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Das Fohlen

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Mit einem ärgerlichen Stoß kippte ich die letzte Karre auf den Misthaufen. Ich war es einfach leid, jeden Tag zeitig aufzustehen, um die schmutzigen Boxen zu säubern. Ich konnte den Stall und die Pferde nicht mehr sehen …

Die Pferde …? Ich mußte mich auf einen Heuhaufen setzen und darüber nachdenken. Was war eigentlich mit mir in der letzten Zeit los? Genaugenommen hatte ich wirklich keinen Grund, unzufrieden zu sein. Durch die offenstehende Stalltür konnte ich mein Pony Silber sehen. Munter sprang es mit den Fohlen vom letzten Herbst auf der Weide herum. Ich merkte an seinen Spielen und Sprüngen, wie gut es ihm ging. Es mußte wohl an mir selbst liegen. Vielleicht fühlte ich mich nur nicht gut und sah alles grau in grau.

Wenn doch irgend etwas Schönes geschehen würde, dachte ich mit einem tiefen Seufzer. Dann ging ich wieder an meine Arbeit und legte die Boxen mit frischem Stroh aus. Der Stall war leer, bis auf eine Box. Ich hatte die Stuten und die Jungpferde schon zeitig morgens auf die Weide hinausgelassen. Nun stand nur noch der kohlrabenschwarze Hengst, Görans neueste Erwerbung, in seiner Box. Aber der Hengst war ruhig, er hatte eben erst einen Arm voll Heu bekommen. Nun mußte ich einen neuen Heuballen aufbinden. Es war nicht leicht, und ich machte mich mit einem erneuten Seufzer an die Arbeit. Im gleichen Augenblick hallten feste Tritte über den Boden des Stalles, und lehmverschmierte Stiefel tauchten auf. Sie gehörten einem grinsenden Mädchen, das ein dickes Pony hinter sich herzog.

„Hei, du!“ rief sie mir fröhlich zu.

„Hei, Titti!“ antwortete ich düster. „Solltest du um diese Zeit nicht in der Schule sein?“

„Nicht heute! Heute bin ich nämlich krank! Darf ich Isabella für kurze Zeit hier unterstellen?“ „Natürlich, ist doch klar. Übrigens, du siehst wirklich elend aus!“ antwortete ich spöttisch.

„Du kannst es mir glauben, ich habe fürchterliches Kopfweh. Dagegen hilft nichts so gut wie ein ordentlicher Ausritt.“

„Ordentlich mußt du schon geritten sein, wenn ich mir die Lehmspritzer so anschaue“, stellte ich fest. „Ihr beide seid völlig schmutzig.“

Titti führte ihr Pony in eine Box und sattelte es ab. Dann trat sie zu mir: „Was ist denn heute mit dir los? Warum bist du so sauer?“

„Ach, ich weiß es selbst nicht! Vielleicht bin ich nur müde, ich blieb gestern zu lange auf. Ich habe Fotos von Gazelle in mein Album geklebt und gar nicht bemerkt, wie spät es wurde.“

„Du hast Fotos von Gazelle? Die muß ich sehen!“

„Gern, aber später. Ich habe Gazelle letzten Samstag geknipst, als ich bei Madde war. Sie hat schon einen recht runden Bauch …“

„Wer?-Madde?“

Ich mußte wirklich lachen! Und plötzlich hatte ich meine gute Laune wiedergefunden. „Aber, Titti, ich meine natürlich Gazelle!“

„Natürlich, sie soll ja in ein paar Wochen fohlen! Aufregend!“

„Ja, sehr aufregend! Madde und ich träumen ja schon seit einem Jahr von diesem Fohlen. Und jetzt wird es endlich wahr! Stell dir doch vor, ein eigenes Fohlen, mein Fohlen wird es sein! Aber du, soll Isabella nicht auch in diesem Jahr fohlen?“

Titti schüttelte den Kopf.

„Sie sollte – das stimmt! Aber leider wurde sie nicht trächtig. Der Tierarzt behauptet, sie sei zu fett. Frech, nicht? Aber vermutlich hat er recht. Nun versuche ich, sie ein wenig hungern zu lassen.“

„Na, dann sei einmal tüchtig und konsequent“, neckte ich sie. „Allerdings kann man bis jetzt noch keinen Erfolg feststellen.“

„Na, und was ist mit Silber?“ erwiderte Titti. „Er ist ja auch nicht gerade mager zu nennen!“

„Also haben wir uns beide nichts vorzuwerfen. Jede von uns hat ein richtiges Dickerchen als Pony!“ stellte ich lächelnd fest. „Aber es ist Zeit für das zweite Frühstück“, sagte ich nach einem Blick auf meine Uhr. „Kommst du mit ins Haus?“

Göran und ein paar Männer, die bei ihm auf dem Hof arbeiteten, saßen schon um den Küchentisch. Karin, seine Frau, hatte eine nette rot-grün karierte Decke aufgelegt und war eben dabei, Kaffee einzugießen. Wie üblich, hörten wir schon von weitem Görans tiefes Lachen. Am Tisch war ein lebhaftes Gespräch im Gange, es wurde über landwirtschaftliche Maschinen und über den neu erworbenen Traber debattiert.

„Madeleine hat eben angerufen“, sagte Karin. Dann wandte sie sich erstaunt an ihre Nichte: „Sieh mal an – Titti! Wieso hast du heute keine Schule?“ Aber ehe Titti antworten konnte, fuhr Karin fort: „Madeleine sagte, es sei wichtig! Du solltest sie gleich anrufen, wenn du kommst.“

„Ja, danke“, sagte ich und wurde plötzlich sehr unruhig. „Hat sie sonst nichts gesagt? Ist mit Gazelle am Ende etwas los?“

„Nein, sie sagte nichts. Aber ruf sie doch gleich an, das ist doch am besten.“

Ich ging in das kleine Büro neben der Küche und drehte die vertraute Nummer von Madeleine. Sie war meine Freundin und bewohnte mit ihrem Mann einen großen Gutshof, zehn Kilometer von Görans Hof entfernt. Dort im Stall stand die Halbblutstute Gazelle, die wir im vergangenen Jahr gemeinsam gekauft hatten.

Dreimal mußte ich es läuten lassen, bis endlich jemand abhob. Ganz aufgeregt rief ich ins Telefon: „Du wolltest mich sprechen?“

„Ja!“ rief Madeleine zurück. „Und rate, was geschehen ist!“

Ihre Stimme klang aufgeregt, aber so fröhlich, daß es nichts Schlimmes sein konnte. Ich blieb ganz still und wartete auf ihren Bericht.

„Britta hör! Kannst du nicht auf einen Sprung herüberkommen? Es ist … Gazelle hat nämlich heute nacht gefohlt …!“

Ich konnte es noch nicht fassen.

„Heute nacht?“ wiederholte ich nur. „Ist das wahr? Aber … sie sollte ja erst in zwei Wochen … Also du meinst es im Ernst? Sie hat gefohlt … ich meine, das Fohlen ist schon da?“ Als ich am anderen Ende der Leitung Madeleines Lachen hörte, kam ich endlich zu mir.

„Bist du denn gar nicht neugierig?“ fragte sie.

„Es kam so plötzlich“, stotterte ich. „Laß mir Zeit, es zu begreifen!“

Ich setzte mich in Görans Schreibtischsessel. Gazelle hatte also gefohlt! Ein Fohlen, das mir gehören sollte, mir ganz allein.

„Und wie ging alles? Wann passierte es genau? Und was ist es denn geworden, ein Stutenfohlen oder ein kleiner Hengst? Wie sieht es aus?“

„Oh, es ging alles tadellos! Wir haben ein kleines Stutenfohlen. Aber komm doch zu mir! Sieh es dir an!“

„Ich werde Göran bitten, ob er mir freigibt! Den Stall habe ich schon sauber und fertig. Oh! Ich bin so aufgeregt!“

Ich tanzte geradezu in die Küche hinein und hätte beinahe Karin umgestoßen.

„Verzeih, bitte!“ sagte ich völlig geistesabwesend. Dann ging ich an den Kaffeetisch und setzte mich.

„Du siehst aus, als wolltest du platzen“, stellte Titti fest. „Ist etwas Besonderes geschehen?“

„Nei-ein, gar nichts“, erwiderte ich langsam. „Nur – Gazelle hat heute nacht gefohlt!“

Göran sah auf.

„Sieh an, war es schon soweit?“ sagte er nur. Für ihn war es ganz natürlich, daß die Stuten im Frühjahr fohlten.

„Göran, hast du heute noch eine besondere Arbeit für mich, oder kann ich zu Madeleine reiten? Der Stall ist sauber und fertig. Ich verspreche dir, rechtzeitig zurückzukommen, um die Pferde heute abend in den Stall zu bringen.“

Göran war nett, wie immer.

„Hau nur ab“, sagte er. „Du könntest heute ja doch nichts Vernünftiges mehr tun …“

„Danke! Danke dir vielmals!“ antwortete ich glücklich. Gleich darauf rannte ich los, um Silber von der Weide zu holen. Er stand ganz ruhig in der äußersten Ecke. Aber als er mich sah, hob er neugierig den Kopf und spitzte die Ohren. Ich blieb beim Gattertor stehen und lockte ihn mit leiser Stimme:

„Silber! Mein kleiner Bursche – Silber! Komm her zu mir!“

Silber kam schnaubend herangebraust. Seine dunklen Augen leuchteten. Auszureiten war sein großes Vergnügen, und mir schien, er genoß unsere gemeinsamen Ritte ebensosehr wie ich.

Ich führte ihn in den Stall, und er wieherte fröhlich, als wir an Isabella vorbeikamen. Isabella aber antwortete recht unfreundlich, sie schlug mit ihren Hufen wild gegen die Wände der Box.

„Du hast wirklich ein gut erzogenes Pferd!“ neckte ich Titti. Dann holte ich eine harte Striegelbürste und bearbeitete Silber damit.

„Wie ist es, kommst du mit zu Madeleine?“ fragte ich Titti. Aber sie ließ den Kopf hängen.

„Ich tät es ja so gern“, antwortete sie, „aber das wird für Bella zuviel. Ich muß immer auf ihre schwachen Hinterbeine Rücksicht nehmen! Zu Madeleine und dann zu mir nach Hause – das sind mehr als zwanzig Kilometer, und das schafft sie einfach nicht.“

Ich zog Silbers Sattelgurt an, um ihn bei dem gewohnten Loch einzuhaken, aber ich schaffte es kaum.

„Du könntest aber auch etwas gegen seinen kleinen Kugelbauch tun!“ stellte Titti kritisch fest.

„Ach was, er ist genau richtig, so wie er eben ist! So, und nun reite ich“, verkündigte ich glücklich und bemühte mich, Silber zum Stillstehen zu bringen, während ich aufsaß. „Hei! Lebwohl!“

„Hei! Und grüße das Fohlen!“

Noch nie ist mir der Weg zu Madeleine so weit vorgekommen wie an diesem Tag. Silber war munter und voller Kraft, und ich nahm alle Abkürzungen, die ich kannte. Endlich erreichten wir das Militärflugfeld, und ich gab Silber lange Zügel für einen gestreckten Galopp. Schon von weitem sah ich den Birkenhof, wo Madeleine lebte. Auf dem Weideplatz grasten das Vollblut Frisco Kid und der Hengst Rebell, nicht weit von ihnen das kleine Fjordpony Kulla-Gulla. Dann hatten wir den Kiesweg erreicht und trabten in den Hof. Madeleine kam heraus und ging uns bis zum Stall entgegen.

„Komm und schau!“ flüsterte sie mir als Begrüßung zu und öffnete ganz vorsichtig die Stalltür. „Ich halte inzwischen Silber. Geh ganz nach vorn, bis du zu der großen Fohlenbox kommst …“

Ich übergab ihr die Zügel und ging in den Stall. Dort war es ganz still, es duftete wunderbar nach frischem Stroh und Heu. Ich schlich mich an den leeren Boxen vorbei und blieb dann in einiger Entfernung von der Fohlenbox stehen. Gazelle, meine schöne Schimmelstute, legte die Ohren unruhig nach hinten und ließ das Weiße ihrer Augäpfel sehen, als sie meine Schritte hörte. Nervös aufgescheucht, lief sie in ihrer Box umher und schaute mich beunruhigt an. In ihren sonst so ruhigen Augen flackerte ein mißtrauisches Blitzen. Ich redete sie langsam und mit leiser Stimme an und merkte dann, wie sie ruhiger wurde, als sie mich erkannte.

Endlich wagte ich es, vorsichtig über die Kante der Wand zu schauen. Gazelle stand jetzt ganz ruhig da und beobachtete mich mit wachem Blick. Und neben ihr, im gelbem Stroh, stand das Fohlen auf seinen wackeligen Beinen …

Britta, die Reitlehrerin

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