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Kapitel 5

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Am nächsten Morgen quälte ich mich etwas früher aus dem Bett, um für einen Test zu lernen. Zwischenzeitlich erledigte ich noch ein paar Putzarbeiten, ehe ich meine Nase wieder in die Bücher steckte. So verbrachte ich den ganzen Mittag.

Nun war es bereits sechs Uhr am Abend und ich wärmte mir gerade das Abendessen auf, als mein Handy auf dem Küchentresen zu vibrieren begann. Poppys Bild erschien auf dem Bildschirm. Seit dem Vorfall gestern, hatten wir uns nicht mehr gesprochen. Sofort nahm ich den Anruf entgegen.

»Hey, ich dachte schon du hättest vergessen anzurufen«, begrüßte ich meine beste Freundin.

»Hallo«, Poppy klang niedergeschlagen. Keine Spur von der Heiterkeit, mit der sie mich stets begrüßte.

»Tut mir leid, dass ich erst jetzt anrufe.«

»Poppy, das macht doch nichts. Wie geht es dir?«, wollte ich wissen. Vom anderen Ende der Leitung war ein Seufzen zu hören.

»Scheiße«, entgegnete sie. Okay, ihre Antwort war mehr als deutlich. Ich konnte sie nur zu gut verstehen. Sie war in einer Beziehung mit meinem Bruder und ihr bester Freund, den sie schon seit Jahren kannte, hatte sie geküsst. Selbstverständlich belastete Poppy das. Zu allem Überfluss sollte heute eigentlich ihr und Lukas‘ großer Tag sein. Doch ich war mir ziemlich sicher, dass Lukas über den Kuss nicht sauer sein würde. Schließlich war es ja nicht Poppys Schuld gewesen, dass Timmy versucht hatte sie zu küssen.

»Poppy, du darfst dir jetzt keine Vorwürfe machen«, versuchte ich beruhigend auf sie einzureden. »Dich trifft keine Schuld. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass Lukas nicht böse sein wird. Immerhin hast du den Kuss ja nicht einmal erwidert. Lass dir davon deinen Abend nicht verderben.«

Für ein paar Sekunden herrschte Totenstille in der Leitung.

»Naja, was das angeht … der heutige Abend mit Lukas und mir ist geplatzt.«

Verwirrt zog ich die Brauen zusammen. Gleichzeitig begann die Mikrowelle zu piepsen. Mein Essen war fertig. Ich klemmte mir den Hörer unters Ohr, während ich es herausnahm.

»Was meinst du mit geplatzt?«

Wieder hörte ich Poppy resigniert seufzen.

»Was hältst du davon, wenn wir einen Kaffee trinken gehen, etwas quatschen und danach eine Black Friday Shoppingtour machen? Ich könnte wirklich etwas Ablenkung gebrauchen«, Poppy klang tatsächlich furchtbar bedrückt.

Ich erinnerte mich noch zu gut daran, wie sie während der Sommerferien, unmittelbar nach dem Unfall meiner Mom, jeden Tag hier gewesen war. Sie stand mir bei und ging mit mir durch dick und dünn. Nun war es an der Zeit, dass ich dasselbe für sie tat, dass ich ihr mit einem offenen Ohr und Rat und Tat zur Seite stand. Eine Freundschaft war ein Geben und Nehmen. Nun war ich an der Reihe.

»Ich bin in einer halben Stunde da.«

Kurze Zeit später parkte ich mein Auto vor Poppys Haus. Poppys Zuhause war ein recht außergewöhnliches Haus. Die schieferblaue Holzfassade stand in einem schönen Kontrast zu den dunklen Fensterläden und der weißen Eckverkleidung und fiel jedem sofort ins Auge. Poppys Eltern hatten schon immer ein Faible für extravagante Dinge besessen.

Es dauerte keine Minute, ehe die weiß gestrichene Haustür sich öffnete und Poppy die Veranda herunter gestiefelt kam.

Ich blinzelte ein paar Mal und musste zweimal hinschauen, da ich meinen eigenen Augen nicht traute. Kurz fragte ich mich, ob dieses Mädchen wirklich Poppy war. Als sie jedoch näherkam, bestand kein Zweifel mehr.

Poppy schlüpfte in ihren Mantel und schlang sich den Schal um den Hals, während sie auf mein Auto zulief. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid, darunter eine graue, durchlöcherte Strumpfhose und ihre heißgeliebten Doc Martens. Doch ihre Kleidung war nicht das, was mich derart aus der Fassung brachte, nein, es waren ihre Haare.

Verschwunden war die graue Farbe, die sie vor ein paar Monaten unbedingt hatte haben wollen. Stattdessen leuchteten ihre Haare nun in einem knalligen Blau.

Die Tür öffnete sich, Poppy stieg ein und ließ sich auf den Sitz fallen. Ich konnte nicht anders und so starrte ich sie für ein paar Sekunden lang einfach nur an. Offen gesagt, sah das Blau nicht mal so übel an ihr aus. Im Gegenteil. Die blauen Locken ringelten sich um ihr herzförmiges Gesicht und verliehen ihr in gewisser Art und Weise etwas Wildes, Ungestümes. Auch hatte sie sich die Haare etwas kürzer geschnitten. Sie reichten ihr jetzt nur noch bis zum Kinn.

Jedoch gab es fast immer einen Grund dafür, wenn Poppy sich die Haare färbte. Meistens war es ein Zeichen dafür, dass etwas in ihrem Liebesleben nicht ganz nach ihren Vorstellungen lief.

»Wow«, meine Brauen schossen in die Höhe. »So schlimm?«

»Kein Wort, bevor ich nicht meine übliche Dosis Kaffee und meine Tagesration Zucker zu mir genommen habe«, entgegnete sie schroff und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, nachdem sie sich angeschnallt hatte.

Schon lange hatte ich Poppy nicht mehr derart schlecht gelaunt erlebt. Irgendetwas musste wohl vorgefallen sein. Dennoch kam ich ihrer Bitte nach. Wir sprachen kein einziges Wort während der Fahrt. Ihr Zuliebe ließ ich sogar ein paar Black Music Songs laufen. Doch nicht einmal Kid Ink schaffte es, ihre heutige Laune zu bessern.

Einen Kaffee und zwei Donuts später saß Poppy mir gegenüber im Starbucks Café. Nervös knabberte sie an einem ihrer Fingernägel und wippte ununterbrochen mit ihrem Fuß unter dem Tisch. Ich stieß ein entnervtes Schnaufen aus.

»Poppy, so langsam machst du mich auch nervös. Jetzt spuck endlich aus was passiert ist.«

Ergeben ließ sie von ihren Fingernägeln ab und starrte in ihren Kaffee.

»Lukas und ich haben uns gestritten.«

»Gestritten?«, verwirrt schüttelte ich den Kopf. »Hast du ihm von Timmys Kuss erzählt?«

Dies war die einzig logische Erklärung für einen Streit. Allerdings fragte ich mich, weshalb es überhaupt erst zu einem Streit hatte kommen können. Lukas besaß durchaus eine eifersüchtige, besitzergreifende Art. Jedoch konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er Poppy für etwas verantwortlich machte, worauf sie keinerlei Einfluss hatte - Timmys Gefühle.

»Ja das habe ich«, niedergeschlagen senkte sie den Kopf. »Ich habe Lukas noch nie so sauer erlebt.«

Empört riss ich die Augen auf, war Lukas tatsächlich derart aus der Haut gefahren? Selbstverständlich war es nur natürlich, dass ihm die Vorstellung, wie ein anderer Junge seine Freundin küsste, nicht gefiel. Doch deshalb einen Streit vom Zaun zu brechen, obwohl Poppy keinerlei Schuld traf, kam mir doch etwas übertrieben vor.

»Du hast Timmys Kuss doch nicht einmal erwidert. Er hat doch gar keinen Grund, auf dich sauer zu sein?«, ungläubig schüttelte ich den Kopf und versuchte zu verstehen, was in meinem Bruder wohl vorging.

Unterdessen wartete ich darauf, dass Poppy mir zustimmte, wartete darauf, dass ihr hitziges Gemüt ausbrach. Ich hatte sogar halb damit gerechnet, dass sie über meinen Bruder zu schimpfen begann. Aber sie schwieg. Ihre Lippen waren verstummt.

Das passte nicht zu Poppy.

Verwirrt hob ich den Kopf. Ein einziger Blick in ihr Gesicht genügte, um zu erkennen, dass hier etwas nicht stimmte. Ich sah es ihr an. Schuldbewusstsein spiegelte sich auf ihren Zügen wider. Mit einem Mal beschlich mich das Gefühl, dass Lukas womöglich nicht ohne Grund wütend auf Poppy gewesen war.

»Poppy?«, zweifelnd versuchte ich ihren Blick aufzufangen. »Du hast den Kuss doch nicht erwidert oder?«

Timmy hatte zwar erzählt, sie hätte ihn zurückgewiesen, aber eine andere Erklärung kam mir spontan nicht in den Sinn. Ich beobachtete, wie Poppys Kopf bis hin zu den Haarwurzeln hochrot anlief. Energisch schüttelte sie den Kopf.

»Spinnst du?«, wandte sie entrüstet ein.

»Was ist dann geschehen?«

Wieder wandte sie ihr Gesicht ab und Unbehagen schien sich in ihr auszubreiten. Ich konnte ihr förmlich ansehen, wie sie sich unter meinem Blick zu winden begann.

»Naja…«, begann sie zögerlich. »Vielleicht habe ich etwas gesagt, das ihm nicht so wirklich gefallen hat. Oder vielmehr… gar nichts gesagt.«

Poppy begann verlegen mit ihren beiden Zeigefingern aneinander zu tippen. Sie brachte mich langsam aber sicher wirklich auf die Palme.

»Herrgott Poppy, jetzt sag endlich was passiert ist und hör auf, um den heißen Brei zu reden.«

Poppy nahm einen tiefen Atemzug, ehe sie mit der Wahrheit rausrückte.

»Nachdem ich Lukas von Timmys Kuss erzählt hatte, wollte er wissen, ob ich Gefühle für ihn habe.«

»Was hast du dann gesagt?« Instinktiv hielt ich die Luft an.

»Na, dass Timmy und ich befreundet sind.«

Etwas sagte mir, dass dies nur die halbe Wahrheit war.

»Und weshalb habt ihr dann gestritten?«, hakte ich nach. Poppy zuckte lediglich mit den Schultern.

»Daraufhin hat er gefragt, ob ich mehr als freundschaftliche Gefühle für Timmy hege.«

Poppy raubte mir tatsächlich noch den letzten Nerv. Man musste ihr heute aber wirklich alles aus der Nase ziehen.

»Ja und wie war deine Antwort?«, verlangte ich erneut zu wissen.

»Nichts«, Poppys Wangen begannen wieder zu glühen. »Ich habe nichts geantwortet.«

Ich brauchte ein paar Sekunden, um ihre Worte zu realisieren. Meine Brauen schossen überrascht in die Höhe.

»Wie nichts? Du hast gar nichts erwidert?«, meine Augen wurden groß. Peinlich berührt schüttelte sie den Kopf und begann am Nagel ihres Zeigefingers zu knabbern.

»Und warum hast du nichts darauf gesagt?« Innerlich begann ich zu ahnen, was der Grund für Poppys Reaktion auf Lukas‘ Fragen war. Doch ich wollte es von ihr hören.

»Ich weiß es nicht!«, Poppy warf verzweifelt die Hände in die Luft. »Ich habe absolut keine Ahnung! Ich wollte ihm sagen, dass ich für Timmy nur freundschaftliche Gefühle empfinde, aber …«, Tränen traten in ihre Augen und in diesem Moment wirkte sie unglaublich verzweifelt.

»Du konntest es nicht«, beendete ich ihren Satz. Poppy nickte und die erste Träne rollte ihr übers Gesicht. Mitfühlend legte ich meine Hand über die ihre.

»Ich verstehe das ja selbst nicht einmal. Ich dachte immer wir wären nur befreundet. Und dann küsst er mich!«, Fassungslosigkeit und Wut spiegelten sich auf ihren Zügen wider. »Weshalb ist er nicht früher mit seinen Gefühlen rausgerückt? Was fällt ihm ein? Ich bin in einer Beziehung. Jetzt bin ich völlig durcheinander!«, die Tränen flossen und flossen. Poppy tat mir unendlich leid.

»Kann es vielleicht sein, dass Timmy dir doch mehr bedeutet, als du dir selbst eingestehen willst?«, ich versuchte meine Worte mit Bedacht zu wählen, offenbar war dies ein sehr sensibles Thema. Denn dieses Verhalten entsprach so rein gar nicht der Poppy, wie ich sie kannte. Ich kannte sie als stets selbstbewusste Frau. Eine Frau, die einen Plan vor Augen hatte, die klar und deutlich wusste, was und wen sie wollte.

Aber diese Poppy hier, die nun vor mir saß und weinte wegen zweier Männer, eine Poppy, die weinte, weil sie nicht wusste, wen sie wollte, diese Poppy kannte ich kaum. Es war eine neue Seite an ihr, eine Seite, die ich noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte.

»Diese Frage habe ich mir auch gestellt«, kurz verstummte sie. »Ich weiß keine Antwort darauf.«

Ich spürte wie viel Kraft es sie kostete, diesen Satz laut auszusprechen. Zu gut wusste ich, wie schwierig es war, wenn es darum ging, sich Gefühle einzugestehen, die man im Grunde nicht haben wollte. Anfangs als ich Logan kennengelernt hatte, ging es mir so ähnlich wie Poppy jetzt.

Oh ja, ich war Experte auf diesem Gebiet und Meister, wenn es darum ging, sich etwas vorzumachen. Sich nach jemandem zu sehnen, nach dem man sich nicht sehnen wollte. Jemanden zu begehren, den man nicht begehren sollte. Und Jemanden zu lieben, den man nicht lieben durfte.

Vielleicht erging es Poppy gerade so ähnlich. Vielleicht hatte sie bis zu dem Kuss nicht einmal die leiseste Ahnung von ihren Empfindungen für Timmy gehabt. Es war durchaus möglich, dass nun, da er sie geküsst hatte, sie sich ihrer Gefühle erst bewusst geworden war.

Das Problem lag allerdings darin, dass Poppy in festen Händen war. Bis gestern noch hatte sie geglaubt, dass keinerlei romantische Gefühle zwischen Timmy und ihr herrschten. Ihr Leben war perfekt gewesen. Zu gut erinnerte ich mich, wie sie seit ein paar Wochen pfeifend und mit einem dicken, fetten Grinsen auf dem Gesicht durch die Schulflure spaziert war.

Sie war glücklich gewesen. Sie hatte Lukas, einen festen Freund, der sie verehrte und Timmy, ihren besten Freund, der seit Beginn der High School an ihrer Seite war. Sie besaß eine intakte Familie, gute Freunde. Selbst über ihre Noten konnte sie sich nicht beschweren. Sie hatte klare Vorstellungen von dem, was sie in ihrem Leben erreichen wollte und was nicht. Und nun wurde ihre Welt vollkommen durcheinandergebracht. Regelrecht auf den Kopf gestellt.

Für manche vermochte ein bisschen Liebeskummer nichts Schlimmes sein. Doch ausgerechnet für Poppy, die eigentlich immer einen genauen Plan vom Leben hatte, bedeutete dies absolutes Chaos.

Ich drückte Poppys Hand, um ihr zu signalisieren, dass ich für sie da war, dass sie nicht alleine mit ihrem Kummer war. Sie erwiderte die Geste und schniefte laut.

»Wie willst du jetzt weiter vorgehen?«

Poppy seufzte und zuckte hilflos mit den Schultern.

»Ich schätze, ich muss mir bewusst werden, was und wen ich will. Bevor ich das nicht weiß, kann ich keinem der beiden in die Augen schauen.«

Ich nickte zustimmend. Was dies betraf, gab ich Poppy recht. Sie würde sich definitiv Gedanken darüber machen müssen, für wen der beiden ihr Herz schlug. Ich vermochte mir gar nicht vorzustellen, wie schwierig das für sie sein musste.

»Danke Drea«, hörte ich Poppy plötzlich sagen. Überrascht hob ich den Blick und sah ihr in die Augen. Trotz des Kummers, den man in ihnen erkannte, strahlten sie Dankbarkeit aus.

»Wofür denn?«

»Dafür dass du mir zuhörst und mich nicht verurteilst. Schließlich ist Lukas dein Bruder«, erklärte sie bedächtig. Mit einem Mal begriff ich, weshalb Poppy so sehr gehadert hatte, mit mir über die ganze Sache zu reden. Der wahre Grund für ihr Zögern war, dass sie Angst gehabt hatte. Angst davor, dass ich hätte sauer sein können, wie Lukas.

Sofort schenkte ich ihr ein Lächeln.

»Poppy, du weißt, dass ich dich niemals für das was du fühlst, verurteilen würde. Und ja, Lukas ist mein Bruder, aber du bist auch meine beste Freundin. Das bedeutet doch auch etwas, oder nicht?«

Mit einem Mal schien all die Anspannung von ihr abzufallen. Sie erwiderte mein Lächeln und nickte.

»Ja, das tut es.« Für ein paar Sekunden herrschte Stille zwischen uns und schweigend dankten wir dem jeweils anderen.

»Lass uns über was anderes reden, dieses Thema ist deprimierend genug«, woraufhin sie nach ihrem Kaffee griff und ihn in einem Zug leerte.

»Freust du dich schon auf unsere Abschlussfahrt?«, fragte sie beiläufig und nahm den Plastikdeckel von ihrem Becher, um nochmal zu überprüfen, ob er auch wirklich leer war. Mir dagegen geisterten Poppys Worte durch den Kopf.

»Abschlussfahrt?«, wiederholte ich verständnislos. Poppy sah von ihrem Tun auf und hob belustigt eine Braue.

»Ja, unsere Abschlussfahrt, Drea, in drei Wochen.«

Schlagartig fiel mir wieder ein, dass bereits seit Ende letzten Schuljahres unsere Abschlussfahrt geplant war, schließlich waren wir nun im letzten Jahr der High School angelangt.

Für gewöhnlich fuhren die Absolventen gegen Frühjahr in eine Art Ferienlager hier in Washington in der Nähe Ellensburg. Unser Jahrgang allerdings hatte die Idee, die Fahrt vorzuverlegen, um den Winter in den Bergen verbringen zu können. Zu unseren Gunsten, besaß einer unserer Lehrer Kontakte nach Mount Rainier und so bekamen wir für die fünf Tage ein preiswertes Angebot. Mount Rainier war ein Nationalpark, etwa zwei Stunden von Seattle entfernt.

Durch den ganzen Stress der letzten paar Monate, hatte ich den Ausflug völlig vergessen.

»Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht«, gestand ich.

»Ohje«, Poppy räusperte sich, doch der Ansatz eines leichten Lächelns erschien auf ihrem Gesicht. »Na dann weißt du sicherlich auch noch nicht, welche Lehrer mit von der Partie sein werden.«

Nun konnte sie sich das Grinsen nicht mehr verkneifen und wackelte verschwörerisch mit den Brauen.

»Nein, bitte nicht«, stöhnend ließ ich den Kopf auf die Tischplatte fallen.

»Ganz richtig, hallo Mr Adonis«, bestätigte sie meine dunkle Vorahnung, sofort fuhr mein Kopf wieder nach oben.

»Mr Arschloch«, korrigierte ich sie mit strengem Blick und Poppy brach in schallendes Gelächter aus.

Eigentlich hatte ich seit der Mittelstufe gemeinsam mit Poppy, Timmy und Danny auf diese Abschlussfahrt hin gefiebert. Ein letztes Mal mit dem ganzen Jahrgang und den engsten Freunden zusammen wegfahren, die Schulzeit Revue passieren lassen und ein allerletztes Mal gemeinsame Erinnerungen sammeln.

Nun, da ich erfahren hatte, dass Logan mitfahren würde, war ich mir jedoch gar nicht mehr so sicher, ob ich diesen Kurzurlaub so richtig genießen konnte. Ich würde Logan dauerhaft um mich haben. Ihn den ganzen Tag über von morgens bis abends sehen, womöglich auch mit ihm reden müssen.

»Sieh es doch nicht so negativ. Möglicherweise ist es eine gute Gelegenheit, um euch wieder näher zu kommen und euch vielleicht mal auszusprechen.«

»Poppy! Ich dachte, wir mögen Mr Arschloch nicht mehr? Außerdem ist das Thema Logan Black vom Tisch«, ich warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Gerne als Poppy zu einem Gegenargument ausholen wollte, setzte ich dem Ganzen noch die Krone auf. »Zudem lässt du die Tatsache außer Acht, dass es sich bei ihm um unser Lehrer handelt. Unser Lehrer, verstehst du das?«

»Ja, aber nicht mehr lange. In ein paar Monaten hast du deinen High School Abschluss in der Tasche und dann interessiert es keine Menschenseele mehr«, wieder wackelte sie verschwörerisch mit ihren Augenbrauen.

Wenn es doch nur so einfach wäre, wie Poppy es behauptete. Leider war die Tatsache, dass es sich bei Logan um meinen Lehrer handelte, nicht das einzige Hindernis, das zwischen uns stand. Auch seine Vergangenheit schien eine große Rolle zu spielen und ihn von einer ernsthaften Bindung abzuhalten.

Poppy bemerkte wohl meine Traurigkeit und die Sehnsucht, die bei diesem Thema Besitz von mir ergriff und startete ein Ablenkungsmanöver. Sie kannte mich einfach zu gut.

»Komm schon Drea«, sie erhob sich und nahm ihr Tablett vom Tisch. »Lass uns die Geschäfte unsicher machen.«

Ich löste mich aus meiner Starre und versuchte die Gedanken an Logan Black vorerst zu verdrängen. Ich folgte ihrem Beispiel und brachte mein Tablett ebenfalls weg. Danach traten wir hinaus in die Kälte. Der Nachthimmel wies wieder einmal diese violette Farbe auf, die weiteren Schnee ankündigte.

Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass es bereits kurz nach neun Uhr war. Glücklicherweise war heute Black Friday, der Freitag nach Thanksgiving. Da Thanksgiving immer auf den vierten Donnerstag im Monat fiel, war der darauffolgenden Tag kennzeichnend für den Start in ein traditionelles Familienwochenende und Beginn der Weihnachtseinkaufsaison. In dieser Freitagnacht hatten etliche Geschäfte vierundzwanzig Stunden geöffnet.

Dementsprechend herrschte nun auf den Straßen Seattles auch das pure Chaos. Unzählige Menschen waren unterwegs, die dieses Event nutzten, um ein paar günstige Schnäppchen zu ergattern.

Es war ein wunderschöner Abend. Um uns herum funkelten die Weihnachtslichter in den verschiedensten Farben. Ein Duft von Zimt, Äpfeln und Mandeln lag in der Luft. Viele Essensstände säumten die Straße und versuchten mit diesem besonderen Ereignis einen ordentlichen Umsatz zu erwirtschaften.

Drei Stunden später türmten wir unsere Einkaufstüten auf dem Rücksitz meines Autos. Ein Blick auf die Rückbank und man erkannte allein schon an der Masse unserer Einkäufe, dass Poppy und ich beide Liebeskummer hatten. Nun verstand ich, weshalb meine Mom mir immer gesagt hatte Frustshopping würde arm machen. Doch das war es mir wert gewesen. Poppy und ich hatten sogar für unseren Winterball im Januar schicke Kleider gefunden.

Schon als ich es im Geschäft an dem Kleiderständer sah, wusste ich sofort, dass ich dieses Kleid haben musste. Es war ein echter Hingucker. Es war bodenlang und die Farbe schimmerte in einem leuchtenden Königsblau mit einem raffinierten, hohen, seitlichen Beinschlitz.

Poppy dagegen hatte sich einen schwarzen bodenlangen Zweiteiler ausgesucht. Der Rock war knielang und umschmeichelte locker ihre Oberschenkel. Das Oberteil bestand aus einem bauchfreien Tanktop, welches man in der Mitte schnüren musste. Es stand ihr hervorragend und war definitiv genau nach Poppys Style.

Erschöpft kamen wir kurz nach Mitternacht bei Poppy zuhause an, denn ich war viel zu müde, um jetzt noch nach Hause zu fahren. Also schrieb ich meinem Dad eine kurze SMS, dass ich bei Poppy übernachtete. Wie immer zog Poppy sich noch einen ihrer Marvel Filme herein. Ich dagegen fiel bereits nach den ersten zehn Minuten in einen tiefen Schlaf.

Und wieder einmal träumte ich von eisblauen Augen …

Please don't leave me

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