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4. Kapitel: emotionale Abhängigkeit
ОглавлениеPia war so am Boden zerstört, dass ihre Kollegin Kirsten mit ihr sprach, „Pia, was ist mit Dir los, setz Dich bitte mal zu mir in die Kantine, ich möchte mit Dir reden.“
Sie hatte sich mit Kirsten angefreundet, als Kirstens Ehe vor zwei Jahren den Bach runter ging. Kirsten sagte, Pia wäre die Einzige in der Firma gewesen, die immer ein nettes Wort für sie gehabt hätte. Kirsten war mit 3 Brüdern groß geworden, sie war es gewohnt, sich gegen Unterdrückung durchzusetzen, deshalb hatte sie ihre Scheidung auch gut überstanden.
Und jetzt ging es ihr wieder klasse, sie war frisch verliebt. Durch ihre überstandenen Erlebnisse konnte sie Pias Verzweiflung regelrecht spüren und Pia tat ihr leid. Sie sah, dass Pia immer weiter abnahm und gar nicht mehr lachte.
„Pia, Du ziehst Dich immer mehr von mir zurück und Du lachst gar nicht mehr!“
Da Pia einfach nicht mehr wusste, was sie machen sollte und ihren Kummer nicht mehr für sich behalten konnte, berichtete sie Kirsten alles von Burkhard und seinen drei Freundinnen.
Kirsten war entsetzt:
„Pia, Du musst raus aus dem Haus, Du gehst kaputt!“
versuchte ihr Kirsten zu erklären, aber Pia war uneinsichtig:
„Nein Kirsten, wie kannst Du mir so was Schreckliches raten. Ich habe für das Haus jahrelang gearbeitet. Ich verlasse das Haus nicht! Auf keinen Fall! Das wird schon wieder mit Burkhard und mir, es gibt bestimmt eine Lösung. Das ist jetzt nur eine Phase.“
„Hat Burkhard Zugriff auf Dein Gehaltskonto?“ fragte Kirsten vorsichtig, sie ließ einfach nicht locker.
„Er verwaltet alles, ich hab ihm doch immer vertraut“, meinte sie schniefend und schnupfte ausgiebig in ihr Taschentuch.
„Pia, bitte, für einen Auszug brauchst Du Geld, sperre ihm wenigstens die Vollmacht für Deine Konten.“
Kirsten legte beide Hände auf Pias Arme und meinte eindringlich:
„Pia, Du musst jetzt unbedingt gut auf Dich aufpassen.“
„Ich ziehe nicht aus dem Haus aus! Und wenn ich Burkhard die Vollmacht sperre, dreht er durch. Burkhard ist immer so aggressiv. Außerdem würde das die Situation nur noch weiter verschlimmern und dann gäbe es kein Zurück mehr, weil sich Burkhard dann ganz bloßgestellt fühlt.“ Wie stellte sich Kirsten das nur vor, so einen Vorschlag konnte nur jemand machen, der keine Ahnung hatte.
„Denk bitte darüber nach, was ich Dir gesagt habe und versuche eine Lösung zu finden. Vielleicht kannst Du auch in dem Haus bleiben und er muss raus. Mist, ich muss ja los“, meinte sie mit einem Blick auf ihre Uhr. „Ich hab eine Besprechung.“
Kirsten schaute noch einmal auf ihre Uhr, verabschiedete sich eilig von Pia und rannte los Richtung Büros.
Pia konnte sich nur noch schwer auf ihre Arbeit konzentrieren, ihre Gedanken kreisten, aber sie fühlte, dass Kirsten Recht hatte. Sie war Burkhard momentan finanziell total ausgeliefert. Die vielen SMS, die er schrieb und sein neues Auto, für das sie unterschrieben hatte. Sie würde ja auch in dem Auto mitfahren, sie sollte sich nicht so anstellen. Aber wann war sie das letzte Mal mit ihm gefahren? Sie hatte nur ihr altes Auto. Burkhard gab ihr Geld mit beiden Händen aus. Das wurde ihr jetzt klar. Es tat so weh, Kirsten hatte Recht.
Pia hatte noch ein Konto bei einer Direktbank, das Geld sollte Ende des Jahres als Tilgung ins Haus einfließen. Ihre Lage wurde brenzlig, das spürte sie, also schickte sie von zuhause ein Fax an die Direktbank und ließ das Konto sperren. Sicher ist sicher, dachte sie sich, so ganz naiv war sie nicht mehr. Burkhard würde rumbrüllen, wenn er das heraus bekam.
Am nächsten Tag wollte Pia prüfen, ob alles geklappt hatte, sie ging online und schaute sich den Kontostand an. Was war das jetzt, sie konnte nicht glauben, was sie da las, „Null“, ihr Konto war leer geräumt. Eine Abbuchung von Burkhard hatte das Konto geräubert. Verschreckt rief sie die Bank an.
„Tja, so wie sich die Sachlage für mich darstellt, haben Sie zwar das Konto korrekt gesperrt, aber nicht Ihre PIN-Nummern, da können wir nichts mehr machen.“
Und dann setze der Bankangestellte noch eins drauf:
„Da hätten Sie besser aufpassen müssen, das schreiben wir doch immer und überall dazu im Kleingedruckten, das weiß doch jeder“, meinte der Bankangestellte besserwisserisch. Nun, ihm war das wirklich egal und Pias Dummheit nervte ihn.
„Sprechen Sie mit ihrem Mann und fragen ihn, warum er das gemacht hat“, war sein letzter gleichgültiger Rat, „Vielleicht kriegen Sie dann ihr Geld wieder und sperren Sie unbedingt zukünftig die Liste mit den PIN-Nummern.“
Was sollte sie jetzt noch sperren. Verstört legte sie den Hörer auf, ihr Geld war weg, alles weg. Außerdem schien Burkhard sie zu bespitzeln, wie sonst konnte er so schnell erfahren, dass sie ihm den Zugang zu ihren Konten sperren wollte?
Er musste den Fax-Ausgang irgendwie mitbekommen haben. Und clever war er, viel cleverer als sie dachte, war er, wenn es darum ging sie zu betrügen, stellte sie entsetzt fest. Was oder wen hatte sie da nur geheiratet? Sie kannte diesen Mann nicht mehr. Sie schaute sich dann den Kontostand ihres Gehaltkontos an, auch dieses Konto war von Burkhard bis auf null abgebucht. Sie konnte bis zur nächsten Gehaltszahlung nicht mal mehr tanken. Verschreckt schaute sie in ihr Portemonnaie. Das war alles, was sie noch besaß.
Pia berichtete Kirsten am nächsten Tag von dem gestohlenen Geld, sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Und sie erzählte Kirsten, dass sie Burkhard wohl sehr verletzt hatte, als sie ihm das Konto sperren wollte. Sie wäre ein schrecklicher Mensch. Und Burkhard würde sie jetzt dafür bestrafen.
Kirsten meinte eindringlich mit besorgtem Gesicht:
„Pia, bitte, geh auf Wohnungssuche, Du musst da unbedingt raus, und bitte leg Dein nächstes Gehalt beiseite für den Auszug. Du brauchst das Geld dann dringend und bitte lass Dir es nicht wieder wegnehmen!“
Kirsten nahm das Häufchen Elend in den Arm, warum nur passierte es immer wieder den Frauen:
„Ja Pia, ich weiß, es tut weh, aber Du musst der Situation ins Auge sehen!“
„Ja, Kirsten, ich passe ab sofort besser auf!“ meinte Pia kleinlaut, nur worauf sollte sie noch aufpassen?
Kirsten erzählte auch von einer Psychologin, Frau Wittler. „Die scheint ganz gut zu sein. Ich komme nicht an Dich ran und jemand muss Dir helfen. Versuch einen Termin zu bekommen, die Praxis von Frau Wittler ist ziemlich überlaufen, Du musst das schon dringlich bei ihr machen.“
Was hat Kirsten da gerade gesagt? Hatte sie sich verhört? Sie sollte zu einer Psychologin gehen? Was wollte Kirsten noch alles von ihr? War sie in Kirstens Augen so krank? Wie hatte sie eigentlich bisher überlebt?
„Hier Pia, nimm den Zettel, ich hab Dir die Nummer aufgeschrieben, geh dahin!“
Pia legte den Zettel unter ihr Kopfkissen und schaute ihn sich die nächsten Tage immer wieder an.
Dann dachte sie, es kann ja nicht schaden, sich neben Kirstens Meinung eine zweite Meinung einzuholen. Vielleicht sah die Psychologin ihre Situation ja ganz anders als Kirsten und konnte ihr einen guten Tipp geben, wie ihre Beziehung besser laufen würde und Kirsten lag völlig falsch?
Ja, genau das war es, ein Ruck ging durch Pia, die Psychologin wusste bestimmt, was sie ändern musste. Die Psychologin gab ihr bestimmt super Tipps, Burkhard hatte ja auch gesagt, sie hätte Schuld. So ein Termin bei einer Psychologin würde ganz bestimmt ihre Ehe retten!
Sie griff am nächsten Tag mutig zum Telefon und rief die Nummer an.
„Wittler“, meldete sich die Psychologin am Telefon.
„Hallo Frau Wittler, hier ist Pia Grauer, ich brauche einen Termin, und zwar ziemlich dringend.“ Pia versuchte ihre Stimme so bestimmt wie möglich klingen zu lassen.
„Frau Grauer, das tut mir sehr leid, die nächsten Termine habe ich erst in 4 Monaten frei.“ Pia hörte, wie Frau Wittler in ihrem Kalender suchte und die Seiten hektisch umblätterte.
Was war das jetzt, wie sollte sie die nächsten 4 Monate überstehen, Kirsten machte ihr die ganze Zeit die Hölle heiß, und ihr Leben glitt ihr aus den Händen.
Es kam von alleine, die Psychologin war so nett, ihre Stimme klang so mütterlich besorgt. Pia bekam einen Heulkrampf am Telefon, alle Schleusen in ihr öffneten sich, alle Qualen der letzten Wochen wollten an die Oberfläche. Pia sprach ziemlich unverständlich in den Hörer: „Ich….. muss….. unbedingt…einen…..Termin… haben! dazwischen schniefte Pia in das durchnässte Tempo, das sich schon ziemlich aufgelöst hatte und nur noch aus einzelnen Fetzen bestand: „Biiiiitttteeeeee!“
Frau Wittler gab ihr tatsächlich ziemlich besorgt einen Termin:
„Bitte kommen Sie schnell vorbei, ich gebe Ihnen für morgen 17 Uhr einen Termin, da mache ich dann extra etwas länger für Sie.“
„Daaannnke!“ Pia war richtig erleichtert und hätte die Psychologin gerne umarmt.
„Donnerwetter“, meinte Kirsten am nächsten Morgen, „wie hast Du das hinbekommen?“
Frau Wittler hörte sich am nächsten Tag bei der ersten Sitzung das Durcheinander von Pia an und meinte schonungslos:
„Frau Grauer, Sie sind emotional abhängig von Burkhard. Wenn Sie das Haus nicht verlassen, kann ich Sie nicht weiter therapieren. Alkoholiker werden auch nur therapiert, wenn sie trocken sind. Sobald Sie Ihren Mann Burkhard und das Haus verlassen haben, bekommen Sie sofort einen weiteren Termin und dann eine Terminserie von mir.“
Was sollte das jetzt, Pia war wie vor den Kopf geschlagen, Frau Wittler sollte ihr Tipps geben, wie sie besser auf Burkhard eingehen konnte. So ging das nicht:
„Bitte Frau Wittler, sagen Sie mir doch einfach nur, was ich tun muss, damit es zwischen Burkhard und mir wieder besser läuft. Was mache ich falsch?“
Frau Wittler antwortete:
„Ihre einzige Chance, wieder mit ihrem Mann zusammen zu kommen, ist, dass Sie erst einmal ausziehen, nur das rettet eventuell ihre Ehe. Und noch was, Ihr Mann und ihre Eltern wollen, dass Sie emotional abhängig wie ein kleines Kind bleiben. Ihre Familie will nicht, dass Sie erwachsen werden.“
Als Pia die Sitzung bei Frau Wittler verließ, war sie vollkommen durcheinander.
Sie wäre emotional abhängig von einem Mann? Und sie wäre emotional auf der Stufe eines Kindes? Und Burkhard und ihre Eltern wollten, dass sie ein Kind bleibt?
Das alles ging ihr nicht aus dem Kopf. Was bedeutete das? Sollte sie etwa abhängig sein wie ein Alkoholkranker? War das nicht restlos übertrieben? Von Alkoholsucht hatte sie gehört, das waren die armen Menschen, die oft daran starben, oder ihre Familien in den Ruin trieben. Aber was zum Himmel ist denn eine emotionale Abhängigkeit?
Nein, emotional abhängig, das war sie nicht, oder? Und wie nur konnte sie emotional auf der Stufe eines Kindes stehen. Sie hatte studiert! Es war lächerlich. Was bildete sich die blöde Psychologin nur ein?
Auf dem Heimweg hielt sie beim Bücherladen an, das musste sie unbedingt nachlesen. Nachdenklich kaufte sie sich 2 Bücher. Sollte sie etwa so eine dumme Frau sein, die einem Mann nachlief? So eine Frau, die in den Reality-Shows im Fernsehen rum heult und im Frauenhaus landen könnte. Eine Frau wie diese geschlagenen Frauen, die alles verloren hatten, weil sie von ihrem Kerl nicht wegkamen?
Nein, ihre Situation war ganz anders, sie war eine Akademikerin, der konnte doch so etwas nicht passieren.
Sie las in den Büchern schlimmes, sie las, dass emotionale Abhängigkeiten in allen sozialen Schichten stattfanden, dass jede 4. Frau sogar geschlagen wurde. Und sie las, dass es besonders Frauen betraf, die ein starkes Pflichtbewusstsein hatten, die gelernt hatten, für alles die Verantwortung zu übernehmen, gerade auch fleißige und vernünftige Frauen. Aber nicht sie, oder? Was war los mit ihr? Was waren das nur für schreckliche Schmerzen in ihrer Seele? Warum litt sie immer diese Höllenqualen? Warum hielt sie Einsamkeit nicht aus? Warum stürzte sie ständig in tiefe schwarze Löcher?
Sie muss plötzlich an ihre arme Tante Anne denken, die bereits mit Ende vierzig starb, die kleinste Schwester ihrer Mutter, die immer am bitterlichsten geweint hatte, wenn sie die Nacht im Bunker verbringen mussten. Da hatte sie schon als Kind gefühlt, dass ihre Tante schwach war.
Sie hatte ihre Tante vor vielen Jahren an einem ihrer letzten Tage im Krankenhaus besucht. Anne lag klein und unscheinbar in dem weißbezogenen Krankenhausbett, sie war so schwach, es war so traurig anzusehen.
„Pia, wie sehe ich aus, kannst Du mir bitte noch schnell die Haare über dem Waschbecken waschen?“ fragte Anne.
„Du siehst gut aus, warum willst Du die Haare waschen?“ In Pia kam Wut hoch, wie konnte Anne jetzt an ihre Haare denken, sie sollte daran denken, wieder gesund zu werden.
„Dein Onkel kommt mich gleich besuchen, er will immer, dass ich hübsch aussehe“, Anne hörte sich unglücklich an.
Sie freute sich nicht über Pias Besuch, sondern dachte nur an ihren Mann Giesbert, der bestimmt eine gemeine Bemerkung machen würde, wenn er sie so sah. Er konnte es schon nicht leiden, wenn sich seine Frau locker kleidete, und jetzt sah sie auch noch schlecht aus und war krank.
Anne musste sich jetzt ganz schnell schick machen, Pia sollte gehen. Giesbert hatte die ganze Woche gearbeitet und seine Frau immer wieder vertröstet, aber heute würde er sie endlich besuchen. Sie vermisste ihn so sehr. Es ging ihr so schlecht, sie war so alleine und unglücklich.
Pia fühlte genau, was Anne dachte und hätte weinen können, weil sie auch merkte, wie wenig Giesbert für seine Frau empfand. Pia war damals ein Kind, wie hätte sie ihrer Tante helfen können? Sie fühlte nur, dass hier etwas mächtig schief lief. Es war alles zu spät für Anne, sie hatte um ihr Glück und ihre Liebe gekämpft und verloren.
„Tante Anne, Deine Haare liegen wunderschön, wir sollten sie aber einmal kämmen“, log Pia. Anne lächelte. Sie war nur noch Haut und Knochen, die Krankheit hatte ihr sehr zugesetzt. Sie war so schwach und emotional angeschlagen, sie hatte ständig Tränen in den Augen. Jetzt war sie endlich so schlank, wie es sich ihr Mann immer gewünscht hatte.
Einmal hatte Giesbert seiner Frau auf einer Feier angetrunken ein Glas Bier ins Gesicht gekippt, mit dem triumphierenden Hinweis an die anderen geschockten Gäste, dass er mit seiner Frau alles machen könnte. Das hatte Pia ihm nie verziehen.
Vier Tage vor dem Tod seiner Frau sagte Giesbert zu ihr: „Anne, das verstehst Du doch, wenn Du mal nicht mehr da bist, dann suche ich mir eine andere Frau.“
Bei diesem schockierenden Geständnis war es für Anne, als ob ihr Herz in zwei Teile gerissen wurde. Von da ab sprach Anne kein einziges Wort mehr mit ihrem Mann bis zu ihrem Tod, sie hatte ihre Seele vor weiteren Schmerzen fest verschlossen.
Pia überlegte, hatten ihre Tante und sie etwa Gemeinsamkeiten? War sie etwa genauso emotional abhängig wie ihre Tante? Das wäre schrecklich!
Das sollte ihr doch nicht passieren, das hatte sie sich damals fest vorgenommen am Grab ihrer Tante! Und auch Pia hatte nie wieder mit ihrem Onkel geredet, der schon 4 Wochen nach Annes Tod mit einer neuen Frau gesehen wurde. Man munkelte, er hätte sie schon vor Annes Tod besucht.
Doch woher kam so eine emotionale Abhängigkeit? Was wurde da in ihrer Familie von Generation zu Generation weitergegeben? Und wie kam sie da raus, bevor es auch für sie zu spät wäre?
Kirsten machte weiter Stress und ließ Pia nicht in Ruhe, „Was ist mit Deiner Wohnungssuche?“
„Ach Kirsten, Du nervst.“
„Was hat Deine Psychologin gesagt?“
„Ach, so komische Sachen, ich muss erst einmal mal darüber nachdenken!“
„Ja, Pia, denk bitte etwas schneller darüber nach und sieh Dir inzwischen Wohnungen an!“
„Ja, Kirsten!“
„Ich hab Angst um Dich!“
„Um mich brauchst Du keine Angst zu haben, ich hab alles im Griff!“
„Schön wäre es!“
Na ja, mal ein paar Wohnungen anzusehen konnte ja nicht schaden, also kaufte sich Pia am Wochenende eine Zeitung und ging auf Wohnungssuche. Die Wohnungen sahen alle schlimm aus, kein Vergleich zu ihrem wunderschönen Haus. Sie wollte in keine andere Wohnung, sie hatte zu viel für ihr Traumhaus gearbeitet, sie wollte ihr Haus behalten.
Pia sagte zu Kirsten, „ich habe wirklich viele Wohnungen angesehen, in die kann ich echt nicht einziehen. Die sind fürchterlich!“
„Pia, spinn nicht rum, es gibt so schöne Wohnungen, Du musst einfach intensiver suchen und Du wirst sie Dir schon schön machen und Dich wohlfühlen, wenn Du erst drin bist, Du bist doch so kreativ“, lautete Kirstens Antwort.
Also ging sie den Samstag darauf wieder mit der Tageszeitung unter dem Arm los auf Wohnungssuche. Wieder war eine der besichtigten Wohnung schlimmer als die andere. Sie wollte schon aufgeben. Die vorletzte Wohnung lag in einem 2 Familienhaus. Das Haus machte von außen einen sehr gepflegten Eindruck, überall standen blühende Stauden im Garten, es gefiel ihr sehr. Da ließe es sich schön wohnen. Also schellte sie und ein Mann öffnete die Tür. Er sah aus wie Mammas Liebling. Ungeküsst mit Hausschuhen und kleinkariertem Hemd. Und ungepflegter Halbglatze, die dringend einen Korrekturschnitt benötigte. Wie passte dieser Mann zu dem wundervollen Garten?
Der Mann sah an ihrem geblümten Kleid rauf und runter, so als ob er sie scannte. Ihr freundliches Lächeln verging ihr auf der Stelle. Mist dachte sie, hättest was Altes anziehen sollen und was Zugeknöpftes und nicht Dein schönes neues Kleid. Sie fühlte sich fast nackt. Aber jetzt war es zu spät.
„Komm rein, ich zeige Dir alles!“
Sie ging gemeinsam mit diesem Mann durch das Haus und ihr war angst und bange. Zuerst zeigte er ihr den Keller:
„Hier kannst Du Deine Waschmaschine hinstellen.“
Dann zeigte er auf die Wohnungstür im Erdgeschoss: „Das hier ist die Wohnung meiner Eltern, die ist jetzt frei. Meine Eltern sind vor kurzem gestorben und jetzt steht die Wohnung leer“, während der Vermieter das sagte, streichelte er ständig Pias Arm und lächelte sie selig an. Seine Augen sagten, ja, das Vögelchen will ich haben.
„Na“, meinte sie, „die Küche ist aber sehr klein.“
Er wirkte etwas beleidigt und mit feuchten Augen meinte er: „Also meine Mutter hat hier immer für uns drei gekocht, da müsste das für Dich auch reichen.“
Und dann versöhnlicher und schmeichelnd:
„ Ach ja, wenn ich Dir noch irgendetwas hier in der Wohnung reparieren oder verschönern soll, musst Du mir das nur sagen, ich mache so was sehr gerne. Ich kümmere sich auch sonst um alles, und wenn Du einen Hund haben möchtest, gehe ich mit ihm Gassi, wenn Du mal keine Zeit hast“, er schaute sie erwartungsvoll an. Nimm mich jetzt sofort, stand auf seiner Stirn.
Da sie nicht antwortete, redete er weiter. „Schau Dir diese tolle Terrasse an, da kannst Du Dich im Sommer nackt hinlegen, die ist von außen kaum einsehbar und ich gärtnere meist da hinten im Garten rum“. Er zeigte mit einer Handbewegung unbestimmt in den Garten hinaus, ja, es war ein sehr gepflegter Garten, wie mit einer Nagelschere geschnitten, er würde da ständig rumwerken.
Toll, dachte sie und dann lugt er durch die Büsche auf meine Terrasse, oder noch schlimmer, er schneidet die Eiben direkt an meiner Terrasse immer genau dann, wenn ich dort liege. Oder er kommt zufällig vorbei und zwingt mir ein Gespräch auf, oder zieht gleich bei mir mit ein, dann kann ich auch für ihn mit kochen. Gruselig.
Wieder sagte sie nichts.
„Mir gehört übrigens nicht nur dieses Haus und dieses Grundstück, ich habe noch ein Mehrfamilienhaus, die Straße runter, Du hättest es gut bei mir“, setzte er obendrauf.
„Ja, das hört sich gut an, ich melde mich bei Dir, ich werde die Wohnung wohl nehmen. Ich muss nur noch kurz darüber nachdenken“, log sie und war heilfroh, dass sie den Rückweg bis zu ihrem Auto schaffte.
Als sie endlich wieder im Auto saß, atmete sie tief ein und aus und lehnte den Kopf gegen das Lenkrad. Was hatte ihr Burkhard nur angetan. Warum musste sie sich eine Wohnung suchen. Konnte es nicht wieder so sein, wie früher?
Dann schaute sie sich auch noch die letzte Wohnung an, die sie in der Zeitung angekreuzt hatte, die war bei einem netten Ehepaar. Es war wieder ein Zweifamilienhaus mit gepflegtem Garten, die Vermieter wohnten unten. Die Frau war sofort richtig herzlich zu ihr und fürsorglich wie eine Mutter. Und diese Frau hatte so warme Augen.
Die Wohnung sah ganz nett aus, ein großes Wohnzimmer mit Essplatz, großen Fenstern und einer Küche mit schräger Decke und einem Dachfenster. Das Badezimmer hatte gewöhnungsbedürftige beige braune Fliesen mit Dekor, Trauerweiden im Winter ohne Blätter. Nun, das passte zu ihr. Sie fühlte sich wie eine Trauerweide im Winter. Ohne Blätter!
Die Vermieterin war so herzlich, Pia hätte sich so gerne für immer in ihre Arme fallen lassen, also sagte sie zu der Vermieterin, dass sie aus ihrem Haus raus müsste. Und zwar so schnell wie möglich. Die Vermieterin antwortete: „Wir machen die Wohnung ganz schnell für Sie fertig, das ist kein Problem, sie können hier jederzeit rein. Ich würde mich freuen, wenn so eine nette Frau unsere neue Mieterin würde.“
Also sagte Pia zu, sie war auch ziemlich unter Druck, weil ihr Frau Wittler ja mitgeteilt hatte, dass sie in ihrer jetzigen Situation nicht weiter therapiert würde und Kirsten wäre sauer auf sie, wenn sie wieder mal unfähig wäre, eine Wohnung zu finden. Die Wochen liefen rum. Die Beiden waren ihr einziger Halt, Pia klammerte sich an die Beiden.
Kirsten plante bereits Pias ganzen Auszug, Pia war bewegungslos, hilflos. Kirsten suchte einen Kleintransporter über einen Mietservice und sprach mit ihren Brüdern. Dann sagte Kirsten ihr, dass sie ihre Papiere zusammen suchen sollte, und ihre persönlichen Sachen einpacken sollte. Jetzt wo Pia endlich eine Wohnung gefunden hatte, in die sie auch sofort einziehen könnte, wollte Kirsten nicht mehr warten.
„Wann ist Burkhard denn unterwegs? “ fragte Kirsten.
„Du stellst Fragen! Das kann ich Dir nicht sagen, der verlässt unregelmäßig das Haus, zum Beispiel hat er übermorgen einen Termin“, war Pias Antwort. Sie zuckte mit den Schultern.
„Ok, dann ist übermorgen Dein Umzug, wir warten nicht länger.“ Kirsten klang bestimmt.
„Übermorgen???? Kirsten, so schnell kann ich hier nicht weg, ich weiß überhaupt nicht, wie Du Dir das vorstellst! Meine ganzen Sachen?“
Pia hyperventilierte.
Kirsten bekam große Augen: „Willst Du das mit ihm ausdiskutieren? Willst Du mit ihm um jedes Teil kämpfen?“
„Nein, ich hätte keine Chance“, sagte Pia zerknirscht. Sie brauchte sich Burkhard nur vorzustellen, da wusste sie schon, wie so ein Gespräch endete.
„Hast Du Geld, Dir alles neu zu kaufen?“ jetzt wurde Kirsten wütend. Kirsten wollte, dass es endlich losging. Pia musste da raus. Kirstens Bauch grummelte und das sagte ihr, dass Pia irgendwie in Gefahr war, wenn sie länger bei Burkhard blieb. Pia sollte nicht länger nachdenken und womöglich einen Rückzieher machen.
„Nein“, antwortete Pia kleinlaut, „Du weißt doch, er hat mir alles weggenommen!“ „Willst Du mit ihm um das Haus kämpfen? Willst Du das Haus übernehmen?“ jetzt war Kirsten richtig genervt.
„Nein, Kirsten, Du hast ja Recht“. Ach könnte sie doch nur auf der Stelle tot umfallen, dann hätte sie Ruhe.
„Pia, bitte hör auf mich, rede nicht mit Burkhard über Deinen Auszug, oder gib ihm irgendwelche Zeichen, sei froh, wenn Du heil mit Deinen Sachen raus kommst! Wenn Du überhaupt Deine Sachen mitnehmen kannst. Er hat Dir doch schon Dein Geld weggenommen! Lass mich machen!“ Kirsten war mehr als besorgt.