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5. Kapitel: Der Auszug

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Also bestellte Kirsten ihre drei Brüder und ein Auto für den übernächsten Tag zu Pias Haus und fragte, während sie Pia noch einmal dringend ins Gebet nahm:

„Hast Du alles zusammen? Du weißt, dass übermorgen der Termin ist!“ Pia schüttelte den Kopf, wie sollte sie das auch machen?

„Pia, hör mir zu, übermorgen musst Du alles zusammen haben, Du wirst nie wieder in das Haus zurückgehen können!“ Pia hörte den gesprochenen Worten nach, nie wieder??????? Kirsten schaute sie an, sie sah Pias Entsetzen, dann meinte sie aber nur mit eindringlichem Tonfall, „Pia, mach endlich, hör auf zu träumen!“

Als Kirsten mit ihren Brüdern am übernächsten Tag an Pias Haustür schellte, lag Pia bewegungslos auf dem Bett, sie hatte es nur geschafft sich anzuziehen und sich dann wieder hingelegt, ihre Beine waren schwer wie Blei und versagten den Dienst. Sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, sondern sich nur herumgewälzt.

Nichts war irgendwie fertig und gepackt, nur ihre Papiere hatte sie den Abend vorher heimlich zusammen gesucht und in einen Ordner gepackt. Darauf war sie sogar etwas stolz. Dazu hatte sie einen beschrifteten Ordner mit der Aufschrift „2001“ gewählt, und alles umsortiert. Dieser Ordner stand unschuldig im Schrank im Arbeitszimmer. Dieses Mal hatte sie sehr wohl aufgepasst, dass Burkhard nichts merkte.

Kirsten bekam eine Krise, als Pia endlich die Tür öffnete,

„mach schnell, wieso hast Du nichts fertig gemacht? Ich hab so ein Gefühl, dass Burkhard gleich zurück kommt, was sollen wir einpacken?“

Pia jammerte, „nehmt doch einfach alles, was ihr mitnehmen wollt. Ich hab keine Ahnung, was ich brauche und ich will das auch alles nicht. Er hat mir alles weggenommen, also nehmt alles mit, was Ihr meint.“

„Pia, konzentriere Dich!“

Sie einigten sich auf ein paar wichtige Möbelstücke, den schönen Esstisch mit 4 Stühlen, weil ihr Herz da so dran hing. Dann das Sofa, ein Sideboard, die Waschmaschine und ihre Kleidung, ihre Matratze, die Stereoanlage, ihre Erinnerungsstücke, ihre Fotoalben, ein paar Küchenutensilien. Und ganz wichtig, den Ordner „2001“, in dem sie ihren Pass und ihre persönlichen Papiere versteckt hatte.

Pia fühlte sich wie in einem schlechten Film, sie zog wie eine dieser feigen Frauen aus, mit allem was an Hausrat heimlich mitgenommen werden konnte. So wie diese Frauen, die keiner mag und über die alle mit vorgehaltener Hand reden und nicht wie eine selbstbewusste Frau. Was wohl die Nachbarn über sie tratschen werden, wenn das rauskommt.

Zudem hatte sie sich ihr Geld wegnehmen lassen. Sie hatte doch studiert, wie konnte ihr so etwas nur passieren? Aber sie wusste, sie hatte keine andere Chance, sie hatte kein Geld für neue Sachen. Es musste sein, sie hatte jeden Gedanken 1000 Mal hin und her gewälzt. Sie schämte sich so und gleichzeitig war sie so schwach.

„Los, wir fahren, der Transporter ist voll, mehr passt nicht rein. Pia, hast Du alles?“ fragte Kirsten genervt.

„Fahrt vor, ich will mich noch vom Haus verabschieden“

Kirsten schnaufte hörbar durch die Nase: „Verabschieden? Vom Haus?? Das kann doch jetzt wohl nicht wahr sein. Burkhard kommt gleich zurück, ich fühle es, mein Bauch kneift!“

Mit einem Seitenblich auf Pia war Kirsten aber klar, dass Pia nicht mitkommen würde.

„Aber ok, dann warten wir hier vor dem Haus auf Dich, wir fahren auf keinen Fall ohne Dich. Wenn Du im Haus bist und Burkhard kommt nach Hause, können wir Dir nicht helfen. Versprich mir, sobald Du ihn siehst, kommst Du sofort raus zu uns. Sei vernünftig, fang keine Diskussion mit ihm im Haus an! Wir können Dir dort nicht helfen!“

Ach, der kommt schon nicht!“

Pia ging traurig ins Haus, schlenderte unten durch die Räume, streichelte die Wände, streichelte ihre schöne neue Küche, streichelte die Türen, die Türrahmen, streichelte die teuren Fliesen. Sie erinnerte sich wehmütig daran, wie sie die Türen eingesetzt hatten, wie sie die Fliesen angebracht hatte, schaute ein letztes Mal in ihr wunderschönes Wohnzimmer, machte dabei einen tiefen Seufzer und ging dann tief deprimiert die Treppe hinauf zu den Schlafräumen.

Auf halber Treppe drehte sich sie sich um, wie vom Blitz getroffen, weil sie hektische Reifen auf der Einfahrt knirschen hörte und eine aggressive Vollbremsung. Sie sah durchs Küchenfenster Burkhards Auto vorfahren. Ach Du Schreck, ihre Knie zitterten plötzlich, ihr wurde schwindelig, sie musste schnell raus zu Kirsten. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Pia hetzte die Stufen runter, obwohl die Beine den Dienst fast versagten und sie sich am Geländer festhalten musste um nicht zu fallen.

Sie war gerade an der Haustür, da stand Burkhard auch schon vor ihr. „Was machst Du?“ fragte er drohend. Er war kreidebleich.

Ich ziehe aus“,

sagte Pia mit aller Kraft und drängelte sich an ihm vorbei ins Freie. Bloß weg aus seiner Reichweite. Sie schauten sich an wie zwei Fremde. Es war nichts mehr zu sagen, 20 Jahre waren sie verheiratet gewesen. Jetzt stand eine unsichtbare Wand zwischen beiden, sie kannte diesen Mann nicht mehr.

Dann ging sie mit hoch erhobenem Haupt direkt auf Kirsten zu. Sie war Kirsten so dankbar, dass sie nicht schon vorgefahren war. Pia schaute Kirsten erleichtert an, Kirsten nickte nur.

Burkhards Augen bohrten sich in ihren Rücken, sie fühlte es regelrecht, sie waren wie glühende Dolche. Und ihr fiel noch ein, was sie vor einer Stunde mit schwarzer Farbe geschrieben hatte. Direkt über der Stelle, wo ihre Matratze im Abstellraum gelegen hatte. Als die anderen ihre Sachen gepackt hatten. „Hier starb Deine Frau, es lebe Pia.“ Mit einem dicken Kreuz darüber. Dafür würde er einen Eimer weiße Farbe brauchen.

Kirsten und ihre Brüder hatten kurz darauf mit ihr die Möbel und die Kartons in die neue Wohnung reingetragen und sich sofort verabschiedet. Pia wollte noch mit ihnen einen Kaffee trinken und Zeit verbringen, sie hatte Angst alleine zu sein. Aber Kirsten und ihre Brüder hatten es eilig. „Pia, wir müssen los, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“

„Kirsten, bitte lass mich hier nicht alleine!“

„Stell Dich nicht an, räum alles aus, Du hast genug zu tun!“

Sie saß in ihrer neuen Wohnung mit dem ganzen Durcheinander an Möbeln, Kleidern, Hausrat. Die alte Küchenuhr, die ihr ihre Schwester damals zur Hochzeit geschenkt hatte, und die sie Burkhard nicht überlassen wollte, tickte und tickte in einem der vielen Karton. Es war das einzige Geräusch, das sie hörte.

Das war also ihr Umzug. Das war ihr erbärmliches neues Leben. Was machte sie hier?? Sie schaute auf ihr Handy. Das Display zeigte keine neuen Nachrichten. Sie hatte auch keinen Internetanschluss. Sie konnte nicht mehr in ihr Haus zurück. Sie heulte und heulte und heulte. Sie war in Tränen aufgelöst, ihr Herz brannte vor Schmerzen. Sie lief von Raum zu Raum, alles war ohne Leben. Alles war alt und abgewohnt.

Dass die Decken und die Fensterrahmen so dunkel waren, dunkles Holz überall, dass der Teppichboden so alt und dunkel war, das alles hatte sie vorher gar nicht bemerkt. Sogar die Fußbodenfliesen in der Küche und im Bad, alles war braun oder dunkel beige.

Und diese schrecklichen deprimierenden Trauerweiden als Wandfliesendekore im Bad, auch sie waren dunkel beige mit braunen Trauerweiden im Winter, ohne Blätter. Die Zweige hingen herunter, so wie ihr Kopf und ihre Haltung. Eine schreckliche und erdrückende Wohnung.

Warum hatte sie sich nicht mehr Mühe gegeben und nicht länger nach einer schöneren Wohnung gesucht, Kirsten hatte ihr ja gesagt, sie solle sich Mühe geben. Sie legte sich auf ihre Matratze, die ihr irgendein Bruder von Kirsten ins Schlafzimmer gelegt hatte, zog sich die Decke über die Ohren und schluchzte in ihr Kopfkissen. Irgendwann holte sie der Schlaf.

Am nächsten Morgen wurde sie wach und dachte, sie hätte nur einen sehr schlimmen Alptraum in der Nacht durchlebt. Aber nein, als sie die Augen öffnete, blickte sie hoch in dunkle Holzdecken. Wer nur kam auf die Idee sich solche Decken auszusuchen? Und warum musste ausgerechnet sie so eine Wohnung mieten.

Total frustriert stand sie irgendwann mittags auf, als sie einfach nicht mehr liegen konnte und kochte sich einen Tee von den Teebeuteln, die sie gestern im Durcheinander gefunden hatte. Sie musste einkaufen, sie musste was essen, fiel ihr dann ein. Du musst Deinen Alltag bewältigen, sagte sie sich, versuch es mit ganz kleinen Schritten.

Im Treppenhaus hörte sie laute und unerträgliche Stimmen, die Vermieterin redete mit einer Nachbarin. Immer wieder schallte fröhliches Lachen hoch zu ihr in die Wohnung, es nervte sie gewaltig. Sie hielt sich die Ohren zu. Lachen konnte sie jetzt überhaupt nicht ertragen. Würde sie jemals in ihrem Leben wieder lachen können?

Bloß nicht der fröhlichen Vermieterin begegnen oder womöglich mit der Vermieterin über irgendwas sprechen müssen, das hätte sie nicht verkraftet. Also blieb sie in der Wohnung, bis es im Treppenhaus ganz still wurde. Sie lauschte atemlos an der Wohnungstür, ob auch wirklich niemand mehr im Treppenhaus war.

Dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen. Die Geschäfte würden gleich schließen. Sie packte sich ganz schnell ihr Portemonnaie und den Wagenschlüssel, lief ganz leise die Treppe hinunter zu ihrem Auto und fuhr einkaufen.

Auch nach weiteren 2 Wochen sah die Wohnung noch genau so aus, wie bei dem Einzug. Die Kartons standen immer noch genauso da, wo Kirstens Brüder sie hingestellt hatten. Die obersten Teile hatte sie einfach auf den Fußboden neben den Kartons gestapelt.

Sie führte ein sehr spartanisches Leben aus diesen Kartons heraus, kannte aber die Inhalte mittlerweile schon ganz gut. Immer noch lauschte sie an der Wohnungstür, bevor sie schnell die Treppe runter rannte. Kirsten wetterte jedes Mal, wenn sie Pia besuchte, dass sie es sich endlich gemütlich machen sollte.

„Wie kannst Du hier nur leben“, schüttelte Kirsten verständnislos den Kopf, ihr Blick wanderte von Karton zu Karton, „kannst Du überhaupt etwas wiederfinden?“

„Mit ein bisschen Suchen geht das schon“, antwortete Pia trotzig und, „die Kartons sind mein kleinstes Problem.“

Denn kaum betrat sie ihre neue scheußliche Wohnung, wurde ihr eiskalt. Die scheußliche Holzdecke fiel ihr auf den Kopf und sie bekam einen Heulkrampf. Da konnte sie sich doch nicht noch mit den blöden Kartons beschäftigen, sie hatte einfach keine Kraft, für gar nichts!

Wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, hatte sie schon auf der Fahrt Beklemmungen. In der Wohnung stieg sie dann einfach über alles hinweg, was auf dem Boden lag. Sie ließ sich sofort heißes Wasser in die Wanne laufen und legte sich hinein wie in einen Uterus.

Sie zog die Beine bis an den Bauch und versuchte die hässlichen und deprimierenden Trauerweiden zu ignorieren, die im Bad überall angeklebt waren. Ein besonders großes Dekor, das über mehrere Fliesen ging und zu seiner Zeit bestimmt sehr teuer war, klebte direkt über der Wanne. Wenn man bisher in seinem Leben keine Depressionen kannte, hier im Badezimmer bekam sie jeder.

Auch das musste jemand mal schön gefunden haben. Nur nicht hinsehen. Sie stieg immer erst aus der Wanne, wenn die Haut schrumpelig war und das Wasser eiskalt.

Und dann ging sie sofort ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf.

Kirsten fragte immer wieder besorgt, „hast Du schon einen Termin bei der Psychologin?“, und Pia antwortete immer das Gleiche: „Den Termin besorge ich mir morgen.“

PERDITA

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