Читать книгу Verliebt in meinen Feind - Lisa Torberg - Страница 9
Eins
ОглавлениеIm Normalfall würde er jetzt auskuppeln, die Hände in perfekter, in der Fahrschule eingebläuter Zehn-vor-zwei-Stellung auf das Lenkrad legen, sich im Sitz zurücklehnen und abwarten. Aber da hier und heute einfach nichts der Alltagsroutine entsprach, presste Daniele Barbieri das Kupplungspedal bis zum Anschlag durch, trat mit dem rechten Fuß auf das Gaspedal und ließ den 2,8-Litermotor seines Wrangler Jeeps röhrend aufheulen. Dass sich der Stau deshalb nicht auflöste, war das Tüpfelchen auf dem i an diesem besch... Tag. Und so schlug er, seinem sonst sanften und ausgeglichenen Gemüt zum Trotz, mit den Handflächen hart auf das Steuerrad und schrie laut Merda. Dass ihm die Verwendung von Schimpfwörtern an sich gar nicht entsprach, konnte die alte Frau mit dem gebeugten Rücken, die soeben vor seinem Wagen die Straße überquerte, nicht wissen. Der Klang seiner dunklen und zornigen Stimme drang durch das geöffnete Autofenster nach draußen und das arme Weiblein zuckte zusammen. Vor lauter Schreck ließ sie die Plastiktüte fallen, in der sich ihre - unglücklicherweise - runden und daher zum Rollen fähigen Einkäufe befanden. Rotwangige Äpfel und dunkelgelbe Kartoffeln kullerten auf dem Asphalt in jede Richtung davon. Das war der Moment, in dem Daniele zu sich kam, die Fahrertür aufriss, aus dem Fahrzeug sprang und in der Einbahnstraße auf allen vieren herumkroch, um die entwischten Früchte und Knollen einzufangen. Als er dann, reumütig wie ein Pennäler, vor der konsternierten Frau stand, rückte diese ihren gebeugten Rücken gerade, straffte die Schultern, kommentierte seine Entschuldigung mit einer wegwerfenden Handbewegung und sah ihn strahlend an.
Sie tat so, als ob die etwa vierzig Jahre, die zwischen ihr und dem ausnehmend attraktiven jungen Mann, wie sie ihn nannte, einfach nicht existierten, und flirtete ihn auf Teufel komm raus an. Verlegen sah er sie aus seinen braunen Augen an und wirkte dabei wie Bambi, das von seiner Mutter einen Rüffel erhielt. Das wurde ihm jedoch erst klar, als er eine faltige, jedoch kräftige Hand auf seinem Unterarm spürte.
»Erlauben Sie mir, dass ich den Schaden ersetze?«, fragte er hastig und griff, ohne eine Antwort abzuwarten, an die rückwärtige Tasche seiner Jeans, die so eng saßen, dass er die Brieftasche nur mit Mühe hervorziehen konnte.
»Es ist doch gar nichts passiert!«, erwiderte das Weiblein mit einem Augenaufschlag, als er ihr einen Zehneuroschein in die Hand drücken wollte. »Aus den Äpfeln mache ich sowieso Apfeltorte mit Zimtsoße für meine Enkel und aus den Kartoffeln Püree! Aber vielleicht darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten und ein Stück Kuchen, ich wohne gleich dort vorne«, fuhr sie fort und deutete in die Richtung, in die er eigentlich fahren wollte. Plötzlich erschien Daniele die zerbrechliche Frau alles andere als das, auch nicht mehr wirklich alt, jedoch ziemlich determiniert. Doch was auch immer sie sich vorstellte, als sie versuchte, ihn in ihre Wohnung zu bekommen, es blieb bei der Intention. Denn endlich setzte sich die Schlange der wartenden Autos in Bewegung, und Daniele dankte dem Schicksal, das ihm am heutigen Tag zum ersten Mal gnädig gestimmt war. Er rief dem Weiblein einen entschuldigenden Gruß zu, sprang in den Wagen und gab Gas, noch bevor die Fahrzeugtür ins Schloss fiel. Im Rückspiegel erkannte er das enttäuschte Gesicht, mit dem sie ihm nachsah.
Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Ein Weibsbild, das seine Großmutter sein konnte und ihn anhimmelte wie eines der pubertierenden Mädchen, die aussahen wie Klone von Victoria Justice, Ariana Grande oder Paris Hilton und seine Kurse besuchten.
Nicht nur, dass er seit fünf Tagen in Verona war, weil Franco ihn dazu verdonnert und er diesmal einfach keine schwerwiegenden Gegenargumente gefunden hatte. Sein Bruder hatte alles widerlegt, was er hervorbrachte. Der nächste Triathlon fand erst in einem halben Jahr statt, und ob er in Bologna oder Verona trainierte, war egal. Die administrativen Aufgaben, die er innerhalb des Unternehmens hatte, konnte er von überall aus wahrnehmen, war doch sein Bruder auf Danieles ausdrücklichen Wunsch hin der Ansprechpartner für Geschäftspartner, Banken und die Medien. Außerdem sprach er immer wieder davon, wie sehr er den Smog und den Nebel seiner Heimatstadt hasste, vor allem jetzt, wo der Herbst unmittelbar vor der Tür stand. Und als Trainer arbeitete er sowieso nur zum Ausgleich für seine sitzende Tätigkeit, tat es mit mehr Hass als Liebe und nahm zudem jemandem den Job weg, der mit dem Verdienst möglicherweise eine vierköpfige Familie ernähren konnte. Und genau das war der ausschlaggebende Punkt gewesen, an dem er eingeknickt war und nachgegeben hatte. Tatsächlich gab es eine Liste von Fitnesstrainern, die mit Freude eine Stelle in einem der vielen Fitnesscenter von AvVentura in Italien einnehmen würden. Außerdem gingen ihm vor allem die neu eingeführten Piloxing-Sessions in letzter Zeit ziemlich auf die Nerven. Erstens schienen zu seinen Terminen sämtliche Männer zu verschwinden, und er erkannte bei jedem Blick in die spiegelverkleidete Wand, dass die anwesenden Frauen, egal welchen Alters, nur auf seinen Hintern starrten. Kam er durch die Tür in den Saal, stand immer zumindest eine dort, die ihn wie zufällig streifte, und mehr als einmal war der berührte Körperteil sein bestes Stück gewesen. Wahrscheinlich hatte er auch deshalb immer wieder Cinzias Drängen nachgegeben, mit deren Vater, einem Sportartikelhersteller, sein Bruder in enger Geschäftsverbindung stand. Im Laufe des Sommers war aus dem flüchtigen One-Night-Stand ein Hin-und-wieder-Stand geworden. Dass diese Geschichte mittlerweile innerhalb des AvVentura-City-Centers und darüber hinaus bekannt war, empfand er jedoch nicht unbedingt als angenehm, und so hatte er Franco nachgegeben.
Die möblierte Wohnung, die sein Halbbruder durch ein Maklerbüro angemietet hatte, noch bevor er der Mission zustimmte, befand sich unweit des Stadtzentrums von Verona, dabei hasste Daniele nichts mehr als Asphalt, Beton und Menschenmassen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sich ein kleines Haus nordwestlich der Provinzhauptstadt gemietet, irgendwo zwischen den Weinbergen von Valpolicella und Bardolino, vielleicht sogar mit Blick auf den Gardasee. An einem abgelegenen, ruhigen Ort, wo man am Morgen vom Gezwitscher der Vögel geweckt wurde und noch vor dem Frühstück über Waldwege joggen konnte. Stattdessen hatte ihn heute der Krach des Müllwagens aus dem Schlaf gerissen, da das Apartment straßenseitig lag und er als Frischluftfanatiker einfach nicht bei geschlossenen Fenstern schlafen konnte. Das war um fünf Uhr gewesen, und nachdem er sich noch zehn Minuten vergeblich damit abgemüht hatte, wieder einzuschlafen, war er missmutig aufgestanden. Er hatte seinen Morgenlauf bereits zum vierten Mal auf den geteerten Gehwegen des Viertels absolviert, wo er unzähligen Mülltonnen ausweichen und die Abgase der vorbeifahrenden Fahrzeuge inhalieren musste.
Währenddessen hatte er zum wiederholten Male Franco verflucht, der ihn immer noch wie einen kleinen grünen Jungen behandelte, obwohl er bereits dreiunddreißig Jahre alt war. Sie waren Halbbrüder und so unterschiedlich, wie zwei Menschen nur sein konnten. Als Francos Vater starb, war dieser sechs Jahre alt gewesen und hatte unheimlich unter dem Verlust gelitten. Doch zwei Jahre später trat ein neuer Mann in sein Leben, heiratete seine Mutter und liebte ihn vom ersten Moment an wie einen eigenen Sohn. Der kleine Bruder, der nur wenige Tage nach seinem neunten Geburtstag zur Welt kam, war ihm von Anfang an ein Dorn im Auge. Zuerst war es die Angst, dem Stiefvater nicht so viel wert zu sein wie der Kleine, der sein echter Sohn war, und Jahre später, als schon längst klar war, dass Signor Barbieri zwischen den beiden Jungen absolut keinen Unterschied machte, war es die Natur, die sich einmischte:
Daniele war einen Meter neunundachtzig groß, gut gebaut, hatte ein angenehmes Wesen, war rundum beliebt und konnte seine gesamte Freizeit mit Sport verbringen, da ihm alles zuflog und er auch ohne zu lernen beste Noten errang. Franco blieb hingegen zehn Zentimeter unter der Größe seines Bruders stehen, lernte Tag und Nacht verbissen, um gute Resultate zu bringen, und hasste aktiven Sport so sehr, wie er passiven liebte, was man ihm auch ansah. Sein Körper war untersetzt und schwabbelig, die Hände stets schweißnass, weshalb er ständig ein Stofftaschentuch mit handgesticktem Monogramm zwischen den Fingern drehte. Am Tag, an dem Franco das Studium der Wirtschaftswissenschaften abschloss, war er der einzige der Mittzwanziger, der am Oberkopf kahl war und einen matschbraunen Haarkranz aufweisen konnte, der seinem sowieso schon rundlichen Gesicht noch mehr Fülle verlieh. Zum Ausgleich erhielt aber von allen Studienabgängern nur er eine Auszeichnung und gründete noch im gleichen Jahr das erste Fitnesscenter in Bologna. Das Geld dafür hatten er und Daniele nach dem Tod des mütterlichen Großvaters geerbt. Damals war er noch auf dem Gymnasium und nicht volljährig, vertraute jedoch bereits voll auf die unternehmerischen Fähigkeiten seines großen Bruders. Er wollte auch, dass das Unternehmen AvVentura hieß. Ventura war Francos Nachname, den er zum Andenken an seinen viel zu früh verstorbenen Vater auch nach der Heirat seiner Mutter mit Signor Barbieri, der ihn adoptiert hatte, weiterführte. Kombiniert mit den beiden vorangestellten Buchstaben Av, entstand das Wort AvVentura, was auf Italienisch Abenteuer bedeutet. Einen besseren Namen für ein Fitnesscenter konnte man sich kaum wünschen, meinte Daniele damals, und ihre Mutter stimmte zu. Sie sah in diesem Schritt die beste Möglichkeit, um die beiden unterschiedlichen Söhne einander näherzubringen, und gab den Betrag frei, den sie für den Minderjährigen verwaltete. Und Franco machte seine Sache gut. Mehr noch. Innerhalb von drei Jahren besaßen sie bereits vier Fitnesscenter in ihrer Region, der Emilia-Romagna, und eines in Rom. In dem Jahr, in dem Daniele das Studium der Sportwissenschaften abschloss, das war sieben Jahre nach der Eröffnung des ersten Standorts, hatten sie sich bis nach Neapel, Venedig, Mailand und Genua ausgedehnt. Das alles war Francos Verdienst, der zwar kein bewegungsfreudiger Mensch, sondern ein Schreibtisch-Potatoe war, wie ihn seine Mutter nannte, jedoch ein sehr bewegliches Gehirn sein Eigen nannte. Obwohl die unterschwellige Eifersucht des Größeren für das unverschämt gute Aussehen des Jüngeren immer wieder an die Oberfläche trat, hatten sie in den vergangenen zehn Jahren, seitdem auch Daniele aktiv in das Unternehmen eingestiegen war, die nahezu perfekte Art der Zusammenarbeit gefunden und waren mittlerweile mit AvVentura auf dem gesamten Staatsgebiet vertreten. Die einzige Stadt mit mehr als einhunderttausend Einwohnern, die ihnen noch fehlte, war Verona, wo es seit Jahren keine freien Lizenzen für Fitnesscenter gab. Offenbar schauten die Veroneser auf ihre Körper, weshalb die Unternehmer der Fitnessbranche alle gut verdienten, also hatte Franco zum zuständigen Beamten der Stadt an der Etsch Kontakt aufgenommen. Stundenlange Telefongespräche waren einem persönlichen Treffen in einem Luxusrestaurant vorausgegangen, an dessen Ende die beiden Männer zwar volle Bäuche hatten, die Antwort jedoch immer noch die gleiche war. »Nichts zu machen!«
Und so hatte Franco Ventura, der nicht nur dem Namen nach, sondern auch als Geschäftsmann ein Abenteurer war, einen Plan gefasst, den nun sein Bruder umsetzen sollte. Der sollte in Verona heimisch werden und den Feind ausspionieren. Es ging darum, Fakten vor Ort zu beschaffen, die Schwachstelle des Unternehmens zu finden, kleine Probleme zu provozieren, diese eventuell an die Behörden zu melden, kurz gesagt - es sich als unerkannter Störfaktor, gleich einem Kuckuck, im fremden Nest gemütlich zu machen. Was Franco in wenigen Sätzen umriss und in einem Memorandum schriftlich festgelegt hatte, fiel Daniele jedoch unheimlich schwer. Er war ein grundlegend korrekter Mensch, geradlinig und vertrauenswürdig, eben der typische Naturmensch, der komplexen Strategien das In-die-Augen-Sehen und mit Handschlag besiegelte Abmachungen vorzog. Und so hatte er die letzten Tage seit seiner Ankunft damit verbracht, der perfekt möblierten, aber sterilen Wohnung seinen persönlichen Touch aufzudrücken. Er hatte die Kartons mit seinen Sachen ausgeräumt, die aus Bologna angeliefert worden waren, den Kühlschrank gefüllt, die nähere und weitere Umgebung der Unterkunft zu Fuß und mit dem Auto erkundet und den gestrigen Tag endlich auf den Hügeln bei Sant’Ambrogio di Valpolicella verbracht. Nach vier Stunden auf dem Fahrrad hatte er dieses wieder auf den Jeep gepackt und war in einem Weingut eingekehrt. Auf der Terrasse sitzend hatte er den Blick über die darunterliegende Stadt schweifen lassen, in der er so rasch wie möglich seine Mission abschließen sollte. Das Fitness- und Wellnesscenter Oasi di Giulia, das seinen Namen sicherlich dem unweit vom Standort gelegenen Haus von Shakespeares Giulia verdankte, war eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und drei Teilhabern. Eine davon, eine Ausländerin mit einem unaussprechlichen Namen, war als Geschäftsführerin eingetragen. Das vor sechzehn Jahren gegründete Unternehmen war solide und steigerte den Umsatz sowie den damit einhergehenden Gewinn jedes Jahr. Sonst wusste er nichts, doch allein die Vorstellung, jemandem willentlich zu schaden, um ihm dann, wenn er auf der Erde lag, ein unwiderstehliches Kaufangebot zu machen, bereitete ihm schlaflose Nächte.
Und so hatte er gestern am Abend, als er mit einer Flasche Valpolicella unter dem Arm heimkehrte, diese geköpft, zwei Gläser lang gegrübelt und gehadert und schließlich beschlossen, Franco heute mitzuteilen, dass er diese Sache nicht machen würde. Danach wollte er sich auf den Weg in die Stadtverwaltung begeben und mit diesem Beamten reden, der für die Vergabe der Lizenzen zuständig war. Nach der sicherlich negativen Antwort seinen Wunsch betreffend, würde er sich logischerweise an den Politiker wenden, der ihm helfen konnte, und dessen Preis in Erfahrung bringen. In Italien funktionierte vieles auf diese Art. Die meisten Menschen in öffentlichen Ämtern waren käuflich, und sein Bruder war es gewohnt, mit diesen zu verhandeln. Sollte Franco sich aus dem Fenster lehnen, wenn er unbedingt in Verona Fuß fassen wollte. Er würde es nicht tun!
Das war am gestrigen Abend gewesen, bevor er zu Bett ging, vom Müllwagen geweckt wurde und seinen Morgenlauf zwischen stinkenden Abgasen auf Asphalt absolvierte. Am Kiosk hatte er eine Zeitung gekauft, war hinaufgelaufen in den fünften Stock und im dritten auf etwas ausgerutscht, das sich als Öl herausstellte, das wohl aus einem vor einer Wohnungstür abgestellten Müllsack getropft war. Humpelnd, da er sich den Fuß verstaucht hatte, war er endlich oben angekommen. Als er aufsperrte, klingelte sein Handy, und anstatt zu duschen und sich um den Knöchel zu kümmern, hatte er geantwortet und sich Cinzias Schimpftirade angehört.
Erst am Vorabend, als sie ihr Work-out im AvVentura absolvierte, hatte sie erfahren, dass er nicht nur ein paar Tage, sondern wahrscheinlich einige Monate nicht mehr nach Bologna kommen würde. Sie hatte ihn als selbstgefälligen Neandertaler bezeichnet und ihm gesagt, dass er sich ihr gegenüber nicht so verhalten könne. Erst aus ihrem gepfefferten und anhaltenden Monolog hatte er Kenntnis erhalten, dass sie beide verlobt waren und Cinzia mit ihrer Mutter bereits beschlossen hatte, mit der Suche nach der richtigen Kirche und dem perfekten Ort für den Hochzeitsempfang zu beginnen. Das Krächzen, das seiner Kehle entkommen war, hatte sie wohl nicht gehört, denn sie sprach weiter, sehr wohl jedoch sein »Ich will dich nie wieder sehen«. Danach hatte Daniele aufgelegt, eine Moka mit Wasser und Kaffeepulver gefüllt und auf den Herd gestellt und war ins Badezimmer gegangen, um zu duschen. Er seifte sich ein, massierte den verstauchten Knöchel, ließ minutenlang kaltes Wasser darüberfließen. Erst als er sich besser fühlte, stieß er die Duschtür auf und roch den entsetzlichen Gestank, der eindeutig aus seiner Wohnung stammte. Die Moka hatte den Kaffee ausgespuckt, der natürlich zu kochen begann, da niemand dem Herd Einhalt gebot. Und so blubberte das Getränk heraus, stieß mit unanständigen Geräuschen den metallenen Deckel immer wieder nach oben, verdreckte die halbe Küche und bescherte ihm eine Riesensauerei. Als er endlich wieder halbwegs Ordnung geschaffen hatte, war die Moka so weit abgekühlt, dass er einen frischen Kaffee hinstellen konnte, nur schmeckte der dann erbärmlich. Und das war der Punkt, an dem sein Geduldsfaden riss.
Basta! Schluss! Aus! Ende! Diese Wohnung und diese Stadt waren sein Untergang! Er musste diesen Umstand, der ihm das Leben vermieste, ändern - und zwar so rasch wie möglich!
Weshalb er Franco nicht anrief und ihm somit kein Wort von all dem sagte, was er sich am Vorabend zurechtgelegt hatte. Was interessierten ihn diese Besitzer eines Fitnesscenters, die er gar nicht kannte, in einer Stadt, die ihm nichts bedeutete? Er würde den Plan seines Bruders durchziehen, die Oasi di Giulia so rasch wie möglich in Misskredit bringen und diesen Leuten das Kaufangebot auf den Tisch knallen, wenn sie am Boden lagen. Das konnte er in kurzer Zeit erreichen, falls er es geschickt anstellte, ganz im Gegensatz zu einer langwierigen Umgarnungsaktion von Bürokraten und Politikern, die womöglich erst in einem Jahr eine Lizenz herausrücken würden. Wobei das absolut nicht sicher war, denn die Schmiergeld-Mühlen mahlten langsam. Man wusste nicht, wie viele Rädchen man schmieren musste, um ans Ziel zu gelangen, und schon gar nicht, ob man alle ölen konnte. Das war alles viel zu zeitaufwendig und unsicher. In der Zwischenzeit würde er zwischen Asphalt, Müll und Lärm absterben wie ein Baum in der Wüste. Niemals! Ein Daniele Barbieri ließ sich nicht unterkriegen! Er würde Nägel mit Köpfen machen und diesen mit einem Fluch belegten Ort so schnell wie möglich wieder verlassen!
Und so saß er nun in seinem Jeep und fuhr zu diesem Fitnesscenter, um sich als ganz normaler Kunde anzumelden. Er hatte bewusst den Vormittag gewählt, da das Personal mehr auf neue Klienten eingehen konnte als während des feierabendlichen Ansturms. Nur hatte er nicht mit diesem irrsinnigen Verkehr in der Innenstadt gerechnet, der seine Nerven strapazierte. Nach dem Zwischenfall mit der alten Dame von vorhin war er jedoch froh, dass es endlich, wenn auch langsam, voranging.
Das Navi brachte ihn sicher zur eingegebenen Adresse, und er sah ein großes schwarzes Schild. Ein königsblaues Logo, das aus zwei ineinander verschlungenen Gs bestand, wies auf einen Kundenparkplatz für die Klienten der Oasi di Giulia hin. Er war beeindruckt, als er las, dass Kunden des Fitnesscenters an der Rezeption einen Ausfahrtsjeton erhielten, und drückte den Knopf, um ein Ticket zu ziehen. Er fuhr unter der sich öffnenden Schranke hindurch. Verwundert stellte er fest, dass hier mindestens zwanzig Fahrzeuge Platz fanden. Ein solcher Parkplatz war in der engen Innenstadt absoluter Luxus. Daniele parkte ein, griff nach der Sporttasche und schloss den Wagen.
Er wusste selbst nicht genau, was er erwartet hatte, aber Giulias Oase war kein einfaches Fitnesscenter. Bereits von außen konnte man erkennen, dass hier zwei nebeneinanderliegende Altbauten innen zu einem einzigen zusammengelegt worden waren. Die Oasi di Giulia erstreckte sich über drei Stockwerke, und das Licht, das aus den hoch angebrachten Fenstern des Kellergeschosses drang, deutete darauf hin, dass auch dieses genutzt wurde. Daniele betrachtete das perfekte Zusammenspiel alter Bausubstanz mit modernen Elementen wie Glas und Metall, als die innere doppelte Glastür lautlos zur Seite glitt. Vor ihm lag ein Rezeptionstresen, an den an einer Seite eine Bar anschloss. Hinter einer Glaswand konnte er in einen großen Raum für Kardiofitness sehen. Er blieb stehen und warf einen interessierten Blick auf die Geräte, als er im Augenwinkel eine Bewegung bemerkte und den Blick nach links wandte.
Sie musste knapp einen Meter achtzig groß sein, hatte flachsblondes Haar, das sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden hatte, und ihre Figur war schlichtweg atemberaubend. Wahrscheinlich ein Model, dachte er. Das enge schwarze Dress, bestehend aus Hosen und einem ärmellosen Shirt, zeigte die Perfektion schlechthin. Danieles Blick glitt von den muskulösen Armen über den Rücken und den wohlgeformten knackigen Po, notierte gedanklich die weibliche Linie der Hüften, landete auf den endlos langen Beinen, als sie sich umdrehte. Er sah auf und hielt den Atem an. Das war kein junges, unbedarftes Mädchen, sondern eine echte Frau! Ihre strahlend blauen Augen lächelten ihm zu, sie hob die Mundwinkel an, links und rechts davon vertieften sich zwei Grübchen, und es war um ihn geschehen. Er wollte die Tasche fallen lassen, sie in den Arm nehmen und mit dem Zeigefinger den perfekt geschwungenen Mund nachzeichnen, bevor er ihn mit seinen Lippen kostete. Doch sie unterbrach ihn mit einer Frage.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Daher tat er nichts von dem, was er wollte, sondern ging mit ausgestreckter Hand auf sie zu. Sie schlug ein, und ein Kribbeln traf seine Handinnenfläche, bevor es sich langsam in seinem Körper ausbreitete und ihn zum Glühen brachte.
»Da... Daniele Barbieri«, stotterte er. »Ich bin neu in Verona, wollte mich einschreiben.«
»Dann sind Sie bei mir genau richtig«, antwortete sie. »Ich bin Giulia Gudmundsdottir, die Geschäftsführerin. Herzlich willkommen in der Oasi di Giulia!«
Er ließ ihre Hand los, als ob er sich verbrannt hätte, was ja irgendwie auch der Fall war, und starrte sie an.
Sie war der Feind!
Die Frau, die er um ihr Unternehmen erleichtern musste, damit er diese Stadt wieder verlassen konnte!