Читать книгу Anja, Petra und die Pferde - Lise Gast - Страница 9

Vierspännig

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„So, jetzt können wir“, sagte Stine. Sie hatten die vier Shetties eingespannt, zwei an die Deichsel des kleinen Viersitzer-Wagens und zwei davor, ohne Deichsel. Anja hielt die beiden vorderen Ponys am Kopfstück und Petra das linke der beiden anderen. Stine war auf den Bock geklettert und hatte die Zügel genommen. „Laßt los und steigt dann gleich auf, aber flink!“

Anja und Petra hatten nur darauf gelauert. Die Ponys anscheinend auch. Lettchen, die kleine Rappstute, die vorn links stand, sprang sofort hoch, sprang „ins Geschirr“, wie man es nennt, wenn ein Pferd nicht anzieht, sondern sich auf die Hinterbeine stellt und dann vorwärts springt. Stine berührte den kleinen Unband mit der Peitsche.

„Wirst du wohl! So, seid ihr drauf? Dann kann’s ja losgehen!“

„Augenblick – noch nicht –“

Sie waren beide nach hinten gerannt. Anja dachte wieder einmal, daß man bei allem, was mit Pferden zusammenhängt, immer mehr Mut zeigen muß, als man eigentlich hat. Auf einen Wagen zu steigen, dessen Pferde so losgehen wollten wie Lettchen, dazu gehörte schon einiges, fand sie.

Petra machte sich nichts draus. Sie hatte sich links neben Stine geschwungen. Stine saß rechts auf dem Bock, die vier Zügel in der Hand. Anja hatte hinten beide Sitze für sich.

„Setz dich nach rechts, da kannst du im Notfall an die Bremse. Ich hab’ nämlich die Hände voll!“ rief Stine nach hinten.

„Auch das noch“, dachte Anja. Die Bremse befand sich rechts neben Stines Sitz, war aber auch von hinten zu erreichen, wenn man sich weit vorbeugte.

„Muß ich –“

„Ich sag’ dir, wenn’s nötig ist. Los, Peuke, nun zieh mal an. Und du, Lettchen, benimm dich. Du bist zwar die älteste, aber je öller, desto döller –“

„Vorwärts!“ Jetzt zog auch Peuke an, und Nikolo und Erie folgten. Die Kutsche rollte los, aus dem Hof hinaus, den Weg zur großen Straße hin. Die Ponys fanden, nun einmal im Gange, in einen vernünftigen Trab hinein, wie Stine es wollte und von ihnen auch forderte. Anja konnte zwar nicht verstehen, wie sie es machte, aber es klappte. Sie fuhren ziemlich schnell, fand sie.

„Warum zur großen Straße, dort fahren doch Autos?“ fragte Petra. Stine lachte.

„Dort ist es eben. Wenn wir nach der andern Seite fahren, haben wir lauter Wege, die bergauf und bergab führen. Vor der Straße halte ich an. Dann springst du ab und winkst den Autos, daß sie uns sehen und rüberlassen. Wir überqueren die Straße nur und fahren dann durch die Bahnunterführung.“

„Und dann den Feldweg weiter? Gut. Durch die Unterführung – hoffentlich kommt da nicht gerade ein Zug“, rief Petra, machte sich zum Sprung bereit und lauerte. Stine gab ihren vier Kleinen eine Parade und bekam sie in Schritt.

„Jetzt!“

Petra sprang ab. Sie rannte das letzte Stück zur Bundesstraße vor und äugte nach links und rechts.

„Jetzt ist es grade günstig! Links das Auto ist noch weit, und rechts ist frei.“ Sie stand mitten auf der Straße und winkte mit beiden Armen. Die Ponys zogen wieder an. Auch Anja guckte nach links und rechts.

Wirklich, sie hatten Glück. Das Auto, das von links kam, hatte bemerkt, daß hier jemand quer über die Straße wollte, und bremste schon von weitem ab. Auf der andern Seite blieb die Straße leer. Hier herrschte sonst ziemlich starker Verkehr. Stine fuhr im Schritt auf die Straße hinauf und ließ die Ponys auch im Schritt wieder hinuntergehen.

„Biste da?“ fragte sie nach Petras Seite hin, ohne den Blick von ihren Pferden zu nehmen.

„Ja. Oben. Los!“ rief Petra. Sogleich zogen die Ponys wieder an, und nun ging es in flottem Trab den Feldweg entlang. Hier kamen keine Autos, nichts war da, wovor die Ponys hätten scheuen können, nicht einmal ein Graben rechts und links, in den man hineinfallen konnte. Anja atmete auf und fand es wunderbar, so zu fahren.

„Wie die Königin von England“, dachte sie gerade, da rief Petra, als könnte sie Gedanken lesen, dasselbe.

„Oder etwa nicht? Ich bin der Prinz Philip –“ sie richtete sich, ein möglichst würdiges Gesicht machend, auf, so gerade sie konnte. Stine lachte.

„Und ich bin die Majestät. Anja die Anne, das paßt genau. Vorwärts, kleine Hörschens, nun lauft mal, damit wir bald in Schloß Windsor sind –“

Stine war herrlich, fanden die Mädchen. Groß, mager, weißblond und von einer bestechenden Uneitelkeit. Sie trug verwaschene Jeans und einen uralten Pulli, der ihr bis zu den Knien ging, hatte das Haar ziemlich kurz geschnitten und eine Narbe quer über der Wange, um die Anja sie heimlich, aber glühend beneidete. Solch eine Narbe zu haben und sagen zu können: „Kommt von einem Reitunfall ...“

Jetzt näherten sie sich dem Bahndamm. Anja schielte nach rechts und links, ob ein Zug käme. Nichts zu sehen, welch ein Glück. Es ging ein Stück bergab – Stine nahm die kleinen Pferde fest an den Zügel –, dann hinein ins Dunkel. Ja, ziemlich dunkel war es da unten, obwohl die Unterführung nicht sehr lang war. Im letzten Augenblick sahen sie, daß sie voller Pfützen stand. Hoffentlich nur flache Pfützen und kein tiefer Teich.

Trotzdem gab es Schwierigkeiten.

„Himmel, daran hab’ ich nicht gedacht. Lettchen haßt es, durchs Wasser gehen zu müssen.“ Anhalten aber konnten sie nicht mehr, auch nicht umdrehen. Stine nahm die Peitsche und versuchte, Lettchens Flanke damit zu erreichen.

„Vorwärts, du schwarzer Satan, nun hilft es nichts mehr!“

Lettchen hatte das Wasser auch erspäht. Sie versuchte nach links auszubrechen, ging hoch und riß die Deichsel auf ihre Seite herum –

„Vorwärts!“ rief Stine noch einmal und gab ihr einen kleinen Klaps. Die drei Ponys zogen los, als wären sie persönlich gemeint. Und da mußte Lettchen, ob sie wollte oder nicht, mit ihnen ins Wasser. Es patschte und schäumte; Petra und Anja krallten sich schweigend an den Seitenlehnen der Kutsche fest, rauschend durchpflügten sie das Wasser. Gottlob, es war nicht tief, es ging den Pferden nur etwa spannenlang über die Fesseln. Und dann waren sie schon wieder im Bergauffahren, die Gefahr lag hinter ihnen. Stine ließ die Ponys wieder antraben.

„Da kommt nämlich was“, sie deutete mit dem Kinn nach links hinter sich. Wahrhaftig, die beiden Mädchen hatten das gar nicht gemerkt. Eine Lok nahte, war aber noch ziemlich weit entfernt. Stine ließ die Pferdchen traben, was sie konnten.

„So ist’s recht. Galopp gibt’s nicht vor dem Wagen! Vor dem Schlitten ja. Aber ein ordentlicher Trab bringt uns auch weg von dem Ungetüm –“

Der Feldweg machte eine kleine Kurve, und das war gut. Nun sahen die Ponys nicht, was hinter ihnen vorbeischnaufte. Es war nur eine Lok mit Tender, kein Zug daran. Sie war schnell verschwunden.

„So, nun sind wir allein auf weiter Flur. Nun können wir es genießen“, sagte Petra und fläzte sich in ihren Sitz.

„Ich war mal mit den Ponys in Cannstatt zum landwirtschaftlichen Hauptfest, nur zweispännig, aber ein Fohlen bei Fuß“, erzählte Stine. „Ponys und Kutsche verladen, also mit dem großen Transporter hingefahren. Man konnte dort nicht nah ranfahren, wir mußten etwa zwei Kilometer vom Turnierplatz entfernt halten und ausladen, einspannen und hinkutschieren. Das war früh am Morgen und ging glatt. Später aber, als wir heimwollten, ach du liebe Zeit! Da galt es, mit der Kutsche durch den Nachmittagsverkehr bis zum Transporter zu kommen. Dabei hab’ ich Petroleum geschwitzt, sage ich euch! Mitten in der Autoschlange und dann an den Kreuzungen bei Rot halten! Der Fahrer des Transporters saß neben mir, die Arme untergeschlagen, und ließ sich fahren. Auf seinem Gesicht stand zu lesen: ‚Nun zeig mal, was du kannst!‘ Eine junge Reitschülerin lief nebenher, wegen des Fohlens, das unangebunden neben der Mutter hersprang, es war noch nicht halfterzahm gemacht worden. Lieber Gott, war das eine Fahrt! Wenn die Ampel Rot zeigte, stand Lettchen immer auf zwei Beinen, bis sie wieder losdurfte. Aber die Autofahrer waren nett und rücksichtsvoll und machten einander Zeichen, besonders vorsichtig zu sein.

Nach einer Weile konnte das Mädchen, das nebenherrannte, nicht mehr. Sie japste zum Gotterbarmen, schließlich machte sie ja alle Wege doppelt, um das Fohlen immer wieder zu erwischen. Ich winkte sie an einer Kreuzung zu mir herauf, gab ihr die Zügel in die Hand – wir fuhren ja nur zweispännig – und sprang selbst hinunter, um mich um das Fohlen zu kümmern. So kamen wir schließlich doch einigermaßen glatt zum Transporter. Der Fahrer ahnte sicherlich nicht, was für einen Ritt über den Bodensee er gemacht hatte.“

„Das Gedicht vom Reiter über den Bodensee stand auch in unserem Lesebuch“, sagte Petra. „Ich hab’ es immer doof gefunden, daß der hinterher tot umfiel. Da war doch alles gut.“

Stine lachte.

„Ja. Damals waren die Leute noch zarter besaitet als heute, glaub’ ich. Heute würde der Reiter vermutlich sagen: ‚So, über den See bin ich geritten? Na, da haben wir ja wieder mal Glück gehabt.‘“

„So wie wir eben, als die Lok später kam“, sagte Anja. „Wenn sie gerade über die Unterführung gedonnert wäre, als wir drunter waren – ich jedenfalls hätte gescheut, wenn ich ein Pony gewesen wäre!“

„Ich wahrscheinlich auch“, sagte Stine vergnügt, „aber sie ist ja nicht. Und nun fahren wir einen weiten Bogen und kommen dann auf dem Rückweg über die Eisenbahnbrücke und eben nicht mehr durch den Tunnel.“

Anja atmete insgeheim auf. So ganz zu Hause fühlte sie sich im Vierspänner eben doch nicht, auch wenn Stine fuhr.

Die Ponys gingen allmählich auch vernünftiger, sie waren abgetrabt und nicht mehr zu Dummheiten aufgelegt.

„Nur über die Bundesstraße müssen wir noch mal, das ist klar“, sagte Stine, „aber Petra hält wieder die Autos an, dann wird es schon klappen.“

„Natürlich klappt es, ich möchte den Autofahrer sehen, der nicht hält, wenn er so eine süße Kutsche sieht.“

„Ja, die meisten sind nett und rücksichtsvoll, so wie damals in Cannstatt“, sagte Stine, „es gibt aber auch andere. Ich ritt einmal mit einer etwas nervösen Isländerstute – Isländer sind die größeren Ponys, die, auf denen auch Erwachsene reiten können – an der Bundesstraße entlang, das heißt, neben der Straße her, auf dem Fahrradweg. Da kam ein Autofahrer von hinten und dachte wahrscheinlich, das gibt einen schönen Spaß. Er fuhr ganz rechts und zunächst im selben Tempo, in dem ich ritt. Als die Stute schneller wurde – es gibt ja Pferde, die nicht autosicher sind, sondern durchgehen, wenn ein Auto in die Nähe kommt –, legte er auch an Tempo zu und wurde schneller und schneller. Meine Isländerin auch. Ich dachte: ‚Hier hilft nur aussitzen, etwas anderes gibt es nicht.‘ Da fing er auch noch an zu hupen, um den Spaß voll zu machen, und damit gab er mir den Rest. Die Stute ging in blinder Panik rechts über die Felder ab, bockte und bockelte, bis sie mich los war. Ich flog flach auf den Rücken, was ja nie sehr angenehm ist. Zum Glück ging das Pferd nicht davon, und da wir zu mehreren waren, konnten die andern es bald einfangen. Ich hatte mich inzwischen auf den Bauch gedreht und versuchte aufzustehen, aber es tat im Rücken infam weh. Auf alle viere kam ich, weiter aber nicht. Die andern ritten heran und sprangen ab, und dann war guter Rat teuer. Wie sollten sie mich transportieren?

Schließlich nahm einer alle Pferde am Zügel, und zwei andere hoben mich auf. Nicht weit von dieser Stelle liegt eine Hütte, deren Besitzer wir kennen, dorthin trugen sie mich. Dabei mußten wir einen steilen Fußweg hinunter, dort ging es mit dem Tragen nicht, und so faßten sie mich beide unter den Schultern und ließen mich Schritt für Schritt absteigen, was weder für sie noch für mich ein Vergnügen war. Dann aber waren wir doch glücklich unten und fanden sogar gleich den Schlüssel zur Hütte unter einem Stein, wo er immer hingelegt wurde.

Nun konnten sie mich in der ebenerdigen Küche dieses kleinen Hauses absetzen, neben dem Herd. Es war spät im Herbst und kalt. Einer machte Feuer, dürre Tannzapfen waren da, der andere lief zurück, und mit Handpferden rechts und links ritten sie bis zur nächsten Telefonzelle. Wir haben ja überall Freunde und Bekannte. Den nächsten riefen sie an und erzählten, was passiert war. Ich saß inzwischen am Herd, mein Rücken feuerte wie ein Backofen, und ich erwartete meinen Tod. Derjenige, der bei mir geblieben war, sorgte sich sehr um mich, ich muß scheußlich ausgesehen haben. Er suchte in allen Schränken herum, die dort allerlei beherbergen, und fand schließlich eine große Flasche Pflaumenschnaps, noch halb voll. Daraus goß er mir einen tüchtigen Becher voll ein, und ich mußte trinken. Er nahm auch selber einen ordentlichen Schluck. Von da an sah die Welt für uns beide wieder anders aus, und ich wartete nicht mehr auf meinen Tod, sondern auf meine Retter. Wir haben sogar gelacht, wir beide – ihm ging das Ganze sehr nahe, er dachte, er würde dort womöglich mein Ableben erleben.

Die andern hatten einen Freund mit Auto alarmiert. Aber mit dem Wagen kann man den Hang nicht hinunterfahren. Es ist ein ganz schmaler, sehr hoppliger Weg. So hielt er oben, und ich mußte, gleichgültig, wie weh es tat, den Weg wieder hinauf. Holle und einer der anderen Reiter hatten mich untergefaßt, und Schritt für Schritt, meist seitlich, quälte ich mich mühsam hinauf. Wie war es schön, sich ins Auto sinken zu lassen!

Aber zu Ende war die Qual noch nicht. Das Fahren tat zwar nicht mehr so weh, aber zu Hause wurde es wieder schlimm. Ich ächzte die ganze Nacht, ohne schlafen zu können, und dann fuhren sie mich nach langem Hin und Her ins Krankenhaus zum Röntgen. Tatsächlich war etwas angebrochen, hier“ – Stine zeigte ihre Wirbelsäule hinauf und hinab – „sind an den Wirbeln Dornfortsätze, und davon waren zwei durchgeknackst.

‚Ist das sehr schlimm?‘ fragte ich, denn ich hatte natürlich eine fürchterliche Angst, nicht mehr reiten zu können.

‚Ach was‘, sagte der behandelnde Arzt, der übrigens selbst ritt, fröhlich, ‚die sind sowieso zu nichts nütze. In zehntausend Jahren trägt man das nicht mehr. Sie sind sozusagen überflüssig.‘

‚Na und ich?‘ fragte ich, nicht ganz so heiter wie er. ‚Sie liegen ein paar Wochen – oder Monate –, und dann sind sie wieder geleimt.‘

‚Wochen! Monate! Womöglich auch noch in Gips!‘ rief ich verzweifelt. Ich war wütend über seine Heiterkeit.

‚Den Gips erlasse ich Ihnen, wenn Sie versprechen, still zu liegen‘, sagte er und tat, als habe er mir einen Mercedes geschenkt.

‚Und wie viele Wochen?‘ giftete ich.

‚Sagen wir erst mal fünf‘, bestimmte er. ‚Dann sehen wir weiter. Ich weiß ja nicht, wie gut sie heilen. Und still liegen, Frau Zappelmann, verstanden?‘

Als ich wieder losschimpfen wollte, legte er mir die Hand auf die Schulter.

‚Ganz ruhig. Ich komm’ mal nach Ihnen sehen. Bei manchen heilt es schneller. Ich möchte doch gern Ihre Pferde sehen.‘

‚Wann?‘ fragte ich, schon etwas versöhnt.

‚Sagen wir in drei Wochen. Ab, der Nächste bitte!‘

Sie fuhren mich heim. Ich wurde auf ein ganz hartes Bett gelegt, und Holle pflegte mich rührend, obwohl er ja die ganze Arbeit auf dem Halse hatte, die Pferde, die Küche und den gesamten Haushalt neben seinem Beruf. Kinder hatten wir damals noch nicht. Am Tag, als die drei Wochen um waren, wartete ich, bis er weggefahren war, und rief eine meiner Reitschülerinnen zu mir.

‚So, jetzt probier’ ich es. Du holst mir Grauschimmel – das ist unser vernünftigster Isländer – und hilfst mir rauf. Ich muß probieren, ob ich noch reiten kann.‘

‚Aber –‘

‚Kein Aber. Auf meine Verantwortung.‘

Gila gehorchte. Dann kam sie zurück und half mir aufzustehen. Das ging. Aufs Klo hatte ich auch gedurft, die ganze Zeit, an zwei Stöcken. Jetzt ging ich an Gilas Arm.

Vor der Tür stand Grauschimmel. Ich tätschelte ihn. Wie lange hatte ich kein Pferd angefaßt! Dann machte mir Gila die Räuberleiter. Die kennt ihr ja: die Hand unter den linken Spann des Aufsitzenden legen und einen ganz kleinen Druck geben. Das, so dachten wir, ist sicher schonender, als mit dem Bügel aufzusitzen. Richtig, Gila machte das sehr geschickt, so daß ich eigentlich oben saß, ehe es mir richtig klargeworden war. Himmel, war das ein Gefühl! Ich hatte die ganzen drei Wochen in der Angst gelegen, nie wieder reiten zu können.

Grauschimmel ging dann ein Stück mit mir, Schritt, drei Schritte Trab. Es tat nicht mehr weh! Ich ließ ihn zur Haustür zurückgehen und mir von Gila herunterhelfen, und dann legte ich mich wieder ins Bett und blieb die zwei Wochen, die der Arzt mir noch zudiktierte, ganz brav liegen, ließ mich verwöhnen und war selig. Ich würde wieder reiten können, große Hauptsache! Holle hab’ ich dann später gestanden, daß ich es heimlich versucht habe, dem Arzt aber nicht. Der sagt heute noch, wenn ich nicht die fünf Wochen ununterbrochen gelegen hätte, wäre es nie geheilt. Da muß ich immer grinsen –“

„Und die Narbe? Ich meine: die im Gesicht? Woher ist die?“ fragte Anja begierig. Sie wollte noch mehr hören, denn Stine konnte wunderbar erzählen.

„Ach, die? Da bin ich in der Küche gestolpert und in eine Keksschachtel gefallen“, sagte Stine vergnügt und nahm die Zügel kürzer. „Ich fiel über einen Besuchshund, hatte nicht aufgepaßt, weil ich so schrecklich lachte. Holle wollte mir helfen, den Abendbrottisch abzuräumen, und warf die Rollmöpse statt in die Majonäse in die Schlagsahne – beides stand auf dem Tisch in ähnlichen Schüsseln. Wir haben vor Lachen kein Verbandszeug gefunden und die Wunde, die schrecklich blutete – dabei tat sie kaum weh – mit Tesaband geklebt. Und wir hatten noch Glück – es war, kurz bevor Mo auf die Welt kam. Der Arme – wir hätten gar keine Zeit für ihn gehabt, wenn er auf diesen Pardauz hin eher erschienen wäre, denn eine unserer Stuten war gerade am Fohlen. Na, es ging alles gut aus –“

„Gott sei Dank“, murmelte Anja, fand aber, ein Sturz vom Pferd wäre für so eine Narbe ein passenderer Anlaß gewesen. Sie hatte aber keine Zeit, darüber nachzudenken, denn jetzt näherten sie sich der Bundesstraße.

„Achtung, Petra, du schaffst uns wieder die nötige Lücke im Autoverkehr!“

Sie verlangsamte die Fahrt, Petra sprang ab und war auch schon auf der Bundesstraße, nach links und rechts abwinkend. Stine ließ die Ponys wieder anziehen.

„Komm rauf! Soll ich halten?“ rief sie Petra zu, die neben dem Wagen herlief.

„Nein nein, ich spring’ im Fahren auf!“

Natürlich kann man auf einen fahrenden Wagen aufspringen. Ponywagen sind niedrig, und wenn man entsprechend schnell läuft und dann mit beiden Händen zufaßt, um sich hochzuziehen, geht das ganz gut. Petra hatte indessen nicht berechnet, daß vier Pferde schneller laufen als zwei. Sie wollte sich hinaufschwingen, verfehlte aber das Trittbrett und lag, pardauz, auf der Erde, bäuchlings, und der Vierspänner war schon ein paar Meter entfernt.

„Hoppla!“ rief Stine, „Mensch, Petra! Anja!“ Stine parierte durch. Petra kam angehumpelt.

„Na, mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen, ist ja nicht gerade höflich“, murrte sie. Beide Knie durch, ich werde eine schöne Figur bei Cornelias Hochzeit abgeben.“

„Wolltest du im Minirock tanzen?“ fragte Stine.

„Hab’ gar keinen.“ Petra kletterte stöhnend auf den Wagen.

„Na also“, sagte Stine. Damit war die Sache abgetan.

Anja, Petra und die Pferde

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