Читать книгу Wenn die Nacht stirbt und dein Herz aufhört zu schlagen - Lisa Lamp - Страница 6

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Prolog

1583 n.Chr.:

Es war eisig kalt in den alten Gemäuern der Kirche, in der wir seit Tagen gefangen waren. Es roch modrig und nur die Kerzen boten etwas Licht. Die Stille hallte unheilvoll durch die großen Räume mit den weißen kunstvollen Statuen an den Wänden.

Früher war ich oft hier gewesen und hatte den Worten des Pfarrers gelauscht, während mich meine Mutter immer wieder ermahnt hatte, ruhig sitzen zu bleiben. Der Gedanke an Mama war schmerzhaft. Ich konnte mich noch genau an das letzte Mal erinnern, als ich sie gesehen hatte. Ihr Zopf hing über ihre Schulter und Lachfalten durchzogen ihr Gesicht. Mit der Bürste fuhr sie durch meine langen Haare und summte mein Lieblingslied vor sich hin, als es plötzlich an der Tür klopfte. Ihr Blick wurde panisch und ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie legte die Bürste, an der meine dunklen Haare hingen, beiseite und trat auf die morsche Tür zu.

»Wer ist da?«, fragte sie, bekam aber keine Antwort.

»Öffnen Sie die Tür!«, bellte jemand von draußen und ich zuckte zusammen.

In diesem Moment wusste ich, was uns blühte, denn gerechtfertigt oder nicht, sie würden uns mitnehmen. Zu oft hatte ich schon miterlebt wie Frauen und Kinder, in seltenen Fällen sogar Männer, mitgenommen wurden und für eine geraume Zeit verschwanden, bevor sie plötzlich am Scheiterhaufen wiederauftauchten.

Bei diesem Gedanken musste ich lächeln, auch wenn mein Grinsen in dieser trostlosen Umgebung fehl am Platz wirkte. Ich wusste nicht, wer uns verraten hatte, in der Hoffnung, dadurch seinen eigenen Hals zu retten. Nun machte es auch keinen Unterschied mehr. Jetzt war ich hier, genau wie all die anderen.

In der Nähe entdeckte ich ein junges Mädchen. Sie saß zusammengekauert auf dem Boden neben einem schwarzen Flügel. Das junge Ding konnte höchstens fünfzehn Jahre alt sein, doch in ihren Augen loderte ein Feuer, das sie älter aussehen ließ. Sie war schrecklich ausgehungert und ihr Kleid verfärbte sich langsam von weiß zu grau. Das junge Blut konnte nichts getan haben, womit sie das verdiente. Schlagartig wurde mir klar, wie grausam und ungerecht dieses Jahrhundert doch war. Kurz flackerte die Erinnerung an meine eigene Tochter auf und ich fühlte mich schlecht bei dem Gefühl der Freude, dass das magere Mädchen hier war, anstatt mein eigen Fleisch und Blut.

Ein Knarren ließ mich zur schweren Eisentür sehen, die sich gerade öffnete. Zwei Männer im mittleren Alter passierten den Eingang und gingen geradewegs auf das Mädchen im weißen Kleid zu. Sie sah ängstlich auf und eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Hilfesuchend blickte sie panisch hin und her, doch niemand würde ihr helfen. Auch ich nicht, obwohl ich es zu gerne tun würde.

Die Männer packten das Mädchen, das schreiend versuchte, sich zu wehren. Die beiden zerrten sie zum Ausgang, von dem ich nicht wusste wohin er führte. Die junge Dame strampelte mit den Füßen und drückte ihr Gewicht zu Boden, doch die Männer schleiften den Körper einfach weiter hinter sich her. Sie wehrte sich tapfer, aber sie würde keine Chance haben. Niemand von uns hatte eine Chance.

Die Aufregung endete erst, als die schwere Eisentür hinter den Männern wieder ins Schloss fiel und die Schreie des Mädchens verstummten. Die anderen Frauen im Raum schluchzten und zitterten, aus Angst, die Nächste zu sein. Wir alle wussten was geschehen würde, wenn wir an der Reihe waren und von den Inquisitoren geholt wurden. Wir kannten die Fragen, die unabänderlich kommen würden. Name. Alter. Wohnort. Geburtsdatum. Elternhaus. Aber dann würden die Fragen kommen, die über den Rest unseres Lebens entscheiden würden. Teufelspakt. Ketzerei. Walpurgisnacht. Hexerei. Am Anfang würden wir sie natürlich verneinen, doch mit der Zeit, wenn sie die Fragen immer wieder stellten, würden wir solange schweigen, bis wir auf jeden einzelnen Vorwurf mit einem lauten und klaren Ja antworteten. Wir würden alles sagen und alles zugeben, egal ob Wahrheit oder nicht, nur um den Schmerzen und der Angst zu entkommen.

Auch das Mädchen würde alles tun, damit es endlich aufhörte. Sie würde ihre Eltern verraten und ihre Geschwister der Hexerei anklagen, nur um von hier wegzukommen. Sie würde darum flehen, endlich sterben zu dürfen, auch wenn das bedeutete auf die grausamste Art und Weise den Tod zu finden.

Die Kerzen im Raum brannten langsam ab, doch es würde bis morgen früh niemand kommen um neue anzuzünden. Ich legte mich auf den harten Boden und rollte mich zu einer Kugel zusammen, um der Kälte und dem Wind, der unter der Tür durchzog, zu entgegnen. In der Ecke über mir war eines von Hunderten Spinnennetzen, die sich in der Kirche angesiedelt hatten. Als der Raum langsam dunkler wurde, merkte ich erst, wie erschöpft ich von der ständigen Aufregung war. Die letzten Tage waren eine Zerreißprobe für meine Nerven und ich spürte wie Morpheus Hände nach mir griffen. Mein letzter Gedanke galt meinen Nachkommen und der Hoffnung, dass die Inquisition ein baldiges Ende finden würde. Im Gegensatz zu allen anderen hier im Raum war ich nämlich keinesfalls zu Unrecht in dieser Kirche. Ob ich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte? Nein. Ob ich für die Pest und das Viehsterben verantwortlich war? Nein. Ob ich Naturkatastrophen heraufbeschwor? Nein. Doch ich könnte die Kerzen wieder entzünden ohne auch nur ein Streichholz anzuzünden. Ich könnte die Fensterscheiben zerspringen oder sie durch Hitze schmelzen lassen und ich könnte mich mit den Spinnen an der Decke über die Ungerechtigkeit der Welt unterhalten. Ich war nicht zu Unrecht hier. Mein Name war Maria Holl und ich war wirklich eine Hexe.

Wenn die Nacht stirbt und dein Herz aufhört zu schlagen

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