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KAPITEL 1 STEELE

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Zum Glück war jemand schlau genug gewesen, um die Klimaanlage in Charlies Villa eingeschaltet zu lassen. Tote zahlen schließlich keine Rechnungen. Verdammtes Florida. Ich hatte es vor langer Zeit verlassen und irgendwie ganz vergessen, wie übel einem die Luftfeuchtigkeit mitspielen konnte. Rund um Bagdad stiegen die Temperaturen zwar ab und zu auch über fünfundvierzig Grad, aber dort herrschte eine trockene Hitze.

Ich überlegte, mein Jackett abzulegen, oder wenigstens die Krawatte. Doch bevor ich nicht herausgefunden hatte, was zum Teufel sich hier abspielte, würde ich mir keine Unvorsichtigkeit erlauben.

Abgesehen davon stand mir der Anzug hervorragend.

»Nette Hütte, was?«, bemerkte Wesley, der mir über die Schulter schaute, während ich mir den Grundriss des Hauses einprägte und in Gedanken eine Liste der kritischen Stellen anlegte. Wie gesagt, solange ich nicht wusste, warum ich hier war, wollte ich auf alles vorbereitet sein.

»Ich habe schon größere gesehen.« Im Vergleich zu manchen Anwesen der sehr reichen und sehr bösen Männer, die mich als Bodyguard anheuerten, wirkte dieses hier wie ein Poolhaus. Was nicht abfällig klingen soll, überhaupt nicht. Allein der Eingangsbereich war größer als die Wohnung, in der ich aufgewachsen war.

Einer nach dem anderen, wie eine Reihe Entenküken, folgten wir Ms Miranda Bosley, Charlies Anwältin, durch den gefliesten Flur. Aus der ganzen Gruppe kannte ich nur Wesley, und daher war er der Einzige, dem ich so weit vertraute, dass ich ihn hinter mir gehen ließ. Sogar Ms Bosley wirkte, als würde sie mir, ohne zu zögern, ein Messer in den Rücken rammen, sollte sie das für notwendig erachten.

Wes hier zu treffen, hatte mich überrascht. Wir hatten uns kurz unterhalten, und obwohl wir beide unsere Worte auf die Goldwaage legten, stellte sich schnell heraus, dass wir aus demselben Grund hier waren – wir wurden von Charlie erpresst.

Ich konnte mir nicht vorstellen, was Charlie gegen dieses Kind in der Hand haben könnte. Bisher hatte ich nur zweimal mit Wes zusammengearbeitet; er war die Art von Hacker, die sich für eine gute Sache auch mal auf die dunkle Seite schlug. Eine Mischung aus MacGyver und Anonymous, weshalb das FBI ihn wahrscheinlich beobachtete, seit er zwölf gewesen war.

Schon bei unserer ersten Begegnung war mein Beschützerinstinkt sofort angesprungen. Außer dass er ab und zu auf meine Muskelkraft zählte, hatte er jedoch nie Hilfe nötig. Er konnte sich dank seiner Jiu-Jitsu-Kenntnisse ganz gut behaupten. Aber manchen Leuten muss man einfach eine richtige Tracht Prügel verabreichen, und das übernahm ich gern für ihn. Es war befriedigend.

Engelchen hingegen, wie ich den hübschen blonden Knaben getauft hatte, der während der Beerdigung ein paar Reihen vor mir gesessen hatte, weckte ganz andere Instinkte in mir. Seinetwegen hatte ich an Dinge gedacht, die auf einer Beerdigung tabu waren. Allerdings wirkte Engelchen auch nicht gerade so, als wäre er von Trauer überwältigt. Ich war nicht wirklich überrascht gewesen, als er sich nach der Beerdigung Mirandas Gefolge anschloss, zu dem auch Wes und ich gehörten. Hochinteressant. Was hatte dieser Chorknabe wohl verbrochen, dass er sich in so jungen Jahren bereits in so schlechter Gesellschaft wiederfand?

Ich spielte mit der Ehrenmedaille, die ich immer in der Hosentasche bei mir trug und die mich an all die Situationen erinnern sollte, die ich überlebt hatte, ebenso wie an die Freunde, die nicht so viel Glück gehabt hatten. Das vertraute Gefühl der geprägten Oberfläche besänftigte die nagenden Zweifel, die sich in meinem Unterbewusstsein regten.

Der vierte Kandidat in unserer kleinen Parade hatte neben Engelchen gesessen. Ich hatte ihm den Spitznamen »Mr Bundesagent« gegeben, denn dieser Typ war so offensichtlich ein Agent, dass ich darauf meinen Hut verwettet hätte. Ich schätzte ihn auf Ende dreißig, maximal Anfang vierzig.

Für einen einfachen Cop um die vierzig war er viel zu gut in Form. Er wirkte, als könnte er sich in einem Kampf gut behaupten und bei einer Verfolgungsjagd locker mithalten. Alles an ihm verriet den Bundesagenten: sein Haarschnitt, die Körperhaltung und, nicht zu vergessen, das Achselholster, das sich unter seinem Jackett abzeichnete. Wer zu Charlie Binghams Beerdigung ging, musste nun mal damit rechnen, dass die Mehrheit der Trauergäste bewaffnet erschien.

Das fünfte Mitglied unserer Gruppe, Mr Anonym, bot keinerlei Anhaltspunkte für eine Einschätzung seiner Person. Er sah so unglaublich durchschnittlich aus, dass ich Schwierigkeiten gehabt hätte, ihn zu beschreiben. Da er bisher noch kein einziges Wort gesprochen hatte, konnte ich keine Rückschlüsse aus einem möglichen Akzent oder Sprachmuster ziehen. Seine unauffällige Anzughose und das Hemd aus dem Kaufhaus gaben keinen Hinweis auf seinen Beruf oder seine Herkunft. Aber ich nahm an, dass er irgendwie zu uns gehörte, denn er wirkte trotz allem nicht wie ein gesetzestreuer Durchschnittsbürger.

»Meine Herren, bitte setzen Sie sich.« Miranda deutete auf eine Gruppe von Sesseln und Sofas in dem riesigen Wohnzimmer. Deckenhohe Fenster gewährten einen großartigen Ausblick auf den Golf. Im Vorbeigehen registrierte ich den Höhenunterschied zum Strand und eine Steintreppe, die zu den oberen Stockwerken führte.

»Bitte, Mr Alvarez, wenn Sie so freundlich wären.« Miranda schaute demonstrativ von mir zu den anderen vier Männern, die bereits Platz genommen hatten.

Engelchen saß allein auf einem Zweisitzer, die reinste Platzverschwendung. Ich ging zu ihm hinüber und schenkte ihm ein Lächeln der Stufe vier. Ich bin ein toller Typ, du bist ein toller Typ, und wir beide stehen auf tolle Typen. Später irgendwann Lust auf Sex?

Er blickte einfach durch mich hindurch, mit Augen, so kalt und leer, wie ich sie bisher nur bei Scharfschützen und Eishockeytorhütern gesehen hatte. Es fühlte sich an, als hätte er mir einen Eimer kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet.

Gut, dann eben nicht. Ich lächelte weiter, änderte beiläufig den Kurs und setzte mich neben Wesley, wobei ich mit einer Hand die Knöpfe meines Jacketts öffnete.

Wesley, der kleine Scheißer, simulierte mit den Händen einen Flugzeugabsturz und untermalte das Ganze mit nahezu lautlosen Soundeffekten.

»Was soll’s? Eh nicht mein Typ«, murmelte ich ihm zu. Das war nur zum Teil gelogen. Ich stand auf Männer, die etwas zugänglicher waren und – um ganz ehrlich zu sein – etwas weniger selbstsicher. Ich mochte es, wenn jemand mich brauchte. Engelchen kam bestens allein klar, das merkte ich ihm an.

Miranda schlug die Beine übereinander und wippte mit dem oberen Stiletto-beschuhten Fuß rhythmisch zu einer Melodie, die wohl nur sie wahrnahm. Sie war eine gut aussehende, schlanke Frau, deren durchdringenden grünbraunen Augen nichts entging. Sie wirkte, als würde sie all unsere Geheimnisse kennen. Und dem Brief nach zu urteilen, der mich dazu veranlasst hatte, mich von meinem heimatlichen Sumpf an die Sonnenküste zu begeben, tat sie das auch.

Eine lateinamerikanisch wirkende Frau von unbestimmbarem Alter, die eine Art Hausmädchenuniform trug, wie ich sie nur aus Filmen kannte, rollte einen eleganten Servierwagen herein. Darauf standen ein silbernes Kaffeeservice und ein mit Kondenswasser beschlagener Krug voll Eistee.

»Tee für die Herren? Ms Bosley?« In ihrer Stimme schwang nur ein Hauch von Akzent mit. »Oder Kaffee? Ich kann beides anbieten.«

Miranda schloss die Augen und massierte sich die linke Augenbraue. »Josie, was soll denn das?«

Josie richtete sich auf und blinzelte. »Es ist heiß, Miran… Ma’am. Ich dachte, nach der Beerdigung wäre eine Erfrischung angenehm.«

Miranda hielt die Augen geschlossen, wies Josie jedoch mit einer Geste an, weiterzumachen. Der Wagen bewegte sich fast lautlos über den polierten Holzboden.

»Oh, was haben wir denn hier für einen niño bonito, einen hübschen jungen Mann?« Josie reichte Engelchen ein Glas mit Eistee. Ich hätte schwören können, dass sie ihn nur zu gern in die Wange gekniffen hätte. Ihr Akzent klang allerdings eher nach Südstaaten als nach Mexiko, was ihre Herkunft anging. Wahrscheinlich sprach sie nicht besser Spanisch als ich: gut genug, um eine Mahlzeit zu bestellen, nach der Toilette zu fragen oder zu flirten.

Miranda seufzte schwer, als Josie den Wagen in meine Richtung schob.

»Eistee? Sie sehen ein wenig erhitzt aus.« Josie schenkte mir bereits ein Glas ein, bevor ich auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte.

»Danke, Ma’am.« Ich nahm das herrlich kalte Glas entgegen und seufzte glücklich auf, als ich daran nippte. Es schmeckte eher wie Zuckerlimo mit einem Hauch von Tee-Aroma, genau wie der Eistee meiner Mutter.

Josie richtete sich auf und blickte mir direkt in die Augen. »Sie riechen nach Ärger. Und sehen viel zu gut aus. Was Sie sicher nicht zum ersten Mal hören.«

Ich grinste sie an. Für Frauen mittleren Alters hatte ich etwas übrig. Ihnen konnte man nichts vormachen – sie durchschauten einen sofort. Josie und meine Mutter würden sich prächtig verstehen.

»Josie.« Miranda klang schnippisch.

Josie presste die Lippen zusammen, und ich hätte schwören können, dass sie dabei vor Entrüstung schnaubte. Egal, was zwischen den beiden vorging, Josie hatte mich bereits auf ihre Seite gezogen. Nachdem sie auch den Rest der Gruppe mit Getränken versorgt hatte, rollte sie den Wagen zu Miranda. »Fehlt sonst noch etwas? Ich könnte noch bleiben und ein paar Snacks zubereiten.«

»Nein, danke.«

»Ganz sicher nicht, Ma’am?«

Ich hätte gegen ein paar Pizzen nichts einzuwenden gehabt.

»Ganz sicher. Und, Josie?«

»Ja?«

»Bringen Sie bitte dieses lächerliche Kostüm dahin zurück, wo auch immer Sie es gefunden haben.« Miranda verbarg ihr Lächeln hinter vorgehaltener Hand, doch ihre Augen verrieten sie.

»Gefällt es Ihnen nicht?« Josie nahm die weiße Schürze ab. »Ich mag es. Ich finde, es verleiht mir ein offizielles Aussehen.«

Miranda schüttelte gutmütig den Kopf. »Das haben Sie wirklich nicht nötig, Josie.«

Josie reichte ihr eine zierliche Tasse, gefüllt mit Kaffee, ohne Milch. »Wie Sie wünschen, Miranda.«

»Danke sehr.« Miranda nahm einen Schluck, und sofort entspannten sich ihre Schultern ein wenig. »Ich rufe Sie nach der Besprechung an.«

Josie nickte und öffnete den Mund, als ob sie etwas sagen wollte, ging dann jedoch kopfschüttelnd davon.

Sehr interessant. Ich hatte schon mit vielen reichen Leuten zu tun gehabt, sogar mit ein paar äußerst einflussreichen Staatsanwälten, und normalerweise nahmen diese eine Bedienstete so gut wie nie zur Kenntnis. Umgekehrt würde eine Hausangestellte es sich nie herausnehmen, auf diese Weise mit ihrem Arbeitgeber zu sprechen.

Es war bereits später Nachmittag, und die tief stehende Sonne sandte ihre Strahlen durch die getönten Fenster. Reflektiert vom türkisfarbenen Wasser des Ozeans, tauchten sie das Zimmer in einen goldenen Schein. Winzige Partikel tanzten im Licht, und mir fiel auf, dass die Regale und Dekorationsgegenstände in dem geschmackvoll eingerichteten Raum von Staub bedeckt waren. Charlie hatte dieses Zimmer entweder schon lange nicht mehr benutzt, oder er hätte ein paar echte Hausmädchen beschäftigen sollen.

»Lassen Sie uns anfangen.« Miranda zog einen braunen Umschlag aus ihrem Aktenkoffer und legte ihn sich auf den Schoß. »Bevor wir uns den Details Ihres Auftrags widmen, halte ich eine Vorstellungsrunde für angebracht.«

»Meiner Meinung nach sollten wir schnellstmöglich zum Punkt kommen«, widersprach Mr Bundesagent. »Ich kenne bereits drei dieser Männer, und mit keinem von ihnen möchte ich unbedingt Freundschaft schließen.«

Jemand sollte diesem Kerl mal eine reinhauen, damit ihm das spöttische Grinsen verging. Allerdings wäre es schade um sein Gesicht. Er sah gut aus, wenn man auf den Typ stand. Markant wie Captain America, wenn er nicht gerade so tat, als wäre er was Besseres. Denn da er mitten unter uns in diesem Zimmer saß, statt Verbrecher zu verhaften, nahm ich an, dass sein Heiligenschein etwas von seinem Glanz verloren hatte. Vielleicht sollte er seine Einstellung noch mal überdenken.

Aber gut. Es gab mehr als einen Weg, einen Typen wie ihn zu provozieren. Ich hielt zwar vieles über mich und meine Vergangenheit geheim, aber zu meiner Homosexualität stand ich. Schließlich hatte ich die Zeit als schmächtiger schwuler Halbwüchsiger nicht überlebt, um meine sexuelle Orientierung als Erwachsener wieder zu verstecken.

Ich lehnte mich zurück und überkreuzte gemächlich die Beine, was seine Aufmerksamkeit erregte. Während ich mir die Manschetten zurechtzog und die Bügelfalten meiner Hose richtete, ließ ich den Blick langsam an Mr Bundesagent rauf- und runterwandern. Ich musterte ihn ganz offen, hob eine Augenbraue und grinste ihn an.

»Ach, wirklich?« Ich ließ ein wenig Süd-Georgia-Sumpfratten-Akzent durchklingen. »Ich hätte nichts dagegen, dir zu zeigen, wie freundschaftlich ich werden kann.« Ich beugte mich vor. »Sobald du dir den Stock aus dem Hintern geholt hast, Mr Bundesagent.« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Miranda an ihrem Kaffee nippte und uns beobachtete.

Zu meiner Überraschung zog der Kerl ebenfalls eine Augenbraue hoch und nahm mich von Kopf bis Fuß in Augenschein. Einerseits war das irgendwie heiß, andererseits beschlich mich aber ein ungutes Gefühl. Anscheinend registrierte er jedes noch so kleine Detail und speicherte es mental ab. Als würde er erkennen, dass der teure Anzug ein Geschenk eines großzügigen Gönners gewesen war, während ich die Tommy-John-Unterwäsche aus der Kommode einer meiner Zielpersonen gestohlen hatte. Schlechte Menschen hatten überraschend oft einen hervorragenden Geschmack in Klamottenfragen, und an der Unterwäsche hatten immer noch die Etiketten gehangen.

Mr Bundesagent schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Alvarez, aber daraus wird wohl nichts. Du bist nicht mein Typ. Ich mag meine Männer ein wenig respektabler. Und wenn ich von den vielen zierlichen jungen Männern ausgehe, mit denen du dich im Bett und an weniger bequemen Orten vergnügst, bin ich genauso wenig dein Typ.«

Wesley stieß ein lang gezogenes »Oooooh« aus und zeigte mit dem Finger auf mich. »Brauchst du ein Pflaster? Das hat bestimmt wehgetan.«

Unter Aufbietung all meiner Selbstbeherrschung lehnte ich mich langsam zurück. Woher zum Teufel kannte der Kerl meinen Namen und wusste, mit wem ich schlief? Ich sah hinüber zu Miranda, die meinen Blick gleichmütig erwiderte. Ich vergaß immer wieder, dass sie alle Trümpfe in der Hand hielt. Ich hatte die Wahl. Entweder ging ich jetzt voll auf Mr Bundesagent los, oder ich ließ es gut sein. Da ich das, was Charlie gegen mich in der Hand hatte, unbedingt an mich bringen wollte, entschied ich mich für Letzteres.

Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Zweimal abgeblitzt an einem Tag. Ich hab’s offensichtlich nicht mehr drauf.«

Engelchen brach in schallendes Gelächter aus, und sogar Mr Anonym hielt nur mühsam ein Lächeln zurück.

»Ach, Engelchen, du nicht auch noch.« Ich legte mir eine Hand aufs Herz. »Ich bin am Boden zerstört.« Ich kippte den Rest meines Eistees hinunter und hätte gern gewusst, ob Charlie freundlicherweise sein Whiskysortiment aufgestockt hatte, bevor er starb.

Verdammter Charlie. Das war alles seine Schuld. Ich hatte ihn ein einziges Mal getroffen, nur einen Auftrag mit ihm zusammen erledigt, und das war Jahre her. Als die Frau, von der wir beide dachten, sie wäre auf seiner Seite, mir befohlen hatte, ihn zu erschießen, hatte ich meine Entscheidung im Bruchteil einer Sekunde getroffen. Ich hatte gerade lange genug gezögert, dass er entwischen konnte. Für Leute, die wie diese Frau ein doppeltes Spiel spielten, hatte ich nichts übrig. Und das war nun der Dank dafür, dass ich das Richtige getan hatte.

Ich atmete ein paarmal tief durch, bis ich mich beruhigt hatte. Ehrlich gesagt wusste ich genau, womit Charlie mich erpresste. Wenn es herauskäme, wäre das nicht nur schlecht für die Army und mich, sondern auch für die Männer, die mit mir gedient hatten. Ich war wegen der Dinge, die ich getan hatte, vor langer Zeit mit mir ins Reine gekommen, und die Army war mir herzlich egal. Aber ich würde lieber sterben, bevor ich zuließ, dass meine Männer für meine Taten büßen mussten. Damit war es mir todernst. Wir hatten mehr als einmal unsere Leben füreinander riskiert, und ich würde es jederzeit und ohne Zögern wieder tun.

Miranda räusperte sich. »Wie gesagt, ich denke, es ist Zeit für eine Vorstellungsrunde.«

»Warum übernimmt das nicht Mr Bundesagent?«, schlug ich vor. »So, wie es aussieht, weiß er ja bereits alles über uns.«

»Für dich immer noch Mr Special Agent, Alvarez. Wie in ›Special Agent Leo Shook vom FBI‹. Wenn ich wollte, könnte ich dich auf der Stelle verhaften.«

Ha. Er war also tatsächlich ein Agent. Hatte ich es doch gewusst.

»Das wage ich zu bezweifeln«, warf Miranda ein. »Immerhin wurden Sie von Ihrer Behörde offiziell beurlaubt.«

Wesley zeigte nun auf Special Agent Shook und brach in Gelächter aus. »Oooh, noch ein Pflaster, bitte.«

Shook wandte sich ihm zu. »Wer zum Teufel sind Sie eigentlich? Nein, sagen Sie nichts. Ich finde es selbst heraus. Ich kann jeden hier identifizieren.«

Er deutete zuerst auf mich. »Castille Alvarez. Auch Steele genannt. Netter Spitzname übrigens, so männlich und originell. Hauptberuflicher Bodyguard und Teilzeit-Auftragskiller. Normalerweise für die bösen Jungs tätig, wahrscheinlich weil sie besser zahlen.«

Auftragskiller? Was redete der Kerl für einen Blödsinn! Ich sprang auf. »Zwei.« Zur Bekräftigung hielt ich zwei Finger hoch. »Ich habe nur zwei Menschen bei meiner Arbeit als Bodyguard getötet, und in beiden Fällen nur, um mich zu verteidigen, weil sie versucht hatten, mich umzubringen.«

»Nur zwei als Bodyguard?« Mr Anonym hatte den Sessel in der Ecke belegt. Er sah aus wie der Typ Mann, der sich immer im Schatten hielt, immer einen dunklen Winkel fand, aus dem heraus er alles beobachten konnte. Seine Stimme klang jedoch kultiviert und nach Oberschicht. Sein leichter britischer Akzent war vornehm näselnd, als hätte er Dauerschnupfen oder eine heiße Kartoffel im Mund. »Haben Sie denn in Ihren früheren Berufen auch getötet? Sie waren auf jeden Fall beim Militär, oder?«

»Das sieht man doch auf den ersten Blick«, bestätigte Engelchen.

»Wie heißt du eigentlich?«, platzte ich heraus. »Ich kann dich schließlich nicht ewig Engelchen nennen.«

»Klar kannst du das.« Er schob sich die blonden Locken aus der Stirn und lächelte mich breit an. »Du kannst mich nennen, wie du willst.«

Ach, jetzt wollte er flirten? Solche Ablenkungsmanöver durchschaute ich allerdings sofort.

Special Agent Shook musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Engelchen heißt eigentlich Ridge Pfeiffer. Er ist ein professioneller Dieb und wird mit einer Reihe größerer Einbrüche in Verbindung gebracht. Für eine Weile ist er unter dem Radar geflogen, aber in letzter Zeit ist uns sein Name häufiger zu Ohren gekommen.«

Er neigte den Kopf in Richtung des Mannes, den ich als Mr Anonym bezeichnete. »Der Herr in der Ecke, der möglichst nicht auffallen möchte, ist Carson Grieves, ein Meister des Trickbetrugs im großen Stil. Er hat seine Finger in tausendundeinem Verbrechen drin. Leider sind beide so schlüpfrig wie Aale – sie entwischen uns immer wieder.«

Er wies mit dem Kinn auf Wesley. »Sie sind der Einzige, den ich nicht kenne. Welche Rolle spielen Sie in dieser Farce?«

»Farce?«, wiederholte ich.

»Possenspiel? Schmierenkomödie?« Carson sprach in dem gleichen hochnäsigen Ton wie die Bösewichte bei »Doctor Who«, die rüberkamen, als fänden sie alles auf seltsame Art amüsant.

»Seine Bezeichnungen hören sich irgendwie besser an«, kommentierte Wesley.

»Ein britischer Akzent lässt alles besser klingen«, fügte Ridge hinzu. »Das ist doch genauso bekannt wie die Tatsache, dass man jemandem sofort zehn Prozent vom geschätzten IQ abzieht, wenn er mit Südstaatenakzent spricht.«

Ich zeigte ihm den Stinkefinger.

»Ich bin Don Juan Zero Juan Juan. Man nennt mich Zero.« Wes grinste und wirkte dadurch noch mehr wie ein Teenager, der sich bei einer Besprechung von Erwachsenen eingeschlichen hat.

»Nein, das ist doch nicht möglich.« Shook griff geschockt – anders konnte man das nicht nennen – mit der rechten Hand an seinen Gürtel, doch da waren natürlich keine Handschellen mehr.

Wesley lehnte sich zurück und breitete die Arme auf der Rückenlehne des Sofas aus. »Da haben Sie recht. Ich nehme Sie nur ein wenig auf den Arm.«

Shooks Haltung war immer noch angespannt, als ob er sich jeden Moment auf Wesley stürzen wollte. Offenbar hatte ich nicht die geringste Ahnung, wer Wes in Wahrheit war. Schätze, es war naiv von mir gewesen, anzunehmen, ich würde ihn kennen.

»Nennen Sie mir einen guten Grund, warum ich Sie nicht auf der Stelle in den Knast schicken sollte, Zero«, verlangte Shook.

»Hier wird niemand in den Knast geschickt.« Miranda hinderte Wesley mit scharfer Stimme an einer Antwort. »Außer von mir. Wie Sie sich vielleicht erinnern, sind Sie alle aus einem ähnlichen Grund hier.«

»Ich verlange, zu erfahren, wer noch in diese Sache verwickelt ist«, forderte Shook. »Für wen arbeiten Sie, Ms Bosley? Wer bezahlt Sie? Und wie ist Charlie Bingham überhaupt gestorben?«

Miranda lächelte dermaßen diabolisch, dass ein weniger selbstbewusster Mann sich in die Hosen gemacht hätte. »Das Schöne daran, alle Trümpfe in der Hand zu haben, Special Agent Shook, ist, dass ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig bin. Erledigen Sie einfach die Aufträge, die Charlie jedem von Ihnen hinterlassen hat. Dann müssen Sie weder mich noch einander jemals wiedersehen.«

»In Ordnung«, sagte ich. »Erklären Sie mir einfach, was ich tun soll, und ich kümmere mich darum.«

»Sehe ich auch so«, stimmte Ridge zu. »Wie bald können wir den Schwachsinn hinter uns bringen? Ich habe wirklich noch was anderes zu tun.«

»Noch was zu klauen?« Wesley grinste ihn an.

Miranda ignorierte die Bemerkungen. »Wie Sie alle aus den Briefen wissen, die ich Ihnen geschickt habe, hat Charlie in seinem Testament Instruktionen für jeden Einzelnen von Ihnen hinterlassen.« Sie schien ihre Worte mit Bedacht zu wählen und machte zwischen den Sätzen jeweils eine kleine Pause. »Sie alle hatten mit ihm zu tun, und er zählt darauf, dass diese gemeinsamen Erlebnisse Sie dazu … motivieren, einige Angelegenheiten für ihn zu Ende zu bringen, mit denen er sich unglücklicherweise vor seinem viel zu frühen Ableben nicht mehr selbst befassen konnte.«

»Sie meinen, er erpresst uns aus dem Jenseits, damit wir seine schmutzigen Geschäfte für ihn erledigen?« Wesley zog die Beine unter sich. »Und falls wir tun, was er von uns will, geben Sie uns, was auch immer Sie gegen uns in der Hand haben, und wir können fröhlich von dannen ziehen?«

»Sie haben es erfasst.« Miranda klopfte mit einem Finger auf den Schreibtisch, als wägte sie ab, wie viel sie uns sagen durfte. »Charlie hat besser als jeder andere um den Wert von Informationen gewusst. Er hat sie gekauft, verkauft, gestohlen und zu seinem Vorteil eingesetzt. Vom Standpunkt des Gesetzes aus gesehen, war er alles andere als ein Vorzeigebürger.« Sie warf Mr Bundesagent einen ironischen Blick zu. »Aber seine Motive waren meistens ehrenhaft. Er verfügte zwar über jede Menge sensible Informationen, doch die meisten hat er nie verwendet. Manche hat er für einen guten Zweck eingesetzt, was ihm ein paar mächtige Feinde beschert hat. Da haben Sie die Antwort auf Ihre Frage, warum Charlie nicht mehr unter uns weilt, Agent Shook. Er hat sich mit den falschen Leuten angelegt.«

»Mit wem?« Shook klang, als würde er sich gleich in voller Rüstung aufs Pferd schwingen und ausziehen, um Charlies Tod zu rächen.

»Das soll nicht Ihre Sorge sein«, erklärte Miranda milde. »Zumindest jetzt nicht.«

»Aber …«

Miranda reagierte nicht auf Shooks Einwurf. »Charlie wusste, auf wie vielen Abschusslisten er stand.« Agent Shooks Gesichtsausdruck verriet, dass er sich nicht gern ignorieren ließ. »Er wusste zwar nicht, wann und wie er sterben würde, aber er hat geahnt, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Dieses Mal nicht. Also hat er beschlossen, Ihnen als Gruppe einige seiner höchst brisanten Informationen zu hinterlassen. Sie betreffen verschiedene Missstände, die er korrigieren wollte, wozu er jedoch nicht mehr kam. Das obliegt nun Ihnen. Im Austausch erhält jeder von Ihnen die Informationen, die Charlie über Sie gesammelt hat.«

Sie spreizte die Finger und legte die Hände flach auf die Schreibtischplatte. »Es handelt sich dabei um Angelegenheiten, die nicht von jedem x-Beliebigen erledigt werden können. Dazu braucht es ein Team von Spezialisten, und Charlie nahm an, dass Sie fünf insgesamt über alle erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Um seine Aufträge zu erledigen, müssen Sie jedoch nicht nur zusammenarbeiten, sondern auch zusammenleben.«

»Zusammenleben?« Shook sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Wahrscheinlich hielt er sich für etwas Besseres. Trotzdem blieb er sitzen, statt aus dem Raum zu stürmen, was mich in der Annahme bestärkte, dass er selbst einige Leichen im Keller hatte.

»Ja, Agent Shook. Charlie war der Meinung, auf diese Weise würde er sich am besten Ihrer Kooperation versichern und gleichzeitig die … Verbundenheit zwischen Ihnen fördern, um es mal so auszudrücken.«

Engelchen – Ridge Pfeiffer, korrigierte ich mich selbst – schnaubte laut auf. Ich konnte ihm nur zustimmen. Die Chancen, dass wir uns zusammenraufen und so gute Freunde werden würden, dass wir uns gegenseitig die Haare flochten, tendierten gegen null. Länger als drei Tage gab ich dem Experiment nicht, falls wir wirklich alle zusammen im selben Haus wohnen mussten.

Ich persönlich hatte nichts dagegen, eine Weile an der Küste zu leben. Ich hatte gerade sowieso keinen festen Wohnsitz, und dieses Haus war um einige Kategorien besser als die meisten, in denen ich bisher gewohnt hatte. Allerdings könnte ich ein paar Wechselklamotten gebrauchen und auch einige andere Dinge, die ich zurückgelassen hatte, weil ich dachte, ich müsste nur für eine Übernachtung packen. Meinen SUV, zum Beispiel. »Was ist mit unseren Sachen?«, wollte ich von Miranda wissen. »Ich habe meine Glücksbringerunterhosen in Georgia gelassen.«

»Es steht Personal bereit, das sich sofort auf den Weg macht und die gewünschten Sachen für Sie holt, sollten Sie Charlies Angebot annehmen.«

»Als ob wir eine Wahl hätten.« Ridge sprach mir aus der Seele und klang dabei recht bitter. Die ganze Sache war ein abgekartetes Spiel. Warum also sich so verhalten, als könnten wir ablehnen? Wir saßen in der Falle. Was meiner Ansicht nach der Verbundenheit untereinander nicht gerade förderlich war.

»Man hat immer eine Wahl, Mr Pfeiffer, wenn man bereit ist, die Konsequenzen seiner Entscheidung zu tragen.« Miranda runzelte leicht die Stirn und presste die Lippen zusammen.

Shooks Miene verfinsterte sich immer mehr.

»Ich glaube, Sie werden schnell feststellen, dass das Leben hier viele Vorteile zu bieten hat«, fuhr Miranda fort. »Charlies Ressourcen stehen Ihnen uneingeschränkt zur Verfügung. Dieses Haus, seine Autos, sein Privatflugzeug, seine technische Ausrüstung und die Computer. Sie können sich jederzeit an mich wenden, genau wie an einige andere, die Charlies Vertrauen genossen haben und Ihnen bei der Erfüllung Ihrer Aufträge ebenfalls gern behilflich sein werden. Sollten Sie darüber hinaus noch etwas benötigen, können Sie es sich jederzeit hiermit beschaffen.«

Sie zog einen Stapel Plastikkarten aus dem großen Umschlag auf ihrem Schoß. »Behalten Sie die mit Ihrem Namen darauf, und geben Sie den Rest weiter.« Sie reichte die schwarzen American-Express-Kreditkarten herum, als verteilte sie Halloweensüßigkeiten an eine Schar Kinder.

Ich drehte meine in der Hand hin und her. »Verdammt, ich hätte nie gedacht, dass ich mal meinen Namen auf so einer sehen würde.«

»Ich auch nicht«, gab Ridge zu. »Und das aus gutem Grund. Wenn wir die benutzen, hinterlassen wir eine Spur, die ein Blinder zurückverfolgen könnte. Sollten wir nicht etwas, wie soll ich sagen, dezenter vorgehen?«

Wesley, Mr Carson Anonym und Mr Bundesagent schüttelten den Kopf.

»Das bringt rein gar nichts«, meinte Wesley. »Privatsphäre ist heutzutage nichts als eine Illusion. Ich brauche deine Kreditkarte nicht, wenn ich dich im Auge behalten will. Ich könnte deine Bewegungen quer über den Planeten verfolgen, selbst wenn du alles bar bezahlen und einen falschen Namen benutzen würdest. Besonders einfach ist es, wenn du ein Handy hast. Dann kann ich dich über das Funksignal orten. Ich kann die LED-Birnen in einem Laden nutzen und dich sogar über die beschissene Kaufhausmusik aufspüren, die aus den Lautsprechern kommt. Solange dein Handy an ist und du dich nicht auf der ISS versteckst, finde ich dich.« Er grinste Agent Shook an. »Falls ich so etwas machen würde, was ich natürlich nie täte.«

»Na klar«, gab Shook ausdruckslos zurück.

»Da will ich lieber gar nicht drüber nachdenken«, stellte ich fest. Außerdem verdeutlichte es, wie schwierig es in der heutigen Zeit geworden war, etwas zu stehlen. Die Polizei konnte einen Dieb wie Ridge ebenso leicht aufspüren wie Wesley eine Zielperson.

»Verdammt, Engelchen«, lobte ich ihn, »da Agent Shook dich bisher nicht gefasst hat, musst du wirklich gut sein.«

Er hob die Augenbrauen und legte den Kopf schief, was wohl so viel heißen sollte wie »Was glaubst du denn?«.

»Diebstahl nach ganz alter Schule«, bemerkte Wes. »Gefällt mir. Sehr retro.« Dann starrte er hinauf zur Decke und bewegte stumm die Lippen, wobei er die Augenbrauen hoch- und zusammenzog, als führte er ein Streitgespräch mit sich selbst. »Ich brauche meine komplette Computerausrüstung, inklusive aller Router, Server, Kabel und Festnetztelefone. Außerdem muss ich Charlies System überprüfen.«

Für mich hörte sich das völlig übertrieben an. Ein Computer war ein Computer. »Ach komm, Wes. Hier in der Nähe gibt es bestimmt einen Elektronikmarkt. Mit den neuen Kreditkarten können wir dir die beste Ausrüstung besorgen, die man für Geld …«

»Elektronikmarkt? Willst du mich beleidigen? Würdest du von Ridge verlangen, dass er sich sein Kletterseil beim Discounter kauft? Oder Carson vorschlagen, sich auf dem Flohmarkt nach neuen Anzügen umzusehen? Hast du eine Ahnung, was meine Ausrüstung wert ist, Steele? Zehntausende. Ich habe alles selbst gebaut, nach meinen ganz persönlichen Bedürfnissen und Anforderungen. Das hat Jahre gedauert, aber jetzt ist mein System jeder Aufgabe gewachsen.« Wes sah mich mit weit aufgerissenen Augen an und atmete schwer. »Wenn ich sage, ich brauche meine Ausrüstung, dann brauche ich verdammt noch mal meine Ausrüstung!«

»Ruhig, Brauner. Wenn du dein Zeug so unbedingt brauchst, besorgen wir es dir eben.«

»Wir stellen Ihnen alles zur Verfügung, was Sie benötigen, natürlich auch Ihre maßgeschneiderte Ausrüstung. Können wir jetzt bitte weitermachen, meine Herren?« Miranda seufzte. »Ich habe heute noch einige andere Termine.«

»Das Böse ruht nie.« Ich zog die Augenbrauen hoch.

Sie grinste mich an. »Wie Sie schon bald herausfinden werden.« Zu meiner Überraschung holte die Drachenlady einen Umschlag aus dem Aktenkoffer und reichte ihn mir. »Sie dürfen den Anfang machen.«

Ich streckte langsam die Hand aus, als könnte der Umschlag mich beißen. Dabei fühlte ich mich wie der Gewinner einer Gameshow, bei der ich gar nicht hatte mitmachen wollen.

»Fünf Aufträge, fünf Umschläge«, verkündete Miranda. »Und jeder von Ihnen wird eine Mission anführen.«

»Ist das auch eine von Charlies Instruktionen?«, erkundigte sich Agent Shook bissig.

»Nein, die ist von mir.« Miranda lächelte ihn selbstzufrieden an. »Meiner Erfahrung nach sind Kriminelle wie Vorschulkinder. Je früher sie lernen, sich den Sandkasten zu teilen, desto besser für alle.«

»Soll ich ihn öffnen?«, fragte ich Miranda.

Sie neigte graziös den Kopf, aber ich zögerte. Sollte der Umschlag Kopien von dem Mist enthalten, mit dem Charlie mich erpresste, würde ich ihn keinesfalls in dieser Runde öffnen. Ich traute diesen Typen nicht weiter, als ich sie werfen konnte. Nicht, dass ich etwas zu verstecken gehabt hätte, aber es würde anderen Menschen schaden, wenn gewisse Dinge ans Licht kämen. Ich ließ die Verdienstmedaille über meine Handknöchel tanzen, hin und her, während ich meine Möglichkeiten abwägte.

Miranda schien meine Bedenken zu erraten. »Die Informationen in dem Umschlag beziehen sich ausschließlich auf den Fall, den Sie übernehmen sollen«, versicherte sie mir. »Die Sie betreffenden Informationen bleiben unter Verschluss, es sei denn, Sie möchten sie preisgeben.« Sie blickte in die Runde. »Das gilt für Sie alle.«

Miranda stand auf und klappte den Aktenkoffer zu. Mit dem typischen Klicken rasteten die Schlösser ein. »Im ersten Stock befinden sich die Gästezimmer, bitte suchen Sie sich jeder eines aus. Josie steht Ihnen für alle Fragen zum Haus oder zu Ihren persönlichen Sachen zur Verfügung. Ansonsten gehe ich davon aus, dass Sie alle wissen, was Sie zu tun haben.« Sie musterte jeden von uns ein letztes Mal. »Viel Glück, meine Herren. Charlie glaubte an Sie, und falls es Sie interessiert, ich tue es auch.«

Ich steckte die Medaille zurück in die Hosentasche. Dann riss ich den Umschlag auf und entdeckte einen Stapel Fotos darin, die ich herauszog. Wesley beugte sich vor und stieß einen anerkennenden Pfiff aus.

Zu Recht. Grundgütiger. Die Aufnahmen zeigten einen Dreier unter Männern. Und waren ziemlich heiß, wenn man den Alten in der Mitte ignorierte, was leichtfiel, da sein Gesicht nicht zu erkennen war. Aber die übrigen beiden? Wahnsinn. Der eine hatte braunes Haar und unglaubliche Bauchmuskeln, der andere war blond und hatte den knackigsten Hintern, den ich je gesehen hatte. Der Alte hatte wirklich Glück. Wahrscheinlich bezahlte er die beiden dafür.

Moment mal. Ich hielt mir die Fotos dichter vor die Augen und ließ den Blick zwischen dem Blonden und Ridge hin- und herwandern. Bei all der nackten Haut und den beiden Knackärschen auf den Bildern fiel es mir schwer, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Trotzdem war ich mir sicher, herausgefunden zu haben, womit Charlie unseren Meisterdieb erpresste.

Ich schob die Bilder zurück in den Umschlag und hielt ihn Ridge hin. »Hey, Engelchen, gibt es irgendwas, das du der Klasse mitteilen möchtest? Vielleicht ein paar alternative Einkommensquellen, die du bisher verheimlicht hast?«

Ridge nahm den Umschlag mit einem Gesichtsausdruck entgegen, als vermute er Hundescheiße darin. Etwas anderes war der Inhalt für ihn sicher auch nicht. Das merkte man ihm an, als er die Fotos herauszog.

»Die Bilder zeigen einen Freier mit zwei Escort-Boys«, erklärte ich Carson und Mr Bundesagent, die sich nicht von ihren Plätzen gerührt hatten. »Wer der Freier ist, weiß ich nicht, aber der Blonde mit dem erfreulich knackigen Hintern sieht Engelchen zum Verwechseln ähnlich.«

Mit versteinerter Miene blätterte Ridge die Fotos durch, dann noch einmal. Eins zog er zur näheren Betrachtung heraus. Kurz blitzte Schmerz auf seinen Zügen auf, und von da an stand für mich fest, dass ich ihm helfen würde, egal, worum es bei diesem Fall ging. Einem hübschen Kerl in Not konnte ich nicht widerstehen.

»Und?« Wesley konnte seine Neugier nicht länger unterdrücken.

Mit grimmiger Miene gab Ridge mir den Stapel zurück. »Das bin nicht ich auf den Fotos«, erklärte er. »Das ist mein Zwillingsbruder Breck.«

Pros & Cons: Steele

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