Читать книгу Britta, die Reitlehrerin - Lisbeth Pahnke - Страница 7

Ich beginne zu träumen

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Wir betraten eine große altmodische Küche. Zwei Mädchen von etwa fünfzehn Jahren hatten eine Bank vor eines der Fenster gerückt und standen nun mit den Zehenspitzen darauf und hängten grüngelb karierte Gardinen auf.

„Hübsch, diese Gardinen“, stellte Madeleine fest.

„Vielen Dank!“ beeilte sich Kicki dieses Lob einzuheimsen. „Ich habe sie nämlich ausgesucht und genäht!“ Die beiden Mädchen waren nun fertig, sprangen von der Bank, traten ein paar Schritte zurück, um ihr Werk im richtigen Abstand zu betrachten.

„Sie machen diese riesige, langweilige Küche nahezu hell“, sagte eines von ihnen.

„Sei bloß froh, daß die Küche so groß ist!“ meinte Kicki. „Und wenn ihr euer Werk genügend bewundert habt, lauft zu den anderen in den Stall und sagt, daß es Kaffeezeit ist.“

Nun halfen wir alle, und im Nu war der Kaffee fertig. Auf den großen, runden Küchentisch stellten wir Tassen und Teller.

„Von allen Seiten wurde uns altes Geschirr gespendet“, erzählte Kicki, „deshalb sind die Tassen so bunt! Wundert euch auch nicht, wenn manchmal die Henkel fehlen … Ach, zu dumm! Jetzt haben wir wieder vergessen, Kaffeelöffel mitzubringen.”

Mit betrübter Miene hielt sie einen kleinen Plastiklöffel in die Höhe, der in der Kaffeedose steckte.

„Der einzige Kaffeelöffel des Klubs!“ verkündete sie lachend. „Wir müssen ihn eben rundgehen lassen.“

In lehmigen Stiefeln und mit schmutzigen Händen kamen sie alle nacheinander in die Küche und setzten sich. Irgend jemand hatte ein langes Weißbrot mitgebracht, das ich jetzt in Scheiben aufschnitt und auf einer Platte anordnete. Die meisten hatten belegte Brote mit, ebenso Thermosflaschen mit warmem Kakao. Es wurde recht eng um den Tisch, aber alle schienen sich wohl zu fühlen.

„Die reinste Invasion, was?“ sagte Kicki, die mit ihrem Freund Thomas neben uns saß. „Was haben wir doch für ein Glück, daß wir dieses alte Haus als Klubhaus bekommen haben! Am schönsten finde ich, daß wirklich alle mithelfen, ob es nun Mädchen, Jungen oder Erwachsene sind.“

„Und woher werdet ihr die Pferde für die Reitschule bekommen?“ wollte ich wissen.

„Zunächst bringt Hasse noch zwei Pferde, sobald wir hier mit dem Umbau fertig sind. Dann haben wir ein Mädchen am Tisch, dessen Onkel ein nordschwedisches Pony hat, das sich nicht anspannen läßt. Meistens reitet das Mädchen auf dem Pony, und das wird auch bei uns im Stall stehen. Dann wollen die Schecken noch ein Pony anschaffen.“

„Die Schecken …?“

„Ja, die Schecken! Das ist nämlich eine ganze Familie. Ihnen gehört der Schecke, das kleine Pony, das ihr schon kennt. Sie besteht aus Vater, Mutter und drei Kindern. Alle kommen sie herüber und arbeiten mit, wenn sie eine Stunde Zeit haben. Schließlich gibt es noch Leute“, redete Kicki weiter und gab Thomas einen freundlichen Seitenstoß, „Leute, die ständig behaupten, sie würden sich ein Pferd anschaffen! Wie ihr seht, werden es zunächst Privatpferde sein, über die wir als Reitschule stundenweise verfügen können. Aber irgendwann einmal in ferner Zukunft wird unser Klub auch so weit sein, daß er sich eigene Pferde leisten kann.“

Langsam leerte sich die Küche wieder. Die beiden Mädchen, die vorher die Gardinen aufgehängt hatten, machten sich jetzt ans Geschirrspülen.

Ich griff mir ein Tuch und trocknete ab. Dabei hörte ich, wie Madeleine Kicki fragte, wen sie als Reitlehrer nehmen wollten.

„Die Frage ist noch nicht geklärt“, antwortete Kicki mit einem Seufzer. „Wir haben nicht die Mittel, jemanden anzustellen. Jedenfalls nicht jetzt, am Anfang. Deshalb wollen wir uns abwechseln. Hasse und Thomas sind sehr gut. Ein paar Freunde und ich haben ebenfalls so viel Erfahrung, daß wir Anfänger unterrichten können …“

Ehe wir zurückfuhren, machten Madeleine und ich noch eine Runde und sahen uns alles an. Auch das Fjordpony Rauhbein begrüßten wir, ein kräftiges, kleines Tier mit dichter Mähne und einem ungewöhnlich dicken Schwanz. Dann fuhren wir los.

Wir beide waren recht still. Es war ein schöner und ereignisreicher Ausflug gewesen, und ich hatte mich sehr wohl gefühlt. So dachte ich die ganze Fahrt bis nach Hause über alles nach, überlegte, schmiedete Pläne und träumte. Wie schnell aber ein Teil dieser Träume Wirklichkeit werden sollte, das wußte ich damals noch nicht!

„Ich habe das Gefühl, daß ich für eine Reitschule bestimmt bin“, sagte ich einige Zeit später zu Madeleine, als wir wieder einmal beisammensaßen und unsere Zukunftspläne diskutierten. „Junge Leute und Pferde! Sich damit zu beschäftigen, ist für mich das Schönste! Deshalb würde ich am liebsten einen Kursus mitmachen, um genau zu lernen, wie man die hohe Reitkunst anderen beibringt, wie man alles, was mit dem Reiten zusammenhängt, so erklärt, daß die anderen es verstehen.“

Wir hatten uns auf ein Gattertor geschwungen und beobachteten die Pferde, die sich langsam auf der großen Weidefläche bewegten und gierig nach dem ersten spärlichen Vorsommergrün schnappten. Mein Fohlen, das jetzt Siboney hieß, war gewachsen, und ich fand, es war auch hübscher geworden. Konnte es daran liegen, daß ich es nicht so oft sah oder mich ganz einfach an sein ulkiges Äußeres gewöhnt hatte? Nach der Geburt hatte es eigentlich nur aus einem schwächlichen, kleinen Körper und aus zitternden Beinen bestanden. Nun aber hatte es alles Kantige verloren und sich zu einem munteren, frechen kleinen Fohlen-Mädchen ausgewachsen, das jedem und jeder Sache blitzschnell das Hinterteil zukehrte, wenn ihm irgend etwas nicht paßte. Seit einiger Zeit unternahm es auch schon ganz selbständige kleine Ausflüge und kümmerte sich nicht mehr viel um seine Mutter.

„Findest du es gar nicht sonderbar, daß Siboney eigentlich niemals fröhlich ist?“ meinte ich zu Madeleine. „Fast nie stellt sie die Ohren auf, wenn man mit ihr spricht! Und will man sie striegeln oder auch nur kraulen, entzieht sie sich jeder Berührung. Ich hatte mir doch erträumt, ein richtig liebes, anhängliches Fohlen zu haben – so wie es immer in den Büchern steht.“

Madeleine nahm meine Bedenken nicht sehr ernst.

„Sie ist ein kleiner Zankteufel und recht eigenwillig“, war das einzige, was Madeleine zugab. „Es gibt immer Pferde, die zurückhaltender und viel reservierter sind als andere. Hast du schon gesehen, was für schöne Beine sie hat? Letzten Endes willst du später einmal auf Siboney reiten? Du willst sie ja nicht zu deiner Gesellschaftsdame heranziehen!“ „Du hast recht, wie immer“, seufzte ich. „Vermutlich bin ich durch Silber verwöhnt, der immer munter und stets fröhlich ist. Aber natürlich – alle Pferde können nicht so sein wie mein Silber!“ „Ich mache dir einen Vorschlag“, sagte Madeleine ernst. „Wir lassen den Tierarzt kommen, er soll sie gründlich untersuchen, dann weißt du genau. wie es mit ihr steht. Und damit du vor allem beruhigt bist. Dann werden wir sie schon nach und nach aus ihrer Verkapselung herauslocken.“

Den Tierarzt zu befragen, hielt ich für eine großartige Idee. Also rief Madeleine ihn an. Da er gerade an diesem Nachmittag in unserer Nähe zu tun hatte, kam er gleich vorbei und besah sich Siboney. Wir hatten sie und Gazelle zunächst in den Stall geführt. Dann hatte ich dem Fohlen mit List und Tücke ein Halfter umgelegt und führte es wieder auf den Platz vor den Stall. Aber das war ihm nun gar nicht recht! Es warf seinen Kopf wild hin und her und sich selbst mit dem ganzen Körper rückwärts, daß es sich beinahe hinsetzte. Aus dem Stall klang Gazelles herzzerreißendes Wiehern. Das machte die Sache natürlich auch nicht besser. Es blieb uns nichts anderes übrig, wir mußten auch Gazelle wieder herausführen, und erst dann standen beide Tiere ruhig und still vor dem Tierarzt. Er begann sofort mit der Untersuchung: Trotz Siboneys heftigem Protest betrachtete er sehr genau ihre Zähne, dann befühlte er ihre Beine. Schließlich mußten wir mit den Pferden laufen, während der Arzt aufmerksam zusah.

Immer wieder murmelte er etwas vor sich hin, schließlich sagte er: „Sie hat einen markanten Unterbiß, das steht fest! Sonst ist an dem Tier nichts auszusetzen. Freilich ist es etwas klein. Aber das wird sich noch ändern. Im übrigen hat sie ausgezeichnete Beine und ebenso gute Hufe.“

„Das mit dem Unterbiß …“ begann ich vorsichtig, „hat das etwas zu bedeuten?“

Der Tierarzt beruhigte mich. Er erzählte, daß er schon Pferde gesehen hatte, die viel ärger aussahen, daß man sich gar nicht vorstellen konnte, daß sie mit solchen Vorderzähnen überhaupt Nahrung aufnehmen konnten. Trotzdem hatten sie gefressen und sich wie normale Pferde entwickelt. Man müßte die eigenartige Formung des Unterkiefers als eine Art Schönheitsfehler hinnehmen. Sicher habe Sibonev dadurch den etwas eigensinnigen Ausdruck.

Es war zu verstehen, daß ich trotzdem noch manchmal darüber nachdachte und mir vornahm, gelegentlich einen anderen Tierarzt um Rat zu fragen.

Inzwischen war es schon recht warm geworden. Görans Traber konnten auch in den Nächten im Freien bleiben. Das war schön für mich, denn die Stallarbeit war jetzt um vieles leichter. Ich hatte nur die Boxen der Hengste sauberzuhalten und noch zwei andere Boxen, in denen vorübergehend Stuten standen, die lahmten. Sie hatten einen Ausbruchversuch unternommen und waren dabei in den Stacheldraht des Zaunes geraten.

In dieser Zeit widmete ich mich energisch der Dressurarbeit mit Silber und übte auch an selbstgebauten Hindernissen das Springen. Mit Siboney beschäftigte ich mich, so oft es meine Zeit erlaubte – und trotzdem war irgend etwas nicht so, wie es sein sollte. Ich empfand immer wieder eine Leere in meinem Leben. Ich sehnte mich nach einer echten Aufgabe.

Als mich dann Madeleine an einem dieser Abende anrief, war ich zunächst stumm und fassungslos. Ja, ich glaubte, sie scherze. Denn was sie mir sagte, klang viel zu schön, um wahr zu sein.

Britta, die Reitlehrerin

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