Читать книгу Reni - Lise Gast - Страница 6

Leben und Betrieb im Heim Reni passiert etwas Schreckliches

Оглавление

Es war nicht mehr still im geliebten Heim am Berge, o nein, ganz im Gegenteil. Wenn auch die Hauptperson, der Doktor, fehlte, wenn die Garage zublieb und kein Auto am Abend oder nachts oder gegen Mittag den Hang heraufbrummte — Leben war doch wieder eingezogen, vielfältiges und buntes und junges Leben. Erst kamen die Tanten zurück. Wer sich unter dem Wort „Tante“ etwas Altes, Umständliches oder Vertrocknetes vorstellt, der schießt vorbei: diese Tanten hier waren sämtlich jung, außer Tante Mumme, die nun schon jahrelang den Betrieb leitete. Die andern aber sahen aus wie große Schwestern von den Erholungskindern, mit kurzen Röcken und bunten Dirndlröcken und nackten braunen Beinen und den allerlustigsten Augen. Auch sie wechselten, wenn auch nicht so schnell wie die Kinder, aber länger als zwei Jahre war fast nie eine Tante hier, dann heiratete sie bestimmt.

Reni liebte am meisten die Tante Thea, die süße Tante Thea, die Turntante, an der aber auch alle andern Kinder immer am meisten hingen. Sie war klein und schlank und so biegsam wie eine Gerte, und es störte bei ihr nicht einmal, daß sie eine Brille trug. Ihre buschigen Haare flogen, wenn sie am Reck die Riesenwelle machte oder wenn sie wie ein Gummiball vom Trampolin wippte. Jetzt im Sommer waren alle Fenster in der Turnhalle heruntergelassen, so daß man dort wie im Freien spielte, wenn man an den Geräten war, und wieviel Bodengymnastik gab es draußen auf dem Hang, nur so zum Zeitvertreib und gar nicht in den „Stunden“!

Reni war um diese Zeit — wie immer, wenn Neue gekommen waren — so schwer beschäftigt, daß der Vormittag in der Schule eigentlich eine Erholung, ein Ausruhen bedeutete. Zu Hause, also im Heim, kam sie, außer beim Essen, keine Zehntelsekunde zum Sitzen. Die vielen neuen Kläuse und Peters, Lieselotten und Ingen zu behalten fiel ihr, da sie darin Übung hatte, gar nicht schwer; sie wußte auch immer, wohin jedes gehörte. Es gab drei Schlafsäle im Haus, einen für Mädel, einen für Jungen und einen für Kranke. Zuerst verliefen sich die Neuen sämtlich wie auf einem großen Schiff, und Reni mußte den Lotsen spielen. Sie kam die ersten Tage aus einem beständigen Schweinsgalopp nicht heraus.

Sie selbst hatte ein kleines Zimmer im andern Haus, in dem, das auf der linken Seite vom Hof stand, wo auch Tante Mumme und der Onkel Doktor wohnten. Es war nicht viel anders eingerichtet als ein winziger Schlafsaal, denn Reni wollte vor den andern nichts voraus haben — ein schmaler weißer Schrank stand darin, das Bett, ein Bücherregal — das allerdings war ein Sonderbesitz, aber doch nötig — und ein kleiner runder Tisch am Fenster. Oft wurde sie auch „eingeladen“, wenn sie sich mit einem Mädel besonders angefreundet hatte, und dann durfte sie für eine oder mehrere Nächte mit in einem Schlafsaal schlafen. Tante Mumme war darin großzügig und freundlich, seit Reni etwas größer geworden war. Dann wieder lud Reni die andern ein, zu ihr ins Zimmer zu kommen, und sie bewunderten dann ihre Bücher und Bilder, und erzählten von ihren eigenen Zimmern zu Hause, von ihren Freundinnen und Geschwistern.

Auf dem Tisch am Fenster stand ein schönes Bild, eine vergrößerte Photographie in einem schmalen, glatten Silberrahmen. Sie zeigt ein junges Mädel im Dirndlkleid und Spenzer, das auf einem großen Stein sitzt und sich gerade den einen derben, hohen Bergstiefel zuschnürt. Und daneben steht, nur im Halbprofil zu sehen, ein junger Mann, der über das Mädel hinweg nach den Bergen guckt, die gleich dahinter aufsteigen. Er ist auch in Trachtenzeug gekleidet, in kurzer Hose und Janker, aber sein Gesicht ist kein Jungengesicht mehr, sondern ernst und ruhig — wie die Berge sind. „Das sind meine Eltern“, sagte dann Reni immer, wenn die fremden Mädel bewundernd davor standen, und jedesmal fühlte sie, wie ein glücklicher Stolz in ihr aufstieg. Die andern hatten Freundinnen und Geschwister, aber solch großartige und wunderschöne Eltern hatte bestimmt keins von ihnen.

Alle Erholungskinder beneideten Reni stets, daß sie hierbleiben durfte, für immer. Sie fanden das wundervoll und begeisternd — dann konnte sie doch immerfort am Rundlauf turnen und an den so sehr begehrten Ringen schaukeln — und im Schlafsaal ringsum in allen Betten schlafen, wenn sie allein war — sie nickte und lachte. Gerade jetzt war so eine wilde und lustige Liselotte da, die ihr tausenderlei vorschlug, was sie allein hier treiben würde — so als reichten die sechs Wochen, die sie hier wäre, nicht aus.

„Nein, aber nun müssen wir wieder rüber, die Tante Thea wartet sicher schon“, sagte Reni endlich, „wir haben doch heute nachmittag noch mal freiwilliges Turnen. Und hinterher spielen wir noch ein bißchen Anschlagverstecken im Dustern, wollen wir? An der Henriette ist Anschlag, und ins Haus laufen gibt’s nicht ...“

„O ja, o ja!“ riefen die andern und liefen hinter ihr her. Am Abend saß sie dann allein in ihrem Stübchen und schrieb einen Bericht an den Onkel Doktor. Er mußte doch alles wissen. Dann fiel sie todmüde ins Bett.

Es zeigte sich, daß der Onkel Doktor, obwohl er doch beileibe nicht immer da war, doch die Seele des Kinderheims darstellte. Jetzt, wo er verreist war, fehlte er überall. Er hatte natürlich einen Vertreter da, aber der war jung und kannte so einen Betrieb überhaupt nicht, er wurde nur zu Krankheitsfällen gerufen. Und Tante Mumme ging es im Augenblick gar nicht gut, sie war durch die Hitze matt und viel nervöser als sonst. Fast jeden Tag passierte etwas Unvorhergesehenes.

Vielleicht lag es auch an den Kindern. Es waren dieses Mal besonders wilde und unbändige Exemplare, die zwar gut zusammenpaßten, aber doch mehr Unfug anstellten, als so leicht wieder gutzumachen war. Die Allerwildeste und Allerlustigste war wohl Liselotte, und gerade sie hatte sich mit Reni sehr zusammengetan.

An einem krachheißen Sonnabend erbarmte sich die Tante Thea, die sah, daß Tante Mumme ein Aufatmen nötig hatte, mitsamt einer andern jungen Helferin und schlug vor, mit allen Kindern einen Ausflug in die Berge zu machen. In die Blaubeeren — da konnte Tante Mumme sich erholen und Kraft sammeln für den Sonntag.

Die Kinder waren einverstanden, und Tante Mumme versprach ihnen bei ihrer Rückkehr eine große Menge rote Grütze mit Vanillesoße. Es wurde also gepackt, Brote mußten gestrichen und eingewickelt werden, und Reni überwachte wie immer deren Ausgabe und steckte für Liselotte und sich selbst vorsorglich noch zwei zusätzliche Päckchen ein. Schließlich ging es auch wirklich los. In den Bergen war es durchaus erträglich, denn die Bäume hielten die Luft kühl, und Tante Thea wußte herrliche Blaubeerflecke. Sie war ja hier aufgewachsen und kannte das Gebirge wie ihre Tasche.

Es ging alles glatt wie immer, wenn die junge Turnlehrerin das Kommando hatte. Sie ließ die Kinder sich erst einmal richtig satt tollen, dann jagte sie diese in die Blaubeeren, und gegen Abend sammelte sie alle um sich und erzählte ihnen, während sie ihre Brote aßen, eine lange Geschichte. Das war fast das Allerschönste.

Alle waren eigentlich ziemlich müde, nur Liselotte blitzte der Übermut noch so richtig aus den Augen. Sie hatte zu Hause nur Brüder und war selbst ein halber Junge. Die andern waren alle ein bißchen klein geworden und wollten nach Hause.

Nun konnten sie sich aber über den Heimweg nicht recht einigen. Reni und Liselotte behaupteten, sie wüßten einen Abschneider, sie wären erst vor kurzem hier gewesen und dann ganz schnell nach Hause gekommen, durch eine Schneise und dann durch Gebüsch — sie wollten es den andern zeigen. Tante Thea war nicht sehr für Abschneider.

„Meistens verläuft man sich und muß dann erst recht lange laufen und suchen, bis man die richtige Straße wieder hat“, sagte sie aus Erfahrung. Reni aber lachte.

„Ich kenn den Weg schon!“

„Dann gehen wir ihn alleine — und zu Hause helfen wir die Tische decken, damit ihr gleich losessen könnt, wenn ihr heimkommt“, schlug Liselotte vor. Tante Thea lachte.

„Oder ihr verlauft euch und kommt erst spät an, hungrig und durstig, und wir haben euch alles weggegessen.“

„Jaja!“ Die andern lachten und jubelten.

„Wir finden aber wirklich — wollen wir wetten? Wir sind bestimmt eher da als ihr!“ beteuerte Reni, und nun waren die andern dafür, daß die Wette gelten sollte. Die beiden konnten ja ruhig mal sehen, wie sie allein durchkamen, und waren sie erst später daheim, so bekamen sie nichts von der ersehnten roten Grütze, auf die sich alle schon mächtig freuten. Damit sie sich endlich einmal ihre Großsprechereien abgewöhnten, jawohl!

„Wer spricht denn hier groß?“ lachte Liselotte, die immer das letzte Wort behielt. „Ich etwa?“

Tante Thea hatte Reni zugeblinzelt. Sie mochte die kecke und selbstbewußte Liselotte gern und flüsterte deshalb mit Reni. Ob sie den Weg wirklich sicher wüßte? Ja? Dann sollten sie doch die Wette ruhig abschließen, aber gewinnen müßten sie diese. Reni nickte mit glänzenden Augen. Sie war ihrer Sache sicher.

So trabten sie also, nachdem noch einmal alles genau besprochen worden war, allein los, Reni und Liselotte, während die andern, die nun darauf brannten, loszugehen, den richtigen, markierten Weg einschlugen, den sie auch hinzu gegangen waren. Reni konnte Liselotte kaum folgen, sie sprangen über eine Lichtung, zwängten sich dann durch Gebüsch und rannten, als gälte es ihr Leben.

Reni fühlte, wie ihr die Haut unter den dicken Zöpfen ganz naß wurde, aber sie rief Liselotte nicht zurück. Sie mußten doch unbedingt zuerst ankommen!

Nach einer Weile merkten sie, daß sie sich verlaufen haben mußten. Hier waren sie damals nicht vorbeigekommen — „... wir müssen mehr nach links und einfach bergab“, meinte Reni. Liselotte nickte, sie kämpften sich durch Brombeerranken und Unterholz und kamen dann auf eine ihnen völlig fremde Straße. Dann aber erkannte Reni eine Bank, die etwas unterhalb durch die Bäume schimmerte, und von neuem rannten sie los. Hopphopp — wirklich, sie hatten die richtige Richtung, und nach einer Viertelstunde trabten sie, schweißnaß und atemlos, im Heimhof ein, der noch — Gott Lob und Dank und Hurra! — leer war.

Erschöpft ließen sie sich auf eine der eingerammten Bänke fallen und schnappten erst mal nach Luft. Tante Mumme war nicht zu sehen, alles war noch friedlich und still. „Wir hopsen ins Planschbecken!“ schlug Liselotte vor, aber das fand nun Reni doch zu unvernünftig.

„Nein, weißt du, das darf man nicht, so erhitzt ins kalte Wasser, aber duschen gehen wir, lauwarm duschen, das erfrischt auch herrlich!“

Sie taten es. Es war wunderbar, im Duschraum nackt herumzuspringen und sich zu spritzen, soviel man wollte, dann zogen sie ihre Luftkittel an und sahen sich nach neuen Taten um. Es war so schön, das Feld einmal ganz für sich allein zu haben.

„Wir haben doch versprochen, die Tische zu decken“, erinnerte sich Reni. Liselotte machte ein saures Gesicht, gab aber dann nach. „Wir wollen nur erst mal sehen, ob es wirklich rote Grütze gibt“, meinte sie, „sonst decken wir womöglich falsche Teller.“ Sie liefen in die Wirtschaftsküche und riefen nach den Mädeln, aber durch irgend einen Zufall fanden sie niemanden.

„Komm, wir gucken selbst nach“, flüsterte Reni und zog Liselotte, die mit den Örtlichkeiten nicht so vertraut war, an der Hand mit sich. Ein großer, heller, luftiger Keller, der die „Verwaltung“ hieß, öffnete sich vor ihnen. Hier standen ganze Regale voller Weckgläser, Flaschen mit Obstsaft, die man kaum zählen konnte, und auf dem Fußboden, auf Stroh aufgestapelt, Unmengen von Blechbüchsen. Die Hurden, auf denen winters die Äpfel lagerten, waren leider leer.

„Aber siehst du, hier — es stimmt schon!“ jubelte Reni auf. Liselotte huschte hinter ihr her in den zweiten Keller: da standen auf einem Tisch im Dämmerlicht viele breite und große Schüsseln mit der dunkelroten, durchsichtigen Wabbelspeise, die niemand so herrlich und würzig kochte wie Tante Mumme. Und auf der Erde stand ein großer brauner Steintopf mit Vanillesoße. Die war gelb von Eiern und hatte oben eine wunderbare, runzlige, dicke, appetitliche Haut darauf. So schrecklich Milchhaut für die meisten Kinder ist, so gern mögen sie meistens Kakao- oder Vanillesoßenpelle. Liselotte jedenfalls sagte, sie äße sie schrecklich gern, und Reni nickte mit glänzenden Augen.

„Die Küchenmädel machen sie bloß immer kaputt, sie zerquirlen sie, ehe die Soße ausgegeben wird“, sagte sie bedauernd.

„Ja? Da essen wir sie runter!“ juchzte Liselotte leise. „Wenn sie doch nicht mit auf den Tisch kommt ...“ „Aber wie?“ Reni sah sie bedenklich an. Vielleicht fragte doch jemand danach, und ...

„Mit den Fingern!“ schlug Liselotte vor, dann aber sahen sie ihre Hände doch zögernd an. Beim Duschen war zwar manches abgegangen, aber das Blaubeersuchen den ganzen Tag über hatte sie doch so gefärbt, daß man unmöglich damit in den Topf langen konnte. Aber vielleicht war hier irgendwo ein Löffel?

Sie suchten umher, schoben ein paar Schubladen auf und zu und horchten immer wieder hinaus, ob auch niemand käme. Endlich rief Liselotte triumphierend: „Hier!“

Sie hatte auf dem Fensterbrett einen hölzernen Rührlöffel entdeckt. Eins zwei drei fuhr sie damit in den Topf und angelte nach der begehrten kühlen, süßen Haut, Reni drängte sich neben sie, und sie schleckten und leckten. Ah, wunderbar — dort schwamm noch ein Stück — da hörte man draußen einen Schritt. Erschrocken richteten sie sich auf, wollten fort, Liselotte blieb am Topfhenkel hängen — bauz! — ein großer gelber See auf der Erde, die ganze Soße lief davon. Die beiden Mädel standen wie erstarrt.

„Liselotte!“ — „Renil“

Die Schritte gingen vorbei. Aber damit war ja nichts geholfen ...

„Wir gehen gleich zu Tante Mumme“, sagte Reni dann zaghaft, ohne große Überzeugung, „oh, was wird sie sagen!“

„Wo sie doch auch noch krank ist!“ flüsterte Liselotte bedrückt. „Wir sagen lieber gar nichts — niemand hat uns doch gesehen!“

„Aber ausgegossen ist sie doch ...“

„Dann war es eben Mohrchen, wie neulich —.“ Vor zwei Tagen hatte der schwarze Kater, der im Heim lebte und von allen Kindern heiß geliebt wurde, etwas Wurst stibitzt. Tante Mumme hatte sehr gescholten, aber alle hatten flehentlich gebeten, Mohrchen nicht zu hauen. Sie wollten auch gern ihre Butterbrote „ohne“ essen. Reni war den Tränen nahe. „Ich mag nicht lügen!“

„Aber wir lügen doch nicht! Wir warten bloß ab — wenn uns jemand fragt, können wir immer noch die Wahrheit sagen!“

Sie horchten nach draußen. Liselotte faßte Renis Hand. „Los!“

Wirklich kamen sie ungesehen aus der Verwaltung und dem Wirtschaftsgebäude heraus. Reni dachte, das wäre vielleicht ein Zeichen, daß sie tatsächlich nichts sagen und Tante Mumme den Kummer ersparen sollten ... Die Soße war hin, so oder so, aber Tante Mumme war bestimmt viel ärgerlicher, wenn sie erfuhr, daß sie es gewesen war. Wenn Mohrchen es war, war es eben ein Küchenpech, weiter nichts. Bei ihnen aber war es eine richtige Ungezogenheit — sie bekamen so gutes Essen im Heim, daß Naschen wirklich häßlich war. Sie tat es sonst auch nie ...

Während sie noch, mit widerstrebendem Gefühl, neben Liselotte herlief, ertönte von der Liegewiese her „Huhu!“ und „Hallo!“ herunter, und die andern kamen im Rudel herabgerannt. Mit ihnen Tante Thea, lachend und fröhlich.

„Also habt ihr doch gewonnen! Aber lange könnt ihr noch nicht da sein!“ rief es durcheinander.

„Warum denn nicht?“ fragte Liselotte streitbar.

„Weil ihr noch keine Tische gedeckt habt, ätsch!“

„Ach, aber wir haben lange geduscht — und uns umgezogen ...“

„Aber Tischdecken gehörte auch mit zur Wette“, ereiferten sich die andern, die nicht zugeben wollten, daß sie verloren hatten. Es war ein lautes Hin und Her, das Tante Thea beendete, indem sie ihre Schützlinge in den Duschraum trieb. „Nun aber fix!“

Reni hatte im Augenblick ihr Unglück vergessen gehabt. Jetzt fiel es ihr wieder ein.

„Ich geh doch zu Tante Mumme“, dachte sie und sah sich nach Liselotte um. Die war nicht zu sehen ...

Da hörte sie hinter sich ihren Namen rufen. Sie fuhr herum —

„Reni! Hörst du denn nicht?“ Das war doch Mutters Stimme! Reni wirbelte herum, rannte, daß ihre Beine flogen, und gleich darauf hing sie an Mutters Hals.

Am Abend saßen sie bei Tante Mumme, Frau Jahnecke und Reni, und unterhielten sich. Tante Mumme war sehr betrübt, daß Reni fort sollte, aber sie sprach eigentlich nicht dagegen.

„Es ist zu viel, Frau Jahnecke, ich schaff’ es nicht mehr“, seufzte sie bekümmert, „ich werde alt! Am meisten merk’ ich es, wenn mein Bruder nicht da ist. Mit ihm zusammen, ja, da mag es noch gehen, aber allein ... Ich kann mich um das Kind nicht mehr richtig kümmern, neben dem ganzen Betrieb hier. Dabei täte ich es so gern! Ach, es ist hart, alt zu werden. Ich täte so gern noch ein paar Jahre mit! Aber ich versage, ganz und gar!“

„Aber Tante Mumme, Sie versagen doch nicht!“ tröstete Frau Jahnecke herzlich und legte ihre Hand liebkosend auf den Arm der alten Dame. „Es ist doch alles so schön in Schuß hier!“

„Nein, gar nicht“, widersprach Tante Mumme bedrückt, „ich bin nicht mehr die, die ich war. Heute erst — da hab’ ich doch gesagt, es sollte Vanillesoße geben, den Kindern hab’ ich’s versprochen und den Küchenmädeln hab’ ich es auch gesagt, bestimmt. Aber die — zu faul, welche zu kochen, oder hatten sie es verhört — bringen einfach Milch statt dessen auf den Tisch. Ich hätte nichts anderes gesagt. Und die Kinder hatten sich schon gefreut — man muß doch Kindern sein Versprechen halten!“

Reni sah zu Boden, ihr war, als müßte jeder, aber auch jeder an ihrem Gesicht sehen, was sie jetzt dachte. Oh, wie sie sich schämte!

Da hatten die Küchenmädel einfach den Mund gehalten, anständig und nett wie sie waren — wahrscheinlich hatten sie sie doch gesehen, als sie aus dem Keller hinausliefen, und wollten sie nicht verpetzen. Oder sie konnten es sich selbst nicht erklären ... Jetzt jedenfalls konnte sie doch aber nichts mehr sagen, oder? Denn dann zog sie die Mädel, die so nett zu ihr waren, mit hinein — und Liselotte natürlich auch ...

Sie sagte nichts. Niemand fragte sie ja, — aber sie hatte ein sehr, sehr schweres Herz, als sie an diesem Abend ins Bett ging, in ihr liebes, schmales, weißes Bett hier ...

Reni

Подняться наверх