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3. Paradies und Hölle

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In den nächsten Tagen arbeitete Eric unablässig am Auftrag von Retramo. Das Unternehmen litt immer wieder unter Engpässen bei der Rohstoffbeschaffung. Eric sah die Lösung dieses Problems darin, recycelte Baumwolle für die Produktion zu verwenden. Die Leute brachten ihre alten, abgetragenen Sachen zu einer Sammelstelle und erhielten etwas Geld dafür. So hatten sie einen Ansporn, der Textilfirma ihre alten Kleider zurückzugeben. Für das Unternehmen war dieses Vorgehen billiger als neue Baumwolle zu importieren. Erics Aufgabe war es, die Logistik für die Firma aufzubauen. Er musste Annahmestellen einrichten, die für die Kunden einfach zu erreichen waren. Die alten Kleider mussten von diesen Annahmestellen zu den Produktionshallen des Unternehmens transportiert werden. Die Organisation dieses Systems bedeutete viel Arbeit. Eric konnte die Hilfe seines Freundes Chris gut gebrauchen.

Babygeschrei riss Eric aus seiner Konzentration. Er stand auf und öffnete die Tür. Chris ging mit seiner Tochter im Flur auf und ab. Er erzählte etwas, doch das Schreien des Babys übertönte seine Stimme.

»Hey, was fehlt dir denn, Kleines?«

»Haben wir dich gestört?«, fragte Chris entschuldigend. »Ich versuche sie schon die ganze Zeit zu beruhigen, aber es klappt einfach nicht.«

»Tja, die Kleine braucht ihre Mami.«

»Rena ist so müde, sie muss sich mal eine Weile ausruhen. Deshalb habe ich Melissa genommen.«

»Du siehst aber auch nicht gerade frisch aus. Dir würde ein bisschen Schlaf ebenfalls gut tun. Gib sie mir mal«, forderte Eric seinen Freund auf und streckte ihm die Arme entgegen, um das Baby in Empfang zu nehmen. »Und jetzt hol mir ein getragenes T-Shirt von Rena.«

Chris kam Erics Aufforderung verwundert nach. Eric ging in die Küche, breitete das T-Shirt auf dem Tisch aus und wickelte das Baby darin ein.

»So, hier hast du deine Mami«, sagte er zu Melissa.

Nachdem er einige Minuten mit ihr in der Küche auf und ab gegangen war, beruhigte sich das Baby.

»Wo hast du denn diesen Trick her?«, fragte Chris erstaunt.

»Kurz nachdem meine kleine Cousine geboren wurde, habe ich meinen Onkel und meine Tante besucht. Ich wollte die Kleine so gerne mal halten, aber sie wollte nur bei ihrer Mama sein. Da hat meine Tante sie in eins ihrer T-Shirts gewickelt. Die Kleine hatte den vertrauten Geruch ihrer Mutter und war zufrieden. «

»Waren das deine Verwandten in Norwegen?«

»Ja«, bestätigte Eric.

»Ich habe dich schon immer um das gute Verhältnis zu deiner Familie beneidet. Ich wünschte, ich hätte auch so eine Familie.«

»Hat sich das Verhältnis zu deinen Eltern immer noch nicht gebessert?«

»Nein, mein Vater hat nie akzeptiert, dass ich nach Kanada gegangen bin, um Ranger zu werden. Die Hochzeit mit Rena hat alles noch schlimmer gemacht. Er fand es nicht akzeptabel, dass ich eine ›Indianerin‹ geheiratet habe. So hat er Rena genannt. Die ›Indianerin‹.«

»Wahrscheinlich ist ihm durch die Hochzeit klar geworden, dass du nicht nach Deutschland zurückkommen willst, um in seine Fußstapfen zu treten.«

»Wahrscheinlich. Aber man sollte doch meinen, dass der eigene Vater einem ein bisschen Glück gönnt. Wenigstens hat meine Mutter in all den Jahren zu mir gestanden. Sie wird sich freuen, Rena endlich kennen zu lernen und von ihrer kleinen Enkeltochter wird sie bestimmt ganz entzückt sein.«

»Ja, das glaube ich auch. Ich wette, früher oder später lässt sich sogar dein Vater von Melissa um den Finger wickeln.«

»Ich hoffe, du hast recht. Es wäre schön, mal wieder unser Haus zu sehen. Außerdem würde ich Rena gern zeigen, wo ich aufgewachsen bin. Zumindest hat mein Vater schon zum Teil seinen Willen bekommen, denn schließlich sind wir jetzt in Berlin, wenn auch nicht ganz freiwillig.«

Chris gähnte herzhaft.

»Ab ins Bett mit dir. Du hast ein bisschen Schlaf dringend nötig«, forderte Eric ihn auf.

»Okay, gute Nacht.«

Chris verschwand im Schlafzimmer und Eric ging mit Melissa in sein Büro. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Notizen zu seinem Projekt, doch zum Arbeiten hatte er keine Lust mehr.

»Wie wäre es, wenn wir uns zusammen Kanada ansehen?«, fragte er Melissa. Das Baby sah ihn aufmerksam an. »Ich glaube, das heißt ja«, stellte er fest und begann im Internet die schönsten Plätze von Kanada zu suchen.

Sie sahen sich Bilder von Toronto an. Alte Gebäude waren von spiegelnden Wolkenkratzern umgeben und vereinten Vergangenheit und Gegenwart. Die Skyline von Vancouver faszinierte ihn mit ihren modernen Wolkenkratzern. Aber auch in Vancouver gab es historische Gebäude wie die Steam Clock, die das Stadtbild aus vergangenen Zeiten heraufbeschwor.

»Aber deine Eltern kommen aus keiner dieser Städte, nicht wahr, Kleines?«, fragte Eric Melissa. »Sie kommen aus Alberta.«

Alberta wurde beherrscht von atemberaubender Natur wie dem jadegrünen Lake Louise und dem wunderschönen türkisfarbenen Moraine Lake. In ihm befand sich eine kleine baumbestandene Insel namens Spirit Island. Glasklare sprudelnde Bäche ergossen sich und all diese Naturwunder waren eingebettet in hohe Berge mit eisblauen Gletschern. Dieses fantastische Naturparadies bot vielen Tieren einen Lebensraum. Schwarzbären, Wapitis, Wildgänse und Streifenhörnchen hatten hier ihre Heimat. Eric reizte es, in dieser wunderschönen Gegend zu wandern und sie in aller Ruhe zu entdecken.

Als nächstes sah sich Eric das Gebiet an, in dem Ölsand abgebaut wurde.

Es gab keinen Baum, kein Strauch, die ganze Landschaft war komplett verschwunden. Tiefe Löcher von gigantischem Ausmaß waren in die Erde gegraben worden. Abraumhalden türmten sich schwarz auf. Statt türkisblauer Seen gab es Tümpel, die mit dunkler Giftbrühe gefüllt waren. Inmitten dieser dunklen verwüsteten Landschaft lagen riesige Industrieanlagen, die ihre Abgase in den Himmel schickten und die Luft verpesteten.

Eric sah fassungslos auf die Bilder. Er konnte nicht begreifen, dass diese beiden Gebiete in derselben Gegend lagen. Es war, als würde das Paradies direkt an die Hölle grenzen. Nachdenklich sah er zu dem Baby in seinem Arm. Nun konnte er die Wut, die Chris antrieb, besser nachvollziehen. Er verstand, warum Rena so viel riskiert hatte.

Melissa war inzwischen eingeschlafen und Eric brachte sie leise in das Zimmer ihrer Eltern. Behutsam legte er sie in ihr Bettchen und schlich wieder hinaus. Er setzte sich an seinen Computer und begann zu recherchieren.

Er erfuhr, dass sich der Ölsand unter der Erde befand und ausgebaggert wurde. Dabei wurde die komplette Landschaft zerstört. Bei Ölsand handelte es sich um Sandkörner, die von einer Schicht aus Wasser und Bitumen umgeben waren. Der Ölsand wurde mit heißem Wasser vermischt. Dann sanken die schweren Sandkörner zu Boden und das leichtere Bitumen schwamm an der Oberfläche. Im Upgrader, einer Aufbereitungsanlage, wurden die langen Kohlenstoffketten gespalten. Schwefel und Schwermetalle wurden entfernt und so wurde aus zähem Bitumen flüssiges Rohöl. Dieser Prozess verschlang immense Mengen an Wasser und Energie. Das verwendete Wasser reicherte sich immer stärker mit giftigen Chemikalien an und wurde nach der Verwendung in offene Becken geleitet. Dort stellte es eine Gefahr für die Umwelt dar.

Betrieben wurden diese Anlagen von einer Firma namens ENTAL, ein milliardenschweres Unternehmen. ENTAL vertrat die Ansicht, dass die Umweltprobleme stark übertrieben wurden. Auf das Öl aus Kanada könne die Welt unmöglich verzichten. Außerdem werde ständig an umweltverträglicheren Lösungen geforscht.

Nach Ansicht aller Umweltorganisationen war der Ölsandabbau absolut unverantwortlich. Die Schäden standen in keinem Verhältnis zum Nutzen, den das gewonnene Öl bot. Doch nicht nur Verbrechen an der Umwelt wurden angeprangert, sondern auch soziale Probleme. Der Ölsandabbau raubte vielen Menschen ihre Lebensgrundlage. Sie wurden durch die freigesetzten Gifte krank und starben.

Eric stieß auf zwei interessante Internetseiten. Die eine gehörte einer kleinen unbekannten Organisation. Auf dieser Seite wurden die Verfahren des Ölsandabbaus akribisch und detailliert beschrieben. Es wurde erklärt, wie es zu den Umweltschäden kam. Eric beschloss, in den nächsten Tagen mit den Verfassern dieser Seite Kontakt aufzunehmen. Diese Leute schienen über ein tiefgehendes technisches Wissen zu verfügen.

Bei der anderen Seite handelte es sich um die Website eines Biokunststoffherstellers namens Leander Klaas, der außerdem Kunststoffe recycelte. Er unterstützte ein Projekt zur Reinigung der Ozeane, das vor einigen Jahren von einem neunzehnjährigen Studenten vorgestellt worden war. Dieser hatte eine effiziente Methode gefunden, wie Plastikmüll mithilfe von schwimmenden Barrieren aus den großen Ozeanstrudeln gesammelt werden konnte. Dabei hatte sich der Erfinder die natürlichen Meeresströmungen zu Nutze gemacht. So konnten die Plastikstrudel vom Abfall befreit und der Zerfall in Mikroplastik verhindert werden. Die Frage, wie Mikroplastik aus den Ozeanen gefiltert werden konnte, war hingegen noch nicht gelöst.

Zudem engagierte sich Leander Klaas gegen die Ölindustrie und pries sein umweltfreundliches Verfahren als Alternative an. Der Verbrauch an Kunststoffen war in den letzten Jahren bereits stark zurückgegangen. Die Leute bekamen nicht mehr bei jedem Einkauf eine Plastiktüte, sondern brachten ihre eigenen Beutel, Taschen oder Körbe mit. Auch die Produkte wurden nicht mehr unnötigerweise in Plastik verpackt. Doch immer noch schien Öl als Rohstoff unabdingbar zu sein.

Eric schrieb seinem Freund Marc eine Mail. Er informierte ihn darüber, dass Chris und Rena bei ihm angekommen waren und erkundigte sich, wann Marc Zeit hatte, nach Berlin zu kommen.

»Prost!« Marc stieß mit Rena, Chris und Eric an. Sie saßen im Außenbereich eines kleinen Restaurants in der Nähe von Erics Wohnung. Die Abenddämmerung war angebrochen und ein lauer Wind bot endlich etwas Abkühlung von der Hitze des Tages. »Schön, dass ihr da seid. Ich habe ja schon ein bisschen von eurer abenteuerlichen Reise gehört. Aber warum hattet ihr es denn so eilig, aus Kanada wegzukommen?«

Rena und Chris berichteten ihm vom Abbau der Ölsande und den verheerenden Folgen für die Umwelt und die Menschen, die dort lebten.

»Das ist auch der Grund, warum ich mich mit dir unterhalten wollte«, schaltete sich Eric in das Gespräch ein. »Das wäre doch ein Projekt für dich.«

»Klingt nach einer ziemlich aussichtslosen Sache«, bemerkte Marc trocken. »Nun ja, was soll’s. Die aussichtslosen Projekte sind immer die spannendsten.«

»Aber wo hat eine mächtige Ölfirma ihren Schwachpunkt?«, stellte Chris die entscheidende Frage.

Die drei Männer diskutierten viele Möglichkeiten. Die Ideen reichten von Boykott des Öls aus Kanada über einen Generalstreik der Belegschaft bis zur Sabotage der Anlagen. Doch keine dieser Ideen erschien auch nur ansatzweise umsetzbar.

»Was haltet ihr von der Idee, ihre Zulieferkette zu stören?«, warf Rena ein.

Sie rückte das Baby auf ihrem Schoß zurecht, bevor sie weitersprach. »Oft sind es nicht die großen Aktionen, die zum Erfolg führen. Viele Projekte scheitern an Kleinigkeiten. Ihr müsst nur ein kleines Bauteil finden, für das es schwer Ersatz gibt. Wenn die Ölfirma nicht mehr an dieses Bauteil kommt, kann sie auch nicht mehr produzieren.«

Die drei Männer sahen sie verdutzt an.

»Das ist genial!«, rief Marc.

Chris lächelte seine Frau begeistert an.

»Ich werde mich mal umhören, ob mir jemand bei der Suche nach diesem Bauteil helfen kann. Ich…« Eric verstummte mitten im Satz.

Sein Blick war starr ins Innere des Restaurants gerichtet. Chris sah sich um. Er wollte ergründen, was da drinnen so interessant war. Eric stand wortlos auf und ging hinein.

»Nicht schon wieder«, murmelte Marc.

Eric ging auf eine blonde Frau zu, die an der Bar stand. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Je näher Eric ihr kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Man konnte das Zögern förmlich spüren. Schließlich trat er neben sie. Marc, Rena und Chris beobachteten, wie Eric die Frau ansprach. Sie drehte sich um und Eric schien förmlich in sich zusammen zu sinken. Er sprach noch kurz mit ihr, dann wandte er sich ab.

»Was ist denn los?«, erkundigte sich Chris.

»Eric hat geglaubt, dass er Isabella gesehen hat.«

»Wer ist Isabella?«, fragte Rena.

»Eric und Isabella haben gemeinsam den Abbau von Methanhydrat verhindert. Isabella hat in einem Forschungsinstitut gearbeitet. Dort ist sie auf brisante Informationen gestoßen. Eric hat ihr geholfen, diese Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen. Sie waren gemeinsam in Brüssel bei einer Anhörung und daraufhin wurde der Abbau von Methanhydrat verboten. Nach der Anhörung ist Isabella spurlos verschwunden. Eric befürchtet, dass ihr etwas Schlimmes passiert ist, denn sie hat die Karrieren einiger mächtiger Männer ruiniert«, erklärte Marc.

»Der Abbau von Methanhydrat war eine große Sache. Die Nachrichten davon sind sogar bis nach Alberta gedrungen«, stellte Chris fest.

»Glaubt Eric, dass er schuld ist, weil diese Isabella verschwunden ist?«, fragte Rena.

»Das sicherlich auch, aber das Hauptproblem ist, dass er sich in sie verliebt hat. Ein Jahr lang hat er überall nach Isabella gesucht. Er hat seinen Job verloren und seine Ersparnisse für diese Suche aufgebraucht. Schließlich war er gezwungen wieder zu arbeiten und seine Suche aufzugeben. Er hat schon ein paarmal geglaubt, Isabella irgendwo entdeckt zu haben. Aber bisher hat er sich jedes Mal geirrt.«

»Der Arme. Was für eine tragische Geschichte«, flüsterte Rena betroffen.

Den restlichen Abend vergrub sich Eric in Arbeit. Wieder einmal hatte er für einen Moment Hoffnung geschöpft, doch sie war sofort zerstört worden. Ihm war klar, dass er Isabella wahrscheinlich nicht einfach in einem Restaurant um die Ecke treffen würde. Dennoch hatte er sich nicht bremsen können. Er hatte diese blonde Frau gesehen und sofort war die Illusion in ihm aufgestiegen, dass es sich um Isabella handelte. Er war geradezu gezwungen gewesen, zu ihr zu gehen und sich zu vergewissern. Der Augenblick, in dem er erkannte, dass er nicht Isabellas vertrautes Gesicht vor sich sah, hatte ihn in tiefe Enttäuschung gestürzt. Als er aus dem Restaurant geeilt war, waren ihm die mitleidigen Blicke seiner Freunde gefolgt. Derartige Blicke verfolgten ihn nun schon seit drei Jahren und er konnte sie nicht mehr ertragen.

Nachdem Eric die Arbeit am Projekt von Retramo für diesen Tag beendet hatte, wandte er sich der Internetseite zu, die sich mit dem Abbau von Ölsanden beschäftigte. Sie war auf Englisch verfasst und Eric vermutete, dass sie von Leuten in Kanada betrieben wurde. Er entschloss sich Kontakt aufzunehmen.

»Eine sehr interessante Seite habt ihr. Sie ist sehr detailliert und trotzdem verständlich«, schrieb Eric auf Englisch in das Kontaktfeld.

»Vielen Dank, es war uns wichtig, die Fakten über den Ölsandabbau so darzustellen, dass sie nicht nur Experten verstehen. Ich freue mich, dass das gelungen ist«, kam die Antwort kurz darauf.

Eric überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Er hielt es nicht für ratsam, sofort mit der Tür ins Haus zu fallen.

»Ich arbeite in einer Umweltschutzorganisation in Europa und das Thema Ölsande steht bei uns zur Zeit im Fokus.« Die Frage ›Wer seid ihr?‹ ließ er bewusst unausgesprochen.

Doch sie wurde auch so verstanden. »Wir sind nur ein kleiner, loser Zusammenschluss von Umweltschützern, die sich ebenfalls gegen den Abbau von Ölsanden engagieren. Können wir euch bei eurer Arbeit irgendwie unterstützen? Unser Schwerpunkt liegt vor allem im technischen Bereich, wie du ja bereits bemerkt hast.«

Eric überlegte. Das war die perfekte Vorlage. Er beschloss es zu riskieren.

»Wir sind auf der Suche nach einem Bauteil, das für die Anlagen der Ölkonzerne notwendig ist und für das es nur schwer Ersatz gibt.«

»Du suchst die Achillesferse?«

»Ja.«

Ungeduldig wartete Eric auf eine Antwort, aber sie ließ auf sich warten. Er surfte im Netz, um sich abzulenken. Dann ging er in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen. Als er zurückkam, hatte er eine Antwort erhalten.

»Das Wasserrecyclingsystem ist eine Schwachstelle. Für die Wasseraufbereitung wird ein Hydrozyklon genutzt. In dieser Anlage werden die Sandkörner unter Ausnutzung der Zentrifugalkraft vom Wasser getrennt. Ein Hydrozyklon besteht aus mehreren Segmenten. Das verschmutzte Wasser wird in ein zylindrisches Segment geleitet, wobei die Flüssigkeit in einem abwärts gerichteten Wirbel nach unten strömt. An das zylindrische Segment schließt sich ein konisches Segment an. Dieses verjüngt sich und erzeugt so aufwärtsgerichtete Wirbel. Das saubere Wasser kann durch den Oberlauf entweichen, während der Sand an der Wand des Zyklon abgeschieden und durch den Unterlauf ausgetragen wird. Durch die Härte der Sandpartikel werden die Bauteile schnell beschädigt und müssen oft ersetzt werden. Es gibt nur zwei Firmen, die Hydrozyklone herstellen. Eine sitzt in Deutschland. Von denen bezieht ENTAL seine Teile. Die andere befindet sich in China. Soweit ich weiß, sind die chinesischen Teile nicht so robust und verschleißen schneller. Wenn die deutsche Firma nicht mehr liefert, kann es Monate dauern, bis der Ölkonzern einen zuverlässigen Ersatz findet.«

»Das klingt hochinteressant. Woher weißt du so etwas?«

»Es ist mein Job, so etwas zu wissen.«

Eric bedankte sich für die Auskünfte und verabschiedete sich. Dann grübelte er darüber nach, auf wen er da getroffen war. Musste eine Person, die sich so detailliert mit dieser Art von Technik auskannte, nicht bei ENTAL arbeiten?

»Gut, dass du noch einmal vorbeigekommen bist.«

»Was gibt es denn?«, erkundigte sich Marc.

Doch statt sich mit einer Antwort aufzuhalten, schob Eric seinen Freund direkt in sein Arbeitszimmer.

»Sieh dir das an«, sagte er und zeigte auf dem Bildschirm. Die Homepage der Firma Zeishold & Tölkes war geöffnet. »Das sind die Bauteile, die wir brauchen! Sie werden in Deutschland hergestellt. Anscheinend bezieht ENTAL sie nur von dieser Firma«, erklärte Eric begeistert.

»Wie hast du das so schnell herausgefunden? Ich habe vorher noch nie etwas von Hydrozyklonen gehört.«

»Ich habe einen Kontakt im Internet aufgetan. Es sind ein paar Umweltschützer, die vermutlich in Kanada sitzen. Die haben mich auf die Hydrozyklone aufmerksam gemacht. Allerdings müssen wir uns überlegen, was wir mit diesem Wissen anfangen. Wir können die Firma ja schlecht bitten, freundlicherweise damit aufzuhören, nach Kanada zu liefern.«

Marc überlegte einen Moment und plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. Eric sah seinem Freund an, dass ihm eine Idee gekommen war.

»Ich glaube, ich muss mich mal mit Hank unterhalten, sobald ich wieder in Brüssel bin.«

Eric hatte Hank kennen gelernt, nachdem Isabella in Brüssel verschwunden war. Hank hatte ihm bei der Suche nach Isabella geholfen. Wenn sie im Internet Spuren hinterlassen hätte, dann hätte Hank sie gefunden. Leider war er erfolglos geblieben. Eric dachte nur ungern an die Verzweiflung zurück, die ihn in jenen Tagen zu ersticken drohte. Er schüttelte seine trübsinnigen Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf das eigentliche Thema.

»Es gibt eine Sache, die mich stutzig macht. Wie kann es sein, dass jemand, der angeblich nicht bei ENTAL arbeitet, so genau über deren Technik Bescheid weiß?«

»Eine gute Frage. Vielleicht kann Hank uns sagen, ob diese Umweltschützer echt sind oder nicht. Vielleicht hat er auch eine Idee, wie wir die Lieferung dieses Bauteils nach Kanada stoppen können. Bevor wir etwas unternehmen können, muss aber jemand nach Kanada fahren und sich die Lage vor Ort ansehen.«

»Wer soll das übernehmen?«

»Du hast im Moment genug mit deinem Auftrag bei Retramo zu tun und ich habe in den nächsten Wochen auch keine Zeit für eine so weite Reise«, überlegte Marc. »Pierre könnte das erledigen. Er ist einer meiner engsten Mitarbeiter. Ihm kann ich diese Aufgabe anvertrauen.«

»Das stimmt. Der Retramo-Auftrag muss gut laufen, sonst kann ich meine Firma dichtmachen.«

»Ich muss jetzt zum Bahnhof, damit ich meinen Zug noch erwische. Ich halte dich auf dem Laufenden.« Marc und Eric gingen in den Flur. Sie verabschiedeten sich und Marc verließ die Wohnung.

Rena wiegte das Baby sanft, um es zu beruhigen. Erics aufgebrachte Worte waren dabei nicht hilfreich. Sie beobachtete, wie er in der Küche hin und her lief. Sein Gesicht war während des Telefonats mit Marc zunehmend finsterer geworden und seine Antworten immer einsilbiger. Er beendete das Telefonat.

»Was ist los?«, erkundigte sie sich.

»Pierre kann nicht nach Kanada fahren. Seine Freundin hatte einen Unfall mit dem Fahrrad. Sie hat einen komplizierten Armbruch und jetzt muss er bei ihr bleiben und sich um sie kümmern. Marc hat niemand anderen, den er nach Kanada schicken könnte. So ein Mist!«, fluchte Eric. »Wir haben ENTALs Schwachstelle gefunden und Hank hat tatsächlich einen Plan, wie wir das ausnutzen können. Jetzt müssen wir alles wieder abblasen.« Frustriert sah Eric in die Dunkelheit hinaus.

Hank hatte eine Idee, wie sie die Firma Zeishold & Tölkes unter ihre Kontrolle bringen konnten. Marc hatte Eric berichtet, dass Hank irgendwas von Optionsscheinen gemurmelt und sich bei Marc erkundigt hatte, wie viel Geld er auftreiben könne. Das mit dem Geld war ein Problem, aber Eric sollte sich nach geeigneten Sponsoren umsehen, während Pierre in Kanada war. Nun schien diese Idee bereits im Keim erstickt, weil Pierre die Reise nach Kanada nicht antreten konnte.

»Warum fährst du nicht nach Kanada?«, fragte Rena.

»Erstens muss ich mich um den Auftrag von Retramo kümmern und außerdem legt das Schiff bereits morgen in Rotterdam ab.«

»Um das Projekt können wir uns kümmern«, schlug Rena vor.

»Meinst du das ernst?« Eric sah sie überrascht an.

»Sicher, du hast Chris schon in die praktischen Sachen eingewiesen und am Computer kenne ich mich sowieso besser aus als er. Du kannst mir jetzt die notwendigen Dokumente zeigen. So wie ich Melissa kenne, wird sie in der nächsten Stunde ohnehin nicht in ihrem Bett liegen wollen. Während du unterwegs bist, können wir per E-Mail in Kontakt bleiben«, schlug Rena vor. »Die Frage ist nur, ob du es schaffst, bis morgen in Rotterdam zu sein. Ich weiß nicht genau, wo Rotterdam liegt.«

»Ich rufe Marc an.«

Eric erfuhr, dass das Schiff erst morgen Abend ablegen würde. Allerdings musste er einen Zwischenhalt in Brüssel einlegen und sich mit Marc treffen. Marc würde ihm die Informationen weitergeben, die er in Kanada benötigte. Diese Informationen waren streng vertraulich und konnten nicht via Internet verschickt werden.

Den Nachtzug nach Brüssel würde Eric nicht mehr erreichen. Er fand eine Zugverbindung, die es ihm ermöglichte, rechtzeitig am Hafen zu sein. Er buchte sich ein Ticket für den ersten Zug am nächsten Morgen. Am frühen Nachmittag wäre er in Brüssel und hatte zwei Stunden Zeit, um sich mit Marc zu treffen.

»Hier ist dein Ticket für das Schiff. Es legt um 20:00 Uhr ab, also sieh zu, dass du pünktlich bist. Es ist ein Frachtschiff und wird nicht auf dich warten«, sagte Marc.

»Wirklich nicht?«, antwortete Eric ironisch.

Marc lachte, doch er wurde schnell wieder ernst.

»Hier ist die Adresse, wo sich Pierre mit den Umweltschützern treffen sollte. Hank hat nichts über sie herausgefunden. Sie sind sehr vorsichtig. Wir haben beschlossen, ihnen zu vertrauen.« Marc reichte Eric einen Zettel mit der Adresse. Dieses Detail wollte er nicht per Mail verschicken. »Wenn du in Kanada bist, musst du nach weiteren Schwachstellen bei der Ölfirma suchen. Ich glaube, die Hydrozyklone allein werden nicht genügen, um ENTAL aufzuhalten.«

Marc und Eric saßen in der Ecke eines Cafés und besprachen die Strategien für Kanada. Sie unterhielten sich sehr leise, damit keiner der anderen Gäste ihr Gespräch mithören konnte. Eric trank währenddessen einen Kaffee und aß etwas, denn seit seinem hastigen Frühstück kurz vor fünf Uhr am Morgen hatte er nichts mehr zu sich genommen.

»Ich habe mir über das Problem Gedanken gemacht, wie wir Geld auftreiben können. Hier ist die Internetadresse eines Biokunststoffherstellers. Vielleicht kann er uns helfen.«

»Alles klar. Ich werde mich darum kümmern. Du musst jetzt los!«, sagte Marc.

Eric trank hastig den Rest seines Kaffees aus. Dann eilte er zum Bahnhof. Ihm blieben dreieinhalb Stunden, um mit dem Zug nach Rotterdam zu fahren und in Europas größtem Hafen den Anlegeplatz seines Schiffes zu finden.

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