Читать книгу Fallsucht - Lotte Bromberg - Страница 11
VI
ОглавлениеJakob verließ den Gerichtssaal und strömte mit anderen Zuhörern zum Ausgang des Gebäudes. Was erwartete Wladimir, einen Freispruch? Sicher, der Blödsinn mit dem Messer war frei erfunden. Der Stollen behauptete, er sei damit bedroht worden und hatte die anderen Lehrer überredet, das auch so zu sehen. Hätte sein Dienstherr Jakob nicht ein Schweigegebot erteilt – aus gesundheitlichen und internen Gründen wegen noch zu klärender Verletzung der Dienstpflicht –, er hätte das schon richtiggestellt. Wie es wirklich gewesen war, sagte der Bürstenschnitt Katharina Hansig (Mathe, Physik, Chemie), die nur am Hals der Referendarin ein Messer gesehen hatte. Ansonsten war der Fall klar. Wladimir Gonodow hatte bewaffnet eine Schar Lehrer als Geiseln genommen. Vorsatz war ihm nicht nachzuweisen, Messer gehörten ja mittlerweile zum Standardrepertoire der Straßenkleidung.
Der Angriff auf den Stollen mit dem feinen Toilettengehör und der Aversion gegen schwulen Geschlechtsverkehr war provoziert, das war trotz der blumigen Darstellung des Opfers unstrittig. Die freigelassenen Geiseln sprachen für Wladimir, ebenso die Bereitschaft zur Aufgabe. Die Lehrerin Hansig hatte das, so entnahm Jakob den Akten, nach seinem Sturz in die Hand genommen. Sie hatte das Fenster geöffnet, gerufen, wer friedlich sei, könne jetzt reinkommen, Wladimir angewiesen, sich mit dem Gesicht nach unten und ausgestreckten Armen flach auf den Tisch zu legen und mit baumelnden Beinen auf der Tischkante hockend die heranstürmenden Polizisten erwartet.
Zu Jakobs Verletzung konnte sie nichts sagen, außer, daß sie einen Angriff durch Wladimir für unwahrscheinlich halte, da Jakob ihn nicht provoziert hätte. Sollten in der Familie Gonodow je Enkelkinder das Licht der Welt erblicken, wäre sie als Patentante erste Wahl.
Jakob erinnerte sich an nichts.
Nicht an den Stoß, den Fall, die gurgelnden Geräusche, die er gemacht haben sollte, während der Geiselnehmer ihn würgte. Das letzte waren Sternschnuppen, die aus Wladimirs geöffnetem Mund fielen.
Er kicherte. Russischer Sterntaler.
Seine nächste Erinnerung galt dem Krankenwagen. Wildes Geschaukel, Übelkeit, eine Maske vorm Gesicht. Er kippte wieder weg. Besser so. Im Krankenhaus hatte man darauf bestanden, ihn zur Kontrolle eine Nacht dazubehalten. Man vermutete eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff durch den Gonodowschen Würgegriff.
Er fühlte sich nicht gewürgt.
Eher durch die Luft geschleudert wie auf einer Schaukel. Höher und immer höher bis man plötzlich in ein Luftloch zu fallen scheint. Das Seil hängt durch, einen Moment dehnt sich die Zeit und Du wartest mit angehaltenem Herzschlag auf die Entscheidung des Schicksals, ob Du kopfüber die Schaukel umrundest oder doch wieder zurückfällst. Ein Quentchen Freiheit außerhalb der Gravitation, scheinbar. Ist es nicht das, wofür wir leben? Fliegen, frei sein. Der Moment, in dem Du auf den nächsten Hicks der Gottheit wartest. Obwohl Du weißt, fast sicher weißt, Du fällst zurück. Die Umrundung der Schaukel ist eine Illusion, aber vollkommen sicher sein kannst Du nie.
Jakob hatte den Spalt gesehen, die Freiheit von der Schwerkraft. Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, na klar. Mancher steigt eben nie auf die Schaukel, vielleicht trägt sie nicht oder das Seil reißt. Pech gehabt, nicht jeder wagt.
Jakob übernahm die eichene Gründerzeittür des Amtsgerichts Moabit von seinem Vordermann und ließ die Woge Berlins sich um ihn schließen. Autolärm, Abgase, feuchte Anorakgerüche, Deodorants, kalter Rauch, Hundepisse, Kohlenruß. Berliner Maistimmung.
Die Schaukel war zurückgefallen in jener Nacht. Er hatte flach auf dem Rücken in grüner Umgebung gelegen. Es zog, er fror. Um ihn piepste und tackerte es wichtigtuerisch. Viel Strom wurde vergeudet, um ihn am Abflug zu hindern. Er hustete vorsichtig. Sofort meldete eines der grünen Männchen in den Armaturen seine plötzliche Bewegung mit einem barocken Signalhorn. Ein Pfleger stürzte herein, sah ihn kurz an und wendete sich ausgiebig blinkenden Lichtern hinter seinem Kopf zu. Das Horn verstummte beleidigt.
»Ich habe Durst«, hörte Jakob sich sagen.
»Was Sie brauchen, kommt über den Tropf«, sagte der Pfleger.
»Ich habe Durst«, sagte Jakob.
Der Pfleger ging.
Jakob sortierte seine Knochen, hob vorsichtig ein Bein, die grünen Männchen schwiegen. Bewegen war inzwischen erlaubt. Alles tat ihm weh. Besonders schlimm waren Nacken und Hals. Er tastete sie mit kanülengeschmückter Hand ab. Völlig unempfindlich. Seine Zunge fühlte sich geschwollen an, verletzt. Vorsichtig drehte er sich auf die Seite. Schweigen an der grünen Front. Die Liege war zu unbequem zum Schlafen, eindeutig. Er setzte sich auf.
Nichts geschah, kein Schwindel, kein Kopfweh, nichts. Außer, daß ihm wirklich alles weh tat, sogar die Finger. Er war verkatert, nur ohne Schädelbrummen. Kein Grund, nicht nach Hause zu gehen. Oder wenigstens zum nächsten Wasserhahn und Klo. Er setzte die nackten Beine auf den eiskalten Fußboden, sehnte sich nach heimischen Astlöchern und stand vorsichtig auf. Wo waren seine Sachen? Er sah sich um. Alles grün, kalt, Metall. Dann eben die laute Variante. Er zog die Kanüle aus seinem Handrücken, pflückte sich die Elektroden vom Kopf, wickelte die dünne Decke um seine Schultern, setzte sich auf die Bettkante und wartete auf den Pfleger, den die grünen Männchen aufgeregt herbeipiepten und trompeteten.
»So geht das aber nicht«, sagte der, auf die Monitore zustürzend. Nach kurzer Zeit kehrte Stille ein. Wohltuende Stille, Schlafstille.
»Wo sind meine Sachen?«, fragte Jakob.
»Sie legen sich jetzt schön wieder hin. Wir passen schon auf Ihre Sachen auf, keine Sorge.«
»Wären Sie bitte so freundlich, mir meine Kleidung auszuhändigen und ein Taxi zu rufen, ich möchte nach Hause.«
»Das kann ich nicht, das muß der Doktor entscheiden, ob Sie gehen dürfen, wenn seine Schicht beginnt. Es ist nachts um drei.«
Jakob sah ihm ruhig in die Augen. »Das habe ich entschieden. Ich gehe auf eigenen Wunsch, meinetwegen auch gegen abwesenden ärztlichen Rat, aber ich gehe sofort. Wären Sie also so freundlich, mir meine Sachen auszuhändigen? Wir wollen doch nicht, daß ich mir eine Lungenentzündung hole in diesem Aufzug.«
Der Pfleger legte den Kopf schief und sah ihn an. »Das müssen Sie mir aber unterschreiben.«
Jakob stand auf. »Mir ist kalt und meine Laune sinkt parallel zur Körpertemperatur. Wir gehen jetzt zusammen zu meiner Kleidung, sonst verhafte ich sie.« Er riß die restlichen Elektroden von seinem Kopf und warf sie auf das Bett. Der Pfleger steckte die Hände in die Hosentaschen und ging voraus. Anderthalb Stunden später war Jakob in seiner Wohnung angekommen, hatte den Telefonstecker aus der Dose gezogen, alle Decken genommen, die er finden konnte und sich in seinem Bett verkrochen. Er verschlief die folgenden achtundvierzig Stunden, taumelnd unterbrochen von Gängen zur Toilette, gierigem Trinken von Wasser und müdem Winken zu seiner Spatzenfreundin Frieda, die am Morgen verzweifelt versuchte, ihn zu einem gemeinsamen Frühstück zu zwitschern. Er dachte daran, daß Mai war und die Stadt voller Spatzenfutter, und schlief wieder ein.
Als er erwachte, fühlte er sich anders.
Schon als Jakob Hagedorn, zurückgekehrt von der Umlaufbahn in die Gravitation, aber verrutscht. Die Sonne blinzelte ihn auf dem Kopfkissen an, wie immer. Beim Duschen war er dankbar, daß ein roter Pfeil anzeigte, wo das warme Wasser zu erwarten war. Der plötzliche Schwall von oben erschreckte ihn, der Klang des Rauschens war verschoben. Etwas zu sehr Dur, eine Oktave zu hoch. Er versuchte sich Frühstück zu machen, schob zwei Scheiben Brot in den Toaster und erschrak, als sie hochsprangen. Als er sie fassen wollte, ging ein Surren von ihnen aus, als stünden sie unter Strom. Er fragte sich, ob die Röstung die Moleküle zum Tanzen brachte. Er aß sie trotzdem.
Er brauchte länger für alles. Oder die Zeit war neuerdings schneller, als er es gewohnt war. Als er den Telefonstecker in die Dose steckte und seinen Anrufbeantworter abhörte, war es schon Mittag. Alles schimpfte. Sein Chef umgab den Satz »So-geht-das-nicht-das-sag’-ich-Ihnen« mit wortreichen Wutausbrüchen. Das Krankenhaus hatte vier Mal angerufen. Erst der Pfleger, der sich erkundigen wollte, ob er angekommen sei, dann, vermutlich nach Schichtbeginn, der Arzt, der atemlos irgendetwas in Jakobs Ohr müllte von unerhört, Autorität anzweifeln, wer die Verantwortung trüge. Na, ich natürlich, wer sonst, dachte Jakob, und löschte ihn. Danach bat die Rechnungsstelle um Rückruf, durch seinen Abgang gäbe es Unklarheiten bezüglich der Abrechnung. Hurtig, dachte Jakob, und löschte. Zwei Nachrichten von Oskar, die erste gehetzt, die zweite warm und voller Sorge.
Er hatte ihn sogar Dicker genannt, das war lange her. Was Oskar wohl zu den tanzenden Molekülen im Toast sagen würde? Jakob würde ihn für heute Abend einladen. Morgen war besser. Übermorgen. Ja, viel besser. Erst mal üben, all die neuen alten Dinge. Oskar würde das schon verstehen, daß er Zeit bräuchte. Oskar verstand alles. Fast alles.
So war er schließlich zwei Wochen nicht zur Arbeit erschienen und hatte nicht telefoniert. Als er wieder in der Dienststelle auftauchte, hatte Oskar alle Angriffe abgewehrt. Seit seinem letzten Einsatz war Jakob krankgeschrieben, der Bericht verschoben und ihr Chef einigermaßen beruhigt, Wladimir saß in Untersuchungshaft. Trotzdem hagelte es »So-geht-das-Nichtse«. Jakob ließ sie auf sich herabsausen und dachte an den alten Mollton seiner Dusche. Er vermißte ihn.
Beim Polizeiarzt sollte er sich melden, die verbliebenen Schäden begutachten lassen und von seinem Hausarzt eine Prognose der Dauer seiner Krankmeldung erstellen lassen. Oskar hatte ihm wie erbeten die Akten auf den Schreibtisch gelegt. Nach einer Stunde, die ihn mehr Kraft gekostet hatte als die letzten zwei Wochen, verließ er die Dienststelle mit den Akten und fuhr zurück in seine Wohnung.
Er arbeitete sich in alles ein, was seine Kollegen ermittelt hatten. Las jede Zeugenaussage, die Ergebnisse der Kriminaltechnik, der Rekonstruktion am Tatort. Er verstand alles. Bis zu den Sternschnuppen.
Danach hatte Wladimir ihn angeblich niedergestreckt (womit?), er war gestürzt (worauf?), Wladimir ihm hinterher, um ihn zu würgen (sicher nicht). Und Wladimir hatte seine Dienstwaffe gehabt. Keiner der Zeugen sagte einen Mucks dazu. Oskar hatte dem Buschfunk abgelauscht, daß die internen Ermittler auf Jakobs Seite wären. Die Internen wollten darauf hinaus, daß er sie ihm beim Kampf, nachdem Jakob bewußtlos war, abgenommen hatte. Das klang nach seinem Chef, ein echter Focke. Ein verlockender Ausweg. Nur leider nicht wahr. Finge man so etwas einmal an, war man ein erpressbarer Kollege. Er würde bei der Wahrheit bleiben, so schlimm war die auch nicht. Die Fensterbank war in Ordnung, mit Waffe wäre er gar nicht ins Lehrerzimmer gekommen. Nur geladen war sie leider. Ein unglaublicher Lapsus. Na gut, passiert war passiert. Keine Folge war so schlimm, daß man lügen mußte.
Jakob saß in sattroten Ledersitzen, ein Aktenpaket auf dem Schoß und sah aus dem geöffneten Dach. Der Sommer konnte es kaum erwarten. Anfang Juni waren alle Bäume saftig grün. Nur die Dachgeschosse der alten Buchen zögerten noch. Die junge, ihm zugeteilte Kollegin Tanja Wehland fuhr angenehm, obwohl sonst ausschließlich Rad. Der Kollege in der Fahrbereitschaft hatte Jakob zwinkernd einen beschlagnahmten BMW Roadster gegeben, knallgelb. Die ersten Schaltungen nahm sie etwas rauh, aber seitdem sie die Avus auf der rechten Spur überlebt hatte, fuhr sie entspannter.
»Hier sind dreißig, Kollegin Wehland«, sagte er, nachdem sie inmitten von Vogelgezwitscher auf der Havelchaussee immer noch brauste, als gälte es, an der nächsten Ampel, die immerhin gut acht Kilometer entfernt war, die erste zu sein. Sie drosselte sofort die Geschwindigkeit und Jakob roch das platzende Leben ringsum. Wald rechts bis zum Horizont, Wald und Wasser links, was brauchte man mehr als Metropoleneingeborener. Tanja hatte ihm gestanden, daß sie vor einigen Wochen ausgerechnet seinetwegen nach Berlin gekommen war, zum einzigen anständigen Kriminaler der Republik. Na ja. Aufrecht, aber auf die Nase fallend neuerdings.
»Da vorne an der Bushaltestelle müssen wir links rein«, sagte Jakob nach einigen verschwiegenen Minuten.
»Ich sehe aber keinen Weg.«
»Fahren Sie auf den Parkplatz. Dann am Uferweg entlang.«
Nachdem sie eingebogen waren, starrte Tanja über die Havel. Nach einer ehrfürchtigen Pause ließ sie das Wasser links liegen und schaukelte über eine Sandpiste, verfolgt von mißbilligenden Blicken einiger Fußgänger.
»Halten Sie an, den Rest gehen wir zu Fuß.«
Jakob hatte sich den Schlüssel aus der Asservatenkammer besorgt. Seit dem Mord im April letzten Jahres war die Hütte versiegelt, sehr zum Leidwesen des Vereins. Aber ein unaufgeklärter Mordfall war durch Anglerdepressionen nicht aufzuwiegen. Jakob ging zum Ende des Uferweges voran, bog in den Wald ab, klemmte sich die Akten zwischen die Knie und schloß das Tor eines zwei Meter hohen Maschendrahtzaunes auf. Gemeinsam stiegen sie weiter bergan durch ein überwuchertes, verbuschtes Gelände, umtost vom Konzert zahlloser Vögel in Frühsommerstimmung. Nachdem der Pfad durch dichtstehende Fichten geführt hatte, lag die Hütte vor ihnen.
Jakob sah sich um, horchte und beschnupperte den Wald. Durch die Kiefern blinkte die sich in der Tiefe schlängelnde Havel. Er schloß auf, die Tür klemmte. Vorsichtig trat er ein. Es roch nach abgestandener Winterfeuchte und Holzschutzmittel, Staub und Spinnen. Tanja versuchte die Fensterläden von außen zu öffnen. Jakob stürzte zu ihr. »Nicht, die Fensterläden waren zu, als man sie fand.«
Tanja ließ die Arme sinken.
»Kommen Sie erst mal rein und machen sich ein Bild.« Tanja folgte mit schweren Schritten. Als sei sie Gummistiefel gewöhnt, dachte Jakob, der Waldboden kommt ihr entgegen. Er entzündete eine Kerze neben dem Eingang und schloß die Tür.
Die schlechte Luft senkte sich auf die Atmung wie eine muffige Wolldecke. Jakob legte die Akten auf den Boden und zündete die übrigen Kerzen an. Er brauchte sieben Streichhölzer. Dicke und dünne in allen möglichen Farben erleuchteten ein Lager aus Kissen und sorgfältig drapierten Seidentüchern. In der Mitte lag eine Decke, dunkel gefärbt von altem Blut, daneben stand eine Flasche Schampus. Um die Flasche waren Teller mit noblen Häppchen verteilt. »Haben Sie die Asservatenkammer geplündert?«, fragte Tanja.
»Sogar die Flasche ist original. Was halten Sie von all dem Aufwand, was von dem Ort?«
»Keine Ahnung, eine Hütte eben.«
Jakob seufzte. »Romantisch sind Sie eher nicht?«
»Ich finde es nicht romantisch. Eher wie ein Verschlag, Verließ, ein Rattenloch.« Ihre Arme hingen schon wieder bedenklich.
»Eine Frau mit Geld mietet ein solches Rattenloch?«
»Warum nimmt sie sich kein Hotelzimmer? Irgendwas mit Sektkühler, Zimmerservice, Wellnesslandschaft, dicken Teppichböden?«
»Gute Frage.« Jakob setzte sich auf das Kissenlager. Tanja senkte sich vorsichtig auf den staubigen Hüttenboden und achtete darauf, das Blut vom letzten Jahr Ostern im Blick zu behalten.
»Sie hatte etwas zu verstecken«, sagte Jakob.
»Ihren vernarbten Körper vielleicht? Dunkel genug ist es ja hier.«
»Etwas, das die Natur nicht stört.« Jakob legte die Schampusflasche auf die Seite. »Etwas, das eher hierhergehört als in Luxushotels und nach Schlachtensee.«
»Etwas für geschlossene Fensterläden«, sagte Tanja. »Es ist nicht das erste Mal, daß sie sich verbirgt.«
»Sie meinen den gefälschten Ausweis?«
»Ihr Mann war völlig verdattert, als er davon erfuhr. Er hielt das für ausgeschlossen.«
»Menschen, die wissen, wo es langgeht, sind leicht zu verblüffen.« Jakob spielte mit den Schlüsseln. »Wie ist sie hergekommen?«
»Das wissen wir nicht. Ihr Cabrio stand in Schlachtensee in einer Nebenstraße. Hier waren keine Reifenspuren. Sie starb in der warmen Nacht auf Ostersonntag, als sie am Dienstagmorgen gefunden wurde, war der Winter zurückgekehrt. Eine geschlossene Schneedecke hatte alle Spuren verwischt. Sind die Kissen eigentlich von ihr?«
»Ihr Mann kannte sie nicht. Er hat ausgesagt, so etwas hätte er nicht in seinem Haus geduldet, weder die Kissen, noch die Tücher oder die Kerzen. Warum auch immer.«
»Zu weiblich. Die Farben, die Stoffe, alles weich, warm, ohne Status, nur gemütlich«, sagte Tanja.
»Nichts für Herrn Professor.«
»Also ihr Liebhaber, für den sie das hier alles eingerichtet hat, muß ganz anders gewesen sein als ihr Mann. Romantisch, jünger wahrscheinlich?« Tanja sah Jakob an. »Wie fühlt sich das an für Sie als Mann, all die Seidentücher, die Kerzen, die Vögel draußen?«
Jakob überlegte. »Altmodisch. Nach Tropfkerzen und Sangriaflaschen. Aber das war vor Ihrer Zeit. Stundenlanges Geknutsche. Wenig Sex, viel Zärtlichkeit und Erotik.«
»Und was sagt uns das jetzt?« Tanja streckte die Beine aus.
»Es zeigt die letzten Momente im Leben unseres Opfers. Da müssen wir anfangen, am Ende. Sie hat eine Welt aufgebaut, die es nicht mehr gibt und die sich von ihrem Alltag unterscheidet. Sie hat etwas feiern wollen, genießen, das sie sich ersehnt hat mit einem jungen Teil ihrer Seele und das sie glaubte, verstecken zu müssen.«
»Und dann ist er gekommen, der Mann, für den sie das alles inszeniert hat und hat sie erstochen. Sieht aus, als wäre sie auf den Falschen getroffen.«
»Langsam«, sagte Jakob.
»Immerhin hat er sie getötet, das hat sie sich sicher anders vorgestellt.«
»Wenn wir ihn haben, werden wir ihn fragen. Bis dahin denken Sie an die Tatortphotos der Toten. Wie hat sie auf Sie gewirkt, ist Ihnen etwas aufgefallen?«
»Entspannt wirkte sie, mal davon abgesehen, daß sie tot war. Keine Angst, kein Entsetzen.«
»Das meine ich nicht. Ihre Augen, haben Sie das gesehen? Er hat sie erstochen und ihr danach die Augen geschlossen.«
»Also doch ihr Mann?«
»Kollege Schuman glaubt, er wäre es gewesen.«
»Er hat ein Alibi, noch dazu in Amerika.«
»Schuman denkt, er hätte einen Killer engagiert.«
»Und den schickt er los und sagt ihm, hinterher schließt Du die Augen? So ein Schwachsinn.« Tanja stand auf. »Das kenne ich von früher. Wenn der Lieblingsverdächtige ein Alibi hat, dann war es ein Auftragsmörder, die Uhren gingen falsch, die Weltverschwörung schlägt zu oder sonstwas. Und solange man auf die Sackgasse starrt, in die man sich immer tiefer eingräbt, schneien die Spuren des wirklichen Täters zu.«
Jakob schwieg.
Tanja ging in der Hütte auf und ab und wirbelte den Staub auf.
Jakob hustete und schwieg.
Sie setzte sich wieder.
Er sah ihr in die Augen. Mittenhinein und schwieg.
Tanja bemühte sich zurückzusehen, dieses komische Vorbild anzusehen. Seine verwuschelten Haare, die großen Hände, die großen Augen. Die sehr tiefen, sehr großen Augen. Sie schnappte nach Luft, hielt sich an der Reling fest und zog sich aus dem Sog. Die harmlose Brille war Tarnung.
»Wir sollten ihn uns ansehen, den feinen Pinkel«, sagte sie.
Jakob nickte. »Am besten bei ihm zuhause. Ich will wissen, wie sie gelebt hat.« Er stand langsam auf. »Lassen Sie uns das hier zusammenräumen und hinfahren, wir können frische Luft gebrauchen.«
»Müssen wir uns nicht ankündigen?«
»Ein bißchen Überraschung muß sein, sogar in Schlachtensee.«
Jakob ließ Tanja am Haus vorbeifahren, in die zweite Nebenstraße rechts einbiegen und dann die erste links nehmen. Sie wendete am Ende und parkte zwischen zwei Laternenpfählen. Hunde bellten, ein Gärtner sah auf. Sie stiegen aus.
»Warum parken wir so weit weg?«, fragte Tanja.
»Ihr Wagen stand hier. Ihr Mann hat ihn als vermißt gemeldet, ihn dann beim Joggen entdeckt. Das ist seine Strecke, immer samstags.«
»Am Dienstag wird seine ermordete Frau entdeckt und am Samstag geht er joggen?«
»Offenbar ein disziplinierter Mann.«
»Und ihre Schlüssel, wo waren die?«
»Ordentlich zuhause in der Schlüsselschale, sagt er.«
Sie bogen in die Straße ein. Ein weißer Neubau, Fenster und Türen wie Schießscharten. Knarzige Kiefern besetzten das Grundstück und blickten verächtlich auf das Haus herab, das man ihnen vor die Füße gelegt hatte und dessen schneeweiße Wände sie langmütig mit einer grünen Patina in den Alltag zogen. Eine dürre Hecke markierte zusammen mit einem verrosteten schmiedeeisernen Zaun die Grundstücksgrenze. Tanja drückte auf die Klingel am Tor unter dem Namen Krüger. Sie waren weithin sichtbar, trotzdem fragte eine Männerstimme: »Ja bitte?«
»Kriminalpolizei«, sagte sie. »Wir hätten Sie gern gesprochen, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, ergänzte Jakob.
Das Tor surrte, Tanja schob es auf, knarrend kündete es von alten Zeiten ohne Schießscharten. Ein stählern hagerer, kahlköpfiger Mann erwartete sie in der geöffneten Tür. Jakob streckte die Hand aus. »Hagedorn, Hauptkommissar, wir kennen uns noch nicht.«
Professor Dr. Peter Krüger ignorierte Jakobs Hand, trat zurück und ließ sie eintreten. Hinter ihnen fiel die Tür wie hydraulisch angesaugt ins Schloß. Es roch nach Farbe und Teppichkleber.
Sie standen in einem Raum, der sich über die gesame Tiefe des Erdgeschosses erstreckte. Rechts waren zwei Türen, links ging das Zimmer in eine offene Küche über, die halb verborgen unter der Treppe ins Obergeschoß lag. Sie waren buchstäblich mit der Tür ins Haus gefallen. Vor ihnen breitete sich eine raumgreifende, düstere Sitzgruppe aus, die zum Garten ausgerichtet war. Bodentiefe Fenster ließen den Blick über eine sich wohlhabend abschwingende Rasenfläche auslaufen. Mittendrin senkte eine mächtige Buche ihre Zweige auf das Grün. Im Schutzraum dieses Gartens hatte sie ihre Blätter mutiger als die Havelgeschwister entfaltet und tauchte das Haus in ein kraftstrotzendes Hoffnungsgrün. Links von ihr störte eine ausladende Gartenplastik aus poliertem Stahl die Ruhe.
»Was für ein wunderschöner Baum«, sagte Jakob.
»Meiner Frau hat er auch gefallen. Ich bin ja nicht so für grün«, sagte der Hausherr und ging zur Sitzgruppe voraus. »Ich nehme an, daß Sie wegen des Mordes an meiner Frau gekommen sind. Was führt Sie zu mir nach so langer Zeit, eine neue Spur?«
»Leider nein«, antwortete Jakob. »Aus gesundheitlichen Gründen mußte der Kollege den Fall abgeben und wir machen uns gerade erst ein Bild.« Sie setzten sich und Jakobs Blick fiel auf die Schießschartenwand zur Straße, sie war bis zur Decke mit Bücherregalen gefüllt. Es mußten hunderte Taschenbücher sein, in chaotischer Buntheit reihte sich Rücken an Rücken, selbst die Freiräume über den Büchern waren vollgestopft mit querliegenden Bänden. Ein verwirrend lebendiger Anblick in diesem Haus. Jakob widerstand der Versuchung, aufzuspringen und die Titel zu lesen.
»Dann hoffe ich, daß Sie nicht sein vorschnelles Urteil übernommen haben und auch in andere Richtungen ermitteln als ausschließlich den Ehemann zu drangsalieren«, sagte Professor Krüger.
»Soweit ich weiß, waren Sie nicht verheiratet?«, fragte Jakob.
»Meine Frau wollte das nicht. Sie sagte, sie habe schlechte Erfahrungen. Ich hatte keinen Grund, ihr zu mißtrauen.«
»Mit ihrem gefälschten Ausweis wäre es auch schwierig geworden auf dem Standesamt«, sagte Tanja trocken.
»Davon habe ich nichts gewußt.«
»Warum steht sie nicht auf dem Klingelschild?«, fragte Jakob.
»Auch das entsprach ihren Wünschen. Sie hatte meine Initialen vorgeschlagen, aber das war mir zu albern.«
»Klingt, als wollte sie sich verstecken«, sagte Tanja.
»Jetzt kommen Sie mir nicht wieder mit der Prostituiertengeschichte, das ist Unfug.«
»Hat Sie Ihnen den Zustand ihres Körpers erklärt?«, fragte Jakob.
Der Professor schwieg.
»Das muß doch ein Schock gewesen sein.«
»Wir haben enthaltsam gelebt, bis wir nach Berlin zogen.«
»Sie hat sie nicht rangelassen?«, fragte Tanja. Jakob zog die Augenbrauen zusammen.
»Wenn Sie so wollen, ja.«
»Wie schrecklich«, sagte Tanja.
Der Professor sah Jakob an. »Keineswegs.«
»Die unerreichbaren Trauben«, sagte Jakob.
»Wie lange ging das?«, fragte Tanja.
»Wir haben uns bei ihrer Arbeit kennengelernt. Ich war in jenem Sommer mit meinem Motorrad unterwegs in Dänemark und hatte auf der Heimreise einen schweren Unfall. Ein komplizierter Trümmerbruch von Schien- und Wadenbein. Ich lag etliche Wochen in Hamburg im Krankenhaus. Als ich entlassen wurde, ging ich an Krücken und hatte mir vorgenommen, mit dem Motorrad zurück nach Berlin zu fahren. Bis zum Semesterbeginn waren es noch über zwei Monate, ich wollte die Rekonvaleszenzzeit in Hamburg verbringen. Für die erforderliche Physiotherapie fand ich eine Praxis in Blankenese und mir wurde Sarah zugeteilt. Wir haben uns täglich gesehen, ein halbes Jahr darauf kam sie zu mir nach Berlin.«
»Und Ihr Semester?«, fragte Tanja.
»Ich habe mich freistellen lassen.«
»Für Ihre neue Freundin?«
»Das finden Sie erstaunlich, nicht wahr? Ich habe meine Frau geliebt, da war alles andere nebensächlich.«
»Wie lange wohnen Sie schon in diesem Haus?«, fragte Jakob.
»Das habe ich für uns gekauft. Als sie herkam, war alles gerichtet.«
»Ohne sie zu fragen?«, fragte Tanja.
»Wir waren glücklich hier.«
»Und dann haben Sie ihren Körper kennengelernt«, sagte Jakob.
Professor Krüger schwieg. Jakob wartete.
»Das war furchtbar, wie Sie sich sicher vorstellen können.«
»Hat Sie gesagt, wie sie zu den Verletzungen gekommen ist?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nichts? Keine Andeutungen, keine Klagen?«
»Sie hat nichts von ihrem Vorleben erzählt. Seit dem Mord frage ich mich, ob ich sie mehr hätte bedrängen müssen. Sie sagte nur, sie sei Einzelkind und ihre Angehörigen tot. Es war mir, glaube ich, recht so. Mit so etwas wollte ich nichts zu tun haben.«
Jakob beugte sich vor. »Etliche dieser Verletzungen scheinen jüngeren Datums zu sein, wie erklären Sie sich das?«
»Gar nicht, davon weiß ich nichts.«
Jakob sah ihn fragend an.
»Ganz einfach, wir hatten keinen Sex.«
»So schlimm war sie nun auch nicht zugerichtet«, sagte Tanja.
Der Professor sah sie an. »Zu schlimm für mich auf jeden Fall. Mir verging es, um es in Ihrer Terminologie auszudrücken. Ich habe mich kaum getraut, sie anzufassen.«
»Sie hatten nie Sex mit ihr?«
»Ich weiß nichts über diese Verletzungen. Mein Beruf bringt es mit sich, daß ich oft lange verreist bin. Ich besuche Kongresse, nehme Gastprofessuren an. Was meine Frau in der Zeit getan hat, weiß ich nicht. Es ist natürlich möglich, daß sie sich prostituiert hat. Vermutlich gibt es genügend Männer, die nicht so empfindlich sind wie ich und zufrieden, wenn sie ihren Schwanz irgendwo plazieren können.«
»Aber Sie müssen doch gesehen haben, wie ihr Körper immer schlimmer zugerichtet wurde.«
Der Professor schlug ein Bein über. Das Licht spiegelte sich auf seinem kahlen Kopf. »Wir hatten ein Agreement. Sie hat mich vom Anblick ihres Körpers befreit und ich habe nicht nachgefragt.«
»Sie haben sie nie nackt gesehen?«, fragte Tanja.
»Wenn ich hier war, habe ich in meinem Arbeitszimmer übernachtet.« Er deutete auf die zwei Türen zur Rechten. »Ihr Reich war oben.«
»Dürfen wir uns dort etwas umsehen?«, fragte Jakob. »Nur, um uns ein Bild vom Zuhause Ihrer Frau zu machen.«
»Sie werden nichts mehr von ihr finden«, sagte der Mann. »Das Obergeschoß ist leer.«
»Sie haben renoviert?«, fragte Jakob.
»Ein Jahr nach ihrem Tod. Je länger die Ermittlungen ergebnislos blieben, desto unerträglicher wurden mir ihre Spuren.« Er sah Jakob an. »Außerdem hatte ich immer das Gefühl, hier war ein Fremder.«
»Warum?«, fragte Tanja.
»Einige Wochen nach ihrem Tod fand ich in einer Sesselritze Holzschnipsel. Ich konnte mir das nicht erklären, hier gibt es kein Holz. Meine Putzfrau verkündete auf Befragen, daß sie zwei Tage nach dem Tod meiner Frau – sie kommt immer mittwochs, was ich sehr unpraktisch finde, da das mein vorlesungsfreier Tag ist, aber diskutieren Sie mal mit einer Polin –, also sie fand ähnliche Holzschnipsel vor dem Kamin und auf der Fensterbank in der Küche. Da mir das bemerkenswert schien, habe ich sie den ermittelnden Beamten übergeben, zusammen mit den fremden Unterlagen.«
»Könnten wir mit ihr sprechen?«, fragte Jakob.
»Mit wem?«
»Ihrer Putzfrau. Wenn sie das Haus gereinigt hat, ist ihr vielleicht noch etwas anderes aufgefallen.«
»Sie arbeitet nicht mehr für mich. Es war nicht zu klären, wo fünfhundert Euro aus meinem Schreibtisch geblieben sind.«
»Sie bewahren fünfhundert Euro in Ihrem Schreibtisch auf?«, fragte Tanja.
»Für Notfälle, unvorhergesehene Ausgaben, Stromausfälle. Erscheint Ihnen das viel?«
»Daß Sie die Frau nicht mehr beschäftigen, ändert nichts daran, daß wir sie sprechen wollen«, sagte Jakob.
»Das wird nicht gehen. Ich habe sie auf Empfehlung eingestellt und weiß nicht mal ihren Nachnamen. Maria heißt sie, mehr ist mir nicht bekannt. Leider habe ich sie schwarz beschäftigt.«
»Und wer hat sie empfohlen?«
»Auch das erinnere ich nicht mehr. Ein Kollege, ein Nachbar, tut mir leid.«
»Haben Sie wenigstens eine Handynummer?«
»Nein, leider. Sie kam jede Woche mittwochs um neun, dröhnte durch das Haus und verschwand nachmittags um vier. Letzteres sehnlichst von mir erwartet.«
»Haben Sie schon eine Nachfolgerin?«
»So etwas braucht Zeit, das Vertrauensverhältnis, Sie wissen schon. Im Nachhinein schien es mir auch, daß mein Geld schon länger etwas zu schnell dahinschmolz. Aber ich will eine Abwesende nicht leichtfertig verdächtigen, das hat den Beigeschmack des Vorurteils.«
»Und die Unterlagen?«, fragte Jakob.
»Bitte?«
»Sie erwähnten vorhin, daß Sie den Kollegen auch Unterlagen übergeben haben.«
»Ach so, das waren Lehrbücher für einen Bootsführerschein. Sie lagen auf dem Küchentisch, als ich nach Ostern zurückkam. Und unter der Treppe auf der Kommode lag Knotenübungsmaterial.«
»Und was war daran so außergewöhnlich?«, fragte die Kollegin.
»Meine Frau konnte nicht schwimmen. Sie wäre nie auf ein Boot gestiegen. In Hamburg damals wollte ich sie mit einer Hafenrundfahrt überraschen, kreidebleich wurde sie.« Er lachte. »Nein, das Zeug war nicht von ihr, das hat ihr Mörder, ihr Liebhaber, Kunde oder was weiß ich, mitgebracht. Aber ihr Kollege fand das alles irrelevant. Nein, warten Sie, scheißegal hat er gesagt, weil, ich hätte meine Alte abgestochen und er würde mich schon garkochen.« Er lachte wieder. »Krank ist er, haben Sie gesagt, schon länger, das freut mich zu hören.«
»Haben Sie die Schlösser eigentlich ausgetauscht?«, fragte Jakob.
»Das erschien mir sicherer, ich weiß ja nicht, wem meine Frau hier Zugang verschafft hat.«
»Und die Renovierung, wie umfangreich war die?«
»Ich bin ein gründlicher Mensch, warum fragen Sie?«
»Das Haus war ja erst aufwendig verändert worden. So fünf, sechs Jahre müßten das sein. Sie haben es doch umgebaut?«
»Oh ja, das war stillos vorher. Alle Wände raus, die Fenster völlig neu konzipiert, das war das Mindeste.«
»War wenigstens der Keller trocken?«
»Da spricht der Sachverstand. Ausgerechnet kurz nach dem Tod meiner Frau hatte ich einen massiven Schaden. Irgendetwas mit Sickerwasser und dann der späte Kälteeinbruch, fragen Sie mich nicht, ich habe nur die Hälfte verstanden von dem, was der Handwerker gesagt hat. Die Physik ist ein weites Feld.«
»Und, war es kostenintensiv?«, fragte Jakob.
»Das kann man wohl sagen. Keller ist ein Alptraum. Man sollte ebenerdig bauen, das spart viel Ärger.«
»Aber wohin dann mit den Kartoffeln, der Waschmaschine und der Vergangenheit?«
»Eben, zumal es ja auch keine Dachböden mehr gibt.«
»Die Adresse von den Handwerkern wäre beizeiten von Vorteil«, sagte Jakob. »Falls es nicht wieder ein abgedunkeltes Beschäftigungsverhältnis war.«
»Ich lasse Sie Ihnen zukommen. Anständige Arbeit zu einem fairen Preis, durchaus empfehlenswert.«
Jakob stand auf und nickte Tanja zu. »Wir haben dann auch genug von Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch genommen. Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen. Wenn wir dürfen, würden wir uns gern noch mit der einen oder anderen Frage an Sie wenden.«
Professor Krüger stand auf. »Aber gern. Ich habe noch Hoffnung, daß Sie herausfinden, wer mir meine Frau genommen hat.«
Sie gingen zur Tür inmitten der tanzend fröhlichen Buchrücken.
»Eine Frage hätte ich noch«, sagte Tanja. »Hat Ihre Frau irgendwann angedeutet, woher sie stammt?«
»Nachdem wir damals in Hamburg unsere Hafenrundfahrt nicht antreten konnten, sagte sie, sie verstünde mehr von Bergen als vom Wasser. Außerdem hatte sie einen süddeutschen Akzent, zumindest, wenn sie übermüdet war. Badisch würde ich sagen.«
Sie bedankten sich und verließen das Haus, verfolgt vom schmatzend wiederhergestellten Vakuum der Haustür.
»Und was jetzt?«, fragte Tanja am Wagen.
Jakob schwieg und sah ins Nichts.
»Kommissar Hagedorn?«
»Fahren Sie erst mal los und setzen mich an der nächsten U-Bahnstation ab. Krumme Lanke, ich zeige Ihnen den Weg.«
»Und was mache ich?«
Jakob schwieg wieder lange. »Kollege Schuman hat Notizen zum Vorleben von Peter Krüger gemacht. Überprüfen Sie das, und seien Sie genau, Schuman neigt dazu, nur jene Dinge zu sehen, die da sind.«
»Wollen Sie etwas Bestimmtes wissen?«
»Stochern Sie einfach und schauen, was an die Oberfläche aufsteigt. Und recherchieren sie, ob Sarah Schubert Vorgängerinnen beim Professor hatte, Schuman hat keine gefunden. Ach ja, besorgen Sie die Baugenehmigung von damals und den Kaufvertrag.«
Jakob wies sie durch die Nebenstraßen. Er wirkte weiter abwesend und antwortete so einsilbig auf Tanjas Fragen, daß sie sich bald anschwiegen. An der U-Bahnstation ließ sie den Roadster so butterweich ausrollen, als wäre sie seit Jahren mit ihm verwachsen.
»Darf ich Sie mal was fragen, Kommissar?«
»Hmmh.«
»Warum wollten Sie das über den Keller wissen?«
»Sie sind sehr aufmerksam, Kollegin.« Er sah sie an, ruhig und ernst. »Mir ist aufgetragen worden, eine Folterkammer zu suchen.«