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Ich bin ich

2018 n.Chr.:

Das Leben ist schön.

Zumindest wird uns das schon vom ersten Tag unseres Lebens gepredigt. Doch uns wird mit dem gleichen Atemzug von unseren Eltern erklärt, dass es das Christkind gibt und alle Menschen gleich sind. Wieso sollten wir also glauben, dass unser Leben wundervoll ist, wenn das fliegende Geschöpf mit den goldenen Haaren, dem weißen Kleid und den großen Flügeln erstunken und erlogen war? Warum sollten wir darauf vertrauen, dass leben reizvoller ist als sterben, wenn das Mädchen auf dem Sitzplatz neben uns wegen ihrer großen Brille, ihren kurzen Haaren, ihrer altmodischen Kleidung, ihrem dunklen Hautton oder einfach, weil sie anders ist, behandelt wird, als gehöre sie nicht zu uns? Später, wenn wir schon angefangen haben, am Leben zu zweifeln, lernen wir Phrasen auswendig, in denen es darum geht, wie wichtig Schule und Bildung sind, aber letztendlich fragen wir uns doch, warum Bildung so einen hohen Stellenwert hat, wenn die Menschen früher in der Steinzeit das Rad erfunden hatten, ohne eine fünfjährige Ausbildung mit Matura absolviert zu haben. Während wir also noch darüber grübeln, wieso wir es nicht einfach so machen, wie die Menschen damals, fangen wir langsam an, uns zu verlieben und registrieren, dass wir unser eigenes Leben nicht kontrollieren können, egal wie sehr wir uns anstrengen. Wir sind jederzeit abhängig von der Reaktion der Menschen in unserer Umgebung. Aber wenn wir zehn Jahre später auf diese Zeit zurückblicken, wird uns nicht mehr die Verwirrung in den Sinn kommen, die wir damals verspürt hatten, weil wir nicht wussten, ob unser Leben auf diese Art weiter gehen sollte, sondern der Schmerz, als wir zum ersten Mal einen Korb einstecken mussten oder die Trauer, als unsere erste große Liebe uns verließ und wir nichts tun konnten, um es zu verhindern.

Auch stellen wir jetzt langsam fest, dass unsere Großmutter, die uns als Kind gesagt hat, dass aus uns nie etwas werden wird, unrecht hat, denn wir stehen auf eigenen Beinen. Wir arbeiten für einen Chef, den wir nicht mögen, heiraten und ziehen in eine Kleinstadt, die irgendwo im nirgendwo liegt, um die perfekten 1,7 Kinder zu bekommen, die jeder haben sollte, um gut genug für die Gesellschaft zu sein.

Gut zwei Jahrzehnte und Millionen an Streitereien später sind wir geschieden und unsere Kinder kommen einmal im Monat, um sich zu erkundigen, ob wir noch leben oder um uns zu sagen, dass wir schon wieder ein Enkelchen bekommen.

Dann, nachdem wir jeden Sonntag mit unseren Nachkommen in der Kirche dem Gott dafür gedankt haben, dass alles in unserem Leben gut läuft, kommen wir irgendwann in unser Haus mit Garten, das für uns allein viel zu groß geworden ist, setzen uns auf die Terrasse mit dem Wissen, ab jetzt nicht mehr arbeiten zu müssen und stellen uns vor, was wir in unserem Leben noch tun wollen, bevor es endet.

Doch wie es das Schicksal will, werden wir nie mehr dazu kommen, den Mount Everest zu besteigen, uns neu zu verlieben, noch einmal von vorne anzufangen oder nur der Sonne beim Aufgehen zuzusehen. Wir werden nur noch unsere Augen schließen und einschlafen.

In den letzten Sekunden, während unserer letzten Atemzüge, werden wir all die Verwirrung, den Schmerz, die Wut, die Trauer und auch unsere gesamte Angst vergessen und uns daran erinnern, wie wir zu Ostern neben unserer Mutter gesessen haben um die Eier, die sie uns gereicht hat, zu bemalen.

Vielleicht fällt uns auch wieder ein, wie unsere Schwester in unser Zimmer gekommen ist, nur um unter die Bettdecke zu kriechen und mit uns zu lachen, als wären wir wieder im Kindergarten, obwohl wir schon lange diesem Alter entwachsen sind. Wahrscheinlich werden wir uns auch an alle Kinobesuche, alle Geschenke und das gute Essen zu Weihnachten erinnern. Vielleicht sogar an den Stolz auf dem Gesicht unseres Vaters, als er uns mit unserem ersten Zeugnis von der Schule abgeholt hat.

In diesem Moment steht die ganze Welt für uns still und es zählt nichts mehr, außer den Bildern unserer Familie und Freunde, die sich in unserem Kopf abspielen. Das Leben ist in diesem Augenblick traurig, aufregend, ängstigend, abenteuerlich, schwer und doch leicht, amüsant, chaotisch und vieles mehr, doch vor allem ist das Leben in diesem Moment schön, so wie es uns als kleines Kind gesagt worden ist. Obwohl die Welt uns manchmal hart und ungerecht erscheint, lieben wir es zu leben. Bestimmt ist es verwirrend, dass ich unser Leben beschreibe, da doch jeder von uns es tagtäglich lebt. Doch mein Leben wird nicht wie ein Muster ablaufen, egal wie sehr ich es mir auch wünsche. Ich werde keine Kinder bekommen. Ich werde in keine Kleinstadt ziehen. Ich werde nicht entscheiden, wen ich heirate und ich werde vermutlich nicht in einem Schaukelstuhl friedlich einschlafen, denn die Wahrheit ist, dass mein Leben nie normal war und auch nie wieder normal sein wird. Aber um das zu verstehen, muss ich die ganze Geschichte meines Lebens erzählen oder zumindest den Teil, der mein Leben für immer verändert hat.

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Wenn die Nacht stirbt und dein Herz aufhört zu schlagen

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