was ich bis jetzt gesehen habe —“

„Alles, was Sie gesehen haben, haben meine Architekten sehr gut ausgesucht. Man weiß genau, wie ein Mann wie ich wohnen muß. Man weiß es viel besser als ich selbst. Glauben Sie, daß ich eine Ahnung davon habe? Für mich wäre es wirklich gleich, ob ich in einem Schlosse wohne oder nicht. Es ist doch alles nur Kulisse. Aber man hat der Welt so lange eingeredet, daß zu ‚einem Printheer‘ Kulissen wie die hier gehören, daß die Welt es schließlich glaubte und forderte. Und ich mache mit. Ich tue, als ob ich es selbst glaubte. Es gibt bestimmte Formen des Lebens, die einem aufgezwungen werden, sie mögen einem im Grunde so unwichtig sein wie nur möglich.“

„Wer könnte Ihnen etwas aufzwingen?“ Mit leidenschaftlicher Frage senkte Agnete ihre Augen in die Printheers. Der lächelte. Was lag alles in diesem Lächeln: Zärtlichkeit, Überlegenheit, Spott und Wehmut.

„Sie, Kind, Sie glauben wohl auch, solche Menschen wie ich, sind der Herrgott, der alles lenken kann nach seinem Willen? Ach nein, was wir lenken, ist doch nur das Äußere. Aber wir vermögen ebensowenig wie der ärmste Mensch das Innere zu gestalten, das bißchen, was jeder braucht, das bißchen Glück.“

„Sind Sie nicht glücklich?“ wollte Agnete fragen. Aber ein angstvolles Mitleid, gemischt mit Schrekken über die Enthüllung einer Mannesseele hinderte sie daran. Printheer vollendete für sie.

„Das ist ein seltsames Gespräch zwischen uns, Fräulein Reyersdorff, seltsam und unbeabsichtigt. Es kam nun so. Aber warum soll in meinem Privatleben nicht auch einmal etwas Unberechnetes sein? Ich habe seit Jahren zu keinem Menschen gesprochen wie zu Ihnen. Ich würde es auch keinem andern sagen. Wissen Sie, daß ich Sie beneide?“

Ihre Augen fragten.

„Ja, ja, beneide. Wie Sie vorhin mit dieser schönen Leidenschaft von Ihrer Wissenschaft erzählten, da war etwas wie Neid in mir. Sie haben ein Ziel, dem Sie entgegengehen. Sie vermögen, wenn die äußeren Hemmnisse beseitigt sind, sich abzuschließen, um diesem Ziele zu leben. Ihre Arbeit ist in der Stille. Ich werde vom Leben hin und her gezerrt. Hunderte von Unternehmungen brauchen meinen Kopf, Tausende von Menschen meine Gedanken. Konzentration auf eine Aufgabe ist nicht möglich. Jede Aufgabe bringt immer neue hervor. Sie denken, ich bin der Meister. Nein, die Arbeit meistert mich. Ich glaube, niemand in all meinen Betrieben ist im letzten so unfrei.“

„Aber Sie können sich doch frei machen! Es kostet Sie doch nur einen Entschluß, und Sie können sich zurückziehen auf das, was Ihnen wirklich im Herzen liegt. Irgend etwas wird das doch sein?“

Wieder hatte Agnetes Gesicht dies leidenschaftlich Aufgewühlte, das ihre Züge leuchtender machte, den grauen Augen den beseelten Glanz gab.

„O ja, es gäbe vielleicht so einiges, was mir wertvoll wäre. Aber ich darf keine Zeit dafür haben. Wenn ich mich zurückziehe, wenn ich auch nur eines der Werke stillege, was glauben Sie, was dann geschieht? Ich bin ja nicht ein Mensch für mich. Ich bin ein Begriff, mit dem die Wirtschaft der Welt rechnet. Ich bin nicht Erik Printheer. Ich bin ganz einfach die Firma Printheer. Wenn Printheer A.-G. auch nur eines seiner Unternehmungen liquidiert, so gibt das einen Sturm an den Börsen. Einen Sturm, der Glück und Sicherheit von Hunderttausenden kleiner Sparer hinwegfegt, ganze Kategorien von Arbeitern brotlos macht, Hunger bringt, Erbitterung, Mord, Selbstmord. Wie in einem Expreßzug bin ich der Führer. Selbst wenn es auf den Abgrund geht, der Führer kann nicht abspringen. Er muß bleiben, ob er will oder nicht. Können Sie das verstehen?“

Agnete nickte. Sie konnte Printheer nicht ansehen. Erbarmen war in ihr für ihn. Angst war in ihr für sich selbst. In was für ein Leben war sie da hineingerissen worden? Zu welchem Zweck? Zu welchem Ende? Sie wußte es nicht. Sie wußte nur, daß Printheers Vertrauen ein Band war, das sie fesselte.

„Nun, und Sie sagen nichts?“ hörte sie die schwere Stimme fragen.

Agnete raffte sich auf. Man mußte Angst und Mitleid abschütteln und den eigentümlichen Bann.

„Und doch, Herr Konsul, irgendein Fehler ist da. Einen Ruhepunkt muß es auch für Sie geben. Sie können nicht, wie in einem Expreßzug, um Ihr Bild zu gebrauchen, durch Ihr eigenes Leben jagen. Auch ein Expreßzug hat Stationen. Hält. So müssen Sie auch einmal Station machen, zu sich selbst kommen.“

Vielleicht will ich auch nicht zu mir selbst kommen?“ Es war eine Frage, aber sie verlangte keine Antwort.

Agnete antwortete auch nicht. Sie senkte den Kopf sehr tief, als hätte Printheers schwere Frage eine Last auf sie selbst gelegt. Stumm erhob sie sich.

„Ich möchte nach Hause“, sagte sie hilflos.

„Wie Sie wünschen. Aber ich sehe Sie wieder, Fräulein Reyersdorff. Bald?“

Printheer beugte seinen Kopf über ihre Hand.

Das Gesetz in uns

Подняться наверх