Читать книгу WAITING LIST - Lisa Winter - Страница 7
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Berlin – ein Jahr vorher
Carl war frustriert und müde. Obwohl er noch zwei Stunden im Dienst zu verbringen hatte, meldete er sich bei seinem Team ab.
„Ist gut Chef, war wohl heute sehr anstrengend für Sie. Gehen Sie, wir halten die Stellung“, sagt seine Kollegin Silvia vom Kommissariat 5314 Berlin. Sie ist Polizeiobermeisterin und wurde Carl unterstellt.
Carl ist 51 Jahre alt und fühlt sich heute wie 100 Jahre.
„Ja, war ein harter Tag für mich. Nach dem Gespräch mit unserer leitenden Medizinaldirektorin Frau Specht ist für mich der heutige Tag gelaufen.“
„Was hat denn der Polizeipräsident zu Ihrem Einsatz gesagt?“.
„Er war sehr diplomatisch. Er hatte sich alles angehört und will sich später noch einmal mit mir persönlich unterhalten, wenn er sich genau über den Sachverhalt erkundigt hat“.
I`s gut Chef, gehen Sie. Falls wir Sie dringend brauchen, rufen wir an. Gute Nacht und Gruß an Kerstin. Wie geht es ihr denn?“
„Sie ist durch ihre Lungenkrankheit noch etwas geschwächt. Sie hat sich an eine Heilpraktikerin gewandt, von der sie sich verspricht, dass sie ihr helfen wird. Wenn sie nur mal eine Nacht ohne zu Husten durchschlafen könnte, wäre schön. Doch die Ärzte von der Klinik haben wohl keine gute Genesungsempfehlungen für sie, außer Abgabe von Kortisontabletten .“
„Tut mir leid Chef“, Sylvia wandte sich wieder ihrem Computer zu.
Während der Heimfahrt in seinem Dienstwagen dachte Carl über seinen aktuellen Fall nach und die damit verbundenen Ereignisse.
Wieder war ein Mord geschehen. Ein Kind wurde auf dem Schulweg entführt. Nach einigen Tagen voller Hoffnung und Bangen der Eltern fand eine Rentnerin, während sie ihren Hund ausführte, die Leiche des kleinen Mädchens. Während der Obduktion stellte man fest, dass die Täter sämtliche inneren Organe des Kindes entfernt hatten und das narkotisierte Kind auf eine unbewohnte Feldfläche abgelegt hatten, worauf es starb. Ein dringend Tatverdächtiger konnte festgenomen werden.
Carls Ermittlungen hatten ergeben, dass die Entführer weltweit, durch organisierten Organhandel, Millionen verdienten und der Verhaftete einer von ihnen war. Es fehlten jedoch die Beweise.
Carl und seine Frau Kerstin hatten sich Kinder gewünscht. Doch Kerstin litt an einem Lungen-Emphysem, was ihr nicht gestattete schwanger zu werden. Trotz vielen Behandlungsversuchen konnte ihr kein Arzt helfen. Dazu kam, dass sie schon 42 Jahre alt war. Ihr gesundheitlicher Zustand verschlimmerte sich monatlich. Selbst Lungenspeziallisten waren ratlos und verschrieben ihr in hohen Dosen Cortison, um die körperlichen Einschränkungen etwas zu lindern. Sie war nicht bettlägerig, doch dermaßen eingeschränkt, dass sie ihrem Beruf als Journalistin nicht mehr nachgehen konnte.
Wenn sie sich gut fühlte, schrieb sie Kolumnen für die Tageszeitung. Das beschäftigte sie und ließ sie für ein paar Stunden von ihre Krankheit ablenken.
Sie lag auf dem Sofa und schaute sich eine Kultursendung über Afrika im Fernsehen an.
„Hallo Liebes, wieso bist du so früh da? Sonst kommst du vor 9 Uhr nie nach hause?“ fragte Kerstin, als Carl das Wohnzimmer betrat und ihr einen Kuss auf die Wange gab.
„Ich hab uns vom Thai etwas Sushi mitgebracht. Hoffentlich ist das das Richtige für heute Abend. Ich war etwas müde. Dazu kam, dass ich ein unschönes Gespräch mit unserer Medizinaldirektorin Frau Specht hatte.“
„Weswegen? Was war denn vorgefallen“, fragt Kerstin.
„Wegen dem mutmaßlichen Kindermörder, der wahrscheinlich morgen freigelassen werden soll. Ich bin sicher, dass der Verdächtige mit dem Fall zu tun hat, und dass hinter diesen schlimmen Morden eine organisierte Verbrecherbande steckt.“ Kerstin lag immer noch auf dem Sofa und zog sich ihre Wolldecke hoch. „Beim Verhör hatte ich bei diesem Verdächtigen etwas zu hart zugelangt. Verstehe bitte Kerstin, er hatte mich während des Verhörs mit seinem Grinsen und seinen abfälligen Bemerkungen über die Opfer ... Kerstin, es waren Kinder! ... zur Weißglut gebracht. So als wollte er mich mit Absicht provozieren. Da bin ich ausgerastet und hab ihn am Kragen geschüttelt. Und als er mich als bürokratisches Arschloch beschimpfte, hatte ich ihm Eine gelangt. Nun habe ich eine Klage wegen Körperverletzung eines Verdächtigen am Hals, und wenn ich Pech habe, droht mir, bis nach der amtlichen Klärung der Angelegenheit, die Suspendierung .“
„Schatz, die Idee mit dem Sushi war großartig. Im Kühlschrank liegt noch eine eiskalte Flasche Wein, den trinken wir dazu. Geh duschen, ich richte uns alles her und dann können wir weiterreden“.
Kerstin schlug ihre Decke auf, stand vom Sofa auf, um sich etwas Nettes anzuziehen. Als sie in ihrer Ankleide stand und in den Spiegel schaute, dachte sie:
„Ich kann mich nicht hängen lassen. Carl braucht mich. Ich muss einen Weg finden, wieder die Alte zu werden, die ich war, als Carl sich in mich verliebte.“
Sie trug ein leichtes Make-up auf und schminkte ihre Lippen, bevor sie den Tisch deckte.
Als Carl aus dem Badezimmer trat bemerkte er, dass der Fernseher im Wohnzimmer lief. Im Bademantel setzte er sich in seinen Fernsehsessel und verfolgte interessiert die Reportage über sein Traumland Südafrika. Doch während dieser Sendung wurde nicht, wie in anderen Reportagen, über die faszinierende afrikanische Tierwelt, Urlaubsgefühle in der Kap Region oder Baden im Indischen Ozean berichtet, sondern von den Probleme der schwarzen Bevölkerung, die nach dem Tod des ersten schwarzen Präsident Nelson Mandela immer noch arm ist und unzufriedener wird, da sich nach der Apartheid, in einem neuen Südafrika, die Hoffnungen nicht erfüllten .
„Kerstin, komm her und schau dir das an. Südafrika, ehemals optimistisch von Mandela das Regenbogenland genannt, wird von unfähigen, korrupten Menschen regiert und geht langsam den Bach runter. Du weißt doch, dass ich nach meiner Pension, mir immer gewünscht hatte, dort unseren Lebensabend zu verbringen.“
„Ja, ich habe bevor du kamst den Fernseher eingeschaltet, da ich dachte, unseren nächsten Urlaub dort zu verbringen. Am Indischen Ozean soll das Klima sehr angenehm sein und meine Heilpraktikerin meinte, dass mir reine Luft am Meer gut täte und mir helfen könnte, wieder gesund zu werden.“
Carl ging in sein Arbeitszimmer. Kerstin deckte den Tisch und rief zu ihm:
„Wenn du dich bequem angezogen hast und wir gegessen haben, können wir ja mal im Internet surfen und unseren nächsten Urlaub planen. Was hältst du davon?“
„Ich werde abwarten, was sich im Kommissariat ergibt und falls man mich vom Fall abzieht, werde ich meinen Urlaub einreichen. Und dann ab nach Südafrika, wo die Löwen brüllen. Ich sehe uns in Gedanken schon im Busch am Lagerfeuer sitzen und im Hintergrund kichern die Hyänen.“
„Das wird uns einiges kosten“, meinte sie.
„Egal, koste es was es wolle, wir haben es uns verdient.“
Carl verteilte den letzten Rest aus der Weinflasche auf ihre Gläser. Kerstin trank einen Schluck, beugte sich vor Carl und nahm ihm sein Glas ab. Sanft legte sie ihre Hand auf seinen Nacken.
„Könntest du dir vorstellen, dass ich deinen Körper verdiene, wenn du ausgetrunken hast?“
„Morgen Chef, Frau Specht bat mich Ihnen auszurichten, dass Sie um 9 Uhr zu einem Gespräch in ihrem Büro erscheinen sollen.“
Sylvia füllte frisch gebrühten Kaffee in eine Tasse.
„Auch eine Tasse? Oder haben Sie schon gefrühstückt?“
Carl hatte während der Fahrt zum Kommissariat schon geahnt, dass man schnelle Entscheidungen treffen würde, inwieweit er weiter über die Morde der Kinder ermitteln sollte.
„Ja, ich habe schon gefrühstückt. Ich geh zu Frau Specht. Danach werde ich einen Kaffee brauchen können, Danke Sylvia.“
Er nahm die Akte „Illegaler Organhandel“, unter den Arm und war auf alles gefasst.
Auf dem Weg zu Frau Specht begegnete ihm auf dem Flur der Staatsanwalt. Er schien aus dem Zimmer von Frau Specht gekommen zu sein. Er grüßte kurz und vermied ein Gespräch mit Carl. Carl klopfte an und trat vor Frau Specht.
„Kommen Sie Herr Braun und setzen Sie sich. Ich will es kurz machen. Ich hatte gerade ein Gespräch mit dem Staatsanwalt. Wir sind beide der Meinung, dass wir Sie von dem Fall abziehen sollten. Unseres Erachtens sind Sie bei diesen Morden nicht objektiv und beherrscht genug. Außerdem hat sich Interpol eingeschaltet. Internationaler Fall. Die hätten Sie sowieso von dem Fall entbunden. Sie hatten schon lange keinen Urlaub gemacht.“
„Ja“, antwortete Carl. „Schon seit 14 Monaten.“
„Wir wissen, dass Sie persönliche Sorgen wegen ihrer kranken Frau haben. Deshalb schlagen wir Ihnen vor, dass Sie bezahlten Urlaub für unbestimmte Zeit nehmen. Was denken Sie?“
In Carls Kopf wirbelten seine Gedanken. Einmal soll ihm alles, was er recherchiert hatte, weggenommen werden, dann wird mangels Beweise der vermeintliche Täter freigelassen und er wird in Urlaub geschickt, damit ein anderer unvoreingenommen ermitteln konnte? War das fair?
Er zögerte mit der Antwort. Dann fiel ihm ein, wie enthusiastisch sie am vorherigen Abend im Internet über Südafrika gelesen hatten. Das wäre doch die Gelegenheit! Warum nicht jetzt? Sollen sich doch andere die Köpfe heiß machen. Dieser Fall ging ihm tatsächlich an die Nerven und er brauchte tatsächlich etwas Abstand von kriminellen Menschen und Mördern. Jedesmal, wenn er einen Fall gelöste hatte, war er wie gerädert. Er brauchte wirklich Abstand und Ruhe. Auch Kerstin braucht dringend diesen Urlaub, das wusste er.
„Ja, ich bin einverstanden. Ich dachte, dass ich erst mal für vier Wochen mit meiner Frau nach Südafrika fliegen werde. Wie sieht denn die Besoldung während dieser Zeit für mich aus?“
Frau Specht schien überrascht, dass Carl ohne Widerrede ihren Vorschlag akzeptierte.
„Selbstverständlich erhalten Sie die gleiche Besoldung während Ihres Urlaubes. Das werde ich für Sie aushandeln. Verlassen Sie sich auf mich. Verstehen Sie mich bitte richtig. Mir geht dieser Fall auch sehr nahe. Diese armen Kinder und ihre Angehörigen. Doch wir sind in einem Rechtsstaat verpflichtet, dass auch mit überführten Mördern menschlich umgegangen wird.“
Carls Stirn legte sich in Falten, während er sagte:
„Liebe Frau Medizinaldirektorin, danke für Ihr Verständnis. Ich wünsche Ihnen nicht, dass Sie in die kalten Augen eines brutalen Kindermörders schauen müssen und er Sie beleidigt, ja sogar auslacht, weil Sie für seine Opfer Mitgefühl aufbringen. Ab wann kann ich meinen Urlaub antreten?“