Читать книгу Reni - Lise Gast - Страница 8
Ein neues Leben — Manches geht gut aus und manches weniger gut
ОглавлениеReni rannte über die Koppel, daß ihr heller Rock flog. Sie hatte die Mutter am andern Ende gesehen. Erika konnte gar nicht so schnell folgen. Aber Erika hatte auch Schuhe an.
Erika durfte so vieles nicht. Nicht barfuß gehen, nicht im Luftkittel laufen, nicht im Bach waten und erst recht nicht schwimmen gehen, wenn es ihr paßte. Sie hatte zwar Schwimmen gelernt, aber das nützte ja nicht viel, wenn man nicht ins Wasser durfte.
„Wart ihr wieder bei den Fohlen?“ fragte die Mutter.
Reni nickte:
„Aber bloß geguckt!“
Sie sprach die Wahrheit. Gerade, als sie wieder ihr Lieblingsspiel mit den jungen Pferden beginnen wollte — rechts und links eins an der Mähne fassen und dann heidi los über die Koppel! — hatte sie Mutter gesehen und war zu ihr hingelaufen, ohne Fohlen. So konnte sie Mutters fragenden Augen ehrlich standhalten.
Mutter hätte ihr das Fohlenrennen auch nicht verboten. Aber Frau Niethammer hatte Angst, wenn Erika es tat, ein Fohlen könnte sie treten oder über sie weglaufen oder so etwas. Dabei gehen doch Pferde nie über Menschen, daß weiß jeder ...
„Ihr könnt in die Mühle fahren, ein paar Zentner Äpfel abholen, mit dem Dogcart. Seid aber pünktlich zum Essen wieder da!“
Die letzte Ermahnung war unnötig. Reni war vom Heim her an genaueste Pünktlichkeit gewöhnt, denn dort ging es ja einfach nicht, wenn jeder zu den Mahlzeiten kam, wann es ihm gerade paßte. „Komm, Erika!“ rief sie und winkte der Mutter zu. Allein mit dem Pferd zu fahren gehörte zum Allerschönsten, was es gab.
Es war schon eingespannt, die alte, dicke Jule, die bestimmt keine Dummheiten mehr machte. Herr Niethammer stand dabei und ermahnte die Mädel noch ohne Ende, vorsichtig und verständig zu sein. Reni nickte und versprach, sie würde bestimmt auf Erika gut achtgeben. Dann nahm sie die Zügel.
Es war heiß, und die Jule nahm sich Zeit. Trotzdem fand es Reni herrlich, zu kutschieren. Sie fuhren den Wiesenweg nach der Mühle, und als sich der Bach ein bißchen der Straße näherte — er lief an sich in Windungen durch die Wiesen — meinte sie, sie könnten sich doch rasch ein wenig abkühlen. Niemand war zu sehen, so hatte auch Erika keine Bedenken, und gleich darauf platschten sie in den Bach hinein. Oh, es war herrlich, das kühle Wasser um die Beine zu spüren bei dieser Backofenglut!
„Aber die Jule muß auch was davon haben, sie hat sicher Durst“, sagte Reni eifrig, „warte, ich spann’ sie aus, mit dem Wagen kommen wir nicht rüber!“
Sie lief, nur mit dem Schlüpfer bekleidet, den sie als Badehose anbehalten hatte, zum Dogcart zurück und befreite die Jule von ihrem Geschirr. Nur den Zaum ließ sie ihr, womöglich bekam sie sonst die Trense nicht wieder in das Pferdemaul hinein. Die langen Zügel wickelte sie zusammen, wollte dann das Pferd hinüberführen, besann sich aber eines anderen. Sie schob und drückte es neben den Wagen, kletterte auf diesen hinauf und ließ sich auf den Pferderücken hinübergleiten.
„Los, Jule!“ rief sie und schnalzte mit der Zunge, und als das nichts half, puffte sie dem Pferd tüchtig mit den Fersen in die Seiten. Wirklich, die Jule setzte sich in Bewegung, Erika schrie vor Schrekken und Begeisterung, als sie Reni so angeritten kommen sah.
„Fein! Nachher komm ich dran, ja?“
„Erst muß die Jule aber trinken“, bestimmte Reni und trieb das Pferd an den Bach heran. Dann rutschte sie herunter. Die Jule trank, und Reni sah ihr andachtsvoll zu. „So, jetzt kannst du mal!“
„Wie komm ich denn rauf?“ fragte Erika zweifelnd.
„Hier! Tritt hier rein!“ befahl Reni eifrig und hielt ihr die verschlungenen Hände hin. Erika war etwas zaghaft, aber Reni ermunterte sie energisch. „Los, los, gleich bist du oben!“ Sie behielt vorsichtshalber die Zügel in der Hand und führte das Pferd; aber Erika fand es auch so wunderschön.
„Nun müssen wir aber wieder einspannnen“, sagte Reni schließlich. Erika rutschte, halb bedauernd, halb erleichtert, daß alles gut abgelaufen war, wieder herunter, und nun machten sie sich daran, wieder anzuspannen. Das war gar nicht so einfach. Alles will gelernt sein. Als sie schließlich so weit waren, daß sie meinten, sie könnten abfahren, rutschte beim Anziehen des Pferdes das ganze Gurtzeug nach hinten. Sie hatten vergessen, den Bauchgurt richtig festzuziehen. Reni sprang schnell vom Wagen und holte es nach. Nun ging es.
In der Mühle mußten sie erst eine Weile warten, weil die Müllersfrau gerade Wäsche aufhängte.„Ihr bekommt die Äpfel gleich! Kostet nur erst mal!“ sagte sie freundlich und warf ihnen einige zu. Das war nicht dumm. Sie setzten sich an den Rand der Wiese und aßen, bis die Frau fertig war. Dann wurde der Korb Äpfel umständlich geholt, gewogen, verstaut, ein Sack dazu — es war dreiviertel zwölf, als sie losfuhren. Reni sah es am Uhrtürmchen der Mühle und erschrak.
„Wir müssen schnell machen, Mutter sagte extra ...“ meinte sie und versuchte, Jule zu einem gelinden Trab zu bewegen. Aber die Jule machte nicht mit. Sie ging Schritt, soviel sie auch mit dem Zügel auf ihr dickes Hinterteil klatschten. Eine Peitsche hatten sie nicht mit und hätten sie auch nicht benutzt. Sie hatten eben vorhin zuviel Zeit vertrödelt, und nun kamen sie sicher zu spät.
„Zu Fuß wären wir schnell zu Haus“, sagte Erika, „wenn man dort drüben durch den Bach geht und quer über die große Wiese — hier macht der Weg einen großen Bogen und wir müssen dann noch durchs ganze Dorf. Dortherum kämen wir sofort ins Gut hinein!“
„Da fahren wir eben so, wenn dort eine Furt ist“, sagte Reni und bog sogleich in den Seitenweg ein.
„Wenn die Jule nur durchgeht“, meinte Erika bedenklich, aber Reni hatte keine Sorge. Warum denn nicht!
Es stellte sich jedoch heraus, daß Erika doch besser Bescheid wußte, wenigstens manchmal. Kaum war die Jule bis zu den Fesseln im Bach, als sie stehen blieb, es schien ihr darin sehr zu behagen. Das kühle Wasser an den heißen, müden Füßen — mochten die beiden Mädel da hinten Hü! und Hott! rufen, soviel sie wollten.
Sie riefen ausgiebig. Dann sprang Reni vom Wagen und watete vor, faßte die Jule am Zaum. „Los, du alte faule Schatulle!“ schimpfte sie, aber es war ein Stück Arbeit, das große schwere Pferd zum Anziehen zu bringen. Und mehr als ein Anziehen wurde es auch nicht, der Wagen stand ja im Bach und die Räder waren bereits vom Sand überspült, so daß es sicher schwer ging, den Wagen zu bewegen. Mit jeder Minute schwerer ...
Reni zog, schrie und schimpfte. Nach einer Weile kam auch Erika dazu, aber es war nichts zu machen. Der Wagen versandete immer weiter, und die Jule stand wie ein Block. Dabei wurde es immer später.
Schließlich wurde ihnen klar, daß sie allein, ohne Hilfe, hier nichts ausrichten würden. Also los, einer mußte sich entschließen, einen Erwachsenen zu holen.
„Willst du laufen oder soll ich?“ fragte Reni. Erika sah so bedenklich drein, daß Reni gleich hinzufüge: „Bleib mal, ich geh schon, ich hab’s ja schließlich auch angezettelt.“
Sie rannte los. Kaum war sie in den Gutshof gekommen, da sah sie schon Frau Niethammer stehen, die nach der andern, der Dorfseite zu, ausspähte, bestimmt nach ihnen.
Sie huschte ungesehen von ihr ins Haus, suchte die Mutter. Zum Glück war sie in ihrem Zimmer.
„Ihr dummen Mädel!“ schalt sie erschrocken. „Wenn das Frau Niethammer erfährt! Dann läßt sie euch doch nie mehr allein fort. Na, wollen mal sehen, ob wir ihr den Schreck ersparen können.“
Es gelang ihnen tatsächlich, ein zweites, angeschirrtes Pferd abzufangen, das gerade von draußen kam. Mit ihm trabten sie zur Furt. Reni war schon wieder ganz getröstet, seit Mutter sich ihrer angenommen hatte, und genoß den kurzen Ritt. Mutter machte eins, zwei, drei den Retter. Sie spannte das Pferd vor die Jule, Frau Jahnecke nahm es am Zaum, und mit Holla Hopp! ruckte der Wagen an. Gott sei Dank, er ruckte nicht nur, sondern kam ganz heraus. Und nun zog ihn die Jule brav allein nach Hause.
Sie hatten das ganz große und unverdiente Glück, in den Hof zu kommen, ohne daß jemand sie sah. Frau Niethammer war inzwischen in der Unruhe ihres Herzens die Dorfstraße ein Stück hinuntergegangen. Kaum hatten die Mädel sich gewaschen und die verwilderten Haare glatt gebürstet, da tönte der Gong: halb eins. Frau Niethammer kam, sichtlich erregt und besorgt, ins Eßzimmer — da standen ja die Mädel!
„Wo kommt ihr denn her?“
„Wir sind gleich über die Wiesen gefahren“, sagte Reni rasch, und Erika murmelte:
„Weil wir so lange warten mußten in der Mühle!“
„Ja, seid ihr denn glatt durch den Bach gekommen?“ fragte Herr Niethammer erstaunt. Reni wurde feuerrot, und ihre Mutter sagte schnell: „Das Wasser ist nicht hoch, jetzt, bei der Hitze!“
Es war ihr gar nicht recht, daß sie den Kindern so beisprang, aber im Augenblick ging es nicht anders. Nach Tisch nahm sie die beiden ins Gebet. „Daß mir sowas nie wieder vorkommt!“
Erika nahm ihre Ermahnungen sichtlich ernst, Reni dagegen schien wenig beeindruckt. Es war ja nichts passiert ... Am Nachmittag war sie bereits wieder auf der Koppel: Fohlenrennen. Erika saß am Rand und mochte nicht mitmachen. Sie hatte Bauchweh von den vielen Äpfeln, die sie gegessen hatte.
Reni hatte nie Bauchweh. Sie glaubte auch Erika nicht ganz, aber das war unrecht: Erika hatte wirklich Bauchweh und legte sich gegen Abend hin. Am andern Tag mußte sie im Bett bleiben und bekam Haferflocken, denn sie hatte einen verdorbenen Magen.
Reni war nicht so herzlos, daß ihr das nicht leid tat. Sie saß bei Erika am Bett und bewunderte, da sie ja nun doch nicht hinauskonnten, die dreizehn Puppen, die Erika hatte. Sie waren wirklich hübsch. Sie setzte sie alle in Reih und Glied aufs Fensterbrett, dann aber wußte sie nichts mehr mit ihnen anzufangen.
„Ich muß überhaupt noch einen Brief schreiben“, sagte sie plötzlich. „Hast du Briefpapier?“
Ja, Erika hatte welches, hellblaues und rosa mit kleinen Blumenbildern und ihrem Monogramm, E. N., oben in der Ecke.
„Ob man das nicht ändern kann?“ fragte Reni. Aber ihre eigenen Anfangsbuchstaben waren zu verschieden von denen Erikas. Schließlich meinte sie, man könnte es dem Onkel Doktor ja erklären, warum das oben auf dem Briefbogen stünde.
„Schreibst du an den Doktor?“ fragte Erika. Sie hatte gedacht, Reni würde an irgend eine Freundin schreiben wollen.
„Ja, er muß doch wissen, wie es mir geht. Schreib du ihm doch auch“, sagte Reni eifrig und brachte der Freundin eine Unterlage, einen Bogen und einen Bleistift. „Der genügt, weil du doch im Bett schreibst, ich nehm’ natürlich Tinte. Hoffentlich mach’ ich keinen Klecks.“
Sie machte aber doch einen. Weil er aber erst passierte, als der Brief schon vier Seiten lang war, konnte niemand erwarten, daß sie deshalb noch einmal von vorn anfing. Da vom Radieren Kleckse noch nie wirklich weggegangen sind, ließ sie ihn stehen, lachte dann und malte ihm einen Kopf, zwei Arme und zwei Beine an. Nun war er ein kleiner dicker Mann. Inzwischen war auch Erika fertig geworden, und Reni steckte beide Briefe in einen Umschlag, adressierte und klebte ihn zu. „Und jetzt spielen wir, Mensch, ärgere dich nicht‘!“
Am andern Tag war Erika wieder gesund. Aber nun regnete es. Regen auf dem Land ist für Kinder schrecklich langweilig. Reni dachte mit Wehmut ans geliebte Heim — da gab es an solchen Tagen Kasperletheater oder Märchennachmittag oder sogar mal Kino. Hier gab es all so etwas nicht. Erika sah mit Schrecken, daß Reni sich langweilte — „Wir gehen in die Bodenkammer“, schlug sie vor.
Das war eine gute Idee. Dort oben standen alte, dunkle Regale mit grünen, zerschlissenen Vorhängen davor, und darin konnte man die schönsten Entdeckungsreisen machen. Alte Bücher, verstaubte Spielsachen, Puppenstuben, Schachfiguren ohne Brett, ein zoologischer Garten mit Papiermaché-Heren—an Langeweile war nicht mehr zu denken. Zum Schluß aber fanden sie das Schönste: eine Truhe mit Maskenkostümen. Nun konnten sie sich verkleiden, wunderbar!
Reni schrie und lachte vor Vergnügen, während sie eins nach dem andern hervorkramte. Bunte Schleier, knisternd steife Silbermützen, ein Pierrotkostüm, ein Schornsteinfegeranzug und vielerlei Larven. Reni kroch in alle Jungensachen, sie verkleidete sich so gern als Junge, während Erika sich als Königin der Nacht drapierte — in einem dunkelblauen Seidenkleid mit langer Schleppe und einem Halbmond in den offenen Haaren sah sie wirklich so aus, wenn sie durch den Bodenraum rauschte, mit hocherhobenem Haupt und majestätisch wie eine geborene Durchlaucht.
Auf dem Boden schlief auch die Mamsell, sie hatte das Giebelzimmer nach Westen. Es war nicht verschlossen, Erika huschte hinein.
„Wie hübsch das hier ist!“ sagte Reni verwundert. Sie konnten die Mamsell nicht sehr gut leiden, weil sie immer schimpfte. Reni und Erika behaupteten, sie wäre geizig ... das sagen wohl alle Gutskinder von ihren Mamsellen. Aber man kann ja nicht erwarten, daß diese braven Wirtschafterinnen einem dauernd pausenlos Äpfel, Kuchen oder ähnliches zustecken.
„Wollen wir ihr nicht ein Gespenst aufbauen?“ schlug Reni vor, und Erika, die sich erst neulich über die Mamsell geärgert hatte, als sie für die Puppen kochen wollte und kein Puddingpulver herausbetteln konnte, war sofort einverstanden. Sie liefen hinüber und suchten aus der Truhe einen dunklen Anzug heraus, hingen ihn über einen Besen und stopften ihn mit alten Tüchern aus. Als Kopf nahmen sie ein Handtuch, das sie zusammenwickelten, steckten die scheußlichste Larve, die sich finden ließ, davor und stülpten obendrauf einen alten Hut. So kam der Buhmann in die Stubenecke.
„Hoffentlich kommt sie erst abends rauf, damit sie recht erschrickt”, sagte Reni, „am Tage sieht man’s gleich, daß es bloß altes Zeug ist!“
Sie stopften das übrige in die Truhe zurück, wie es gerade kam, und liefen hinunter, um sich Vesperschnitten zu holen. Der Regen hatte übrigens aufgehört, und Herr Niethammer fragte, ob sie mit in die Schäferei fahren wollten. Natürlich wollten sie. Darüber vergaßen sie ihr Gespenst vollständig.
Es wurde ihnen aber ins Gedächtnis zurückgerufen, und zwar sehr nachdrücklich. Schon eine ganze Weile nach dem Abendbrot — Mutter hatte sie eben ins Badezimmer getrieben und ein bißchen gescholten, sie sollten sich doch endlich beeilen — ertönte ein lautes Geschrei, und im Flur gab es ein Hin und Her und Rufen und Kreischen. Die Mamsell stand, in die Schürze heulend und an allen Gliedern zitternd im Treppenwinkel und verschwor, nie wieder auf den Boden zu gehen; in ihrem Zimmer stünde ein Kerl. Als die andern ihr das auszureden versuchten, wurde sie ganz giftig. Sie hätte ihn genau gesehen und auch erkannt, ja wohl! Ganz genau, niemand könnte ihr das ausreden! Und keine zehn Pferde brächten sie jemals wieder auf den Boden hinauf ...
Es gab ein langes Hin- und Hersprechen, und Reni und Erika hörten hinter der angelehnten Badezimmertür zu, aber sie lachten gar nicht mehr über den durchschlagenden Erfolg ihrer herrlichen Idee. Im Gegenteil ... Schließlich gingen Herr Niethammer und ein Kutscher hinauf, die Mamsell blieb ihren vielfachen Eiden treu und unten. Nach fünf Minuten war alles aufgeklärt.
Herr Niethammer war sehr ärgerlich, mehr eigentlich über Mamsells Anstellerei als über die Dummheit der Mädel, aber er mußte natürlich auf sie als die Urheber des Theaters schelten. Das tat er denn auch, donnerte, daß sie ganz klein und häßlich dastanden und sich in ein Mauseloch wünschten, und dann brummte er zu Mamsell:
„So, rauf jetzt, so ein Kerl tut nichts!“
Leider aber war die Mamsell eine von denen, die Haare auf den Zähnen haben.
„So, rauf jetzt — kommt gar nicht in Frage! Entweder ich krieg’ jetzt endlich ein Zimmer in menschlichen Gefilden oder ich gehe zum Ersten, so wahr ich hier stehe! Immer hab’ ich schon gesagt ...“
Ja, sie hatte schon seit je über ihre Unterbringung unter dem Dach gemault und räsoniert. Reni wußte das nicht, sie glaubte, sie allein wäre nun schuld, daß die Mamsell schließlich, um Ruhe im Haus zu bekommen, von Frau Niethammer im Fremdenzimmer einquartiert wurde. Das hatte die gerissene Dicke längst vorgehabt, und nun ergriff sie die Gelegenheit mit Wonne. Aber für Frau Niethammer war es ärgerlich und für Erika und sie schrecklich peinlich ...
Sehr gedrückt kroch Reni an diesem Abend ins Bett. Mutter hatte sehr ernsthaft gescholten — erst die Geschichte mit dem Wagen im Bach, dann Erikas verdorbener Magen —, daß Reni daran nicht Schuld war, sah Mutter anscheinend nicht ein, Mütter sind so. Wenn sie schelten, schelten sie in Bausch und Bogen ... Und nun diese Gespensteraffäre.
„Du mußt doch bedenken, daß es sehr nett ist von Niethammers, wenn du hier sein darfst“, sagte sie vorwurfsvoll. „Wenn du drei Jahre alt wärst, könntest du das nicht verstehen. Aber so! Und Leute erschrecken soll man nie, das ist genau wie bei Pferden. Ein Schreck kann fürs Leben schaden ...“
Gottlob, daß sie bei den Pferden angelangt ist, dachte Reni ein klein bißchen erleichtert. Wenn Mutter auf dieses Thema kam, wurde sie sanfter, das wußte sie aus Erfahrung, schon weil man eben mit Pferden immer sanft sein muß. Trotzdem mußte sich Reni noch eine ganze Weile anhören, wie ein Schreck auf dieses oder jenes Pferd schädlich gewirkt hatte. Sie schlief schließlich darüber ein, ohne Absicht, sie war sehr müde ... Mutter merkte es erst viel später. Sie seufzte. Es war nicht so leicht, eine kleine Tochter bei sich und doch nicht genug Zeit für sie zu haben.