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„Darf ich vorstellen“

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Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren an den Bildschirmen zu unserer Themensendung Rückkehr der Religionen – wer hat sich diesen banalen Titel denn einfallen lassen? Da gab es doch vor nicht langer Zeit einen Kongress mit gleichem Titel. Rückkehr, Wiederkehr, Renaissance. Waren sie jemals weg? Sollte es nicht besser: Der wiederkehrende Unsinn der Religionen heißen. Postsäkularität? Der Unsinn war auch nie weg. Wir sollten uns über die Entbehrlichkeit der Religionen unterhalten!

Guten Abend, meine Herren. Herren, nur Männer, als seien nur die prädestiniert, dem Thema die notwendige Tiefe zu geben. Na, die Wahl des Chefredakteurs eben.

Wir sind hier zusammengekommen, um, ja, um über was zu diskutieren?

Schlechter Start.

Über Religion? Über Religionen? Über Gott? Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen. Über die neue Religiosität? Auch die „Macht der Religionen“, wie ein Wochenmagazin kürzlich titelte, wird Gegenstand unseres Gesprächs sein. Um uns diesen Themen zu nähern, haben wir kompetente Gesprächspartner eingeladen, die sich in ihrer Vergangenheit kritisch mit den Religionen auseinandergesetzt haben. Warum, werden Sie sich vielleicht fragen, besteht diese Runde nur aus Religionskritikern – frag ich mich auch. Wo bleibt die Ausgewogenheit? Einseitigkeit werden uns die Gazetten vorwerfen. In jede Diskussion um Religionen gehören doch auch Vertreter dieser Religionen, nur sie können die Hintergründe und Tiefen ihrer Religion aus erster Hand erhellen und erläutern, werden Sie sagen. Diese werden mit Recht behaupten, dass alle vorgebrachten Argumente von Laien vorgebracht wurden, zwar von Kennern der Religionsgeschichte, aber nicht des Glaubens. Nun, meine Damen und Herren, gerade das war das Ziel unserer Redaktion, nicht, dass angeblich Laien sich mit Religion beschäftigen, sondern Personen, die mit einem objektiven Auge die Religionen betrachten ...

Und nicht nur die, die sich in den Glauben flüchten, wenn man sich den Unwahrheiten nähert.

… und diese Runde nicht zu einer Werbeshow für ihre religiösen Anliegen umfunktionieren. Ich darf Ihnen zunächst meine Gesprächspartner für den heutigen Abend vorstellen, die das Thema mit mir diskutieren – mal sehen, ob wir diskutieren, sind ja doch alle einer Meinung - werden. Zu meiner Rechten ein Mann - ich kann mich nicht genug darüber aufregen, dass die Redaktion nur Männer ausgewählt hat -, auf dessen Schriften sich alle demokratischen Staaten berufen und beziehen können. Die Inhalte eines seiner Hauptwerke: The Rights of Man finden sich in Grundzügen in fast allen demokratischen Verfassungen seit der Französischen Revolution wieder. Mit seinem Spätwerk: The Age of Reason zog er sich, obwohl er wirklich nicht als Atheist bezeichnet werden kann, gänzlich den Zorn der Machthaber und Kleriker auf sich. Wie würden Sie eine der Kernaussagen dieses Buches umreißen?

Nun, meine Meinung wird ganz gut in einem Satz des ersten Kapitels zu Age of Reason dargelegt: „All national institutions of churches, whether Jewish, Christian, or Turkish, appear to me no other than human inventions set up to terrify and enslave mankind, and monopolize power and profit“.

[Untertitel]

„Alle nationalen kirchlichen Einrichtungen, ob jüdisch, christlich oder türkisch (islamisch), erscheinen mir als nichts anderes als menschliche Erfindungen, um die Menschen zu beherrschen und zu versklaven und Macht und Reichtum der Herrschenden zu vermehren.“

Das Werk meines Gesprächpartners zu meiner Linken wird meistens mit Schlagwörtern und aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen und Bemerkungen paraphrasiert: „Umwerthung aller Werthe“, „Nihilismus“, „Alles ist falsch“, „Welt als Wille zur Macht“, „Übermensch als Überwinder Gottes und des Nichts“; die wohl bekannteste Phrase, wenn ihr Name fällt, ist aber „Gott ist tot“. Wird diese Aussage nicht durch die jüngsten Entwicklungen, das Erstarken der Religiosität – ich werde dazu später noch Beispiele anführen – und die Wiederbelebung des Gottesglaubens widerlegt?

Nein, nicht im Mindesten. Sie erinnern sich: einer der Aphorismen, in dem dieser Passus steht, ist überschrieben mit der „tolle Mensch“, es ist also ein vom Wahn Ergriffener, der diese Aussage trifft – und sie ist Ausdruck seines Glaubens. Für mich bedeutet „Gott ist tot“: Gott ist nicht, nicht, er ist nicht mehr. Das er sterben könnte, ermordet durch das morallose Volk ist nur Ansicht des „tollen Menschen“, der glaubt, es war einmal ein Gott. Er ist aber auch der „tolle Mensch“, der Gott als den Initiator seiner Moral sieht, die ja nur seine Erfindung ist. Und die vermeintlichen Mörder Gottes führen ihre eigene Moral ad absurdum. Es ist die Moral der Religionen, die er ad absurdum führt, als Beispiel habe ich das Christentum angeführt, aber es betrifft jede Religion. Denn Religionen entwickeln immer eine Moral - um ihre Anhänger zu knechten, die Sklavenmoral aufrecht zu erhalten -, die durch ihren Gott geheiligt ist, und Moral ist, das ist der Gegenstand meiner Thesen in der Genealogie der Moral, Erfindung bestimmter Menschen in bestimmten Zeiten, deren Wahrheit, die es nicht gibt, die nicht ist, Gott ist, der tot ist, nicht ist, nicht war.

Er ist immer noch ziemlich verwirrt.

Ja, wir werden das in der weiteren Diskussion noch vertiefen.

Interessant. Sie hat nichts verstanden.

Neben Ihnen sitzt ein Mann, der, ähnlich einem heutigen Zeitgenossen, Karlheinz Deschner – dessen kritischer Detailreichtum allerdings unübertroffen ist -, das Christentum bis zu seinen Wurzeln kritisiert, dabei mit einer bis heute unübertroffenen Bissigkeit – wenngleich auch äußerst polemisch und einseitig, aber dennoch übertragbar auf alle Monotheismen. Die Entwicklung des Christentums unterliegt Ihrer spöttischen Kritik und erschüttert das gesamte religiöse Fundament und entlarvt es als baren Unsinn.

Leider ohne nennenswerten Erfolg, wer kennt heute noch den Namen Most – und heute: wer kennt denn Deschner?

Den Tenor Ihrer Kritik umschreibt die Eingangspassage zu dem Buch Die Gottespest: „Wie Alles eine Geschichte hat, so ist auch diese Seuche nicht ohne Historie, nur schade, dass es mit der Entwickelung vom Unsinn zum Verstand, wie sie im Allgemeinen aus dem Historismus oft gefolgert wird, bei dieser Art Geschichte ganz gewaltig hapert. Der alte Zeus und sein Doppelgänger, der Jupiter – das waren noch ganz anständige, fidele, wir möchten sagen, gewissermassen aufgeklärte Kerle, verglichen mit den jüngsten Drillingssprossen am Stammbaume der Götterei, welche sich, bei Licht besehen, an Brutalität und Grausamkeit getrost mit Fitzliputzli messen könnten.“ Glauben Sie, dass die Menschen heute aufgeklärter sind, dass die Religionskritik der vergangenen Jahrhunderte Früchte trägt?

Nein! Jedenfalls nicht viele. Religionskritik ist die eine Seite, Kritik am Gottesglauben die andere, die nicht so stringent verfolgt wird. Viele kritisieren zu Recht das Religionsgebäude, in das sie geboren wurden, die Kirchenhierarchie, lehnen es vielleicht sogar ab, binden sich dann aber an ein anderes Hirngespinst. Religionskritik, Herrschaftskritik sind unverbrüchlich mit Aufklärung und Mündigkeit verbunden, und Mündigkeit im Sinne Immanuels, als selbstverschuldete, kann nur durch eine Aufklärung befördert werden, die das Subjekt selbst will, selbst leistet, dazu gehört auch Auseinandersetzung. Auseinandersetzung mit dem Glauben, mit der Religion, ...

Nicht von ungefähr ist Religionskritik und Aufklärung in der westlichen Welt aus den eigenen Reihen des Christentums erwachsen.

… da reicht eine einfache Ablehnung, Religions- und Glaubensverdrossenheit nicht aus, das führt nur zu anderen Abhängigkeiten.

Grundsätzlich hat sich am wahnwitzigen Glauben an das große Etwas nichts geändert. Ich hoffe, wir werden die Ursachen hierfür heute etwas erhellen.

Sie wurden schon oft erhellt – aber der Wahn ist stärker.

Ein Wahn, genährt von Angst und Erziehung.

Ihnen gegenüber begrüße ich einen Mann, der, sagen wir einmal, dem Kern des Christentums nicht grundsätzlich abgeneigt gegenüberstand, dem Brahmanismus und östlichen Weisheiten sogar freundlich.

Das sieht, wenn ich Ihnen ins Wort fallen darf, auf den ersten Blick vielleicht sogar so aus, besonders wenn man meine Schriften nur aus späteren Biographien kennt. Die Religion spielte in meiner Philosophie keine so entscheidende Rolle wie bei Johann oder Friedrich, oder – ich habe leider nichts von ihm gelesen – bei Karlheinz; auffallend ist nur, dass zentrale Gedanken des Christentums oder des Buddhismus, aber nur Bruchstücke, wenn es um meine Konstruktion des einzigen Antriebes moralischen Handelns geht, um das Mitleid, Berührungspunkte mit meiner Philosophie aufweisen. Diese sind aber nicht konstitutiv, denn das gesamte Gebäude ist, nicht nur vom historischen Gesichtspunkt aus betrachtet, äußerst fragwürdig und schädlich.

Äußerst fragwürdig und schädlich – er windet sich immer noch ums Konkrete.

Mich ermüdet die ganze Sache jetzt schon.

Zuletzt begrüße ich in unserer Runde einen Mann, der nicht nur die Grundfesten der Religionen im Allgemeinen erschütterte und mit seiner Ansicht, dass „das Geheimnis der Theologie die Anthropologie ist“, neueste religionskritische Arbeiten wie die von Dawkins oder Dennet vorwegnahm, sondern sich auch eingehend mit den „Frömmlingen“ und ihren ganz persönlichen, aus dem Wissen um die Vergänglichkeit ihres Lebens resultierenden Ängsten und Befürchtungen auseinandersetzte.

Eher mit den Hirngespinsten, die sich aus den einzigen unhintergehbaren Fakten Tod und Sterblichkeit ergeben. Aber, dass muss ich hinzufügen, es geht mir nicht um die Verhöhnung der Frömmlinge wie das oft kolportiert wird, sondern um Präzisierung der Aufgabe der Philosophie: sie muss sich endlich aus dem Bann der Theologie befreien und gleichzeitig zu deren schärfster Kritikerin werden, das hat sie immer noch nicht gänzlich geschafft. Immer noch überwiegen die positiven Reputationen, es sind die Erkenntnisse der Naturwissenschaften, die die Theologie ins Wanken bringen, wirksamer aber, tiefer und gründlicher wäre die philosophische Entthronung. Sie muss den Irrglauben an Unsterblichkeit und einen allmächtigen Lenker und an all die anderen abergläubischen Spinnereien desavouieren und Moral, deren Ursprung und Triebfeder noch zu oft in der Religion als alleinige ethische Instanz und Autorität angesiedelt wird, als im Menschen verankerte und bildbare erkunden, begreifen und postulieren.

Na, das war mal ein Plädoyer. Das sollten sich so manche Fernsehphilosophen mal hinter die Ohren schreiben, die immer noch ihre Theo-Philosophie verbreiten - als gäbe es keine Aufklärung.

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