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Vorladungen

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Roger Sligh saß in seinem Schlafzimmer im Klubsessel. Es war drei Stunden nach Mitternacht. Er hatte die Stehlampe wieder angeschaltet. Vor ihm auf dem kleinen Tisch lag der Zettel: »Roger Sligh, M. D., Indian Hospital, 8 000,-.«

Er konnte das Papier vernichten. Was ging ihn sein eigener Name an! Und die lächerliche Summe. Aber leider hatte er Landis, Walker und Mrs Carson bereits wissen lassen, dass ihn der Zettel interessierte und verwunderte. Der junge und unangenehme Beamte Sidney Bighorn, vor nicht langer Zeit noch Ankläger am Stammesgericht, hatte von der Sache erfahren.

Sligh hatte auf dem Umweg über Dr. Miller, die Stationsschwester und die Patienten, die mit Joe King im gleichen Zimmer lagen, bereits erkundet, wie der Besuch Bighorns bei King verlaufen war. Sligh freute sich über diesen Verlauf. Dort wenigstens war von der verdächtigen Sache nicht die Rede gewesen.

Aber Roger Sligh hatte eine Vorladung der Polizeibehörden in New City erhalten.

Vernichtete er jetzt den Zettel?

Noch stand es ihm frei, das zu tun oder es nicht zu tun.

Wenn er das Papier vernichtete, verzichtete er selbst auf ein Beweisstück. Beweisstück wofür?

Wenn er es nicht vernichtete, konnte der Erpresser vielleicht gefasst werden. Vielleicht.

Der Verbrecher hatte sich schon lange nicht mehr gerührt. Wenn er gefasst wurde, sagte er möglicherweise aus …

Das konnte dem Burschen mehr schaden als Roger Sligh. Absolut gesehen, sicher. Relativ gesehen … Relativ gesehen war es für einen Chirurgen, der nach einer Kunstpause weiteren Ruhm erhoffte und höchstes Ansehen genießen wollte, nicht weniger bitter, in der Versenkung gesellschaftlicher Verachtung zu verschwinden, als es für einen Gauner bitter war, einige Zeit wieder einmal hinter schwedische Gardinen zu gehen.

Sligh spielte mit dem Zettel hin und her. Endlich legte er ihn in seinen großen Aschenbecher, zündete ihn mit seinem Feuerzeug an und verbrannte ihn. Er rauchte noch einige Zigaretten und mischte die Asche. Die Haushälterin würde darauf nicht aufmerksam werden. Er legte sich zu Bett, versuchte aber nicht zu schlafen, denn er wusste im Voraus, dass ein solcher Versuch aussichtslos sein würde. Er rauchte im Bett weiter und stand um sechs Uhr morgens auf.

Nach vier notwendigen Visiten, die ihm der Assistenzarzt nicht abnehmen konnte, fuhr er allein in seinem Privatwagen nach New City, um der Vorladung Folge zu leisten.

Sheriff Crawford empfing ihn.

Crawford erschien Sligh als ein in jeder Beziehung normaler Berufsmensch, nicht zu jung, nicht zu alt, vermutlich weder erschreckend intelligent noch dumm. Sechs Fuß groß, Langschädel, blond, Augen grau, gesunde Hautfarbe, besondere Kennzeichen: keine. Sligh fasste Vertrauen. Crawford schien ganz das zu sein, was der Arzt wenigstens zu scheinen wünschte: Mensch ohne Abweichungen.

»Was hatte es doch mit diesem Zettel auf sich, Dr. Sligh, der in den letzten Ausscheidungen des Patienten Joe King vor der Operation gefunden wurde?«

»Enthielt meinen Namen und die Angabe ›Indian Hospital‹ sowie die Zahl 8 000,-.«

»Weiter nichts?«

»Nichts.«

»Kannten Sie die Handschrift?«

»Nein.«

Sligh log. Er log aus Selbsterhaltungstrieb. Dabei war er sich bewusst, dass er künftig bei seiner Lüge bleiben musste.

Der Sheriff zog die Augenbrauen hoch.

»Nein? Kannten Sie die Handschrift nicht?«

»Nein.«

»Wie erklären Sie sich die Sache, Dr. Sligh?«

»Gar nicht.«

»Ist aber doch merkwürdig, diese Geschichte.«

»Ja, tatsächlich.«

»Was sagt denn King dazu?«

»Nichts.«

»Er muss doch eine Erklärung geben.«

»Warum muss er das? Er erinnert sich überhaupt an nichts, was zwischen dem Reservationsrodeo im Herbst vorigen Jahres und seiner Einlieferung in die Klinik Miller vor sich gegangen ist.«

»Auch nicht an seine Operation?«

»Nein.«

»Halten Sie das für menschenmöglich?«

»Bei der Art seiner Nervenverletzungen, ja. Nicht für unmöglich.«

»Hm.«

»Tja.«

»Können Sie mir den Zettel bitte vorlegen?«

»Ich besitze ihn nicht mehr.«

»Wieso nicht?«

»Ich habe ihn weggeworfen.«

»Mr Sligh!«

»Wie ich Ihnen sage.«

»Warum denn das?!«

»Warum denn nicht? Was soll ich mit meinem eigenen Namen und meiner Adresse? Völlig bedeutungslos.«

»Doch war die Art, wie Sie zu dem Zettel kamen, ungewöhnlich, und Sie selbst waren höchst erstaunt darüber.«

»Ganz natürlicherweise.«

»Und weiter?«

»Ich war sehr erstaunt, und damit hatte sich das auch.«

»Soll ich das glauben?«

»Das steht ganz bei Ihnen.«

Crawford überlegte.

Der unauffällig aussehende und unauffällig platzierte Protokollant hatte mitgeschrieben.

»Wird King die partielle Gedächtnisstörung überwinden? Wie urteilen Sie als Arzt, Mr Sligh?«

»Kann sein oder auch nicht.«

»Ich habe die Akte dieses Vorbestraften studiert. Er nutzt die Möglichkeit der Aussageverweigerung in nahezu allen seinen Verfahren. Ich halte seinen Gedächtnisschwund nur für eine neue Form der alten Taktik.«

Sligh zuckte die Achseln.

»Sie haben ihn operiert. Woher rührte der Zusammenbruch?«

»Offenbar vernachlässigte sehr üble Verbiegungen, die er beim Einsinken in einen Sumpf in Kanada erlitten hatte. Das Röntgenbild von damals liegt vor. Ich habe es mir kommen lassen.«

»Hm. Hm. Sie können mir also tatsächlich nicht weiterhelfen, Dr. Sligh?«

»Leider nicht. Da ich auch gar nicht weiß, worauf Sie eigentlich hinauswollen.«

»Das weiß ich im Augenblick selbst noch nicht genau, Dr. Sligh. Ihnen als Arzt werden auch schon solche Situationen begegnet sein. Sie finden Symptome, die nicht normal sind, und suchen weiter, um ein vollständigeres Bild zu gewinnen und die Krankheit zu diagnostizieren.«

»So fassen Sie das auf.«

»Ja.«

Sligh konnte gehen.

Er bedauerte, nicht erfahren zu haben, welche Symptome für nicht normale Zustände Mr Crawford außer dem verwunderlichen Zettel gefunden hatte.

Crawford las das Protokoll durch und wartete auf den nächsten der Vorgeladenen, in einer halben Stunde. Er wollte zunächst mit jedem allein sprechen. Vielleicht kam er doch ein Stück weiter und konnte Richter Elgin über Anhaltspunkte für einen Haftbefehl berichten. Das Verhalten Slighs hatte nicht viel, aber doch einen neuen Verdacht ergeben.

Queenie King, die Frau des Joe King, trat ein. Crawford beobachtete sie, wie sie von der Tür hin zu dem Stuhl ging, den Crawfords Handbewegung ihr anbot, und er betrachtete sie noch einige Zeit, ehe er zu fragen begann.

Die junge Indianerin war einfach angezogen. Sie bewegte und hielt sich, wie es schien, ohne Verlegenheit. Im Internat von Weißen erzogen, nicht dumm, harmonisch gewachsen, erotisch, urteilte Crawford nach den Akten und seinem Eindruck. Er war nüchtern gestimmt. Auch Mrs King wurde zum ersten Mal in der Sache vernommen.

»Mrs King, wollen Sie aussagen?«

»Ja.«

»Wann ist Ihr Mann an jenem Oktobertag von zu Hause weggefahren?«

»Morgens früh.«

»Was hatte er vor?«

»Er sagte mir nicht, wohin er fahren wollte.«

»Merkwürdig, nicht?«

»Nein, wie gewohnt.«

»Was nahmen Sie an?«

»New City.«

»Was könnte er dort vorgehabt haben?«

»Seine Schwester zu besuchen, seinen Bekannten Russell oder den Viehhändler Krader aufzusuchen, sein Jagdgewehr von Krause abzuholen – er hat dieses Jagdgewehr nach Hause mitgebracht. Die Waffe ist überprüft worden. Es waren Schüsse daraus abgegeben worden, vermutlich Probeschüsse. – Mehr weiß ich nicht zu sagen.«

»Bekannt. Aus seinen Pistolen waren auch Schüsse abgegeben worden.«

Queenie King schwieg.

»Das wissen Sie doch.«

»Nein.«

Crawford überlegte. Die überprüften beiden Pistolen waren sehr sorgfältig gereinigt gewesen.

»Wieviele Pistolen besitzt Ihr Mann?«

»Zwei.«

»Was vermuteten Sie, als Ihr Mann bei der Rückkehr zusammenbrach?«

»Nichts. Ich war nur darum besorgt, ihn so rasch wie möglich in das Hospital zu bringen.«

»Sie müssen sich doch etwas gedacht haben.«

»Ich war vom Schreck überwältigt.«

»Ihr Mann ist tätowiert.«

Queenie King feuchtete ihre trocken werdenden Lippen an, ehe sie antwortete.

»Ja. Er ist tätowiert.«

»Seit wann?«

»Er war es, als wir heirateten.«

»Was bedeuten die Zeichen?«

»Ich weiß nicht, was sie für meinen Mann bedeuten. Es sind aber Kultzeichen unseres Stammes.«

»Sie haben Ihren Mann nie gefragt?«

»Nein, nie.«

»Soll ich Ihnen das glauben?«

»Ja.«

»Wissen Sie, dass die Mitglieder mancher Gangs sich tätowieren lassen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Sie haben sich doch von Ihrem Mann mehr als einmal über seine Gangsterzeit berichten lassen. Seine Vergangenheit ist Ihnen bekannt.«

»Sie sind falsch unterrichtet worden, Sheriff.«

»Meinen Sie?«

Crawford beendete das Verhör.

Queenie King verließ den Raum. Sie hatte nicht gelogen; und sie spielte weder mit Befürchtungen noch mit Vermutungen, solange ihr Mann nicht selbst sprechen würde.

Als anschließend William Krause mit seinem indianischen Adoptivsohn Freddy Krause vor Crawford stand, schickte Crawford das Kind und auch den Protokollanten hinaus.

»Unter vier Augen, Krause: Wer ist am 23. Oktober außer Joe King bei Ihnen gewesen?«

Krause, der sich einen Bart hatte wachsen lassen, sah verändert aus, aber er antwortete das gleiche, was er bei der ersten Befragung geantwortet hatte: »Elisha Field war bei mir.«

»Der Wirt?«

»Ja.«

»Was wollte er?«

»Brachte ein Gewehr. Nicht kaputt, aber zum Überholen reif.«

»Sein eigenes?«

»Weiß ich nicht. Brachte es eben. Berief sich auf die Namen und Empfehlungen alter Kundschaft von mir. Er selbst war ja neu.«

»Wann kam er zu Ihnen?«

»Kann ich nicht genau sagen. Aber es war schon dunkel.«

»Spätnachts?«

»Nein, am Abend, aber nach Einbruch der Dunkelheit.«

»Blieb lange?«

»Ging sofort wieder.«

»Sie haben die Waffe in Ordnung gebracht?«

»Ja, gleich.«

»Arbeiten Sie immer so pünktlich und schnell?«

»Meistens. Bei neuen Kunden jedenfalls.«

Crawford lächelte. »Wann kam King?«

»’ne Stunde oder so später.«

»Was wollte er?«

»Sein Jagdgewehr abholen und vielleicht nach meinem Jungen sehen und vielleicht mich besuchen.«

»Sie kennen sich gut?«

»Wir unterhalten uns ganz gern. Er versteht noch was von meinem Fach und ist durch Freddy nun auch mit mir verwandt.«

»Aha. Und wie lange blieb er?«

»Ja, wohl länger, als er erst gedacht hatte. Ich hatte sein Gewehr noch nicht fertig.«

»Also kein neuer Kunde?«

»Nein, ein alter.«

»Der nicht gleich anfängt zu schelten, wenn Sie seine Sachen noch nicht fertig haben?«

»So ist es.«

»King hat also bei Ihnen sein Gewehr abgeholt, das Sie auf seine Mahnung hin noch rasch repariert hatten.«

»Repariert ist zu viel gesagt. So schnell ginge das nicht. Durchgesehen.«

»Gleich darauf hat King Schüsse abgegeben.«

»Zwei Probeschüsse.«

»Wozu?«

»Probeschüsse sind üblich, wenn man eine Waffe aus einer Werkstatt abholt.«

»Auf welches Ziel hat King geschossen?«

»Ich weiß nicht, ob er etwas treffen wollte.«

»Sie haben dabeigestanden?«

»Ich habe gearbeitet.«

»Wann hat denn Field sein Gewehr wieder abgeholt?«

»Am nächsten Tag, so um zwölf Uhr rum.«

»Und wann ging King?«

»Nachts um vier Uhr fuhr er weg.«

»Nachts um vier Uhr?«

»Ja.«

»Ist das nicht eine ungewöhnliche Zeit?«

»Er ist ja ’n junger Mann, und bis zur Reservation hatte er mehrere Stunden zu fahren.«

»Woher wissen Sie denn das so genau, ›um vier Uhr‹?«

»Weil der Kuckuck rief, und weil das Kind wach wurde.«

»Der Kuckuck im Wald?«

»Nein, der von der Kuckucksuhr.«

»Haben Sie auch die Schüsse gehört?«

»Was für Schüsse?«

»Es ist nachts im Busch und im Wald geschossen worden.«

»Weiß ich nicht.«

Krause log. Er log nicht gern. Aber er war entschlossen, bei seinen Lügen zu bleiben, um seinen Wahlverwandten zu decken.

»Aber Mr Krause, vom Hotel aus hat man noch spät in der Nacht Schüsse gehört.«

Krause zwirbelte und zupfte an seinem ihm noch ungewohnten Bart.

»So wird es eben mehr in der Nähe des Hotels gewesen sein, oder sie schlafen da nicht so gut wie ich, oder sie haben schlecht geträumt, oder es waren die Probeschüsse, und die vom Hotel verwechseln jetzt die Zeit.«

»Sie selbst haben geschlafen?«

»Paar Stunden, ja. Zwischen drei und vier war ich wieder wach. Seit ich alt geworden bin, werd ich manchmal früh wach.«

»Danke, Mr Krause. Warten Sie bitte draußen.«

Crawford holte den Jungen zu sich herein.

Er modulierte seine Stimme weicher, väterlich.

Der Junge schaute ihn mit seinen schwarzen Augen aufmerksam an.

»Kannst du dich erinnern, Freddy, dass dein Onkel Joe am 23. Oktober bei euch war?«

»Vorigen Herbst ist er noch einmal bei uns gewesen.«

»Warum sagst du ›noch einmal‹?«

»Weil er seitdem nicht mehr bei uns war.«

»Wann ist er denn damals gekommen?«

»Am Abend mit seinem Wagen.«

»Magst du ihn gern?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil er so gut reiten kann. Er ist ein Rodeoreiter.«

»Wann ist er denn wieder weggegangen?«

»Früh, aber es war noch dunkel.«

»Bist du da schon im Bett gewesen?«

»Ja, ich war schon lang ins Bett gegangen.«

»Hast du dich nicht gefürchtet?«

»Vor was denn?«

»Vor Leonard Lee.«

»Vor wem?«

»Schaust du nicht in die Zeitung?«

»Nein.«

»Ich meine, vor Leonard Lee, dem Verbrecher. Hast du keine Angst, wenn im Wald geschossen wird?«

»Wozu sind denn die Gewehre da? Wenn die Jäger nicht schießen, hat mein Vater Billy Krause keine Arbeit.«

»Auch wahr. Wie war denn das, als in der Nacht damals geschossen wurde?«

»In welcher Nacht?«

»Als dein Onkel Joe bei euch gewesen ist.«

Das Kind zuckte verständnislos die Achseln. Es log stumm; es empfand keinerlei Skrupel dabei, für die Sippe gegen den weißen Mann zu lügen, und es war entschlossen, bei seiner Lüge zu bleiben.

»Hast du gut geschlafen?«

»Ich hab mich geärgert, dass ich schon ins Bett musste, als Onkel Joe noch da war. Aber dann hab ich fest geschlafen.«

»Da hast du den Kuckuck gar nicht mehr gehört.«

»Den Kuckuck?«

»Ja, den Kuckuck.«

»Ich weiß nicht.«

»Hat sich dein Onkel Joe nicht von dir verabschiedet?«

»Doch, hat er. Es war noch dunkel. – Ja, da hat vielleicht auch die Kuckucksuhr gerufen.«

»Vier Uhr?«

»Das weiß ich nicht mehr. Der Kuckuck hat aber wohl gerufen. Ich kann es nicht genau sagen.«

»Und dann ist dein Onkel weggefahren?«

»Ja, dann ist er weggefahren.«

Crawford rief Krause und den Protokollanten herein, diktierte ein den Fragen und Aussagen entsprechendes kurzes Protokoll und ließ Krause unterschreiben. Der Büchsenmacher zögerte keinen Augenblick, seinen Namen sauber unter das Schriftstück zu malen.

Crawford lächelte nicht mehr. Mit allen möglichen Verdachtsmomenten in der Hand war er doch nicht weitergekommen. Krause und Freddy hatten wieder genau dasselbe ausgesagt, was schon in den alten Protokollen stand. Die zusätzliche Vernehmung Slighs und Queenie Kings hatte nichts Wesentliches erbracht.

Von Esmeralda O’Connor, die laut Anzeige ihrer eigenen Tochter zum vierten Mal illegal eingewandert und mit Lee zusammen gesehen worden war, fehlte den Behörden jede weitere Spur. Leo Lee hatte sich der Polizeiaufsicht in Deadwood gestellt und angegeben, dass er vor Jahren ein Gewehr in New York verkauft und es nun bei Field in New City gesucht habe, um es zurückzuerwerben; die Jagdwaffe habe Liebhaberwert für ihn. Er habe sich in Deadwood mit einer Verwandten, einer älteren Person namens Rose Schwab, niederlassen wollen, die aber an Herzschlag verschieden sei. Diese Angaben erschienen laut ärztlicher Bescheinigung und polizeilicher Bestätigung einwandfrei.

Crawford wandte sich einem scheinbar einfacheren Fall zu. Er rief das Stammesgericht auf der Reservation an und bat Mr Crazy Eagle um Auskunft, wann Robert Yellow Cloud, der Cowboy- Lehrling der King-Ranch, einmal zu ihm kommen könne.

»Wegen ungehörigen, renitenten Verhaltens gegen einen Beamten für vierzehn Tage ins Stammesgefängnis, Mr Crawford.«

»Halten Sie das für genug?«

»Ja.«

»Und der Vorwurf der Bandenbildung?«

»Handelte sich nur um eine Redensart. Robert wollte sagen, dass die Sportsleute und Cowboys zusammenhalten.«

»Wofür, gegen wen?«

»Für das sportliche Training der jungen Reservationsindianer, gegen die Trinker.«

»Das wäre sogar lobenswert. Er ist ein Rowdy?«

»Er ist ungehobelt. Seine Strafe jetzt wird ihm eine Lehre sein.«

»Danke für Ihre Auskunft.«

Crawford kam in Gedanken noch einmal auf Sligh, Krause, das Kind und auf eine Hotelangestellte zurück, die schon im Vorjahr zu Protokoll gegeben hatte, in der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober Schüsse gehört zu haben. Wald und Busch waren damals durchsucht worden. Es hatte sich gar nichts gefunden, was in irgendeiner Richtung hätte weiteren Aufschluss geben können, auch keine Patronenhülse oder Patrone.

Crawford ließ sich Elisha Field kommen.

Ein kurzbeiniger, flachgesichtiger Mann erschien. Die Augen hatten keinen bestimmbaren Ausdruck. Wasserfarben, schienen sie nur das widerzuspiegeln, was hineinfiel. Hände und Schultern machten den Eindruck von Körperkraft.

»Sie haben das Gewehr dabei, das Sie am 23. Oktober vorigen Jahres dem Büchsenmacher Krause zur Reparatur gegeben hatten?«

Crawford sah die Waffe, die Field in der Hand hielt.

»Ja. Wollen Sie es noch einmal sehen, Sheriff?«

»Danke, genügt. Wer hat denn die eingravierten Initialen abgeschliffen?«

»Weiß ich nicht. Danach haben sie mich immer wieder gefragt. Aber ich weiß nichts von Initialen. Irgendwas ist mal rausgekratzt worden, das sieht man, aber was … weiß ich es?«

»Sie haben die Büchse in New City gekauft?«

»Die hatt’ ich mir schon in New York gekauft, ehe ich herkam.«

»Wo?«

»Die Adresse ist ja bei Ihren Akten. Das ist ein solides Geschäft in New York.«

»Sie haben es doch nicht nötig, alte Waffen zu kaufen.«

»Nötig nicht, aber das ist ein vorzügliches Gewehr.«

»Leo Lee hat ausgesagt, dass er bei Ihnen gewesen ist. Was wollte er von Ihnen?«

»Mein Gewehr wollte er mir abkaufen. Aber ich hab es nicht hergegeben. Mit Lee lasse ich mich nicht ein.«

Field log routinemäßig, und er war entschlossen, bei seinen Lügen zu bleiben.

»Ja, danke, Mr Field. Wie geht denn das Geschäft?«

»Es macht sich.«

Crawford ließ das Protokoll abschließen.

Elisha Field war aus der Vernehmung entlassen.

Er begab sich zu seiner Gastwirtschaft zurück, ging aber nicht in den Gastraum, sondern ließ sich in seinem kleinen Wohn- und Arbeitszimmer hinter der Schenke nieder, holte die Karteien hervor, die er erst vor kurzem eröffnet hatte, und berechnete die fällig werdenden Steuern des legalen Teils seines Geschäftes. Das war eine Nervenberuhigung, und seine Gedanken irrten dabei nicht ab.

Erst als die Zwischenbilanz zur Zufriedenheit errechnet war, zog Elisha die Brauen hoch und gab sich dem riskanteren Teil seiner Überlegungen hin, die durch die Vernehmung wieder einmal in Gang gebracht waren.

Wenn er vor sich selbst zunächst seinen eigenen Charakter bespiegelte als Mittelpunkt und Ausgangspunkt allen weiteren Nachdenkens, so betrachtete er sich nicht ohne Selbstzufriedenheit, ja mit Stolz als einen Spießbürger, zwei Vorzüge vereinend: Unauffälligkeit unter den Durchschnittsbürgern und Unangreifbarkeit des Gefühls aus Mangel an Masse. Er kannte nur zielgerichtete, messbare Empfindungen, mit Ausnahme jener für sein kleines Aquarium mit einigen Zierfischen. In seiner Durchschnittshaltung und Fischkälte übertraf er ohne Zweifel Leonard Lee, den Gangster, der sich, wie die Affäre King bewies, noch immer nicht ganz von Passionen freigemacht hatte. Dieser Mensch hatte auch noch ein Gewehr besessen, altmodisches Instrument, für Lees Gewerbe völlig überholt, selbst als Talisman lächerlich, und im entscheidenden Augenblick hatte er es nicht einmal bei sich gehabt. Elisha Field fühlte sich überlegen. Er blieb aufgrund eigener Verdienste ungeschoren, so erzählte er seinem Ich, das Derartiges gern hörte. Leonard Lee hatte sich aus New City wieder verzogen. Esmeralda O’Connor, die Leo aufgestachelt und ihm geholfen hatte, war vielleicht noch am Leben, vielleicht auch nicht. Elisha wusste es nicht.

Die beiden jungen Burschen hatten die Gegend wieder verlassen und sich in die große Stadt begeben, aus der sie gekommen und deren Verhältnisse ihnen vertraut waren. In Straßen und Häusern zu arbeiten oder im Busch zu kämpfen war durchaus zweierlei.

Leonard Lee war einmal ein Ass gewesen; niemand konnte seinen großen Ruf bestreiten, auch nicht Elisha. Doch hatte sich Leo bei seinem letzten Vorhaben nicht mehr als der Bessere gezeigt. Er hatte sich mit seinen Geschäften an Elisha anhängen und King, der ihm im Wege sein konnte, vorweg ausschalten wollen. Leo hatte dabei sich selbst verschätzt. Field hatte sich von ihm täuschen lassen. Der Bessere war nicht Leo. Der Bessere war, so gut wie je durch ein Gottesurteil nachgewiesen, Joe King. Leo hatte seinen verhassten Feind hinrichten wollen; es war ihm missglückt. Elisha hantierte nicht mit dergleichen Gefühlen, auch nicht mit solchen feindlicher Gangs. Die Vergangenheit hatte bei ihm nicht mitzusprechen.

Vielleicht konnte Elisha in Zukunft Joe einspannen, wenn dieser je wieder aufkam. Es hieß zuverlässig, dass der Indianer noch nie gesungen habe. Er beanspruchte aber offenbar die Reservation und den Busch als sein Revier und New City als ein Gebiet, wo er sich frei bewegen konnte. Das war sein Recht, und Grenzen wurden zwischen respektablen Gangstern respektiert. Auch der stärkste Mann konnte Joe Leben, Recht und Revier nicht streitig machen, das hatte Joe gegen Jesse und James, gegen Mike und Jenny, gegen Harold Booth, Brandy Lex und Black and White, gegen Teddy Wolve und O’Connor, endlich gegen Leonard Lee & Co. bewiesen. Es war zwecklos, in Joes Gebiet schmuggeln, stehlen oder morden zu wollen. Damit hatte sich jedermann abzufinden; wer es nicht tat, begab sich in die Nähe der hysterischen Esmeralda. Elisha mochte ihr zugute halten, dass sie ihren Vater hatte rächen wollen, den Joe als Pferdedieb erschossen hatte, aber Elisha konnte keinen Mann achten, der sich von Gefühlen leiten ließ. Wer die Grenzen einhielt, konnte vielleicht auf dieser Basis Joe noch für einiges gewinnen.

Der junge Indianer schien ein Kerl zu sein; somit gut, bis auf jenen unangenehmen, unauflöslichen Rest, dass er Indianer und daher niemals ganz zu durchschauen war.

Abwarten.

Wenn Field seine Netze bescheiden und vorsichtig auslegte, schwammen sicher einige Fische hinein.

Wenn er Geld nötig hatte, brauchte er nur an Roger Sligh zu schreiben, soviel hatte er aus Leo herausgebracht. Aber im Augenblick genügte der vorhandene Kredit, und Elisha konnte zusätzliche Risiken vermeiden.

Damit kam Elisha zum Abschluss seines Nachdenkens über jene Geschäfte, die sich in seinen Augen nicht ihrem Inhalt nach, sondern nur durch willkürlich darüber verhängte staatliche Verbote sowie einige naturgegebene Gangstergesetze von dem Bierausschank unterschieden. Elisha hatte nicht die Absicht, irgendjemanden zum Mitwisser und Vertrauten seiner Vorstellungen und Pläne zu machen. Er liebte nicht andere Menschen, er liebte es, Informationen zu beziehen, mit verlässlichen Größen zu rechnen und allein zu entscheiden. Wenn er gegenüber einem andern etwas verlauten ließ, dann nur als Test. Ein solcher Test war seine Bemerkung gegenüber Krause gewesen, dass Leo voraussichtlich der Bessere sei. Krause hatte sich nach Elishas Eindruck als harmlos entpuppt.

Elisha Field erhoffte sich alles in allem in New City einen neuen Start. Dass er es bisher nur zu einem kleinen, nicht zu einem großen Schmuggler, Verbrecher und Gangster gebracht hatte, lag, wie er meinte, nur an der Missgunst der Umstände und der Kollegen.

Die Grenzen seiner eigenen Intelligenz verwehrten ihm den Einblick in dieselben.

Elisha Field stand auf, schob den Stuhl an den Tisch heran, damit er nicht im Wege stand, und sagte laut: »Okay«, was sowohl der korrekten Steuerbilanz als auch seinen übrigen Gedankenresultaten gelten konnte. In abgerundeter Stimmung begab er sich in den Gastraum, um auszuschenken. Er war nicht verheiratet und hatte diese Arbeit allein zu machen. Er wollte sie allein tun. Frauen und solche Angestellte, die in das Geschäft hineinzuschauen vermochten, waren Unsicherheitsfaktoren, die ein nach Erfolg strebender Mann meiden musste.

Stein mit Hörnern

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